Monika Litschko

Tilla und Milla

Tilla und Milla

Die drolligen Havaneser Schwestern Tilla und Milla, saßen vor ihrem Kamin und erzählten sich lustige Geschichten. Eng aneinander gekuschelt und in Decken gehüllt, lachten sie über ihre selbst erfundenen, fantasiereichen Geschichten. Dabei knabberten sie Nüsse und tranken Weihnachtstee, der lecker nach Zimt duftete. Draußen schneite es kräftig und schnell hatte ihr kleines Häuschen eine weiße Mütze obenauf. Rauch, der aus dem Schornstein stieg, kräuselte sich in der kalten Winterluft und das Feuer des Kamins erhellte die Fenster ihres Hauses, welches in der Nähe eines Waldes stand.

„Ist das schön“, sagte Tilla und schlabberte an ihrem Tee. „Bald ist Weihnachten, dann bekommen wir Geschenke.“ Milla kuschelte sich noch enger an ihre Schwester. „Ja, bald ist Weihnachten“, antwortete sie. „Weißt du eigentlich, auf was ich mich freue?“ Tilla schüttelte den Kopf. „Gibt es etwas schöneres als Geschenke?“, fragte sie neugierig. „Supergeschenke?“ Milla kicherte über Tillas Einfall und antwortete: „Ich freue mich auf unseren Weihnachtsbaum. Wenn er neben dem Kamin steht, geschmückt mit Nüssen, Tannenzapfen und kleinen Bienenwachskerzen, das ist so, so, so romantisch!“ Tillas Augen strahlten. „Ja, das ist romantisch“, flüsterte sie andächtig. „Dann singen wir Weihnachtslieder und essen köstliches Wurzelgemüse. Anschließend verputzen wir noch Beerenmus und trinken Brombeerpunsch.“ Milla lachte und streichelte Tillas Fell. „Das machen wir, aber jetzt gehen wir schlafen. Es ist schon spät.“ Tilla streckte sich. „Ich bin schon sehr müde“, murmelte sie und hüpfte von dem putzigen Sofa. Sie putzten sich die Zähne, wuschen ihre kleinen Nasen und kämmten ihr schönes Fell. Dann schlüpften sie in ihre Bettchen und träumten von Weihnachten.

Draußen schneite es immer noch und der Wind blies kleine Schneehügel vor ihr Häuschen, als ein funkensprühender Schweif über den Himmel zog und blitzschnell im Nirgendwo verschwand. Die Schneeeule bekam einen gewaltigen Schreck und riss erstaunt die Augen auf, schlief aber sofort wieder ein. Hasen Papa Theo, der noch einmal aus dem Bau schaute, um nachzusehen, ob alles in bester Ordnung war, hielt den Atem an. „Was war denn das?“, flüsterte er erschrocken und verschloss schnell den Eingang des Baus.

Und so kam es, dass niemand von ihnen die vier kleinen Gestalten sah, die glitzerten wie Eiskristalle und engelsgleich zu Boden schwebten. Dabei jammerten sie: „Uijuijui, Uijuijui, was machen wir denn jetzt? Schneeprinz, Schneeprinz, warte, wir sind aus deinem Schlitten gestürzt!“ Als ihr Rufen ohne Antwort blieb, fassten sie sich bei den Händen, kauerten sich zusammen und wurden Eins mit dem Schnee.

 

Am anderen Morgen

Tilla und Milla kochten gerade süße Honigmilch, als sie ein lautes Schluchzen hörten, welches aus ihrem verschneiten Garten kam. „Da weint jemand!", rief Milla und lief zum Fenster. Sie hielt angestrengt Ausschau, aber niemand war zu sehen. „Komisch, komisch“, murmelte sie. Tilla schüttete Honigmilch in ihre Tassen und schmierte zwei Marmeladenbrote. „Das war bestimmt der Wind. Komm, frühstücken. Danach werden wir einen Schneemann bauen.“ Tilla strahlte. „Wir werden den größten und dicksten Schneemann der Welt bauen.“ Schnell tranken sie ihre Milch und aßen die Marmeladenbrote, räumten Tellerchen und Tässchen weg, setzten ihre roten Mützchen auf und stürzten sich in den Schnee.

Milla wühlte mit ihrer Schnauze durch den Schnee und sah schnell wie ein kleines, weißes Monster aus. Tilla lachte und tat es ihr gleich. „Das macht Spaß!“, riefen sie gleichzeitig und tobten ausgelassen die Schneehügel, die vor ihrem Haus lagen, hoch und runter. „Pass doch auf, das tut weh!“, rief Jemand sauer. „Soll ich dir mal auf deinen Kopf treten?“

Tilla und Milla blieben stehen und starrten auf den Hügel, der sich plötzlich bewegte. „Was, was, was ist das?“, stotterte Milla und ging einen Schritt zurück. „I, i, i, ich weiß es nicht“, flüsterte Tilla ängstlich und versteckte sich hinter ihrer Schwester. „Schneemonster leben in unserem Garten. Ich knurre jetzt mal. Achtung, grrr … grrr.“ Der Schneehügel bewegte sich nun immer heftiger und vier kleine Gestalten, die sich schüttelten, krochen aus ihm heraus.

„Zwerge, Kinder, Kinderzwerge“, hauchte Tilla. Milla betrachtete die außergewöhnlichen Besucher argwöhnisch. Die kleinen Gestalten trugen Eisblumenmäntel und auf ihren Köpfen glitzerten Kristallmützchen. Ihre Haut aber war weiß wie der Schnee. „Woher kommt ihr und warum habt ihr euch in unserem Garten versteckt?“, fragte Tilla. Die Kinder verbeugten sich leicht. „Wir sind Schneekinder“, antwortete das Erste. „Und wir haben uns nicht in eurem Garten versteckt, sondern nur in ihm geschlafen“, sagte das Zweite. „Wir sind aus dem Schlitten des Schneeprinzen gefallen“, flüsterte das Dritte. „Schneekinder machen Schnee und lassen ihn auf die Erde rieseln“, sagte das Vierte. „Und wenn wir nicht schnell den Prinzen finden, wird er nicht genug Schnee für alle haben. Wir bitten euch, helft uns.“

Tilla und Milla schauten sich skeptisch an. „Schneekinder, die aus einem Schlitten gefallen sind“, hauchte Milla. „Tilla, wenn das wirklich stimmt, müssen wir ihnen helfen.“ Tilla nickte und tapste auf die schneeweißen Kinder zu. „Habt ihr auch Namen?“, fragte sie die Vier. „Und wo sollen wir den Schneeprinzen suchen?“ Die Schneekinder verbeugten sich wieder und stellten sich vor. „Ich bin Fröstelchen und ein Schneemädchen“, sagte das Erste. „Und ich bin Klirr, der Schneejunge“, stellte sich das Zweite vor. „Mein Name ist Schnippelchen und ich bin die Schwester von Fröstelchen“, sagte das Dritte keck. „Gestatten, mein Name ist Glitzer, und ich bin die Schwester von Klirr“, flüsterte das Vierte. „Wo der Schneeprinz gerade ist, das wissen wir nicht, denn wir jagen kreuz und quer über den Himmel. Das macht echt Spaß. Und die Menschen freuen sich über den herbeigesehnten Schnee. Ihre Augen beginnen zu leuchten, wenn er leise zur Erde rieselt und alles zudeckt. Besonders zur Weihnachtszeit.“

Die Havaneser Mädchen waren ratlos. Wo sollten sie mit ihrer Suche anfangen? Der Schneeprinz jagte mit seinem Schlitten über den Himmel und nicht über die Erde. „Mir ist so kalt“, sagte Tilla und klapperte mit den Zähnen. „Kommt mit in die warme Stube, dann trinken wir einen Kakao zusammen und überlegen gemeinsam.“ Erschrocken wehrten die Schneekinder ab. „Das geht nicht“, antwortete Fröstelchen. „Wir würden zerschmelzen, denn wir kommen aus dem Eis und Schneeland. Wir lieben die Kälte.“ Jetzt war guter Rat teuer. Tilla und Milla sehnten sich nach ihrer warmen Stube, aber die Schneekinder liebten die Kälte. Außerdem wäre es unhöflich, wenn sie die Vier einfach so stehen lassen würden. Klirr ahnte, was die beiden dachten und machte ihnen einen Vorschlag. „Wenn ihr nichts dagegen habt, bauen wir uns Schneestühle. Wir sind Meister im Schneestuhl bauen. In der Zwischenzeit könntet ihr Kakao trinken und euch aufwärmen. Danach zieht ihr dicke Sachen an und kommt zu uns.“ Das war eine prima Idee und Tilla und Milla liefen schnell ins Haus.

„Wie sollen wir ihnen nur helfen?“, fragte Tilla Milla, als sie vor ihrem Kakao saßen, der in ihren Tassen dampfte. Milla sah sie ratlos an. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie. „Ich habe absolut keine Ahnung.“ Schweigend tranken sie ihren Kakao und überlegten weiter. „Ich weiß es!“, rief Milla plötzlich. „Die Gemüsehexe Zwiebelchen! Ich habe gehört, dass sie sehr weise sein soll. Sie wird uns helfen können.“ Tilla hüpfte von ihrem Stuhl und lief aufgeregt hin und her. „Meinst du?“, fragte sie zögernd. „Wir haben sie aber noch nie gesehen. Und wo wohnt die Gemüsehexe eigentlich?“ Auch da wusste Milla Rat. „Ach, da mach dir mal keine Sorgen, wir werden die Waldmoosmenschen um Hilfe bitten. Sie hören und sehen viel.“ Tilla umarmte ihre Schwester. „Prima, dass dir immer etwas einfällt. Wir sollten es den Schneekindern erzählen. Doch zuvor müssen wir uns dick anziehen, damit wir nicht erfrieren oder gar krank werden.“

Die Beiden zogen ganz viele Pullover übereinander und schlüpften in dick gefütterte Hosen. Dann wickelten sie sich kuschelige Schals um die Hälse, setzten ihre roten Mützchen auf und gingen zu den Schneekindern, die auf ihren Schneestühlen saßen und auf sie warteten.

„Ihr seht ja aus wie Teddybären!“, sagte Klirr und lachte. „So richtig süß.“ Milla und Tilla zierten sich ein wenig. „Weißt du, normalerweise schützt unser Fell vor Kälte“, antwortete Milla dem Schneejungen. „Aber bei diesem vielen Schnee und der Kälte ziehen auch wir etwas Warmes über. Außerdem haben wir eine Idee, wie wir den Schneeprinzen finden können.“ Sie erzählten ihnen von der Gemüsehexe Zwiebelchen und den Waldmoosmenschen. Die Augen der Schneekinder strahlten, als sie das hörten. „Dann sollten wir losgehen“, schlug Glitzer vor. „Hopp, lasst uns keine Zeit verlieren.“ Zusammen marschierten sie durch die herrliche Winterlandschaft in den Wald hinein, der verträumt in ihr ruhte.

Die Hasenkinder Trudi und Maxi hoppelten auf sie zu. „Hallo Tilla, hallo Milla!“, riefen sie fröhlich. „Wer sind die weißen Kinder?“ Tilla streichelte die niedlichen Hasenkinder. „Das sind Schneekinder und sie suchen den Schneeprinzen.“ Trudi und Maxi legten ihre kleinen Löffel an und staunten. „Sind sie deshalb so weiß?“, fragte Trudi. Fröstelchen nickte. „Ja, wir sind so weiß wie der Schnee, denn wir kommen aus dem Eis und Schneeland.“ Maxi hoppelte auf sie zu und machte sich ganz groß. „Und warum sucht ihr einen Schneeprinzen?“, fragte er neugierig. Fröstelchen lächelte und ging vor ihm auf die Knie. „Weißt du, wir bringen den Schnee auf die Erde. Der Schneeprinz saust mit seinem Schlitten kreuz und quer über den Himmel, und wenn wir Schneekinder in die Hände klatschen, bilden sich Millionen kleine Eiskristalle, die als Schnee zur Erde rieseln. Aber leider sind wir aus seinem Schlitten gestürzt, als er einen Nachtlooping gedreht hat.“ Maxi schmiegte sich an Fröstelchen und versuchte sie zu trösten. „Mit Tillas und Millas Hilfe werdet ihr den Schneeprinzen bestimmt finden. Die Beiden haben auch den Goldenen Knochen des König Bello gefunden. Aber sie haben ihn in der Höhle gelassen, weil Gold nicht so viel Wert ist wie Freundschaft und Liebe.“ Fröstelchen streichelte Maxi und stand auf. „Nun bin ich mir ganz sicher, dass sie uns helfen können. Danke.“ Trudi und Maxi verabschiedeten sich, als Theo der Hasen Papa, nach ihnen rief. „Viel Glück!“, riefen sie schnell und hoppelten davon.

Schweigend gingen sie durch den Wald. Rehe sprangen an ihnen vorbei, Eichhörnchen kletterten an den Stämmen der Bäume empor und ein Fuchs huschte schnell in seinen Bau. „Ist es noch weit?“, fragte Klirr. Tilla schüttelte den Kopf. „Nein, wir sind gleich da. Seht ihr die Brücke dort? Auf der anderen Seite leben die Waldmoosmenschen. Aber sobald wir die Brücke überquert haben, müsst ihr aufpassen, wohin ihr tretet, denn die Waldmoosmenschen sind winzig klein. Nur wenn es dunkel wird, kann man sie gut sehen, denn sie haben grüne Augen, die bei zunehmender Dunkelheit immer heller leuchten. Außerdem wohnen sie in Pilzen. Die Schneekinder staunten, als sie Tilla zuhörten. „Die grünen Leuchtaugen brauchen sie, denn sonst hätten sie kein Licht und würden sich in der Dunkelheit verlaufen, oder in ihren Pilzhäusern gegen die Wände rennen, Treppen herunter purzeln, sie könnten nicht spielen oder gar Essen kochen.“ Fröstelchen, Klirr, Schnippelchen und Glitzer, versprachen gut aufzupassen. „Dann lasst uns die Brücke überqueren“, sagte Milla und ging voraus.

Als sie die Brücke überquert hatten, setzten sie vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Die Schneekinder fassten sich an den Händen und folgten ihnen. „Dort drüben ist das Dorf der Waldmoosmenschen“, sagte Milla und zeigte auf einen kleinen, zugefrorenen Bach. „Sie leben ganz in der Nähe. Kommt, wir werden ihnen nun einen Besuch abstatten. Damit sie sich nicht erschrecken, werde ich ein Lied pfeifen. So wissen sie, dass wir es sind.“ Mit einer laut pfeifenden Milla, die voranmarschierte, gingen sie zu dem Bach und steuerten auf eine große Tanne zu. „Oh, wie niedlich“, hauchte Schnippelchen. „Die vielen Pilzhäuser und die kleinen schneebedeckten Minigärten. Seht mal, es stehen sogar klitzekleine Bänke davor.“

Das Dorf der Waldmoosmenschen war wunderschön. Pilzhäuser, die in dem Wurzelgeflecht der mächtigen Tanne oder auf dem moosreichen Boden standen, boten dem Betrachter ein zauberhaftes Bild. Die kleinen Fenster waren mit bunten Gardinen geschmückt und aus allen Schornsteinen quoll Rauch. Es gab sogar eine Pilzkirche. Die mächtige Tanne, unter der ihr Dorf lag, schützte sie zusätzlich vor Schnee und Regen. Eine kleine Tür öffnete sich und ein winziges Mädchen trat heraus. Ihre grünen Augen strahlten, als sie Tilla und Milla erkannte.

Waldmoosmenschen sehen aus wie wir, nur haben sie keine Haare, sondern tragen Moos auf ihrem Kopf, welches im Sommer kühlt und im Winter wärmt. „Das ist Waldisa“, sagte Milla. „Sie ist ein Waldmoosmädchen und wohnt mit ihren Eltern in diesem Pilz.“ Hinter Waldisa erschienen ein Mann und eine Frau. „Hallo ihr Zwei!“, riefen sie. „Wen habt ihr uns denn da mitgebracht?“

Milla ging etwas näher zum Haus. Aber nicht zu nah, denn ihr Atem hätte die kleinen Waldmoosmenschen davonfliegen lassen. „Hallo Mama Lustig, hallo Papa Lustig!“ begrüßte sie die Beiden. „Hallo Waldisa! Das sind Schneekinder und sie sind aus dem Schlitten ihres Schneeprinzen gefallen, als er einen Nachtlooping am Himmel gedreht hat. Wenn wir ihn nicht schnell finden, haben viele Menschen wenig, oder gar keinen Schnee“, erklärte sie den Waldmoosmenschen ihren Besuch. „Wir müssen unbedingt die Gemüsehexe Zwiebelchen finden, denn sie ist sehr weise und wird uns helfen können.“ Die Lustigs schüttelten mitleidsvoll die Köpfe. „Die armen Kinder“, sagte Mama Lustig und seufzte weinerlich. „Natürlich werden wir euch helfen.“ Papa Lustig, der einen Arm um seine kleine Waldmoosfrau gelegt hatte, wusste auch wie. „Waldisa, lauf schnell zu Amos, er weiß, wo die Gemüsehexe lebt.“ Waldisa sprang die Treppen herunter, kletterte über Wurzelgeflecht und verschwand in einem kleinen, schon sehr alten Pilz. Er lehnte schief am Stamm der großen Tanne und es schien, als würde er jeden Moment umkippen.

Als Waldisa zurückkam, folgte ihr ein alter, etwas humpelnder Mann. „Waldisa hat mir schon alles erzählt“, sagte er gleich. „Und ich kann euch sagen, wo sie wohnt. Wenn das mal kein großes Glück ist.“ Papa Lustig stemmte seine Hände in die Hüften. „Das ist Amos, unser Dorfältester. Er ist schon 107 Jahre alt und hat ein großes Wissen. Amos, sage ihnen wo die Gemüsehexe lebt. Sie haben es sehr eilig.“ Der alte Amos setzte sich auf einen kleinen Kieselstein und holte kurz Luft. „Geht gleich hier in den Wald hinein“, sagte er. „Geht immer geradeaus, und wenn ihr eine Tanne seht, die voll mit goldenen Zapfen ist, ruft nach Bittermandel, dem Elfeneinhorn. Es wird euch das Tor zur Gemüsehexe öffnen.“ Milla, Tilla und die Schneekinder waren erleichtert und bedankten sich bei Amos. Sie verabschiedeten sich von den Waldmoosmenschen und tauchten zusammen in den Wald ein.

„Nette Freunde habt ihr“, sagte Fröstelchen, „sie sind so klein und hilfsbereit.“ Milla lächelte. „Ja, aber niemand darf wissen, dass es sie gibt“, flüsterte sie. Klirr verstand das nicht so recht. „Warum darf das niemand wissen?“, fragte er ratlos. „Sie tun doch niemanden was.“ Milla seufzte. „Das ist es ja“, sagte sie. „Sie tun niemanden was, aber wenn die Menschen wüssten, dass es Waldmoosmenschen gibt, würden sie in den Wald stürmen, um sie zu suchen. Dabei würden die Waldmoosmenschen von ihnen zertreten werden.“ Glitzer verstand. „Ja, so sind die Menschen. Wir haben von ihnen gehört. Sie zerstören ihren Lebensraum und können nicht mehr träumen. Nur die Kinder können das noch. Wir, die im Eis und Schneeland wohnen, träumen immer von einem schönen Leben. Wir leben dort miteinander und sind glücklich, uns zu haben.“ Milla schüttelte sich. „Bei den Menschen ist vieles anders“, sagte sie traurig. „Nun lasst uns die Tanne suchen.“ Schweigend gingen sie nebeneinanderher und hielten Ausschau nach Amos geheimnisvoller Tanne.

„Seht mal!“, rief Schnippelchen aufgeregt. „Was glänzt denn da so schön?“ Tilla und Milla hechelten, so freuten sie sich. „Das sind die goldenen Zapfen“, flüsterten sie andächtig. „Wir haben die Tanne gefunden.“ Eilig liefen sie auf die Tanne zu, deren goldene Zapfen wunderschön leuchteten. „Nun müssen wir nach Bittermandel, dem Elfeneinhorn, rufen“, sagte Fröstelchen. „Das hat Amos gesagt.“ Plötzlich waren alle sehr aufgeregt. „Soll ich?“, fragte Tilla. Die anderen nickten. „Bittermandel, bitte öffne das Tor für uns!“, rief sie laut. „Wir möchten der Gemüsehexe einen Besuch abstatten, denn wir benötigen ihre Hilfe.“

Ssssssssss, Sssssssss, machte es hoch über ihren Köpfen und sie richteten ihre Blicke nach oben. Ein kleines Einhorn, auf dem nur eine zierliche Elfe Platz hatte, flog auf sie zu. Es hatte ein silbernes Fell, einen weißen Schweif und seine winzigen Flügel glänzten perlmuttfarben. Auf seiner Stirn aber, saß ein Horn, welches in allen Farben des Regenbogens leuchtete. „Bist du Bittermandel?“, fragte Tilla. Bittermandel flatterte vor ihren Nasen auf und ab. „Ja, das bin ich. Ihr wollt zur Gemüsehexe?“ Tilla nickte. „Ja, das wollen wir. Denn nur sie kann uns sagen, wo wir den Schneeprinzen finden.“ Bittermandel wieherte, drehte sich im Kreis, stieg flügelschlagend in die Höhe und flog in die goldenen Zapfen hinein. Ihr Einhorn sprühte dabei Funken und als sie in den Zapfen verschwand, tropfte Goldregen aus diesen und landete im Schnee.

„Geht hindurch“, flüsterte der Wind. „Geht, geht.“ Milla, Tilla und auch die Schneekinder durchschritten das Tor und landeten in einer anderen Welt.

Wo war der Wald geblieben? Wo die Tannen und die Laubbäume? Und warum war der Schnee rot? Dann wieder blau oder gelb, lila oder grün. „Wo sind wir nur?“, fragte Klirr. „Das ist ja fantastisch.“ Tilla und Milla steckten ihre Schnauzen in den bunten Schnee und schnüffelten. „Er riecht nach Tomate, nach Spinat, nach Auberginen, nach Mais und Blaukraut“, stellte Milla fest. „Hier wächst auch im Winter, Gemüse.“ Schnippelchen lachte laut und zeigte auf etwas, das aussah wie ein großer Salatbaum. „Seht mal!“, rief Fröstelchen. „Dort drüben in der Erde steckt ein Möhrenbaum.“ Sie drehten ihre Köpfe in alle Himmelsrichtungen und sahen Porree Palmen, Mangoldbüsche und vieles mehr. „So viele gesunde Gemüsesorten auf einmal habt ihr wohl noch nicht gesehen?“ fragte eine Stimme, hinter einem Rhabarberstrauch. „Macht ja nichts. Ich komme mal zu euch. Bitte wundert euch nicht, dass bei mir das Gemüse auch im Winter wächst, aber im Gemüseland, ist eben alles anders.“ Es raschelte und aus dem Strauch trat eine wunderschöne Frau. Sie hatte lange, rote Haare, die unter einer Mütze hervorguckten, lustige Sommersprossen und steckte in einer bunten Latzhose. „Erstaunt?“, fragte sie. „Hattet ihr eine Hexe erwartet, mit einer Warze auf der Nase? Ach ja, und einen Buckel, den habe ich fast vergessen.“ Die Schneekinder verbeugten sich schnell. „Wir haben natürlich nicht erwartet, dass Sie so schön sind“, antwortete Klirr ehrlich. Die Gemüsehexe lächelte. „Ist schon gut“, sagte sie und kam näher. „Wer seid ihr denn?“ Tilla und Milla setzten sich vor die Füße der Gemüsehexe. „Wir sind die Schwestern Milla und Tilla. Wir sind mit unseren Freunden, den Schneekindern zu dir gekommen, weil wir glauben, dass du uns helfen kannst, ihren Schneeprinzen zu finden.“ Die Augen der Gemüsehexe blickten sie nachdenklich an. „Ich glaube, das kann ich“, sagte sie plötzlich. „Nennt mich doch bitte Zwiebelchen. Gemüsehexe, das hört sich so, na ja, hexenmäßig an. Und jetzt folgt mir.“

Sie folgten Zwiebelchen durch den Gemüsewald und standen schon bald vor einem riesigen Pusteblumenfeld. „Das sieht ja aus wie eine Schneelandschaft!“, rief Glitzer. „Ganz weiß!“ Zwiebelchen lächelte selig. „Ja, du hast Recht, es sind Schneepusteblumen. Hier lebt das Löwenzähnchen. Er wird uns sagen können, wo der Schneeprinz gerade ist. Löwenzähnchen, Löwenzähnchen!“ Die Erde bebte, als ein Riese, der einen Hut aus Löwenzahnblättern auf seinem Kopf trug, auf sie zu kam. „Löwenzähnchen, schön dass du gekommen bist“, sagte Zwiebelchen. „Schau mal, das sind meine neuen Freunde. Tilla, Milla, Klirr, Schnippelchen, Fröstelchen und Glitzer. Sie suchen den Schneeprinzen. Weißt du, wo er gerade ist?“ Der Riese Löwenzähnchen beugte sich zu ihnen herunter. „Ja, das weiß ich“, antwortete er freundlich. „Ich habe geträumt, dass ihr kommen würdet und in meinen Träumen nach dem Schneeprinzen gesucht. Er saß verzweifelt in seinem Schlitten, weil ihm der Schnee ausgegangen war. Und er war traurig, weil er die Schneekinder verloren hatte.“

Die Schneekinder jubelten. „Hurra, du hast den Schneeprinzen gefunden. Wo ist er denn?“ Löwenzähnchen zeigte nach oben. „Seht ihr den glitzernden Fleck am Himmel?“, fragte er schelmisch. Sie richteten den Blick zum Himmel und sahen den Schlitten des Schneeprinzen, der wie ein glitzernder Fleck am Himmel stand. „Und wie sollen wir dort hinaufkommen?“, fragte Glitzer. „Das ist viel zu weit.“ Die Gemüsehexe beruhigte sie. „Weißt du, für euch opfern wir unser Schneepusteblumenfeld. Sie werden euch hoch zu dem Prinzen tragen.“ Die Kinder jubelten und bedankten sich herzlich.

„Es war nett, dass ihr uns geholfen habt“, sagte Glitzer zum Abschied. „Ohne euch wären wir verloren gewesen“, sagte Schnippelchen dankbar. „Nächstes Jahr bekommt ihr eine extra Portion Schnee“, sagte Klirr. „Und Kälte“, sagte Fröstelchen. Sie umarmten Tilla und Milla, gaben Zwiebelchen ein Küsschen und streichelten Löwenzähnchens große Hände. „Nun ab mit euch ins Schneepusteblumenfeld“, forderte der Riese sie auf. Als die Schneekinder in das Pusteblumenfeld liefen, holte er tief Luft und blies seinen Atem in das Feld. Der weiße Samen des Schneelöwenzahns löste sich von seinen Stängeln und trug die Schneekinder hoch in den Himmel, bis hin zu ihrem Schneeprinzen.

Tilla und Milla blickten ihnen traurig nach. „Schade, sie waren sehr nett“, flüsterte Milla. Zwiebelchen kraulte sie zwischen den Ohren. „Ja, das waren sie. Aber ihr Platz ist nun einmal dort oben, bei ihrem Schneeprinzen. Und ihr Zuhause ist das Eis - und Schneeland.“ Milla vergoss eine Träne und schmiegte sich an Tilla. Gemeinsam winkten sie hoch zum Himmel, verabschiedeten sich von Löwenzähnchen und bedankten sich herzlich bei Zwiebelchen. „Wenn ihr Lust habt, kommt uns doch ab und zu besuchen“, sagte Zwiebelchen. Wir würden uns freuen. Ich koche auch eine leckere Gemüsesuppe.“ Die Schwestern versprachen es, gingen zurück durch den Goldregen und liefen schnell nach Hause.

Die Gemüsehexe lächelte, denn sie wusste, dass Tilla und Milla noch viele Abenteuer erleben würden. Aber das hatte sie ihnen, da sie sehr weise war, nicht gesagt.

Zuhause angekommen, erzählten Tilla und Milla stolz von ihrem Abenteuer und luden alle Freunde ein, das kommende Weihnachtsfest mit ihnen gemeinsam zu feiern. Dann machten sie den Kamin an und kochten sich einen heißen Kakao. Eng aneinander gekuschelt und in eine dicke Decke gehüllt, schliefen sie schließlich ein. Und so sahen sie nicht mehr den funkensprühenden Schweif, der über den Winterhimmel zog und langsam im Nirgendwo verschwand. Aber am anderen Tag, fanden sie vor ihrer Haustür vier silberne Sterne, auf denen die Namen der Schneekinder standen.

© Monika Litschko

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.11.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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