Hans Fritz

Die Sängerin des Steinernen Kontinents

Es geschah wohl vor zwei Milliarden Jahren, als der Mond Kravang seine ohnehin ungewöhnliche Umlaufbahn verliess, auf den Planeten Tambosirk stürzte und dabei in Abermillionen Stücke zerbrach. Das betroffene Gebiet entspricht dem Steinernen Kontinent Pojassod. Wörtlich genommen ein Kontinent der Einöde. Die ersten Menschen, die vom Hauptkontinent in trägen, kaum seetüchtigen Booten hier landeten, suchten vergebens nach Quellen mit trinkbarem Wasser. Zu ihrem Glück hatten sie eine Anleitung zur Herstellung von Haushaltswasser aus Meeresfluten, wie es in der Originalsprache heisst, herübergerettet. Heute wird das begehrte Nass in grossen ’Destillerien’ hergestellt, die über das ganze Land verteilt sind. Die spärlichen Regenfälle gestatten gerade das Überleben von derben Sträuchern mit langen roten Dornen. Im Westen herrschen an irdische Seggen erinnernde, grossflächige Horste bildende Gewächse vor, die gepanzerten, käferähnlichen roten, schwarzgestreiften Wesen als Unterschlupf, wahrscheinlich auch als Nahrung dienen.

Sitz der pojassodischen Regierung ist die quirlige Stadt Ufekarb an der Nordostküste. Dort sind die Brenalots zu Hause, mehr oder weniger direkte Nachkommen der Erstbesiedler, was Herrn Arogus Brenalots Anspruch auf eine Prominentenrolle im politischen Spektrum der Regionalregierung unterstreicht. Er hat die Oberaufsicht über die Pojassoder Baustoffindustrie, die den Tambosirk mit halbplastischen Klinkern versorgt, deren Ausgangsmaterial fast ausschliesslich Mondgestein ist. Die Frau des Hauses, Amalja, arbeitete bis vor Kurzem als Lehrerin für ‘tambosirkisches Grundwissen’ und Gesteinskunde. Während der Periode der Grossen Anoxie* bekamen Vorfahren der Brenalots als fürs Überleben der Menschheit Unabkömmliche einen Platz in einem Schutz bietenden Gebäude zugewiesen.

Frau Amaljas Nichte Tidunag aus Moghsunda auf dem Hauptkontinent hat gerade ihr Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen und beehrt die Brenalots mit ihrem Besuch. Noch zwischen Tür und Angel bedrängt Amalja sie mit Fragen. «Was hast du jetzt vor, in welchen Beruf möchtest du einsteigen? Die besten Aussichten bietet meines Wissens die Privatwirtschaft mit ihrem steten Bedarf an sachkundigen Rechtsbeiständen». Tidunag war auf eine solche Fragerei gefasst und sagt: «Liebe Tante Amalja, jetzt heisst es erst einmal zur Ruhe kommen und überlegen welcher Berufswunsch sich am ehesten erfüllen lässt. Aber eines weiss ich – ich möchte sozusagen hauptberuflich Sängerin werden –« «Oh, das ist ein herrlicher Beruf, mehr Berufung. Ich wusste nicht, dass du eine musikalische Veranlagung hast, die unseren Familien doch eigentlich fehlt». «Ich habe im Chor unseres Quartiervereins gesungen und die Chorleiterin meinte, ich sollte meine ungewöhnliche Gabe unbedingt weiterentwickeln und mich später als Solistin an einem renommierten Theater bewerben». «Ja nun, wenn du glaubst damit reich werden zu können, meinen und ich nehme an auch Arogus’ Segen hast du». «Habt ihr ein Instrument zuhause, so ein Begleitinstrument?» «Nein, haben wir nicht. Aber ich kann unsere Nachbarn fragen, die besitzen so etwas wie eine Harfe». «Oh, das wäre fein». Schon am nächsten Abend schieben die Lifobeks, Nachkommen einer nordafrikanischen Familie, das Instrument herüber. Tidunag schlägt die Saiten an und intoniert eine von einem Freund kürzlich komponierte ‘Moghsunder Fantasie in b-Moll’. «Herrlich, einfach herrlich», findet Arogus. Amalja findet vor lauter Entzücken keine Worte. Tidunag darf das Instrument behalten. Arogus wird den Lifobeks zum Dank eine Fuhre grüner Kacheln zum Ausbau der geplanten Gartenlaube zum Nulltarif liefern.

Arogus nutzt seine gute Beziehungen zur Ufekarber Theaterleitung und vermittelt Tidunag eine Vorstellung samt Vorsingen beim Intendanten, der als unerbittlicher Kritiker gilt. Sie absolviert das Vorsingen mit Bravour und unterzeichnet einen Vertrag für die in zwei Monaten beginnende Saison.

Kurz bevor Tidunag die Heimreise nach Moghsunda antritt, macht sie vorm Eintreten der Abenddämmerung einen Strandspaziergang. Der heftige Sturm vom Vortag hat viel Zeug angespült. Zwischen Schalenresten von Pojassodkrebsen leuchtet etwas hervor. Ein Goldklümpchen, mutmasst die Spaziergängerin. Arogus meint, nachdem er die Probe in seinem Privatlabor unter Anwendung diverser Lampen geprüft hat: «Zu hundert Prozent reines Gold. Das erste Gold, das jemals auf unserem Planeten gefunden wurde». Es wird beschlossen den Fund zunächst nicht öffentlich zu machen. Es könnten unübersehbare Scharen von Goldsuchern den Strand heimsuchen und unserem so geschätzten pojassodschen Idyll ein jähes Ende bereiten. So findet das Nugget seinen vorläufigen Platz im Panzerschrank der Brenalots.

Die Premiere im Regionaltheater steht bevor. Tidunag kehrt nach Ufekarb zurück, möchte aber die Gastfreundschaft der Brenalots nicht länger in Anspruch zu nehmen und bezieht Logis im Meerpavillon, dem zweitmodernsten Hotel der Stadt. Monatelang feiert sie als die ‘Moghsundaer Diva’ Triumpf über Triumpf. Die Schlagzeilen der Medien verkünden einhellig höchstes Lob. ‘Die attraktive Sängerin mit der himmlich klaren Stimme, einfach hinreissend’ lautet eine Pressestimme. Eines Abends versagt kurz vorm Schlussakkord einer langen Koloraturpartie der grossen Sängerin grosse Stimme. Das Ende einer hoffnungsvollen Karriere ist besiegelt.

Tidunag reist in einem Postboot nach Moghsunda. Nach ruhigen Wochen der Erholung findet sie einige Befriedigung in ihrer neuen Rolle als Begleiterin von Strandwanderern. Der Juristerei hat sie entsagt. Beim Begutachten von Strandgut bemerkt ein älterer Herr: «Vielleicht finden wir das Klümpchen Gold, das ich einst am Strand von Ufekarb auf dem Pojassod nach einer Bootsfahrt verloren hatte. Es war ein irdisches Erbe von unschätzbarem Wert». «Ich glaube, da kann ich Ihnen helfen», sagt Tidunag und erwähnt ihren einstigen Fund. Wenige Tage später erhält der Mann sein so lange vermisstes Gold zurück. Tidunag wird auf seine Empfehlung hin Leiterin des Grossen Gemischten Chors der neu errichteten Moghsundaer Kathedrale.

*s. Kurzgeschichte «Das Experiment» (4.12.2021)
 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.01.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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