Wenn jemand nach Weihnachten gefragt wird, denkt fast jeder an seine Kindheit. Ist Weihnachten nur ein Fest der Kinder? Was war damals so anders, dass es uns so stark in Erinnerung bleibt? Warum kann man als Erwachsener dieses Fest nicht auch auf ähnliche Art erleben? Den Zauber der Stille, des Wunders neu aufleben lassen? Zumindest wenn man sich nicht gerade mitten durch geschäftiges Treiben in überfüllten Kaufhäusern oder durch dicht gedrängte Menschenmengen am Christkindlmarkt durchkämpfen muss?
Der Versuch einer Antwort sei hier gemacht:
Meine Erinnerungen an Kindheitsweihnachten reichen in die Vorschulzeit zurück. Doch nicht an den Christbaum oder die darunter liegenden Geschenke, nein, an Vater mit seiner Weihnachtskrippe erinnere ich mich.
Was ein „echter Krippeler“ ist, und mein Vater war einer, so beginnt Weihnachten am ersten Advent. Da wird die Krippe vom Dachboden geholt, und das war für mich das erste Erleben. Wie wird sie aussehen? Wird sie noch repariert oder gibt es eine neue?
Vaters Krippe war aus Naturmaterialien, die wir während des Jahres im Wald fanden, Rinden, Moos, Ästchen von Kranebittsträuchern oder Obstbäumen, höher oben am Berg gab es den Hirschhoada, Vater hatte den besonderen Blick für das, was als Krippenschmuck gebraucht werden konnte. Einmal durfte ich mitgehen um Moos. Nur ein kleines Stück weit oberhalb unseres Hauses gab es genug Moos unter den Bäumen, das ich von sommerlichen Spielen her wusste und dann begeistert mit heimbrachte. Doch es war nicht das richtige, ich musste lernen, dass es verschiedene Moose gab.
Die Krippe war meist in einem fürchterlichen Zustand, wenn sie vom Dachboden, wo sie in der hintersten dunklen Ecke verstaut war, herunterkam. Der Leim war ausgetrocknet, (damals machte man ihn aus Roggenmehl und Wasser selber) und die Wände eingefallen, das Moos ausgebleicht und durch sommerliche Trockenheit weg gebrochen, und die Mäuse hatten ein Übriges dazu beigetragen, den Ruin zu vervollständigen. Doch Vater war guten Mutes. Nach einer langen und ausgiebigen Begutachtung des übrig gebliebenen Werkes und Betrachtung des Schadens reiften jedes Jahr neue Pläne.
Für mich verschwand dann die Krippe – in Vaters Werkstatt, zu der ich keinen Zugang hatte. Erstens war seine Angst zu groß, dass ich mir mit dem Werkzeug wehtun könnte, zweitens könnte ich ja etwas verlieren und es war das Schlimmste, wenn Vater nicht jeden Bohrer, jede Feile und was sonst noch da war, sofort griffbereit vorfand. Vor diesen seinen Zornesausbrüchen hatte ich heiligen Respekt.
Und am Heiligen Abend dann, meist schon am frühen Nachmittag, kam das neue Kunstwerk in den Herrgottswinkel. Andächtig stand ich davor. Vater erschien mir in diesen Momenten wie der Schöpfer der Welt! Er stand neben mir und nickte mir wohlwollend und zufrieden zu. Dann holte er vom Schrank die verwitterte Schachtel, deren Inhalt ich voll Sehnsucht erwartet hatte: die Krippenfiguren. Ich hielt den Atem an, während er sie behutsam auf den Tisch stellte und feierlich öffnete. Als ob bereits der Segen der Heiligen Nacht herausträte, lagen vor mir in altes Weihnachtspapier säuberlich eingepackt, die Figuren. Ich suchte in der Erinnerung an vergangenes Jahr, wer sich hinter welchem Papier versteckt haben könnte, einige Figuren hatte ich besonders ins Herz geschlossen. Ein kleiner Bub musste ganz vorn beim Christkind knien, wo ich gern gewesen wäre, und die zwei Engel links und rechts von ihm durften nicht fehlen. Maria und Josef verschwanden fast immer im dunklen Hintergrund, bis Vater mit einer Taschenlampe den Stall erhellte. Das Christkindlein, das mitsamt der Futterkrippe aus einem Stück Holz geschnitzt war, durfte ich manchmal kurz in die Hand nehmen, bevor es zur Gottesmutter in den dunklen Stall musste. Wie gerne hätte ich es ab und zu zum Puppenspielen ausgeliehen, auch meine kleinen Puppen hätten sich gern ein Baby gewünscht!
Während des Aufstellens wurde kaum ein Wort gesprochen, mein Staunen und die heilige, ehrfürchtige, Stille gaben dem traulichen Tun ein ganz besonderes Gepräge.
Gerade als wir fertig waren, bimmelte das Glöckchen und das Christkind, ein ganz anderes als das eben gesehene, kam. Unvermittelt war ich von einer Welt in eine ganz andere gerückt, in die einer Realität, eines Wünschens und Bekommens, aus der passiven Welt des Zuschauens in eine aktive Welt des Lichterglanzes, der Kerzen, der verpackten Geschenke, die es auszupacken galt, der zu bestaunenden Spielsachen und Kleidungsstücke, meist von Vater, welcher Schneider war, und der Mutter verfertigt. Bald darauf stieg mir auch schon der Duft des einzigartigen Weihnachtspunsches, der mich jetzt noch an Mutter erinnert, in die Nase. Und an der wohlgefüllten großen Keksschüssel durfte ich mich nach den aufregenden Stunden laben und vergaß darüber alle weihnachtlichen Krippenträume.
Diese "Stille Zeit" der Heiligen Nacht" versuche ich für mich allein nachzuvollziehen, ich erlebe sie genau so intensiv, wenn ich meine Krippe aufstelle und die Figuren ihrem Platz zuordne. Auch jetzt noch ist mir die Weihnachtskrippe wichtiger als ein Weihnachtsbaum.
ChA 12.12.10
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.12.2021.
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