Jannis Raptis

Geschichten aus dem 19. | Episode 2: Dilemma beim Wolff

Wenn man seinen Fleisch- und Weinkonsum auf das Nötigste reduziert hat, ist ein Besuch beim Heurigen oftmals der dramatische Höhepunkt der Woche. Entschlossen und mit der Gewissheit, seine Diät zu ruinieren, stapft man durch die Gastgärten oder – zu dieser Jahreszeit – rustikal gemütlichen Innenräume besagter Etablissements. Der Weg ist bekannt, die Mission klar. Heute erteilt man sich selbst die Erlaubnis, frei zu sein. Zumindest für einen Abend. Und das bedeutet in aller Regel: Schneisen ins Buffet fressen und im Anschluss schwerfällig nach Hause wanken.

Immerhin hat man es nicht weit. Und, um seinen Schriftsteller-Schrägstrich-Wanderprediger-Traum gänzlich auszuleben, trägt man Wintermantel, Stiefel und Halbhandschuhe, während die alten Laternen, die frisch aus Disneyland importiert sein könnten, die eigene Silhouette beleuchten, welche da einsam und seltsam entrückt durch den Nebel des Neunzehnten watet. Im warmen Schoß Döblings wird man schnell und gern zum Haudegen, sage ich immer.

Wäre man nur Theaterschauspieler geworden! Oder würde man zumindest sein eigenes Buch verfilmt auf Netflix gucken können …

Da dies jedoch nicht der Fall ist, sieht man sich gezwungen, seinen eigenen Film zu drehen. Und das Schöne und Interessante an diesen Abenden allein ist, dass man sich selbst sehr nahekommt. Zumindest geht es mir so. Ich fühle diese Wärme in der Magengegend; die Wärme, die der Selbstliebe vorauseilt. Selten, aber doch gelingt es mir, mich aus den Fängen geistiger Umnachtung zu befreien. Klarheit und Ruhe kehren ein, wenig später tu ich Selbiges im Heurigen.

„Fuhrgaßl-Huber, Weingut und Buschenschank“ begrüßt mich das Schild, bevor ich durch die offene grüne Holzpforte und in den Garten trete. Zum Draußen sitzen, ist es mittlerweile zu kalt. Ich betrete das Haupthaus. Ohne Reservierung ist es oftmals zwar fast unmöglich, einen Tisch zu ergattern, aber wenn man allein unterwegs ist, klappt es am Ende dann ja meistens doch. Ich habe Glück und finde mich an meinem Lieblingsplatz wieder: im felsenkellerartigen Nebenzimmer, gleich am prasselnden Kaminfeuer, in der gemütlichen Nische, wo man vor Blicken geschützt ist, selbst jedoch solche erhaschen kann. Das Feuer wärmt mich von außen und innen, ich lasse die feuchte Kapuze sinken, so, wie es die Schurken in den Mittelalterfilmen immer machen. Völlig ungerührt erscheint ein betagter Kellner in Tracht, ignoriert meinen Auftritt und wischt den Tisch ab, während er einen beiläufigen Blick auf meine Dokumente wirft. Ob es schon etwas zum Trinken sein darf, fragt er, klemmt sich das Putztuch in den Gürtel und kramt seinen hochdigitalen Schreibblock hervor.  Ich entscheide mich für ein Glas Rebecca Cuvée und frage, ob ich auch schon zum Essen bestellen kann, woraufhin der Kellner entgegnet, er käme gleich.

Das ist etwas, das ich niemals gänzlich begriffen habe. Wieso werden Trinken und Essen immer getrennt gehandhabt? Am Ende kommt doch ohnehin dieselbe Person wieder? Und boniert wird ja sowieso!

Diese Frage und viele weitere schwirren in meinem Kopf, während ich mich langsam aus Mantel, Schal und Handschuh befreie und dabei das Treiben des Gasthauses in mich sickern lasse. Ich lehne mich an die scharfkantige Felsmauer und lasse den Blick schweifen. Es hat im Großen und Ganzen etwas von einem Futtertrog im Zauberland. Zum einen sind da zahlreiche Wölfe und Wölfinnen, grau, alt und mit ebenjener Anmut, die vom langen Leben im Neunzehnten kündet. Zwischen ihnen räkelt sich jedoch auch der ein oder andere Braunbär, hungrig und massiv, auch Wildschweine und ihre Frischlinge graben hingebungsvoll nach Trüffeln, dazwischen tummeln sich Reh, Hirsch und Marder, und einen Biber erblicke ich ebenfalls im Getümmel. Glücklich scheinen sie alle zu sein, während sie sich ohne Hintergedanken der Nahrungszufuhr hingeben. Für einen Augenblick fühle ich mich an meine früheste Kindheit erinnert, damals, in den Neunzigern, als ich mit meiner Mutter Tierdokus auf WDR regelrecht inhalierte und meine tiefe Bindung zum Tierreich aufbaute. Ob es nun die Dokumentationen, die Disneyfilme, mit denen ich aufwuchs, oder einfach nur mein Hang zur Phantastik sind, die mich jedem Individuum automatisch ein entsprechendes Tier zuordnen lassen, weiß ich nicht. Feststeht, das Leben kann durchaus interessant sein, wenn man das Businessgespräch mit einem Hausschwein führt, oder der Dozent etwas von einem skelettierten Krieger hat.

Das Glas Rebecca Cuvée gelangt zu mir und ich nutze den Moment, um gleich auf das noch nicht bestellte Essen hinzuweisen. Immerhin will ich die einzige Bezugsperson nicht sofort wieder verlieren. Die Gnade wird mir gewährt und ich bestelle ein Surschnitzel. Obwohl das „Sur“ im Schnitzel meinem Verdauungstrakt nicht allzu wohlbekommt, sehe ich mich nicht in der Lage, darauf zu verzichten. Nicht heute, nicht an diesem schönen Novemberabend im Jahre Zweitausendeinundzwanzig. Ist ja nicht so, dass ich vom Wein nicht auch schon nach dem ersten Schluck Sodbrennen bekäme. Da muss man durch!

Und so alt bin ich nun auch wieder nicht.

Interessant ist, dass die aktuelle Jugend Döblings sich, so wie wir es vor fünfzehn Jahren taten, offensichtlich nach wie vor in den Heurigen verabredet. Ob diese Kids so kultiviert und oder traditionsverbunden sind, dass sie ihren Freitagabend hier verbringen und dann nach Hause gehen, oder – wie wir damals – lediglich vorglühen, um sich im Anschluss das Hirn auf irgendeiner zufallsgenerierten Party wegzuballern, kann ich schwer einschätzen. Immerhin haben sich die Zeiten durchaus geändert. Die jetzige Jugend lebt, zumindest nach meiner Beobachtung, bewusster. Gesundheits- und umweltbewusster, mit einem Hang zu Bio und einem Drang nach Tradition. Dazu kommen natürlich Sorge und Angst – ganz besonders hier, bei den überbehüteten Küken des Neunzehnten, wie ich eines war. Nur hatten sich Sorge und Angst in meiner Jugend noch nicht ansatzweise so stark manifestiert wie bei diesen, zugegeben tapferen, Unglückswürmern. Sie sehnen sich nach Geborgenheit und finden diese in den Nebeln Avalons der Tradition, sie sehnen sich nach Sicherheit und suchen diese, wie mir scheint, in Bildung und hochausgefeilten Lebensplänen, sie sehnen sich nach einer guten Zukunft – sind sie persönlich doch davon betroffen! – und wollen den Planeten retten.

Und ich wünsche es ihnen, ich wünsche es uns. Dreißig ist ja fast noch Jugend, rede ich mir jetzt, nachdem der Saft der Rebecca meinen Kiefer gelockert hat, ein. Es ist nicht allzu lange her, dass ich mich selbst als Erwachsenen wahrnehme. Reichlich spät lernte ich, was Verantwortung bedeutet. Auch echte Sorgen kannte ich lange Zeit nicht, hatte ich doch immer die Möglichkeit, meinen Traum zum Beruf zu machen, um es jetzt mal völlig überromantisiert auszudrücken. Aber wehgetan hat es trotzdem, das Aufwachen. Und es ist nicht nur der Umstand, dass meine Sparte sich vollkommen verändert hat – und das nicht zum besseren – und dass man sich als Kunstschaffender in der Plethora an Mittelmaß und grenzenlosem Narzissmus unbrauchbar vorkommt. Nein, es ist leider mehr als nur ein beruflicher Frust.

Wir hatten, allein schon verglichen mit unseren Eltern, eine unfassbar entspannte Kindheit. Eine gute Kindheit. Aufzuwachen im Erwachsenenleben von heute, traf uns unvorbereitet. Wir verfügten und verfügen weder über die harte Schale, die die Generationen vor uns besaßen, noch über die psychische Kapazität, mit all den Neuerungen klarzukommen. Und vor allem: Wir wurden vor Tatsachen gestellt, die neblig und grau waren und sind, und jeden zielgerichteten Blick auf die Zukunft verwehren. Der Alltag der neuen Zwanzigerjahre ist nicht dazu konzipiert, der menschlichen Seele gutzutun.

Erleichtert atme ich auf, als mich endlich das Schnitzel erreicht und meinen pulsierenden Gedankenfluss unterbricht. Unversehrt, saftig und deftig gelangt es zu mir. Mit einem Seufzen, das aus den Tiefen meiner zarten Künstlerseele stammt, packe ich die beigelegte Zitrone und quetsche sie aus, als gäbe es kein Morgen. Dann bewaffne ich mich mit Gabel und mit Messer und gebe mich der Fresstrance hin. Jetzt bin ich auch Teil des Stammes. Ein kleiner, bärtiger Schafbock, der seinerseits zum Futtertrog fand und blökend sein Recht auf Speis und Trank fordert. Im Heurigen sind wir nämlich nicht nur auf uns allein-, sondern auch gleichgestellt. Es ist ein Kampf, und es ist ein schöner Kampf. Irgendwie versöhnlich, dabei zuzusehen, wie wir doch alle ähnlich triebhaft ticken. Gebt uns Schnitzel und Rebecca und wir sind glücklich!

Ich bemühe mich nicht einmal um Contenance, schlinge das warme Mahl in wölfischer Eile herunter. Ein weiteres Glas Cuvée findet wie durch Geisterhand zu mir. Das interessante an orgiastischen Erlebnissen solcher Natur ist ja, dass sie in Wahrheit gar nicht so lange dauern. Im Nachhinein, wenn man heimlich aufstoßt und leise hinter seinem Bart rülpst, stellt sich einem schon die Frage, ob man es nicht hätte langsamer angehen und mehr genießen sollen. Die Frage erübrigt sich, denn jetzt, mit vollem Magen, ist einem die gute Laune gewiss.

In Ruhe trinke ich mein Glas aus, während ich meine Gedanken dabei beobachte, wie sie von todernst zu heiter und belanglos wechseln, rufe ein letztes Mal den Kellner – den geflügelten Hermes des Heurigen – und begleiche meine Schulden. Es drängt mich, weiterzuziehen. So war es immer, so wird es immer sein. Ja nicht zu lang verweilen! Gesättigt, entspannt von Rebeccas wärmender Liebkosung und durchaus beflügelt von der Schönheit des Alleinseins, trete ich aus und schließlich ab.

Die Nacht umfängt mich mit Frische und Klarheit. Ich spaziere die Heurigenmeile entlang und folge dem Kurs, der sich in den letzten Jahren für mich als der beste erwiesen hat. Nächster Halt: Heurigen Wolff.

Hier wird die Sache schon wilder. Der Wolff ist nämlich riesig. Und trotzdem irgendwie fast immer bumvoll, wie es so schön heißt. Schon von draußen hört man hinter den dunkelgelben Mauern das ausgelassene Treiben der Taverne. Mit einem zufriedenen Lächeln betrete ich die Zauberwelt aus bauernhausartigen Holzbalken, niedriger Decke, ländlich karierten Tischtüchern, charmant katholischen Statuetten und brennenden Kerzen. Von allen Seiten erklingt Livemusik; wie üblich ein hoch touristisches Duo aus Akkordeon und Geige. An den Wänden hängen Bilderrahmen, hinter den staubigen Scheiben verbergen sich Schätze der letzten hundert Jahre, von Zertifikaten in Frakturschrift bis hin zu Fotocollagen mit Weinlesen aus den Achtzigern. Immer wieder sieht man auch Fotos von Prominenten, hauptsächlich Bürgermeistern und anderen politischen Figuren der letzten Jahrzehnte, die im Laufe ihres Lebens hier eingekehrt sind.

Als kleiner Grieche ohne geregeltes Einkommen fühle ich mich hier oft sehr klein und manchmal auch wie ein Tourist. Freude gibt jedoch der Umstand, dass fast sämtliche Kellner griechische Landsmänner sind. Einer von ihnen erkennt mich sogleich im Gewirr aus Touristen und Einheimischen, lächelt und führt mich tief ins Innere des Labyrinthes und an ebenjenen kleinen Tisch im Stöckel, an dem ich wie durch Zauberei jedes Mal lande. Um mich herum das geordnete Chaos. Endlose Scharen an Menschen, essend, trinkend, jauchzend und frohlockend. Wohin ich auch blicke, Festlichkeit und Schmaus! Jedes der thematisch einzigartigen Stüberl ist heute zum Bersten voll.

Im Getümmel vernehme ich eine amerikanische Touristengruppe, dem schweren Akzent nach sind es Südstaatler aus dem Bilderbuch. Wie eine Fanfare aus dem amerikanischen Bürgerkrieg erreichen mich in regelmäßigen Intervallen die markant gesungenen Vokale der Cowboys und -girls. Es ist eine absolute Parallelwelt, die hier mit dem touristisch provinzialen Alt-Wien kollidiert.

Im Giebel oben sitzen die Chinesen, wie immer uniformiert und in riesigen Gruppen, während sie ihren Traum von einer Reise nach Europa ausleben, um ihrem Chef am Montag davon zu berichten. Wehe ihnen, wenn sie das obligatorische Geschenk für ebendiesen vom Duty-Free-Shop vergessen, welches sie finanziell ruinieren wird! 

Von einer anderen Ecke höre ich Vertreter der häufigsten Touristengruppen hier im Neunzehnten: Deutsche über sechzig. Prustend und mit hochrotem Kopf erzählt einer von seinen Erlebnissen in der Pfalz – oder der „Fälz“, wie er es nennt – von seinem Urlaub mit Gattin Hannelore in Westfalen und vom Schnitzel beim Figlmüller, hier in Wien. Alle lachen und sind fröhlich. Es ist jedes Mal erstaunlich, wie viel Lärm eine betrunkene Gruppe deutscher Touristen verursachen kann.

Die einzigen, die da mithalten können, sind die Südländer. Griechen, Spanier und ganz besonders Italiener, von denen hier im Wolff ebenfalls etliche zugegen sind.

Doch auch die Einheimischen scheinen sich das Treiben hier im Wolff nicht entgehen lassen zu wollen. Wie auch schon beim Fuhrgaßl-Huber erhasche ich Blicke auf junge Österreicher und Österreicherinnen, und irgendwie gibt mir das einen enormen Trost. Hübsch, blond und wohlerzogen sind sie, während sie ihrer wundervollen Kultur treu bleiben und Grünen Veltliner trinken. An anderen Tischen sitzen Familien, große und kleine, mit Kindern, großen und kleinen, und oder mit freundlichen Hundebegleitern, großen und kleinen. Gelegentlich erklingt das ein oder andere panische Bellen, dazwischen Gläserklirren, Besteck und knarrende Dielen.

Ich bestelle bei meinem griechischen Freund einen Apfelstrudel und ein Achterl Blauburger; einen Trockenen aus der Gegend, fein, weich, mild und mit zarten Beerenaromen. Langsam, aber sicher drifte ich ab, finde beinahe Trost und Ruh. Und doch … wollen sich trotz all meiner Bemühungen die Pforten nicht gänzlich auftun. Nicht so wie damals, als ich jung und grün war und, ohne mich auch nur ein kleines Bisschen anzustrengen, in die Zauberwelt driften konnte. Nein, je älter man wird, desto erbitterter der Kampf. Manchmal hab ich das Gefühl, dass dieser Kampf längst verloren ist und einzig mein Trotz mich davon abhält, aufzugeben. Ich will die Magie. Ich brauche sie. Und ich weiß, dass ich diese Gabe besitze. Wenn es etwas gibt, worin ich mir sicher bin, es zu können, dann sind das weder mein Beruf noch irgendwelche meiner sogenannten Kompetenzen. Nein, es ist die Fähigkeit, zu driften und zu träumen. Das Finden des kleinen Funkens in jeder noch so unbedeutenden Situation, in jedem Lebewesen und Gegenstand. Die Mystik und Magie, die das Leben für mich erst lebenswert machen.

Wieso also? Wieso habe ich ständig dieses Gefühl, dass mir der Zaubersand zwischen den Fingern entgleitet, je älter ich werde? Liegt es an mir? Denn die Gewissenbisse beißen gewiss! Oder liegt es einfach am Erwachsenwerden? An der beinharten Realität?

Meine Bestellung erreicht mich, ich greife nach dem Glas, trinke einen Schluck, ohne das zarte Beerenaroma überhaupt zu registrieren, und kehre zurück zum Gedankenlauf, der vom Surschnitzel zuvor unterbrochen ward.

Der Alltag der neuen Zwanzigerjahre ist nicht dazu konzipiert, der menschlichen Seele gutzutun.

Nein, bei den übermäßigen Quinten der Wienerlied-Kadenzen, die an mein Ohr dringen, nein. Nein, das ist er nicht. Es erfordert Kraft und vor allem Mut, sich dem täglichen Kampf zu stellen. Und wieder zieht die Gruppe der jungen Wiener meinen Blick auf sich. Die Alten – so hart das auch klingen mag, die werden bald nicht mehr da sein. Worauf sollen die Jungen also ihre Zukunft bauen? Und damit schließe ich jetzt, nach dem dritten Glas Wein, auch mich selbst ein. Der drohende Schatten der Ungewissheit ist selbst für den stumpfesten von uns deutlich spürbar. Die klimatischen und wirtschaftlichen Probleme und Ängste der Zukunft, der Leviathan der Digitalisierung und der grenzenlose Narzissmus, der unsere Herzen entzweit – da brauchen wir uns nicht zu wundern, dass so viele junge Menschen schwermütig sind. Und jemand wie ich, ein sogenannter Kunst- und Kulturschaffender, sieht sich gezwungen, in ständiger innerer Zerrissenheit zu leben.

Sesam, öffne dich, beschwöre ich die Pforten, die heute schmerzhaft schön einen Spaltweit offenstehen. Ich fühle es, fühle, was dahinter wartet. Und manchmal, manchmal träume ich nachts davon und es ist besser als jeder Rausch. Ich will zurück und ich bin näher dran, als ich es erwartet hätte.

Aber es sollte kein Kampf sein. Weder das Träumen für mich noch das Leben für die Burschen und Mädchen am Nebentisch.

Es sollte kein Kampf sein.

Ein wenig erschöpft vom inneren Ringen und doch seltsam geordnet, stochere ich in meinem Apfelstrudel herum. Da ist sie wieder, die Wärme in der Magengegend. Es ist schön, in diesen labyrinthischen und zerstreuenden Zeiten, zu sich zu finden. Sich zumindest einen Abend lang zu lieben und zu kennen. Denn nach dem Heurigen und nach Rebeccas Küssen, nach der Süße des Apfelstrudels und der Wärme des Schnitzels, folgt der Aufprall. Der nächste Tag, die nächste Ratlosigkeit und der nächste trübe Blick in die Ungewissheit der Zukunft.

Obwohl es heißt, dass alle guten Dinge drei wären, denke ich darüber nach, noch ein viertes Glas Wein zu trinken. Mein Blick gleitet wieder durch die vielen Tische, hier im Wolff. Im Wolff, der, wie es heißt, seit 1609 mit seinem guten Wein verwöhnt. Plötzlich kommt mir wieder das Bild mit dem Futtertrog. Aber jetzt, für einen kurzen Moment, bin ich kein Fremder mehr. Wir sind alle vereint, hier, im alten Gemäuer, wo schon Renate Holm gesungen hat. Wir sind alle hungrige, durstige Schafe, manche von uns noch Lämmer, trinkend, essend, schmausend und Pfeife rauchend. Und es ist der Wolff, der uns nach vierhundert Jahren noch beherbergt und vereint.

Und das ist gut.

Ein Lächeln stiehlt sich über meine Lippen, als Akkordeon und Geige zu mir dringen, und beide ihren Beitrag leisten, um auch Teil des Trogs zu sein. Ich habe keine Ahnung, ob die Pforten sich jemals wieder so weit für mich öffnen werden wie damals, was auch immer damals bedeuten mag. Und ich habe keine Ahnung, was aus den Kids, mir und dem Rest der Welt werden mag.

Wir sind alle nur Lämmer im Schoße Wolffes.

Und das ist gut.

Leise singe ich mit: „Drum darfst aus Dankbarkeit’s Weinderl nicht verschmäh’n!“

Dann gebe ich dem Kellner ein Zeichen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.12.2021. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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