Vor langer, langer Zeit lebte einst ein alter König. Seine Gemahlin
schenkte ihm nur einen einzigen Sohn, denn kurz nach dessen Geburt verstarb sie
am Kindbettfieber. Fortan musste der König seinen Sohn alleine
großziehen. Die Jahre vergingen und aus dem Jungen wurde ein stattlicher
junger Mann, der ebenso gutmütig war wie sein Vater. Doch der König
machte sich große Sorgen um seinen Sohn, denn obwohl dieser inzwischen
fast dreißig Lenze zählte, hatte er immer noch keine Frau mit an den
Hof gebracht und war nach wie vor unverheiratet.
Als der König
spürte, dass es mit ihm allmählich zu Ende ging, ließ er den
Prinzen an sein Sterbebett kommen. „Mein Junge“, sprach er,
„Ich bin alt und krank und mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Damit du mein
Thronfolger werden kannst, hätte ich nur eine einzige Bedingung an dich.
Finde eine Frau, die du genauso sehr liebst wie ich damals deine Mutter und der
du stets ein guter Ehemann sein wirst.“
Der Prinz hatte sich
bisher nicht sonderlich viel aus dem weiblichen Geschlecht gemacht, doch um
seinen Vater nicht zu enttäuschen, entschied er sich, ihm diesen letzten
Wunsch zu erfüllen. Der Königssohn überlegte, wie er es am besten
anstellen könnte, eine Frau zu finden, denn schließlich gab es zu
jener Zeit das Internet noch nicht. Doch dann kam ihm eine Idee. Er würde
drei Frauen für eine Hofwoche zu sich ins Schloss einladen und diese auf
Herz und Nieren prüfen. Sollte es einer der Damen gelingen, sein Herz zu
erobern, so sollte sie die künftige Königin werden.
Noch
am selben Nachmittag verließ er das Schloss und ritt hinaus ins
Königreich. Schon bald kam er an einen See. Ein altes Mütterchen
kniete am Wasser und wusch ihre schmutzige Wäsche. „Seid
gegrüßt, gnädige Frau.“ Der Königssohn stieg von
seinem Ross. „Gestattet mir eine Frage. Ihr habt nicht zufällig eine
Tochter, die einmal ein besseres Leben führen soll als ihr es habt?“
Die Frau unterbracht ihre Arbeit und blickte auf. „Oh doch, das habe
ich“, antwortete das Mütterchen, „Sie ist ein so liebreizendes
Mädchen, das sich stets um ihr hübsches Aussehen sorgt. Sie wird euch
gewiss stets eine bildschöne Frau sein.“ „Dann überreicht
ihr bitte diese weiße Rose“, sagte der Prinz daraufhin. „Ich
erwarte sie in drei Tagen im Schloss des Königs.“ Mit diesen Worten
verabschiedete sich der Prinz und setzte seinen Weg fort. Er kam vorbei an
gelben Felder, ritt durch endlose Wälder und erreichte bald eine
Mühle. „Ist jemand da?“ fragte der Königssohn. Kurz darauf
öffnete sich ein Fenster und der Müller streckte seinen Kopf hinaus.
„Was kann ich für euch tun, Fremder?“ Auch ihn frage der Prinz,
ob er eine Tochter habe. Und als der Müller diese Frage ebenfalls bejahte,
überreichte der Königssohn auch ihm eine weiße Rose und lud auch
dessen Tochter auf das Schloss ein. „Es ist mir bereits zugetragen worden,
dass ihr nach einer Frau sucht. Meine Tochter trägt ihr Herz auf der Zunge
und wird euch gewiss eine ehrliche und treue Gemahlin sein.“ Dann setzte
der Prinz seine Reise fort. Eine Rose hatte er noch zu verschenken. Dass der
Königssohn auf der Suche nach der künftigen Königin war, hatte
sich in der Zwischenzeit im gesamten Königreich herumgesprochen und so kam
dies auch bald einer bösartigen Zauberin zu Ohren. Sie lebte in einer
kleinen Hü!
tte inmi
tten des Waldes und sehnte sich schon lange danach, über das gesamte
Königreich zu herrschen. „Was soll ich als nächstes tun,
Meisterin?“ Ein junger Bursche stand mit zerzaustem Haar und verschmutzter
Kleidung vor ihr und sah sie fragend an. „Sag bloß, du hast schon
den gesamten Hof gefegt!?“ Der Jüngling nickte. Die Zauberin hatte
vor vielen Jahren einem armen Bauernpaar ihr Baby weggenommen, da sie sich
nichts mehr wünschte, als selbst ein Kind zu haben, das für sie die
lästigen Arbeiten erledigte, während sie selbst sich voll und ganz der
schwarzen Magie widmen konnte. „Der Königssohn ist unterwegs nach
hier. Ich möchte, dass du herausfindest, wo er sich zur Zeit befindet und
mich unverzüglich darüber unterrichtest.“ Daraufhin verwandelte
die Hexe den Jüngling in einen schwarzen Raben. Dieser krächzte kurz,
dann entfaltete er seine Flügel und flog davon. Es sollte nicht lange
dauern, da erspähte der Rabe den Königssohn und kehrte zurück zu
seiner Meisterin, um ihr davon zu berichten. Die Zauberin verwandelte sich
daraufhin in ein hübsches junges Mädchen und zauberte sich in die
Nähe der Stelle, wo ihr Sklave den Prinzen zuletzt gesehen hatte. Kurz
darauf vernahm sie das Trampeln und Wiehern eines Pferdes und bald erschien der
Prinz im Dickicht des Waldes. „Wohin des Weges, schönes
Fräulein?“ fragte er das Mädchen. „Der Winter ist nicht
mehr fern“, sprach dieses, „Und darum sammele ich bereits
Feuerholz.“ Der Königssohn blickte auf den Korb des Mädchens, in
dem sich bereits einiges an Reisig und Ästen befand. „Aber das ist
doch keine Aufgabe für so ein zartes Geschöpf wie ihr es seid.“
„Aber was soll ich denn tun“, klagte das Mädchen. „Meine
Eltern sind bereits vor vielen Jahren gestorben und ich habe niemanden mehr auf
der Welt.“
Dem Königssohn tat das Mädchen leid und
so überreichte er auch ihr ein weiße Rose und lud sie zu sich ins
Königsschloss ein. Dann machte er sich auf den Heimweg bevor die Dunkelheit
hereinbrach.
Das Mädchen hingegen verwandelte sich zurück
in die böse Hexe und ging zurück zu ihrer Hütte. „Ich muss
für eine Weile fort“, sprach sie zu dem Jüngling, „Du
wirst mir in der Zwischenzeit hier Ordnung halten.“ „Aber was habt
ihr vor“, wollte der Knabe wissen. „Das geht dich gar nichts
an“, fauchte die Magierin und begab sich auf den Weg zum Schloss. Als sie
außer Sichtweite war, schlich sich der Jüngling ins Haus und warf
einen Blick in die magische Glaskugel. Doch als er darin das Königsschloss
erblickte erschrak er und ihm war klar, dass er etwas unternehmen musste, um den
Prinzen zu warnen und das gesamte Königreich zu retten. Denn wenn die Hexe
erst einmal den Thron bestiegen hätte, wäre alles verloren.
Schon bald begann die Hofwoche und alle drei Frauen trafen auf dem Schloss
ein. Es zeigte sich jedoch schon bald, dass der Königssohn bei der Auswahl
der Kandidatinnen kein besonders glückliches Händchen gehabt hat. Die
erste Frau hielt nicht besonders viel vom Arbeiten und ließ sich den
lieben langen Tag bedienen. Und dem Prinzen wurde schon bald bewusst, warum das
alte Mütterchen sich den Rücken krumm machen und auf Knien die
schmutzige Wäsche waschen musste. Die zweite war ein geschwätziges
Weib, das an nichts und niemandem auch nur ein gutes Haar ließ. Nur die
dritte war nicht nur hübsch, sondern verstand es zudem auch schwer zu
schuften. Doch sie zu lieben war der Prinz außerstande. Also bot er ihr
einen Kompromiss an. „Ich schätze eure Anwesenheit sehr“,
sprach er, „Ihr versteht es wie keine andere zu arbeiten, seid zudem
wunderschön, doch mein Herz habt ihr leider nicht entflammt. Von daher
wäre es ein großer Fehler, euch zu heiraten. Aber ich bringe es nicht
fertig, euch zurück in den Wald zu schicken, wo ihr ganz auf euch allein
gestellt seid, zu beschwerlich und gefährlich ist das Leben dort
draußen. Von daher biete ich euch an, hier auf dem Schloss zu leben und
mir treu zu dienen.“
Die Zauberin jedoch war außer sich
vor Wut. „Wenn ich euch nicht haben kann“, schrie sie im Zorn,
„So soll es auch keine andere Frau auf dieser Welt.“
Augenblicklich begann es zu stürmen, dunkle Wolken zogen am Himmel auf und
ein heftiges Gewitter suchte das Königreich heim. Wer konnte, versuchte
Zuflucht vor dem Unwetter im Schloss zu finden. Für den Königssohn kam
allerdings jede Hilfe zu spät. Ein greller Blitz fuhr vom Himmel hinab,
traf den Prinzen und er erstarrte umgehend zu einer Statue aus Stein.
Währenddessen packte der Jüngling einige Sachen zusammen und machte
sich ebenfalls auf den weiten und beschwerlichen Weg zum Schloss. Wenn er etwas
in der langen Zeit, in der er nun schon seiner Meisterin zu Diensten war,
gelernt hatte, dann war es die Tatsache, dass man die Hexe nur mit ihren eigenen
Waffen schlagen konnte. Und so hatte er den ein oder anderen Zaubertrank aus
ihrem Labor entwendet und führte diesen mit sich.
Doch als er
am Königsschloss ankam, traute er seinen Augen kaum. Jeder im Schloss war
äußerlich um Jahre gealtert, selbst die Kinder. Hinzu kam, dass ihnen
die Zauberin die Erinnerung genommen hatte, so dass niemand sich an die
Vergangenheit entsinnen konnte. Einzig und allein der Königssohn war
schön wie eh und je, wenn auch zu Stein geworden. Der Knabe schlich sich in
den Palast. Die Hexe saß auf dem Thron des Königs und ließ sich
königlich bedienen. Dem Jüngling kam eine List. Als er mitbekam, wie
sie ihren Untergebenen befahl, ihr ein opulentes Mahl vorzubereiten, versteckte
er sich sofort unter dem Tisch im Speisesaal. Das Küchenpersonal deckte
sogleich den Tisch ein und brachte unzählige Köstlichkeiten wie
Apfelwein, Spundekäs, Handkäs mit Musik, Grüne Soße und
Ahle Wurscht – um nur einige zu nennen – herbei. „Es ist
angerichtet“, hörte er jemandem der Hexe verkünden. Der Knabe
kroch blitzschnell unter dem Tisch hervor und schüttete den Inhalt eines
Fläschchens mit der Aufschrift „minorare“ in den mit Apfelwein
gefüllten Bempel. Dann suchte er wieder sein Versteck auf. Er hatte es
gerade so geschafft, denn nur einen Augenblick später schritt die Zauberin
in den Speisesaal. Sie war begeistert von der reichlich gedeckten Tafel, nahm
schließlich daran Platz und schenkte sich ein Glas Apfelwein ein.
„Auf mich“, sprach sie einen Trinkspruch auf sich selbst aus und
gönnte sich einen ordentlichen Schluck des köstlichen Gesöffs.
Doch kurz darauf bemerkte sie, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Ihre Augen
traten hervor, sie fasste sich an den Hals, ihr wurde heiß, sie erhob sich
von ihrem Stuhl und hielt sich krampfhaft am Tisch fest, sie spürte wie sie
schrumpfte und bald war sie nicht größer als eine Maus.
Plötzlich schlich sich die Hofkatze in den Speisesaal, sprang auf den Tisch
und wollte sic!
h gerade
über die hessischen Leckereien hermachen, als sie die Hexe entdeckte. Ohne
dass diese auch nur den Hauch einer Chance hatte, machte die Katze einen Satz
auf den Boden und verschlang die Hexe. Der Jüngling verließ sein
Versteck und trat hinaus auf den Hof. Als er vor der Statue des
Königssohnes stand, hielt er für einen Moment inne. Wie schön
dieser doch anzusehen war. Die Lippen des Jünglings näherten sich
denen des Prinzen und kurz darauf war der Fluch gebrochen. Das Volk verwandelte
sich wieder zurück und auch der Königssohn wurde aus seiner Starre
erlöst. Die beiden sahen sich einen Moment lang tief in die Augen.
„Ich habe euch so vieles zu verdanken“, brach der Prinz
schließlich das Schweigen. „Um ein Haar wäre mir dieses
Weibsbild zum Verhängnis geworden. Könnt ihr euch vorstellen, hier an
meiner Seite künftig das Königreich zu regieren?“ Der Knabe
nickte. Und so wurde das Königreich fortan von zwei Königen regiert.
Dem Volke fehlte es an nichts. Und auch der alte König konnte in Frieden
gehen, denn er wusste, dass sein Sohn glücklich war, und das war das
Wichtigste für ihn. Und so wurde von da an keine Gelegenheit ausgelassen,
um auf dem Schloss berauschende Feste zu feiern. Und die Moral von der
Geschichte: Es kommt im Leben gar nicht so sehr darauf an, wen wir lieben,
sondern dass wir imstande sind, überhaupt zu lieben. Und dass am Ende alles
gut wird, und wenn es nicht gut wird, so ist es noch nicht das Ende.
Ach, und eines lasst euch noch gesagt sein: Sollte von euch jemand so
töricht sein und denken, dass er in diesem Märchen Parallelen zum
Bachelor oder der Kuppelshow „Bauer sucht Frau“ sieht, so sollt ihr
erfahren, dass sich dieses Märchen zu einer Zeit, lange bevor es das
Privatfernsehen gab, zugetragen hat.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Christian Enders).
Der Beitrag wurde von Christian Enders auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.01.2022.
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