Heinz-Walter Hoetter

Vier Kurzgeschichten der besonderen Art

1. Das Wasser der Erde
2. Der alte Farmer
3. Der alte Mann und das Dorf
4. Der Ausflug in die Wüste von Clancis World

 


***



1. Das Wasser der Erde


 

Ich sah auf meine Armbanduhr. Es war kurz vor Mittag. Draußen war es sehr heiß, so um die +50 Grad oder mehr. Ich quälte mich den Hang zum Kettenfahrzeug hinauf, das verlassen auf dem staubigen Felsenboden des Plateaus stand. Ich wusste nicht, ob ich noch genug Kraft besaß, um mich aus dem tiefen Flussbecken hochzuziehen, in dem ich eine kleine Wasserstelle gefunden hatte. So konnte ich wenigstens meinen zur Neige gehenden Wasservorrat wieder auffüllen, der nur noch für maximal ein oder zwei Tage gereicht hätte.

 

Die glutheiße Sonne tauchte das hinter mir liegende Tal in eine flimmernde, gespenstisch aussehende Gerölllandschaft. Die meisten Bäume und Sträucher waren verdorrt. Man hörte kein anderes Geräusch als den leicht säuselnden Wind, der die ausgedörrten Gräser und Blätter erzittern ließ. In der Mitte des Tals befand sich das riesige ausgetrocknete Flussbett, wo früher einmal träge ein breiter Streifen sauberen Wassers dahinkroch. Das ist aber schon lange her.

 

Nur in den ausgeschwemmten Senken, tief auf dem ehemaligen Flussgrund, befanden sich hier und da noch kleinere Ansammlungen von Wasserpfützen über denen riesige Fliegen- und Stechmückenschwärme schwirrten, die in dem flachen Brackwasser in einem verzweifelten Überlebenskampf Milliarden ihrer Eier ablegten.

 

Dort, wo sich einmal das Flussufer befunden haben muss, stand ein Häuschen aus vertrocknetem Holz, das die unregelmäßigen Stöße des Windes klappernd abfing. Seine vordere Fassade, mit zwei offenen Fenstern und einem Eingang ohne Tür, loderte Orangen farbig unter der Glut des hoch am Himmel stehenden Gestirns auf. Drinnen, in dem einzigen Raum, befand sich ein menschliches Skelett. Auf einem vermoderten Flugzeugsitz halb ausgestreckt, grinste mich ein Pilot mit seinen Zähnen ohne Lippen und ohne Zahnfleisch an, den Knochenschädel in der Höhlung seines Helmes ruhend. Sein altes Wasserflugzeug war mit dem sinkenden Wasserpegel bis auf den Grund des ehemaligen Flussbodens abgesackt, wo es schon seit vielen Jahren stark beschädigt langsam verrottete.

 

Aber selbst ein Leichnam kann noch sprechen, wenn man die Umstände seines Todes kannte.

 

Helft mir doch! Helft! Ich verdurste!“

 

Der Donnerschlag krachte durch die trockene Gegend, keine hundert Meter vom Haus entfernt. Aber ich dachte nicht länger darüber nach, obwohl deshalb in mir ein unangenehmes Gefühl hochkam. Ich kannte diese scheußliche Wettererscheinung, die es früher, als die Welt noch in Ordnung gewesen war, so nicht gegeben hatte. Ein heißer Sandsturm kam auf, gefolgt von heftigen Blitzen, die sich spontan entluden und die umliegende Umgebung in ein höllisches Inferno verwandelten.

 

Trotz der Gefahr riss ich mich zusammen und beeilte mich mein Kettenfahrzeug zu erreichen, einen Koffer ähnlichen Behälter auf zwei kleinen Rädern hinter mir herziehend, in dem sich mein aufbereitetes Trinkwasser befand.

 

***

 

Sie waren von weit her gekommen, von einem anderen Sonnensystem, vielleicht sogar aus einer anderen Galaxie. Kommt es überhaupt noch darauf an? Schließlich gab es ja fast niemanden mehr, der sie kommen sah, weil die meisten Menschen tot waren. Alle elendig verdurstet.

 

Die Außerirdischen hatten mit einer gewaltigen Armada von Raumschiffen die Erde überfallen, die Menschheit nicht einmal mit ihren überlegenen Waffen bekämpft, sondern im Verlauf ihrer jahrzehntelangen Besetzung einfach über 90 Prozent des vorhandenen planetarischen Wassers in eine endlosen Kette heran fliegender Transportschiffe hoch gebeamt und mitgenommen. Und so schnell wie sie gekommen waren, so schnell verschwanden sie dann auch wieder irgendwo in den unendlichen Weiten des Alls. Zurück blieb eine sterbende Menschheit, deren Bestand nach dem Raub des Wassers innerhalb weniger Jahre von acht Milliarden Menschen auf weniger als Hunderttausend zusammenschrumpfte.

 

Einer von diesen letzten Überlebenden war ich.

 

Ich habe sie gesehen, diese Fremden aus dem All.

Sie kamen von weit her, von einem anderen Sonnensystem, vielleicht sogar aus einer anderen Galaxie.

 

Niemand konnte sie aufhalten.

 

Die Wesen kannten keine Gefühle, kein Mitleid. Sie weinten auch nicht. Und auch das Wort Wahnsinn war ihnen fremd. Sie sahen die Menschheit vor ihren eigenen Augen qualvoll in gewaltigen Massen dahin sterben, und wie auf allen Kontinenten der blanke Horror ausbrach, als das vorhandene Trinkwasser immer weniger wurde. Grauenvolle Szenen ereigneten sich unter den Menschen, aber die Okkupanten aus dem All interessierte das nicht. Ihnen war nur das lebenswichtige Wasser des Planeten Erde wichtig, das sie für ihre weitere Reise durchs Universum brauchten.

 

Dann wurde es still auf Terra.

 

Die Erde bestand danach fast nur noch aus wasserlosen, ausgetrockneten Flussbecken und ebenso ausgetrockneten Meeresgründen. Ein Planet der Wüsten, ein Planet der Hölle. Reste von Wasser waren zwar noch vorhandenen, aber die lagerten tief und unerreicht in ihrem Innern. Und dort, wo es zutage trat, verdunstete es meistens sehr schnell und war den Insekten und Bakterien wehrlos ausgeliefert, die es ungenießbar für die letzten Überlebenden der Menschheit werden ließen.

 

Ich stieg matt und geschwächt in mein Kettenfahrzeug und fuhr langsam los. Ganz in der Nähe gab es eine kleine menschliche Siedlung am Rande einer ausgestorbenen Riesenstadt, die früher mal eine schillernde Metropole gewesen sein soll und sich New York nannte. Sie lag jetzt an einem riesigen, ausgetrockneten Kontinentalhang, der von tiefen Gräben und Schluchten durchzogen war. Man hätte von hier zu Fuß nach Europa gehen können.

 

Ich starrte nach vorne durch die verschmutzte Frontscheibe des Fahrzeuges in eine völlig ausgetrocknete Landschaft und dachte während der Fahrt an eine längst vergangenen Zeit.

 

Ich stellte mir vor, ich würde wieder im grünen Gras liegen, lauschte hingebungsvoll dem gleichmäßigen Plätschern eines vorbeifließenden Baches und labte mich an seinem frischen Wasser. Das muntere Zwitschern unzähliger Vögel erfüllte mein zufriedenes Herz.

Ach, das ist schon so lange her. Ich habe manchmal das komische Gefühl, alles nur geträumt zu haben. Aber ich erinnerte mich gerne daran, solang ich noch konnte.

 

Tränen liefen mir jetzt über meine knochigen Wangen, als ich die trostlos aussehende Siedlung erreichte, die nur aus einigen verrosteten Eisenbahnwaggons bestand.

 

Wie lange würde ich dieses schreckliche Leben noch aushalten?

 

***


Eine halbe Stunde später.

 

Schweigend starrte ich finster ins Glas.

Dann, nach einer langen Pause trank ich mit Genuss den Rest meines Drinks aus und verließ die Holothek, wo ich mir eines dieser real wirkenden Weltuntergangsvisionen reingezogen hatte, die unsere mächtige Raumflotte von ihren vielen Streifzügen durchs grenzenlose All auf der Suche nach neuen Wasserplaneten als Holographie abgespeicherte 3D-Realdokumentation mitgebracht hatte.

Man konnte dabei auf raffinierte Art und Weise in die Rolle eines der Lebewesen schlüpfen, die in ihrer langsam austrocknenden Welt verzweifelt ums Überleben gekämpft hatten.

Der Unterhaltungswert der holographischen Darstellungen war schlichtweg atemberaubend und jedes mal der reinste Nervenkitzel, weil man den Eindruck von absoluter, selbst erlebter Realität vermittelt bekam.


Als ich durch den zuckenden Energievorhang nach draußen ins Freie trat, war der künstliche Himmel über mir mit grauen, weißen und an einigen Stellen auch mit schwarzen Wolken überzogen, die am weiten Firmament dahinzogen. Hier und da schütteten sie Regen aus, den ich wohltuend feucht und frisch auf meiner grünen Schuppenhaut spürte.

 

Ob es das Wasser von diesem sterbenden Planeten Erde war, das da von oben herunter regnete?

 

Im Prinzip war mir das egal.


Ich genoss einfach das kühle Nass wie immer. Ich wünschte mir, dass es nie versiegen würde.

Aber deswegen brauchte ich mir bestimmt keine Sorgen machen. Auf unsere mächtige Raumflotte war stets Verlass. Sie hat immer noch irgendwo in den unendlichen Weiten des All einen Planeten mit Wasser gefunden.



© Heinz-Walter Hoetter

 

 

 

 

***

 

2. Der alte Farmer


 

Ein alter Farmer in Australien hatte auf seinem riesigen Grundstück eine ausgedehnte Apfelbaumplantage. Dazwischen lagen immer wieder kleinere Seen, die auch zur Bewässerung der Bäume dienten.

 

Eines Tages marschierte der Alte mit einem Eimer Spezialfutter in der Hand gemächlichen Schrittes los, um seine jungen Karpfen zu füttern.

 

Als er schließlich an einem der Seen kam, hörte er plötzlich das laute, übermütige Lachen von einer Gruppe junger Frauen.

 

Langsamen Schrittes ging er noch näher ans Wasser heran und stellte zu seiner großen Verwunderung fest, dass sie sich nackt ausgezogen hatten, denn ihre gesamte Kleidung lag verstreut überall auf der nahen Uferwiese herum. Jetzt waren sie gerade dabei, ausgelassen ins kühle Nass zu springen.

 

Der alte Mann stellte sich darauf hin an den Rand des Gewässers und schaute den jungen Frauen interessiert eine Zeit lang beim Baden zu.

 

Aber schon bald hatten ihn die schönen Wassernixen bemerkt, denn plötzlich rief eine mit lauter Stimme zu ihm rüber: "Wir kommen erst aus dem Wasser, wenn Sie weg gegangen sind."

 

Der alte Farmer grinste ein wenig, rührte sich jedoch nicht von der Stelle.

 

Vielmehr dachte er kurz nach und rief dann zurück: "Ich bin bestimmt nicht hier hergekommen, um euch nackt beim Baden zuzuschauen, meine werten Damen. Ich bin doch kein Spanner! Von mir aus könnt ihr solange hier im Wasser herum planschen, wie ihr wollt. Ich habe nichts dagegen. Mir ist das wirklich egal."

 

Kurz darauf hob er jedoch spontan den blechernen Eimer für alle gut sichtbar mit beiden Händen in die Höhe und sagte mit deutlich hörbarer Stimme: "Ich will ja nur meine Jungkarpfen füttern. Leider befinden sich in diesem Teich auch manchmal Krokodile, die was von dem begehrten Futter abhaben wollen. Erst gestern habe ich hier ein größeres Exemplar gesichtet. Ihr solltet das Wasser lieber so schnell wie möglich verlassen, wenn ich das Fischfutter da rein werfe. Es könnte auch eventuell Krokodile anlocken.“

 

Als die jungen Frauen das hörten, blickten sie entsetzt nach allen Seiten und verließen in Panik schreiend das Wasser, so splitternackt wie sie waren.

 

 

(c)Heinz-Walter Hoetter

 

 

 

 

 

 

3. Der alte Mann und das Dorf

 

 

Ein alter Mann kam in ein Dorf, das in einem schönen grünen Tal lag und sagte zu den neugierigen Bewohnern, die ihm zuhörten, dass er unterwegs einen wohlhabenden Kaufmann getroffen hätte, der auf dem Weg zu ihnen sei, um bunte Papageien für gutes Geld zu kaufen. Er gab ihnen daher den guten Rat, schon mal welche zu fangen, damit sie nicht mit leeren Händen dastünden, wenn er bald zu ihnen ins Dorf käme. Sie würden bestimmt ein gutes Geschäft mit ihm machen. Außerdem verlange er für seine Information nur eine kostenlose Mahlzeit von ihnen. Danach zöge er weiter.

 

Die Dorfbewohner waren allerdings sehr misstrauische Menschen und glaubten dem Fremden nicht. Sie vermuteten nur einen üblen Trick dahinter und dachten sich, dass er sich auf diese billige Tour nur ein kostenloses Essen erschleichen wolle. Deshalb fingen sie auch keine bunten Papageien, um sie später dem wohlhabenden Kaufmann anbieten zu können und jagten den vermeintlichen Betrüger unter wüsten Beschimpfungen zum Dorf hinaus.

 

Der Tag verging, und tatsächlich behielten die Dorfbewohner Recht. Es kam kein wohlhabender Kaufmann vorbei, der bunte Papageien von ihnen abkaufen wollte. Sie fühlten sich daher in ihrem Misstrauen bestätigt und waren froh darüber, dem Betrüger nicht auf den Leim gegangen zu sein.

 

Es dauerte eine gewisse Zeit, da kam der gleiche alte Mann wieder in ihr schönes Dorf und verkündete lautstark, dass er auf dem Weg zu ihnen diesmal einen reichen König mitsamt seinem herrlichen Gefolge angetroffen hätte, der auf dem Weg zu ihnen sei, um in ihrem Dorf zu übernachten. Er hatte außerdem in Erfahrung bringen können, dass die edlen Herrschaften besonders auf ein gutes Essen und ein ruhiges, ungestörtes Nachtlager allergrößten Wert legten. Wenn sie schon mal jetzt alles vorbereiteten, würde der König bestimmt gerne bleiben und sie machten ein gutes Geschäft mit ihm. Außerdem verlange er für seine Information nur eine kostenlose Mahlzeit von ihnen. Danach zöge er weiter.

 

Da die Dorfbewohner den Alten schon kannten, misstrauten sie ihm auch diesmal. Sie vermuteten wieder nur einen üblen Trick dahinter, glaubten ihm abermals nicht und gaben ihm auch nichts zu essen, sondern jagten ihn einfach unter wüsten Beschimpfungen zum Dorf hinaus. Einige der Leute schlugen den alten Mann sogar, weil sie ihn für einen schamlosen Betrüger hielten.

 

Aber seltsamerweise behielten die Dorfbewohner auch diesmal Recht. Es kam kein reicher König mit seinem herrlichen Gefolge zu ihnen ins Dorf, um bei ihnen zu verweilen. Und weil das so war, stärkte das natürlich ihr Misstrauen noch weiter. Sie waren froh, dem vermeintlichen Betrüger nicht auf den Leim gegangen zu sein.

 

Die Zeit ging dahin.

 

Doch eines Tages kam der gleiche alte Mann wieder zu ihnen ins Dorf und berichtete den Bewohnern davon, dass er unterwegs, weit vor der letzten Weggabelung, einer schwarz gekleideten Gestalt mit einer langen scharfen Sense begegnet sei, die ihm davon erzählt hätte, dass er die Pest zu ihnen ins Dorf bringen wolle, um reiche Seelenernte zu halten.

 

Er gab ihnen daher den weisen Rat, das Dorf rechtzeitig zu verlassen, um sich vor dem Schwarzen Tod in Sicherheit zu bringen. Wenn dann alles vorbei ist, könnten sie wieder unbeschadet zurück kehren. Außerdem verlange er nur eine warme Mahlzeit für seine Information, was ja nicht besonders viel sei, da er ihnen mit seiner rechtzeitigen Warnung doch allen das Leben rette. Dann zöge er auf jeden Fall weiter.

 

Aber auch jetzt glaubten die Bewohner aus dem schönen Dorf dem alten Mann nicht, denn er hatte sie schon vorher zweimal schamlos betrogen, wie sie dachten.

 

Sie beschimpften ihn deshalb aufs Übelste, denn sie waren der Annahme, dass er sie nur mit seinem bösen Trick in Angst und Schrecken versetzen wollte, um an eine kostenlose Mahlzeit zu gelangen. Die Dorfbewohner wurden wütend. Aus lauter Ärger über seine angeblich dreisten Lügen traten sie ihn mit den Füßen, schlugen ihm ins Gesicht und stießen ihn brutal zu Boden. Zum Schluss warfen sie den Alten blutend zum Dorf hinaus.

 

Es war noch am gleichen Tag, spät abends in finsterer, mondloser Nacht, als eine schwarz gekleidete Gestalt das einsam daliegende Dorf betrat und von einer Tür zur anderen huschte. Fürchterliche Schreie drangen bald darauf aus jedem einzelnen Haus. Die erschreckten Dorfbewohner liefen hinaus auf die Dorfstraße und riefen in panischer Angst: „Der Schwarze Tod ist da! Die Pest ist unter uns! Flieht, flieht, solange ihr noch könnt!“

 

Doch es war zu spät. Einer nach dem anderen raffte der Schwarze Tod dahin, bis alle Dorfbewohner an der Pest elendig zugrunde gegangen waren.

 

 

***

 

Viele, viele Jahre später.

 

Ein alter Mann mit einem krümmen Rücken kam in ein Dorf, das in einem schönen grünen Tal lag. Er traf auf keine Menschenseele. Alles war wie ausgestorben. Die meisten Häuser waren verfallen und eingestürzt, manche sogar bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Der ganze Ort war mit Bäumen und Büschen, Gras, Moos und anderen Wildpflanzen überwuchert. So auch die Dorfstraße, die jetzt fast wie eine langgezogene Wiese aussah.

 

Der Alte sah sich nachdenklich um und murmelt halblaut vor sich hin.

 

Ich sagte ihnen stets die Wahrheit. Wenn sie mir doch wenigstens geglaubt hätten, wäre der wohlhabende Kaufmann und der reiche König mit seiner Gefolgschaft zu ihnen gekommen. Aber sie behandelten mich schlecht, gaben mir nichts zu essen, schlugen mich sogar und hielten mich obendrein noch für einen Lügner. Ich berichtete dem Kaufmann und dem König davon, was mir bei den Dorfbewohnern an üblem Unrecht widerfahren war und siehe da, beide mieden das Dorf. Und den Schwarzen Tod? Ja, ich hätte für sie sogar gelogen, gegen alle meine Prinzipien der Liebe zur Wahrheit verstoßen und diesen schrecklichen Gesellen an der Weggabelung in die falsche Richtung geschickt, um das Leben der Dorfbewohner zu retten. Aber nachdem die Leute mich so schlecht und unmenschlich behandelt hatten, wies ich ihm kurzerhand den rechten Weg zu ihrem Ort in finsterer Nacht. Ich sagte ihm nichts weiter, als die Wahrheit.“

 

Der alte Mann setzte sich mit schlurfenden Schritten langsam in Bewegung und ging gebeugt über die mit hohem Gras bewachsene Wiese, die einmal eine Dorfstraße war. Er sah kein einziges Mal zurück. Dann war er plötzlich wie im Nichts verschwunden.

 

Nur die hohen Bäume des verfallenen Dorfes rauschten sanft wie stumme Zeugen leise im Wind.

 

 

© Heinz-Walter Hoetter

 

 

 

 

***

 

 

 

4. Der Ausflug in die Wüste von Clancis World


 

Joe Bilston und ich flogen auf unseren Flugmaschinen über eine von der Sonne rot gefärbten Wüste. Ich ließ meinen Freund immer ein gutes Stück vor mir herfliegen, weil ich meine schnittige Antischwerkraftmaschine noch nicht so gut steuern konnte, die aussah wie ein Rad loses Motorrad mit zwei großen Stummelflügel. Ich habe nämlich die längste Zeit meines Lebens in den Städten der Erde verbracht, wo derartige Fluggeräte verboten waren, wenn sie nicht gerade vollautomatisch funktionierten. Das Fliegen auf festgelegten Flugrouten mit diesen superschnellen Düsen angetriebenen Antigravitationsgleitern, die auf Terra von Verkehrsleitzentralen ferngesteuert wurden, machte aber auf diese Art und Weise keinen richtigen Spaß.

 

Ich flog lieber frei wie ein Vogel durch die Lüfte, wenngleich ich auch noch ein wenig ungeschickt darin war. Aber die weite, sandige Wüste unter mir bot für Anfänger wie mich genug Platz, sollte ich mal einen unbeabsichtigten Flugfehler machen und notlanden oder mit dem Rettungsfallschirm abspringen müssen.

 

Über Funk erhielt ich eine Meldung von Joe.

 

Flint..., da!“ sagte Joe zu mir mit klarer Stimme.

 

Wo?“

 

Schau mal nach unten! Flieg hinter mir her und folge mir!“

 

Joe drückte sein Fluggerät in einem eleganten Bogen in eine weite Abwärtsspirale, sank und wurde nach jeder Runde langsamer. Ich folgte seinem Beispiel, übersteuerte allerdings meine Flugmaschine und sauste an ihm vorbei. Stück für Stück flog ich rückwärts zurück.

 

Was ist, Joe? Was wolltest du mir zeigen?“ rief ich aufgeregt in mein Helmmikrofon.

 

Da, dieser riesige Kaktus da unten!“

 

Ich schaute runter und suchte aufmerksam die Umgebung ab. Von hier oben aus wirkte die Wüste tot, als ob es in ihr kein Leben gäbe. Aber sie war es nicht; die Wüsten der meisten bewohnbaren Planeten bargen Leben in sich, so auch diese unter uns hier auf Clancis World. Dort unten gab es, wenngleich auch von der Höhe aus nicht sichtbar, dornige Sträucher, Blumen, die nach einem Regen aufblühten, anspruchslose Gräser und bizarre Insektenwesen, die sich tief im Sandboden vor der höllisch heißen Sonne versteckten. Magere, vierfüßige Warmblütler, die höchstens so groß wurden wie ein Fuchs und immer auf der Jagd nach Beute waren, liefen dort unten ebenfalls herum.

 

Und dann gab es da noch diese riesigen Kakteen von etwa zwei Meter Höhe und einem Durchmesser von mehr als fünfzig Zentimeter. Am oberen Ende befand sich ein großer, oval förmiger Kopf mit Haaren, die wie Hanf daran herunter hingen, und die genau die Farbe des rötlichen Wüstensandes hatten.

 

Wir landeten in unmittelbarer Nähe eines dieser seltsam aussehenden, kakteenartigen Gebilde und stiegen ab.

 

Ich hatte Joe Bilston dazu überredet, mich für ein bisschen Geld in die Wüste zu führen, obwohl er kein professioneller Führer war, die es hier auf Clancis World so gut wie nicht gab. Er wollte mir aber eben genau diese außergewöhnliche Pflanze zeigen.

 

Komm, wir gehen herum nach vorne“, sagte Joe auffordernd zu mir.

 

Wir gingen also um dieses stachelige Ding herum, und ich fing an zu lachen, als ich nach oben schaute.

 

Etwa eine Handbreit über den letzten Stacheln kam durch den schütteren haarähnlichen Vorhang ein komisches Gesicht zum Vorschein, das irgendwie an eine lustige Gummimaske erinnerte.

 

Geduldig wartete Joe, dass ich zu lachen aufhörte.

 

Ja, sie schauen wirklich komisch aus“, sagte er zu mir. „Aber diese Pflanzen sind intelligent. Und in diesem rosaroten oberen Ende steckt ein Gehirn, das doppelt so groß ist wie das menschliche.“

 

Und..., hat es denn nie den Versuch unternommen, sich mit anderen intelligenten Lebewesen zu verständigen?“ fragte ich meinen Freund.

 

Nicht das ich wüsste. Ich habe es mal über eine Stunde lang versucht, mit allen nur denkbaren Tricks, was allerdings auch nicht geholfen hat.“

 

Dann haben wir völlig umsonst so einen weiten Weg zurückgelegt“, mokierte ich sauer und stieß den Sand mit dem rechten Fuß von mir weg, sodass er hoch aufwirbelte.

 

Na ja, jedenfalls hast du diese seltsamen Xerophyten mal gesehen. Das ist schon mal was“, gab mir Joe beruhigend zur Antwort.

 

Ich lachte wieder, als ich die Kürbis artige Verdickung mit den langen haarähnlichen Auswüchsen und dem bewegungslosen Gesicht ohne Nase so betrachtete.

 

Ein paar Schritte von unseren Flugmaschinen entfernt hockten wir uns mit gekreuzten Beinen in den Sand und aßen vom mitgebrachten Proviant. Wir saßen dem Xerophyten fast genau gegenüber.

 

Worauf warten wir eigentlich?“ fragte ich Joe von Zeit zu Zeit.

 

Mein Freund zuckte nur die Achseln, denn er wusste es offenbar auch nicht. Hin und wieder schauten wir uns um und sahen in die Wüste hinaus.

 

Plötzlich erschien ein rattenähnliches Tier. Es hoppelte uns entgegen und wirbelte dabei ein wenig Sand auf. Dann kam noch ein zweites, ein drittes und ein viertes. Sie sprangen ziemlich wild herum oder sausten über den Sand wie kleine Windhunde. Dann blieben sie wie auf ein geheimes Kommando hin abrupt im Halbkreis um dieses stachelige Pflanzending stehen und schauten es neugierig an.

 

Der Xerophyt wandte sich ihnen auf einmal zu ohne den Kopf ähnlichen Aufsatz zu drehen. Er bewegte einfach den ganzen Stamm herum. Das Gummigesicht veränderte sich während dessen von einer Sekunde auf die andere. Zwei starre Augäpfel ähnliche Verdickungen wurden hinter den Hanf artigen Haaren sichtbar und beobachteten konzentriert die Sandratten. Diese hockten sich auf ihre Hinterläufe und schauten in der gleichen Weise zurück.

 

Dann geschah etwas, womit keiner von uns gerechnet hätte. Der Mund des Xerophyten öffnete sich schlagartig zu einer Höhle, und eine lange Zunge bewegte sich wie ein Blitz, unsichtbar schnell, daraus hervor; zwei der Tiere waren danach verschwunden. Ein sattes, schmatzendes Geräusch war alles, was mein Freund und ich danach noch zu hören bekamen.

 

Wieder klappte das Maul der Riesenkaktee auf. Wieder fuhr die Riesenzunge hervor, und die beiden letzten Sandratten waren von der Bildfläche verschwunden. Ein kurzes Schmatzen noch, dann war alles vorbei. Die Stille der Wüste kehrte zurück.

 

Joe und ich hockten immer noch mit gekreuzten Beinen im Sand. Fassungslos starrten wir uns beide abwechselnd, dann wieder den Xerophyten an und vergaßen dabei das Essen. Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf.

 

Mir kam da eine Idee.

 

Ich hatte auf einmal alle Antworten parat, intuitiv und überzeugend. Es gab keine andere Erklärung für das, was wir soeben mit eigenen Augen gesehen hatten. Der Beweis war eindeutig.

 

Diese Standort gebundene, intelligente Trockenpflanze verfügte über so etwas wie parapsychologische Kräfte, die ihre Nahrung zu sich rief. Sie konnte Gedanken kontrollieren, selbst so unpersönliche wie die von Sandratten.

 

Ich erzählte hinter vorgehaltener Hand meinem Freund davon, was ich persönlich vermutete. Joe schaute mich danach mit erschrockenem Gesichtsausdruck an.

 

Flint“, sagte er mit leiser Stimme, „dann hat uns der Xerophyt zum Hinsetzen veranlasst und eine Schau mit den Sandratten abgezogen. Und dann mussten wir eine Weile hier sitzen bleiben, bis wir ganz persönlich wieder aufstehen konnten.“

 

Dieses Wüstending kann also unseren Willen beeinflussen“, sagte ich zu Joe.

 

Ja. Ich habe dir doch gesagt, dass es intelligent ist. Wie weit die parapsychologischen Kräfte dieser seltsamen Pflanze allerdings reichen, will ich erst gar nicht wissen. Sie scheinen aber abzunehmen, je weiter wir uns von ihr entfernen.“

 

Dann lass uns lieber von hier ganz schnell wieder verschwinden, Joe. Nicht auszudenken, wenn dieser Riesenkaktus womöglich noch Geschmack auf Menschenfleisch bekommt", sagte ich, ging schleunigst zu meinem Fluggerät hinüber, schwang mich in den Klemmsitz, zündete die Düsen und startete mit Vollgas in den weiten Himmel von Clancis World.

 

Mein Freund Joe immer dichtauf hinter mir.

 

 

(c)Heinz-Walter Hoetter

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.12.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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