René Oberholzer

Das Frühstück danach

Kurz vor Weihnachten betrat ich einen Geschenkeladen, schaute mich um, wusste aber nicht, was ich kaufen wollte, liess mich beraten von einer Frau Mitte Dreissig, später immer wieder, bis sie schliesslich zu mir zog und meine Frau wurde.

Im Sommer verbrachten wir die Flitterwochen in Irland, verkrochen uns in einem abgelegenen Cottage mit Blick aufs Meer und spazierten bei Nebel über wacklige Torfböden. Wir hätten die Flitterwochen besser in Südfrankreich verbracht, stabileres Wetter, besseres Essen. Meine Frau Susi besass bescheidene Kochkünste, ich brachte meine Junggesellenerfahrungen in die Ehe ein.

Nach den Flitterwochen hing der Haussegen schief, von Entspannung war keine Spur mehr. Ich ging wieder meiner Arbeit nach, meine Frau schaute sich nach einer neuen um. Wie hatte ich mich nur so täuschen können, alles war vorher so harmonisch verlaufen. Mit der Zeit hatten wir uns auseinandergelebt, sie zog bei mir wieder aus.

Vor der Scheidung kam es zu keinem Rosenkrieg, wir hatten Gütertrennung vereinbart. Alles schien in geordneten Bahnen zu verlaufen, bis sie mit ihrem neuen Lover aufkreuzte, dem Schacher Koni, mit dem ich die Primarschulzeit verbracht hatte. Ein gemeiner Kerl, der immer hinterrücks etwas im Schilde geführt und den Mädchen nachgeschaut hatte. Ein Angeber, ein Poser der unmöglichen Sorte, der auch aufbrausend sein konnte, ein kleiner Giftzwerg, der sich ständig in den Mittelpunkt stellen musste. Er hatte jetzt einen Mercedes und leitete eine Firma mit einigen Angestellten, die ständig über ihren Chef klagten. Knausrig sei er, verlange aber alles von ihnen. Und mit der Rosi, seiner Buchhalterin, hätte er einst ein Verhältnis gehabt, er sei auch einmal im Büro in flagranti mit ihr erwischt worden.

Am Scheidungstag fuhr Susi mit dem Schacher Koni im Mercedes vor, stieg aus, wirkte selbstsicher und schien die Zeit mit mir bereits abgeschlossen zu haben. Der Schacher Koni machte eine Kurve und fuhr davon. Kurz vor dem Termin beim Scheidungsrichter zog ich die Susi im Gerichtsgebäude beiseite und sagte ihr, was ich alles über den Schacher Koni wusste. "Das stimmt alles nicht", sagte sie. Sie glaubte mir nicht, auch die folgenden Wochen und Monate nicht.

Eines Tages stand Susi bei mir vor der Türe und heulte. "Darf ich reinkommen?", fragte sie. "Ist gerade ungünstig", sagte ich. In meinem Bett lag eine Ex-Freundin von Koni, die ich vor ein paar Wochen kennengelernt hatte. "Hast Du wieder jemanden?", fragte Susi. "Nein, so kann man das nicht sagen", sagte ich, "aber warte hier." Susi setzte sich auf die Treppe vor dem Haus. Ich ging ins Schlafzimmer und sagte Conny, sie solle sich anziehen, meine Ex-Frau sässe vor dem Haus. Conny zog sich an, verliess das Haus durch die Vordertüre, sagte freundlich "hallo" und "bis bald" und fuhr in ihrem VW Golf davon. "Jetzt kannst Du reinkommen", sagte ich, Susi ging in die Küche und setzte sich. Der Küchentisch war für 2 Personen gedeckt, das Frühstück war angerichtet und in der Pfanne kochte bereits das Kaffeewasser.


© René Oberholzer

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