Christoph Rühlmann

Zwei schlimme Finger

Der Vorsitzende Richter des fränkischen Landgerichts galt landauf, landab als ein „harter Hund“. Aber als er nun ansetzte zu seinem Urteilsspruch und Hans und Manfred, den alle nur Manni nannten, zu jeweils 18 Monaten Haft verdonnerte, da konnte er sich ein Schmunzeln kaum verkneifen.
Wohl weniger aus Schadenfreude heraus, sondern deshalb, weil Hans und Manni eine Idee hatten um an Geld zu kommen, die gleichermaßen verrückt, wie einzigartig schmerzhaft war.

Hans hatte sein Leben lang auf dem Bau und als Gärtner geplackt und sein Rücken tat ihm morgens und abends so weh, dass er irgendwann im Laufe dieses schicksalhaften achtundfünfzigsten Lebensjahres beschloss, er habe fortan genug gearbeitet und sich ein wenig mehr Sonne und Entspannung, vor allem aber auch mal ein paar „Bier vor Vier“ verdient. Jeden neuen Tag träumte er von Sonne, Meer und schönen Frauen in „El Arenal", am teutonischsten aller Strände der Sonneninsel Mallorca. Sein Problem war nur, dass er über keinerlei nennenswerte Ersparnisse verfügte und die von ihm erstrebte Ausreise ins Paradies für iLichtjahre entfernt schien.

Kumpel Manni, der Rückenschmerzen nur vom Hören und Sagen kannte, war er doch der körperlichen Arbeit weniger zugetan als verschiedensten Rauschmitteln, teilte zumindest ein Problem mit Hans. Er war so gut wie immer „klamm" und nach dort, wohin er so gerne „flog“, kam man auch nicht mit Zwei Euro Fünfzig. Und so entstand in den trüben Herbstmonaten in Hans` altem Partykeller ein Plan, der im Keim ersonnen, dann wieder verworfen, neu aufgegriffen, verfeinert und schließlich als fertiger Plot einstudiert wurde. Regie und Hauptrollen: Hans und Manni. Vorhang auf!

Einige Monate später ging bei einem großen deutschen Versicherungskonzern eine Schadensmeldung ein, mit dem der Versicherungsnehmer einer auf seine Person abgeschlossenen Unfallversicherungen, die Zahlung von vierzigtausend Euro beanspruchte. Absender des Schreibens war, man ahnt es schon, der arbeitsmüde Hans, der so erklärte er der Versicherung, sich versehentlich selbst mit der Kettensäge Daumen und Zeigefinger der linken Hand abgeschnitten habe und nun Zeit seines Lebens nicht mehr richtig würde arbeiten können. „Hmm“, dachte sich wohl der Sachbearbeiter der Unfallversicherung, ließ dem Hans aber einen Scheck über viertzigtausend Euro zukommen, obwohl er sich sehr gewundert hatte , dass die abgesägten Finger nicht mehr da waren, als Hans mit Kumpel Manni, der zufällig bei dem Unfall anwesend war, ins Krankenhaus kam. Man habe noch schnell einen ölgetränkten Lappen um den Stumpf binden können, die Finger seien aber weg gewesen, erklärten die Beiden dem engagierten Handchirurgen, der schon gerne wenigstens den Versuch unternommen hätte die Fingerchen wieder anzunähen. "Wo sollen die denn hingefallen sein?“, fragte der Medicus. Achselzucken bei Hans und Manni: „Vielleicht hat der Hund sie gefressen, der lief die ganze Zeit im Garten, wo der Unfall passiert ist, rum."

„Tss, tss , Sachen gibt es…“, dachte sich nach längerem Grübeln jetzt der Sachbearbeiter der Versicherung und übergab die Sache der Staatsanwaltschaft, die ein schleunigst ein Sachverständigengutachten in Auftrag gab, ob das überhaupt so gewesen sein könne, dass die Verletzung an Hans` Hand ohne „fremde Hilfe“ selbst mit der Kettensäge verursacht worden ist.

Sechs Monate später saß ich neben Hans und Manni, der mir das Mandat für seine Verteidigung erteilt hatte, im schummrigen Schwurgerichtssaal des Landgerichts um als Verteidiger noch das Bestmögliche in der Situation für ihn herauszuholen. Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage wegen Versicherungsbetruges gegen beide und zusätzlich wegen schwerer Körperverletzung gegen Manni erhoben. Der Sachverständige hatte in seinem Gutachten nämlich nahegelegt, es könne kein Unfall gewesen sein und jemand anderes als er selbst habe den Hans verstümmelt haben müssen. Ansonsten ließen sich die Verletzungsmuster nicht erklären. Was folgte, war eine Durchsuchung des Schuppens in Hans` Garten, wobei man auf der Kettensäge und einem Bolzenschneider Mannis Fingerabdrücke fand. „Was ja aber noch gar nichts beweist Hohes Gericht!“, wie ich als Verteidiger zu Recht einwendete. Beide bestritten den Vorwurf der Anklage vehement und wollten einen Freispruch. Trotzdem lief das Verfahren nicht gut. Hans und Manni wurden in der Befragung von Gericht und Staatsanwaltschaft „gegrillt“ und bei manch tollpatschiger Antwort wusste selbst ich als Verteidiger nicht, ob ich nun lachen oder weinen sollte. Der Vorsitzende Richter deutete nach der Befragung der Beiden sodann an, er glaube ihnen kein Wort, dass sich ein Geständnis aber extrem strafmildernd auswirken würde. Sollten die Angeklagten die Tat weiterhin bestreiten – und würden am Ende der Beweisaufnahme vom Gericht als überführt angesehen, drohe Knast ohne Bewährung. So endete der erste Sitzungstag.

Zu Beginn des zweiten Sitzungstages tat sich Erstaunliches. Hans und Manni drängelten geradezu um das Wort. Es gehe um die Wahrheit! Die solle jetzt auf den Richtertisch und das schonungslos! Und so erfahren die staunenden Zuhörer was sich tatsächlich zugetragen hatte. Wie sich nämlich der Hans mit Manni eines sonnigen Tages im Geräteschuppen vom Hans traf und ein öliges Tuch zum Verbinden der erwarteten Wunde bereitgelegt wurde. Ölig musste es unbedingt sein, weil das ja unauffällig wirke, eben wie ein notfallmäßiger Verband. Das „chirurgische Werkzeug“, Kettensäge und Bolzenschneider, wurde aus dem Schrank geholt und gesichtet, das heißt auf Funktionsfähigkeit geprüft. Los ging`s! „Halt den Daumen und Zeigefinger links gespreizt. Und den Arm gerade!“, wies der Manni den Hans an, bevor er zur Tat schritt. „Aua“, schrie der Hans gellend, dann wurde im erst einmal schwarz vor Augen.

Gerne habe er das ja nicht getan, so erklärte Manni dem Vorsitzenden Richter. Aber versprochene dreitausend Euro seien halt schon gutes Geld für so eine Arbeit!

„Höllisch weh tat`s“, klagte wiederum der Hans dem Gericht, mit von der bloßen Erinnerung herrührend, schmerzverzerrter Mine. Gut habe der Manni das nicht hingekriegt! Vor allem das Nachknipsen mit dem Bolzenschneider, weil die Fingerchen so gar nicht abgesägt werden wollten, sei eine echte Viecherei gewesen. Als es dann soweit war, habe man sie noch in die Mülltonne befördert. Wieder Annähen war bekanntlich unerwünscht. Dann sei man ins Krankenhaus gefahren. Heute bereue er das alles! Das Geld von der Versicherung sei schon fast weg. Ein vierwöchiger Schnupperurlaub am Ballermann sei zwar toll gewesen, aber nur mit 8 Fingern, das sei irgendwie auch Scheiße!

Das Urteil fiel milde aus. 18 Monate Haft auf Bewährung für Hans und dasselbe ohne Bewährung, aber mit Unterbringung in einer Drogentherapieanstalt, für den bereits reichlich vorbestraften Manni. Bayrische Gerichte fällen zuweilen sehr knackig harte Urteile. Aber wie soll man jemanden noch bestrafen, der sich selbst die Finger abgesägt hat und der Versicherung überdies jeden Euro zurückzahlen muss, den diese zur Schadensregulierung geleistet hat? Und dazu noch eins! Seine Rückenschmerzen, so sagte Hans zu dem Richter, waren ein „Kindergeburtstag“ gegen die narkosefreie Operation durch Amateurchirurgenkumpel Manni! Das wünsche er keinem! Trotzdem, nach "El Arenal", wolle er immer noch auswandern. Mal sehen, ob sich da vielleicht was anderes ergebe!

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