Maike Opaska

Ausstieg Teil 2

In einer kleinen Ansiedlung traf ich Manuel, einen Wildhüter. Als Kind lebte er in Santiago, das war jene Zeit, als 1973 der Putsch kam. 
"Damals bestand ab 20 Uhr Ausgehverbot. Sein kleiner Bruder Pedro und er sollten Linsen und Bohnen verlesen bis sie einschliefen. Einmal war ihre Mutter um diese Zeit noch nicht zu Hause und so nahm Manuel seinen kleinen Bruder an die Hand um nach ihr zu suchen. Vor jedem Haus stand ein Soldat, die auf alles schossen was sich bewegte, also auch auf die beiden Kinder. Aber in jener Nacht konnten sich die beiden Kinder in Sicherheit bringen und blieben heil." erzählte er traurig. "Unser Stiefvater war ja interniert worden und dorten wurden die Menschen gefoltert. Man hörte sie schreien, man roch das Blut. Aber ich war so schmal, daß ich durch die Gitterstäbe kriechen konnte und das tat ich dann ja auch. Ich rief den Namen meines Stiefvaters, den Folterern war das ganz egal. Ich habe all diesse Hoffnungslosen gesehen, die sich selbst schon aufgegeben  hatten. Sie waren voller Schmerz, die Schreie gellten durch die  Luft." Manuel machte immer Pausen, weil diese Erinnerung so schrecklich war, daß er nicht weiter sprechen konnte.  Dann erzählte er mit tränenfeuchten Augen, daß er eine Mutter sah, der sie den Sohn entrissen und dessen Schreie sie dann hören musste hinter dem Paravent, in den sie gestossen wurde. Nach einer Weile kam der Folterer mit blutigen Händen  zu ihr und die Frau schrie "Ihr Schweine, "   Manuel hört es heute noch, sagte er dann traurig. Er lief damals von Zelle zu Zelle und rief " ist hier Antonio Cevaldes?" Und immer noch erinnert er sich an die stumpfen, angsterfüllten Augen der Häftlinge, denn es waren unauslöschliche Blicke.
Manuel erzählt mir auch, wie enttäuscht er als Kind von den Menschen war, dieser Hass, diese Blicke beiderseits, die der Folterer und die der Gefolterten. Er erzählte und es war, als würde er mich gar nicht mehr wahrnehmen.
"Aber Manuel, du bist dennoch geblieben in diesem Land, in dem diese Folterer teilweise noch leben?" sagte ich. Manuels Antwort hat mich verblüfft. "Ich wollte meinen Frieden machen, wollte mich verändern um Anderes zu verändern und dazu wollte ich  ganz unten anfangen. Bei der Kreatur, bei der Natur. Man wird immer mehr Teil dieser Erde, ich muß sie erhalten, muß das weitergeben. Ich lass nicht einen Avocadokern in der Natur zurück, damit da nicht auf unnatürliche Weise ein Baum entsteht und ich fertige Sachen aus Alpaka-Filz an und biete sie auf dem Markt an."
In Manuels Gesicht las ich eine große Sorge und ich fragte ihn, was ihn denn heute so sehr bewegt, denn sein Gesichtsausdruck sprach Bände. "Sieh mal, all die ökologischen Programme der Regierung mit nicht einheimischen Bäumen an, diese verdängen die einheimische Artenvielfalt.. So hat die Wildrose schon den Calafatistrauch vertrieben und auch die kugelrunde anspruchslose Dornenpflanze Naneo. Sie wird immer seltener und überall sprießen die Hagebutten. Wir verändern das ganze Gleichgewicht. Wir müssen Adler, Flamingo, den Kondor, Ibis bewahren. Rothirsch, Hase, Wildschwein, Fasan, das sind Tiere, die hier nicht heimisch sind. Sie wurden importiert, damit wir sie tot wieder exportieren können. Diese Arten haben keine Feinde, sie gefährden aber den Bestand der heimischen Tiere und das wird sich eines Tages verheerend auswirken.
Ich sehe täglich, wie das Gleichgewicht kippt."
Ich verstand Manuel sehr gut, und gab ihm zu bedenken, daß das Land vielleicht noch zu sehr mit dem politischen Chile der Vergangenheit beschäftigt sei und solche Fragen vielleicht als Luxusproblem ansehe.
Manuel lebt auf einer Farm, doch diese Farm war ein Lehmhaus mit Blechdach, vielleicht 3o m2 groß und ohne Strom. Der Kühlschrank ein kleiner Holzverschlag durch den der frische Wind weht. Manuel ist Selbstversorger und lebt dort mit seiner Frau Edita. Sie schlachten, kochen Marmelde, stellen Filzprodukte her und kaufen nur Dinge, die sie selbst nicht herstellen können. Manchmal sind sie lange unterwegs für ein paar Flaschen Bier oder für ein paar abgelegte Bücher aus einer Pension.
Ich lebte mit diesen beiden dieses Leben vier Wochen und ich habe dabei viel gelernt.
Nach diesen für mich interessanten Wochen brach ich auf, um von Chaiten in die Tiefen jener Einöden vorzudringen, deren Weiten der viel bereisten Südspitze des Kontinentés vorgelagert sind - unerschlossene Landstriche und bald schon verließ ich die festen Strassen und lernte die Landschaften zu lesen. Dünn  die Erdkrume, der Boden darunter spröde und vulkanisch. Die pyramidal aufragenden Gipfel, Felsnadeln, Schroffen, Tafelberge, geronnene Quader  und isolierte Kegel folgen aufeinander. Ich spürte die Dynamik einer Landschaft, die alles in Druck und Bewegung, Kompression, Effekt, Schwung und Fluss überträgt. Den Sound dazu komponiert das Wetter.

Fortsetzung wenn erwünscht


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.02.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Mittagsläuten von Maike Opaska



Weil ich das Verschwenderische des Lebens begriffen habe, die Extreme erkannte und über den Weg von einem zum anderen nachzudenken anfing, weil ich verstand wie elend es ist, wußte ich auch, wie schön es ist und weil ich erkannte, wie ernst es auch ist wußte ich auch wie fröhlich es ist.

Und weil ich begriff wie lang und wie kurz der Weg zwischen beiden ist, nahm ich ihn auch wahr und so ist mir heute jeder Schritt es wert eingehalten zu werden, weil hinter jedem Ereignis sich ein anderes verbirgt und sichtbar wird.

Und deshalb schrieb ich diesen Gedichtband.

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