Hajo Schindler

Nur das Beste für das neue Jahr

"Zwischen den Jahren", so nennt man die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Ich mag eigentlich diese Tage. Es ist die Zeit, in der man das zu Ende gehende Jahr noch einmal Revue passieren lässt und einen Blick nach vorn wagt.

Das abgelaufene Jahr 2021 war schon ein wenig deprimierend, weil viele Hoffnungen nicht erfüllt wurden. Meinen Geburtstagsbrunch mit der Familie, Verwandten, Bekannten und Nachbarn musste ich absagen. Urlaub ohne Einschränkung war nicht möglich. Theater-/Kinobesuche, Fehlanzeige. Das neue Jahr im feinen Zwirn auf einem Silvesterball willkommen zu heißen war schon 2020 nicht möglich und wurde auch 2021 ohne große Party begrüßt. Dass 2022 nicht mehr lange auf sich warten ließ, merkten meine Frau und ich daran, weil wir zusammen vor dem Fernseher saßen und Dinner for One guckten. Silvesterfeuerwerk eingeschränkt, eher bescheiden. Alles wegen eines Virus. Dieser Winzling hat es geschafft, die Welt zu erobern und wir alle versuchen krampfhaft, ihn zu schlagen, indem wir Verhaltensweisen an den Tag legen, über die wir in einer Science-Fiction Geschichte verwundert den Kopf geschüttelt hätten.

All das, was das Leben schön, prall und unbeschwert machte, verschwand im Nebel der Beeinträchtigungen und Reglementierungen. Gegen eine Flut von Informationen hatte ich zu kämpfen. Das führte dazu, dass ich Dinge, die bisher als selbstverständlich galten, plötzlich infrage stellte und anfing, darüber nachzudenken. Dabei merkte ich, wie anfällig das pralle Leben für Krisen ist.

Von vielen hörte ich, es wird ja immer schlimmer, statt besser. Andere fragten sich, ob es immer so weitergehen wird. Das Lächeln verschwand immer mehr aus ihren Gesichtern. Wieder andere beschäftigten sich mit der Frage, wie schaffen wir es nicht aufzugeben, sich nicht völlig hängen zu lassen?

Im zurückliegenden Jahr versuchte man mit allerlei Einschränkungen und Maßnahmen aus dem Tal der Tränen herauszukommen, aber am Ende des Jahres 2021 stand auch die Erkenntnis, dass die bis dahin millionenfach verabreichten Impfungen, Kampagnen und Einschränkungen möglicherweise nicht die Waffen sind, die uns aus der Bredouille führen werden, so wie wir uns das vorgestellt und wie es die politische und wissenschaftliche Garde versprochen hatten.

Da ist es nicht verwunderlich, wenn man zurzeit nicht gut drauf ist und ich glaube, das ist dann auch nachvollziehbar. Dennoch überlegt man, wie trotz der ganzen Unzulänglichkeiten möglichst positive Gefühle in den Vordergrund rücken können.

Gut zu wissen, dass es Persönlichkeiten, Experten gibt, die einem Tipps geben, damit man in der Krise nicht so ganz versumpft.

Der Diplom-Psychologe Rolf Schmied machte am 28.12.2021 in der WDR Lokalzeit Dortmund den Vorschlag, man möge sich doch bitte positive Dinge ins Gedächtnis rufen. Dabei helfe, wenn man eine WhatsApp-Gruppe mit sich selber gründet.

„Mach eine WhatsApp-Gruppe mit Dir selber auf und schicke regelmäßig positive Sprachnachrichten, wenn dir etwas gelungen ist und wenn es dir dann mal nicht gut geht, hör dir das mal an und dann erlebst du einen doppelten Effekt, denn manchmal hört sich der Text an wie die Stimme eines Elternteils und dann hört man plötzlich ein Lob von jemanden, der einen sonst vielleicht noch nie gelobt hat und Studien zeigen, dass die akustischen Botschaften tatsächlich die Seele erblühen lassen.“

Äh, Hm, Boh eh, da kann ich nur sagen, was für ein phänomenaler Ratschlag. Schade nur für die Personen, die kein Smartphone ihr Eigen nennen.

Nicht-Smartphone-Besitzer sollten sich jetzt aber nicht grämen und schnurstracks in Verzweiflung oder ins Koma fallen. Es gibt auch Alternativen, wie sie dem Frust Alltag entfliehen können und sich mit einfachen Aktivitäten neue sinnbildende Perspektiven ergeben.

Die Schriftstellerin Harriet Köhler empfiehlt in ihrem Buch Gebrauchsanweisung fürs Daheimbleiben, man solle sich das Urlaubsgefühl in die eigenen vier Wände holen. Sie schlägt vor, die Matratzen aus dem Schlafzimmer mal ins Wohnzimmer zu schieben, um dort zu schlafen oder mal im Garten zu zelten.

Ich sehe im Geiste, wie ich meine Frau bitte, mir beim Ausräumen des Wohnzimmers behilflich zu sein. Wenn ich ihr dann beichte, dass ich nicht beabsichtige, das Wohnzimmer zu streichen, sondern nur Platz für die Matratzen aus dem Schlafzimmer schaffen will, damit wir darauf nächtigen können, könnte dies bei ihr einen Schreikrampf auslösen und ich müsste sie bitten, dies zu unterlassen, weil die Nachbarn sonst häusliche Gewalt bei uns vermuten würden.

Zelten im Garten, nun ja, löst bei mir auch nicht unbedingt eine positive Gefühlswallung oder eine überschwängliche Euphorie aus. Ich sehe meine Frau im Bio-Baumwollnachthemd und mich im karierten Flanell-Pyjama ins Zelt schleichen. Mein Gott, was würde das für eine unvergessliche Nacht werden.

Hand aufs Herz, das scheint mir alles nicht des Rätsels Lösung zu sein.

Was also ist zu tun, damit man nicht in eine Depression gleitet?

Mir fällt da eine Begebenheit aus meiner Kindheit ein. Ich erinnere mich an die Worte meiner Mutter, die, wenn ich einmal unpässlich, schwach auf den Beinen war und das Bett hüten musste mir zuflüsterte: „Versuche zu schlafen, und wenn du morgen früh aufwachst, scheint die Sonne wieder und du bist gesund.“

Ich wünsche mir für das neue Jahr, das wir wieder für einen Moment alle zu Kindern werden und einen erholsamen Schlaf haben. Und wenn wir wieder aufwachen, dann alles gut ist.

In diesem Sinne ein Prosit auf das neue Jahr. Möge Gesundheit, Zuversicht und Freude unser ständiger Begleiter sein und all unsere Erwartungen erfüllt werden. Die/meine Agenda für das Jahr 2022 lautet eigentlich wie jedes Jahr: „Wir schaffen das“.

Das Lied von der italienischen Sängerin Milva aus dem Jahr 1984 - Hurra, wir leben noch - passt in diese Zeit, klingt wie eine hoffnungsvolle, motivierende Botschaft in meinen Ohren:

(…) Wie stark ist der Mensch, wie stark?
Wie viel Ängste, wie viel Druck kann er ertragen?
Ist er überhaupt so stark, wie er oft glaubt?
Wer kann das sagen?

Hurra, wir leben noch
Was mussten wir nicht alles übersteh'n?
Und leben noch
Was ließen wir nicht über uns ergehen?
Der blaue Fleck auf unsrer Seele geht schon wieder weg
Wir leben noch (…

Lieber wäre mir, wir alle könnten gemeinsam schon morgen das Lied von Ben Zucker anstimmen:

Wir sind wieder zurück, wir sind wieder da,

haben solange darauf gewartet,

und wenn wir uns dann wiedersehen,

ist es eigentlich wie immer,

die Straßen leuchten noch genauso wie früher,

wir wollen nach dieser Zeit ein bisschen Ewigkeit die bleibt (…)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.01.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Die Gedichte aus den Jahren 2013-16 erzählen von der ‚Hochzeit‘ von Himmel und Erde. Ob in der kraftgebenden Schärfe des Rettichs oder in der Vitalität der Jahrtausende schon lebenden Eibe, ob in der Weisheit alter Geschichten oder im Wunder der Liebe, ob in spirituellen Erfahrungen oder in den Weiten des Alls: überall begegnen sich Licht und Dunkel, oben und unten. Unsere gewohnte Alltagswelt bekommt etwas von ihrem wahren Glanz wieder, wenn wir uns ein Stück dafür öffnen.

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