Von alle dem, was sich am See abgespielt hatte, bekamen unsere tapferen Helden, die weiterhin nach den Purrisandern suchten, wenig mit. Zwar hörten sie den lauten Knall der Peitsche und bewunderten den hellen Schein Kaosims, aber sie dachten sich nichts dabei. Millozart war nun einmal magisch und es passierten des Öfteren unheimliche Dinge. Nur Baron und Sultan wussten was sich abgespielt hatte. Aber die waren weit entfernt.
Kyrala, die immer wieder große Kreise über Millozart gezogen hatte, gab auf. Obwohl sie bei Dunkelheit gut sehen konnte, war von den Purrisandern nichts zu sehen. Sie weitete die Flügel aus und landete auf einem Ast, denn es war an der Zeit, die anderen zu suchen. Mit ihren wachen Augen suchte sie den Wald ab und entdeckte die Glühwürmchen, deren Schein sich langsam fortbewegte. Kyrala hob ihre Schwingen, segelte auf das Licht zu und landete direkt auf Thaddäus Rücken.
„Huch!“, rief Amber. „Kyrala, kannst du dich nicht vorher anmelden? Was, wenn ich zu Tode erschrocken wäre?“
„Tut mir leid“, antwortete Kyrala geknickt. „Aber das war eine sogenannte Notlandung.“ Thaddäus schmunzelte. „Es war nur ein kurzer Schreck, ist schon gut. Aber sag, hast du die kleinen Purrisander entdeckt? Oder hattest du auch kein Glück?“
„Nein, ich habe sie nicht gesehen und meine Augen sind sehr gut. Hoffentlich hatten die Anderen mehr Glück. Wir sollten zurück gehen, vielleicht begegnen wir ihnen. Außerdem wird es bald zu dunkel sein.“
„Du hast recht, wir sollten umkehren“, sagte Thaddäus. „Komm Amber, bleib an meiner Seite.“
„Ich fliege voraus und halte weiterhin meine Augen auf“, sagte Kyrala. „Bis gleich.“
Begleitet vom Schein der Glühwürmchen, suchten auch Samira und Melchior nach den Purrisandern. „Sag mal, Samira, magst du mich ein bisschen?“ fragte Melchior die weiße Stute. Samira, die aufmerksam hinter jeden Busch schaute, blieb stehen. „Wie meinst du das, Melchior?“, fragte sie verlegen und blickte zu Boden.“
„So, wie ich es gesagt habe. Ich mochte dich schon immer, aber leider hast du Balthasar mir vorgezogen.“
„Oh Melchior, ich habe Balthasar geliebt und du warst sein bester Freund. Als er starb, brach eine Welt für mich zusammen. Aber er hat mir Saphira geschenkt. Schade, dass er seine Tochter nie kennenlernen durfte.“ Samira war gerührt, denn schon lange war aus ihrer Sympathie zu Melchior Liebe geworden. „Ja, ich mag dich sehr“, hauchte sie und legte ihren Kopf an seine Schulter. Melchior, der sein Glück nicht fassen konnte, schnaubte aufgeregt. „Du bist mein Leben, schöne Samira.“ Leises Flügelschlagen ließ beide nach oben schauen.
„Hallo ihr Zwei, habt ihr etwas entdeckt?“ Almate, die vor Quasselstrippe und Benno geflüchtet war, da sie ihre Streitereien nicht mehr ertragen konnte, flatterte vor ihren Nasen auf und ab. „Störe ich?“
„Nein, natürlich störst du nicht“, antwortete Samira.
„Keine Spur von den Purrisandern“, sagte Melchior. „Wir sollten zurück gehen. Morgen ist auch noch ein Tag.“ Almate nickte. „Es ist schon viel zu dunkel. Also gut, drehen wir um.“ Sie setzte sich auf Melchiors Rücken und gemeinsam marschierten wortlos durch die Dunkelheit.
Als sie eine ganze Weile gegangen waren, wehte eine leise Melodie zu ihnen und verzauberte ihre Sinne. „Es hört sich an wie ein Geigenspiel“, flüsterte Samira. „Almate, möchtest du nicht nachschauen? Vielleicht sind es die Purrisander.“ Die kleine Waldkönigin flog mit sanften Flügelschlägen ein Stück in den Wald und kam mit einem Lächeln auf den Lippen zurück. „Da steht ein wunderschönes Mädchen und spielt auf einer Geige. Ich weiß, wer sie ist. Wenn wir wieder bei den anderen sind, erzähle ich es euch. Bitte, wir sollten sie jetzt nicht stören. Lasst uns einfach weiter gehen.“
Wie es für die anderen weiter geht
Nachdem Paula von Alexandras Wasserpeitsche fortgerissen wurde, machte sich betretenes Schweigen breit. Es war Baron, der als Erster wieder sprechen konnte. „Das war ein Schauspiel. Was passiert jetzt mit ihr?“ Benuar hüpfte von Sultans Rücken und antwortete: „Die Seehexe wird ihr nichts tun, wenn du das meinst. Was sie mit ihr vorhat, kann ich dir auch nicht sagen, aber für diese Paula wird es nicht angenehm werden.“ Kalli, der mit hängenden Schultern neben ihm stand, schluchzte: „Was wird denn nun aus mir? Paula war zwar nicht gut zu mir, aber ich hatte einen Schlafplatz. Die Menschen haben Angst vor mir und das verstehe ich auch.“ Kalli war nicht gerade eine Schönheit, denn seine Ohren waren viel zu groß und die Zähne ragten über die Oberlippe. „Du kommst mit zu uns“, sagte Sultan. „Morgen sehen wir dann weiter. Und noch etwas, mein Lieber. Ein Mensch ist im Herzen schön, das solltest du dir merken.“
In der Ferne war wieder das Licht der Glühwürmchen zusehen. „Sie kommen zurück“, sagte Baron, und so wie es aussieht, hatten sie auch kein Glück bei ihrer Suche.“ Samira, Melchior und Almate waren die Ersten, die bei ihnen auftauchten. „Unsere Suche war leider erfolglos“, sagte Almate, als sie von Melchiors Rücken sprang. „Und so wie es aussieht, eure auch. Dann werden wir morgen weitersuchen müssen." In der Ferne hörten sie Stimmen. „Du bist ja doch ganz nett, du kleines Wildschwein.“ Sultan del Arabika wieherte amüsiert „Wir haben gar nicht bemerkt, das Quasselstrippe und Beppo fehlen. Und wie lieb sie sich plötzlich haben.“
„Du auch“, hörten sie Beppo sagen. „Und dein ewiges Gerede hat mich auch nicht genervt. Nein, nein, es hat mir sogar gefallen. Du redest sehr intelligent“, flötete er verliebt. „Ach, Beppolinchen“, säuselte Quasselstrippe angetan. „Wenn du das sagst.“
„Na, ihr Turteltäubchen“, sagte Thaddäus, „habt ihr auch den Weg zurückgefunden?“ Quasselstrippe und Beppo, nickten müde. „Aber leider konnten wir die Purrisander nicht finden“, grunzte Beppo. „Aber uns.“
„Oh, mein Gott!“, rief der alte Baron verzweifelt.“ Nur weg hier!“
„Wie, nur weg hier?“, fragte Beppo sauer.
Bevor es noch einen Streit geben würde, sorgte Almate für Ruhe. „Ich habe da eine Idee.“ Neugierige Blicke hielten sie gefangen und warteten auf das, was die Waldkönigin zu sagen hatte. „Sag schon, was du für eine Idee hast“, forderte Benuar sie auf. „Kommt näher“, flüsterte die Waldkönigin und legte ihren Finger auf die Lippen. „Schließt eure Augen und lauscht.“
Sie schlossen die Augen und lauschten in die Nacht. „Das Mädchen mit der Geige hat das Land der Geister wieder verlassen. Drei Tage wird sie spielen“, erzählte Almate. „Nur die Flüsterkatze Madala darf sich ihr nähern.“ Verzaubert lauschten sie dem Spiel der schönen Geigerin. „Mir wird so warm ums Herz“, sagte Baron. „So lieblich sind diese Geigenklänge.“ Sultan del Arabika nickte. „Mir auch. Warum spielt sie so einsam und allein, hier in eurem Wald?“, fragte er Almate. „Mit ihrem Spiel wird das Gleichgewicht des Waldes und der Tiere erneuert. Einmal im Jahr verlässt Isolde das Land der Geister für drei Tage. Aber auch in der Hoffnung, ihren Liebsten Manuel mit ihrem Geigenspiel aus dem Nebel zu führen.“ Samira weinte. „Deshalb klingen ihre Melodien so traurig. Wer ist Manuel?“ „Manuel ist ein Orakel aus der Geisterwelt“, antwortete Almate. „Dabei ist die Bezeichnung, Geisterwelt falsch. Es ist das Land der Geister, Feen, Elfen, Zwerge, Trolle und Gnome. Das Land der Legenden. Aber mit der Zeit, nannte man es die Geisterwelt. Die schöne Geigerin Isolde, verliebte sich vor hunderte von Jahren in Manuel das Orakel. Durch einen Zufall hatte sie ihn die Geisterwelt verlassen sehen. Sie verliebten sich, und Isolde folgte Manuel in die Welt der Geister. Doch als Ida die Nebelfrau seinen Rat brauchte, das Land der Geister aber nicht betreten durfte, ging er zu ihr, um zu helfen. Er kam nie wieder. Das letzte Lied, welches die Geigerin spielt, ist immer ein Liebeslied zum Abschied“, beendete die Waldkönigin ihre kleine Geschichte. „Oh man“, brummte Melchior, „die arme Seele. Doch wie sieht es mit deiner Idee aus?“
„Ich werde heute Nacht die Flüsterkatze suchen“, antwortete Almate. „Sie ist ein Einzige, die sich der Geigerin nähern darf. Wenn Madala Isolde bewegen kann uns zu helfen, könnte sie mit dem Spiel ihrer Geige die Purrisander zu uns locken.“
„Das ist eine gute Idee“, sagte Samira, „hoffentlich funktioniert es auch.“
Sie beratschlagten noch, wann sie sich am nächsten Abend treffen wollten, und kehrten dann in den Wald zurück. Almate flatterte winkend davon. Beppo verabschiedete sich, und verschwand im Unterholz. Thaddäus und Amber sprangen in den dunklen Wald hinein. Die Glühwürmchen verschwanden wie ein Kometenschweif am schwarzen Nachthimmel. Der Traumkobold suchte sein Traumland auf und der Rest trabte wieder auf die kleine Weide. Kalli, der es sich auf Samiras Rücken bequem gemacht hatte, freute sich, dass er nun Freunde hatte, die ihn mochten. Ein aufregender Tag hatte sein Ende gefunden.
Am anderen Morgen war Emma sehr aufgeregt. Hatten ihre neuen Freunde die Purrisander gefunden? Sie war so aufgeregt, dass sie glatt die Milch verschüttete. „Emma, was ist los?“, fragte ihre Mutter und zupfte sie am Ohr. „Hattest du einen Alptraum? War der Milchmann hinter dir her?“ Emma verdrehte die Augen. „Nein, kein Milchmann“, antwortete sie genervt. „Aber muss ich heute für zwei Stunden in die Schule? Das lohnt sich doch gar nicht.“ Emmas Mutter zog ein nachdenkliches Gesicht. „Also, wenn ich so recht überlege“, sagte sie langgezogen und rieb dabei ihr Kinn. „Was sollst du da überhaupt? Es reicht ja, wenn deine Klassenkameraden heute erscheinen. Außerdem kann man in zwei Stunden sowieso nichts lernen.“ Dann nahm sie Emma in den Schwitzkasten. „So junge Dame, zwei Stunden sind zwei Stunden und die wirst du hübsch absitzen.“ Emma musste nun doch lachen. „Mama, lass das. Wenn das jemand sieht.“
„Du meinst die Pferde?“, fragte ihre Mutter. „Oder Papa? Oder unser Hausgeist Emil?“ Nun brachen beide in schallendes Gelächter aus. Mama, war eben Mama. „Denkst du daran, dass Lilly heute zu dir kommt?“, fragte ihre Mutter, während sie Emma etwas zu trinken in den Rucksack steckte. „Ja, ich weiß. Oma Lenchen ist auch einverstanden.“
„Kann ich mich auf dich verlassen? Keinen Unfug, ja? Oma Lenchen ist nicht mehr die Jüngste und wenn du mit Lilly zu den Pferden gehst, seid ihr, bevor es dunkel wird, zurück.“
„Alles klar“, versprach Emma und kreuzte mal wieder die Finger in ihrer Jackentasche. „Hast du schon mal Klagen von Oma gehört?“
„Gott sei Dank nicht und nun los, du musst zwei Stunden pauken.“
"Die verhassten zwei Stunden waren schnell vorbei. „Lilly, kommst du gleich zu mir rüber? Ich muss dir nämlich noch etwas sehr wichtiges erzählen.“
„Ich will mir nur ein paar Sachen einpacken“, antwortete Lilly. „Komm mit, dann kannst du es mir unterwegs erzählen.“ Emma war einverstanden und zusammen schlenderten sie die Straße entlang. „Lilly, die Pferde können reden“, sagte Emma ernst. „Ich weiß, dass du mir nicht glaubst. Aber ich habe mit Sultan gesprochen und er hat gesagt, dass sie erst einmal ihre Köpfe so schütteln, dass du ja oder nein verstehst.“ Lilly blieb wie angewurzelt stehen. „Es geht dir aber gut?“, fragte sie argwöhnisch. „Ich habe Pferde noch nie reden hören. Du bist einfach zu viel bei ihnen. Mehr als bei mir.“ Emma war verzweifelt. Sie hatte schon damit gerechnet, aber dass es so schwer sein würde, etwas Unmögliches zu erzählen, dass hätte sie nie gedacht. „Bin ich deine Freundin, oder nicht?“, fragte sie Lilly. „Natürlich bist du meine Freundin. Aber es ist so schwer, dir zu glauben. Am besten, ich überzeuge mich heute Nachmittag selbst. Dann werden wir es ja sehen. Ich packe jetzt erst mal ein paar Sachen ein.“
Oma Lenchen wartete schon auf Emma und Lilly. „Na ihr beiden Hübschen.“ Emma fiel ihrer Oma um den Hals. „Na Omi, wie geht es dir?“
„Also gestern ging es noch“, antwortete Oma Lenchen. Diesen einen Satz, sagten sie immer, wenn sie sich begrüßten. Meiersche Familientradition sagte Oma immer, wenn Emmas Vater den Kopf schüttelte.
Um vierzehn Uhr, machten sich Emmas Eltern auf den Weg. „Also, keine Klagen ihr zwei“, sagte Emmas Mutter noch einmal mit Nachdruck. „Keine Klagen, versprochen“, antwortete Emma. „Und wir sind auch, bevor es dunkel wird, wieder hier. Ärgern Omi nicht. Essen keine Schokolade im Bett und rauchen auch nicht.“ Emmas Vater musste lachen „Also wirklich, von wem hast du das nur? Von mir bestimmt nicht.“
„Von Emil“, flüsterte Emma verschwörerisch. „Von wem bitte?“, fragte ihr Vater fassungslos. „Wer ist bitte schön Emil? Gaby!“ Emmas Mutter ließ die kleine Reisetasche fallen und setzte sich prustend auf die Bank vor dem Haus. „Ich glaube, ich kann nicht mehr“, lachte sie laut und hielt sich dabei den Bauch. „Sag bloß, du kennst Emil nicht? Den kennt doch jeder? Das ist unser Hausgeist.“
„Das war der Witz zur Mittagsstunde“, raunzte Emmas Vater leicht sauer. „Ich würde vorschlagen, wir fahren jetzt“, murmelte er, „sonst drehen wir hier noch alle am Rad“.
Oma Lenchen hatte Apfelpfannkuchen gebacken. Es duftete herrlich im ganzen Haus und Emma und Lilly ließen es sich schmecken. „Hm“, sagte Lilly, „der ist lecker. Mama macht das nicht so oft, weil dann die ganze Wohnung müffelt.“
„Was du nicht sagst, brennen sie ihr immer an?“, fragte Oma Lenchen fürsorglich. „Weiß ich nicht“, antwortete Lilly. „Aber in der Küche ist dann immer viel Qualm“.
„Wir gehen dann mal rüber zur Weide“, sagte Emma schnell, bevor ihre Oma eine Kochstunde über Apfelpfannkuchen abhalten konnte. Oma Lenchen nickte. „Ich lege mich nachher in den Garten. Oder ich komme mal zu euch rüber.“
„Ach Omi, wo willst du uns denn finden? Wir kommen schon rechtzeitig zurück.“
„Mir soll es recht sein, dann verschwindet mal.“
Auf dem Weg zur Weide, erzählte Emma, Lilly alles, was ihr noch auf dem Herzen lag. Von Tubarzia und den Purrisandern, von Almate der Waldkönigin und Benuar dem Traumkobold. Der weißen Vampirin Kyrala, von Beppo, Paula, Thaddäus und Amber. „Weißt du, von Benuar, Almate, Paula und den Purrisandern habe ich nur gehört“, sagte sie ehrlich. „Aber wir werden sie bestimmt einmal kennenlernen. Lilly konnte es immer noch nicht glauben und schluckte nervös. „Emma, wenn dass alles stimmt“, sagte sie atemlos, „das wäre ja ein wahres Märchen und so etwas gibt es nicht.“ Emma nickte eifrig. „Es stimmt, aber ich sage die Wahrheit. Aber du musst schweigen, Lilly, denn, niemand darf davon wissen. Versprich es.“
„Ich verspreche es, wenn es keine Lüge ist.“
„Es ist keine Lüge, versprochen.“
Endlich hatten sie die Weide erreicht, aber von Sultan und seinen Freunden, war weit und breit nichts zu sehen. „Und, wo sind deine sprechenden Pferde?“, fragte Lilly enttäuscht. „Nur Wiese, mehr nicht.“
„Komm Lilly, wir laufen zum Stall“, sagte Emma und rannte los. Atemlos kamen sie an dem großen Stall an. „Puh“, keuchte Lilly, „seit wann kannst du schnell laufen? Meinst du, sie sind noch da drinnen?“ Lilly wartete gespannt auf Emmas nächste Aktion. Bestimmt würden jetzt ein paar von ihren Klassenkameraden herausspringen und sich totlachen, dass sie auf den Spaß hereingefallen war. Emma ging zur Stalltür und öffnete sie. „Sultan, bist du da?“ Sie bekam zwar keine Antwort, aber dafür hörte sie ein leises Schnaufen. „Hallo, keiner da? Schlaft ihr noch?“
Lilly folgte ihr und hielt sich an Emmas Shirt fest. Es war ihr nicht ganz wohl bei dem Gedanken, eventuell gleich wilden Pferden gegenüberzustehen. Neben ihnen raschelte es im Stroh. „Emma, hilf mir, da ist etwas im Stroh. Vielleicht kann es ja beißen.“ Emma hatte die Faxen dicke. Sie ging zurück und öffnete die Tür. Tageslicht erhellte nun den Stall und gab den Blick auf fünf schlafende Pferde frei. „Aufstehen ihr Langschläfer!“, rief sie und ging zu Sultan. „Hallo!“
„He?“, nuschelte er. „Was ist los? Wo bin ich?“ Er hob den Kopf und guckte sich verschlafen um. „Oh, man, wir haben verschlafen.“ Mühsam kroch er aus dem warmen Stroh und schüttelte die schwarze Mähne. „Aufstehen, die Nacht ist vorbei.“ Samira streckte sich, Melchior drehte sich noch einmal auf die andere Seite und Baron rührte sich gar nicht. Nur Quasselstrippe trabte lustig, munter auf Emma zu. „Na du“, sagte sie freundlich. „Schön, dass du uns geweckt hast. Ist das deine Freundin Lilly? Ach, wenn ich dir erzähle, was wir erlebt haben, dass glaubst du nicht. Die Seehexe hat sich Paula geholt. Mama Mia und wir haben die schöne Geigerin spielen hören.“
Der Schwarze stöhnte. „Kannst du mal deinen Schnabel halten. Da bekomme ich Kopfschmerzen. Wie kann man nur am frühen Morgen, so viel erzählen?“ Dann trabte er zu Baron und stieß ihn sanft in die Seite. „Baron, aufstehen. Hallo, Sultan an Baron, es ist Mittag, die Sonne scheint und wir wollen auf die Weide.“ Barons dünne Beine fingen an zu zucken. „Er wird wach!“, rief Sultan warnend. „Alle in Deckung! Schnell raus hier!“ Samira, die noch ganz verschlafen im Stall gestanden hatte, drehte sich um und rannte wie der Wind auf die Weide. Quasselstrippe heftete sich an ihre Fersen und Melchior versteckte sich hinter der Stalltür. „Raus hier, schnell“, warnte Sultan, Emma. Dann gab er Gas und lief davon. „Was haben die, Emma?“, fragte Lilly und drehte sich zu Baron. „Ist er krank?“ „Ich weiß es nicht. Sultan hat gesagt, dass wir schnell hier rauslaufen sollen.“
„Hat er das?“, fragte Lilly grinsend. Baron, der jetzt ganz wach war, lächelte Emma an. Dann klappert er mit seinen Hufen und ein lauter, langer Pups fegte durch den Stall. „Igitt!“, riefen Lilly und Emma. „Das stinkt ja bis zum Himmel!“
„Deshalb sollten wir raus“, sagte Emma und hustete. „Da sind wir ja ganz schön reingefallen.“ Melchior der immer noch hinter der Stalltür stand, lachte und wieherte an einem Stück. „Das war Barons Morgenbrummer“, sagte er und schüttelte sich. „Jetzt hast du ihn auch genossen.“ Emma fand das gar nicht lustig und schimpfte. „Das war schrecklich“, antwortete sie empört. „Warum hast du uns nicht gewarnt?“ Melchior lachte immer noch. „Das hat Sultan doch, aber du hast ihn nicht verstanden.“ Lilly stieß Emma mit dem Ellenbogen. „Sag mal, hat das arme Pferd Schmerzen? Es wiehert die ganze Zeit. Das ist nicht normal.“
„Nein, Melchior hat keine Schmerzen“, antwortete Emma. „Er lacht, das ist alles. Willst du ihn etwas fragen?“ Lilly wurde rot. Sie wollte ja, aber was sollte sie fragen? Mit ja oder nein musste es zu beantworten sein. „Also Melchior, bist du ein Pferd?“ Melchior nickte. „Wow“, entfuhr es Lilly. „Und stimmt es, dass Sultan del Arabika fliegen kann?“ Melchior schüttelt nun brav seinen Kopf und schnauft laut aus.
„Und kann es sein, dass du deiner Freundin Emma nicht glaubst?“ hörte sie eine Stimme an ihrem Ohr. Lilly dreht sich um und fiel vor Schreck auf ihren Po. „Emma“, stotterte sie, „das Pferd spricht. Es spricht, es kann sprechen.“ Sultan ging ein paar Runden um Lilly herum. „Deshalb bist du doch mitgekommen, oder?“ Dann beschnüffelt er sie. „He, was soll das?!“, rief Lilly und stand mit wackelnden wieder Beinen auf. „Ich muss doch wissen, wie die Freundin von meiner Emma riecht“, antwortete er beleidigt. „Wenn du stinken würdest, dann wärst du eine falsche Schlange.“ Emma freut sich total, dass er sie seine Emma genannt hatte und gab ihm einen Nasenkuss. „Ich dachte, du wolltest Lilly erst warten lassen. Und nun zeigst du ihr doch, dass ihr reden könnt?“, flüsterte sie ihm zu und streichelte dabei sein Fell. Sultan legt seinen Kopf vorsichtig auf Emma Schulter. „So ein hin und her, ist doch blöd“, antwortete er verlegen. „Wenn sie deine beste Freundin ist, wird sie schon in Ordnung sein.“
„Danke Sultan. Ich habe dich so lieb“.
„Weißt du was?“, hauchte Sultan. „Ich dich auch. Komm, wir gehen auf die Weide und dann erzähle ich dir von unserem Ausflug.“ Lilly, die sich erst einmal von ihrem Schreck erholen musste, setzte sich auf einen Strohballen. „Sprechende Pferde, es gibt sie wirklich. Emma hat mich nicht veräppelt.“ Eine Hand legt sich auf ihre Schulter und Lilly schreckte zusammen. „Kannst du mir sagen, wo alle hin sind?“, fragte eine freundliche Männerstimme. Lilly drehte sich um und es verschlug ihr abermals die Sprache. Da stand doch wahrhaftig ein Mann mit den größten Ohren und längsten Zähnen der Welt hinter ihr. Das kann nur ein Gag sein, dachte Lilly und starrte Kalli verlegen an. „Hast du Angst vor mir?“, fragte Kalli. „Ich wollte dich nicht erschrecken. Aber du brauchst keine Angst haben, ich will dir nichts tun. Mein Name ist Kalli und ich suche meine Freunde“. Lilly konnte nicht anders. Sie zeigte einfach mit ihrem Zeigefinger in Richtung Weide. Kalli war es gewohnt, dass die Menschen sich erst einmal vor ihm erschreckten, und war Lilly nicht böse. „Wir sehen uns bestimmt noch“, sagte er freundlich und ging zur Weide. Lilly schlang die Arme um ihre Knie. „Das ist ein Abenteuer“, murmelte sie, „aber ich habe Angst. Was, wenn die Pferde und der Ohrenmann gefährlich sind? Ach Emma, warum hast du mich hier allein gelassen?“
Sultan del Arabika, Emma, Melchior, Samira, Baron und Quasselstrippe liefen nacheinander immer wieder über die Weide. Emma hatte es sich auf Sultans Rücken bequem gemacht und genoss den Ritt. „Ach, da ist ja auch Kalli!“, rief Samira und trabte zu ihm. „Na, Kalli, gut geschlafen?“ Kalli nickte glücklich. Es war also doch kein Traum gewesen, die Pferde konnten wirklich sprechen. Und wie sie mit ihm sprachen. So lieb und nett. Nicht wie Paula von oben herab und gehässig. Sein Herz machte einen Luftsprung. Er hatte echte Freunde gefunden. „Komm, Kalli“, forderte Samira ihn auf, „ich möchte dir Emma vorstellen. Kalli folgte der stolzen Samira mit einem mulmigen Gefühl. Er wollte nicht, dass noch ein Kind vor ihm erschrak. „Haltet mal an. Kalli ist auch wach und wir sollten ihm Emma vorstellen.“ Sultan del Arabika wurde langsamer und gesellte sich mit Emma auf dem Rücken zu Samira. „Guten Morgen, Kalli“, schnaufte er außer Atem. „Schön, dass du uns gefunden hast. Hier oben auf meinem alten Rücken, sitzt Emmchen von Meier.“ Emma, der dieser Name gar nicht gefiel, zog fest an Sultans Mähne. „Ich bin Emma“, stellte sie sich vor. „Und wer bist du?“ Erst hatte sie gestaunt, dass es Menschen gab, die so große Ohren hatten. Aber dann dachte sie, dass es schon einen Grund dafür geben würde und Lachen nicht angebracht war. „Mein Name ist Kalli und ich bin der Bruder von Paula. Aber die hat die Seehexe sich geholt.“ Quasselstrippe, Baron und Melchior hatten sich nun auch zu ihnen gesellt. „Na, alles klar?“, fragte Quasselstrippe. „Gut geschlafen im Heu?“ Kalli nickte zufrieden. „Sehr gut sogar.“ Emma hüpfte von Sultans Rücken. „Du musst Hunger haben“, stellte sie nach Oma Lenchen Manier fest. „Ich laufe schnell zu unserem Haus und hole dir etwas zu essen. Lilly lasse ich bei euch. Ihr müsst ihr die Angst nehmen, bitte.“ Sultan wieherte belustigt. „Um Lilly kümmere ich mich. Lauf du nur und besorge für unseren Kalli etwas zu essen. Und dann werden wir dir und Lilly alles erzählen.“
Emma wollte sich leise in die Küche schleichen, aber Oma Lenchen ertappte sie dabei. „Was schleichst du wie ein Dieb in die Küche?“, meckerte sie durch das offene Küchenfenster. „Ach man, Omi“, sagte Emma erschrocken. „Ich schleiche nicht, ich gehe. Wir brauchen ein wenig Proviant, denn ein paar Schulfreunde sind gekommen und ich dachte, es wäre doch prima, wenn wir ein Picknick machen würden.“
„Dann warte mal“, sagte Oma Lenchen und baute sich wie ein General vor ihr auf. „Das mache besser ich, bevor die Küche wie ein Schlachtfeld aussieht.“ Umsichtig packte sie einen Korb. Sie schmierte ein paar Brote, packte Bananen und Apfelsinen hinein, die restlichen Pfannkuchen vom Mittag und einige süße Sachen. „So, junge Dame, hier habt ihr noch zwei Flaschen Saft. Guten Appetit.“ Emma nahm ihre Oma in den Arm und drückte sie herzlich. „Danke Omi, du bist echt die Beste.“ Dann fegte sie wie ein Wirbelwind aus dem Haus.
Lilly hockte noch immer auf ihrem Strohballen, denn sie traute sich gar nichts mehr. Warum kam Emma nicht zu ihr? Sprechende Pferde und ein Mann mit riesigen Ohren. So etwas gab es doch nur in Fantasyfilmen oder Märchen. Bestimmt hatte sie hohes Fieber und lag träumend in ihrem Bett. „Hallo, Lilly“, hörte sie Sultans Stimme am Tor. „Nicht erschrecken, Kleine, ich tue dir nichts. Ich will nur mal nach dir sehen.“ Lilly kniff die Augen zusammen. „Du bist gar nicht da“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Ich träume nur. Und wenn ich meine Augen öffne, bist du verschwunden.“ 1-2-3, zählte sie und öffnete die Augen wieder. „Das hat nicht funktioniert“, stellte Sultan del Arabika fest. „Tröstet es dich, wenn ich dir sage, dass du nicht spinnst?“
„Aber wie kann das nur sein? Ich dachte Emma veräppelt mich und nun ist es doch wahr.“
„Darf ich zu dir kommen, Lilly?“, fragte Sultan vorsichtig. Als Lilly nickte, ging er langsam auf sie zu. „Magie, Lilly. Es ist nur Magie. Das ganze Leben besteht daraus. Eine schöne Blume ist Magie. Die Natur, das Leben, einfach alles. Wir Tiere spüren sie und leben mit ihr.“ Lilly stand auf und verschränkte die Arme. „Und warum nur ihr?“ Sultan del Arabika lachte. „Weil wir keine Videospiele spielen? Oder nie in eine Glotze schauen? Unser Bildschirm ist die Natur. Um uns ist die Welt. Wir müssen nirgendwo dringend hin. Darum sind unsere Gedanken frei für alles schöne.“ Lilly leuchtete das ein. „Dann spinne ich also nicht? Das ist alles echt?“
„Alles echt“, antwortete er. „Und wenn du jetzt mit mir kommst, erzählen wir euch, was wir erlebt haben“. Lilly tätschelte seine Brust. „Okay, gehen wir. Jetzt wird es langsam noch spannender, als es ohnehin schon ist.“
Während Lilly mit Sultan zu den anderen ging, musste die Seehexe Alexandra eine wichtige Entscheidung treffen.
c Monika Litschko
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.01.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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