Angie Pfeiffer

Die Kürbiskatze

„Was für ein Stress!“ Frustriert warf Anabella ihren Zauberstab in die Ecke und ließ sich auf das Küchensofa plumpsen. Ihre Mutter hatte den Haushalt immer mit einem Schwung ihres Zauberstabes und dem Murmeln einiger Zaubersprüche in Ordnung gehalten. Das war Anabella kinderleicht erschienen. Jetzt, wo sie allein lebte, stellte sie fest, dass es gar nicht so einfach war einen Haushalt zu führen. Jedenfalls schwerer, als sie es sich gedachte hatte. Alles dauerte furchtbar lange oder klappte nicht richtig. Der vertrackte Zauberstab machte einfach nicht das, was die kleine Hexe ihm befahl. Das war merkwürdig, denn als sie noch bei den Eltern gewohnt hatte, funktionierte er tadellos. Doch eigentlich hatte Anabella ihn dort nur benutzt, wenn sie ein Glas Saft wollte oder ein paar Kekse und zu faul war aufzustehen. Ein Tippen mit dem Zauberstab und schon hatte sie das Gewünschte vor sich stehen. Jetzt musste sie viel kompliziertere Zauber mit dem Stab ausführen. Das erwies sich als gar nicht so einfach.

Das Unglück hatte schon mit ihrem Haus angefangen. Eine Hexe, die das Elternhaus verlässt, muss sich nämlich ein eigenes Haus bauen und das ohne fremde Hilfe. An dieses Haus ist sie für immer gebunden, egal wie gut oder schlecht ihr der Zauber gelingt. Das ist die Prüfung dafür, dass sie in der Lage ist allein zu leben. Einen geeigneten Platz für ihr Haus hatte die kleine Hexe schnell gefunden. Auf einem Hügel, ganz in der Nähe der Behausung ihrer Eltern gab es einen wunderschönen Flecken, der, umgeben von blühenden Sträuchern, einfach ideal war. So machte sich Anabella mit Eifer daran, sich ihr Traumhaus zu zaubern. Doch irgendwie gelang der Zauberspruch nicht. Vielleicht lag das daran, dass die kleine Hexe mitten im schönsten Hauszauber Hunger bekam und an ihr Leibgericht denken musste.
Statt des erwarteten weißen Häuschens mit grünen Fensterläden und einer roten Tür stand plötzlich ein riesengroßer grüner Kürbis mit einem roten Dach und weißen Flecken vor ihr. Ihr eilig herbeigerufener Vater konnte den Zauber nicht mehr rückgängig machen. Es gelang ihm jedoch, den Riesenkürbis in ein ausgehöhltes, hölzernes Gebilde zu verwandeln. Zwar sah es immer noch aus wie ein Kürbis, doch wenigstens konnte Anabella sich vernünftige Fenster und eine stabile Tür herbeizaubern.
Von innen war der Kürbis recht geräumig, sodass die kleine Hexe ihre Möbel richtig gut unterbringen konnte, obwohl sie es ja mit runden Wänden zu tun hatte. Sie ließ sich durch diesen ersten Misserfolg nicht entmutigen und legte einen Garten an, in dem sie Kräuter, wie sie für jede anständige Hexe wichtig sind, anpflanzte. Doch auch ganz normales Gemüse fand einen Platz im neuen Garten. Unter Anderem gab es natürlich auch ein Kürbisbeet. Hier wirkte der Wachstumszauber hervorragend und gerade die Kürbisse entwickelten sich nach kurzer Zeit prächtig.

Das hungrige Knurren ihres Magens weckte Anabella aus ihren Gedanken. Nun gut, dem konnte abgeholfen werden, denn inzwischen waren die Kürbisse reif. Ein besonders pralles Exemplar hatte die kleine Hexe gerade am Morgen direkt aus dem Beet in die Küche gebracht. Eine schmackhafte Kürbissuppe wäre jetzt das Richtige. Doch um die lästige Küchenarbeit auszuführen, fehlte Anabella die Energie. Schließlich hatte sie heute schon bei dem Versuch, das Geschirr abzuwaschen eine Menge Scherben verursacht. Jetzt auch noch kochen - nein, das überforderte sie total. Also klaubte sie den Zauberstab aus der Ecke und richtete ihn auf den Kürbis. Ihre Mutter hatte ihr einen speziellen Zauberspruch beigebracht, der nützlich für das Putzen des Gemüses war. Ihn murmelte die kleine Hexe jetzt. Doch mittendrin huschte ein schwarzer Schatten an ihr vorbei. Sie verhaspelte sich, versuchte den Zauberspruch so korrekt wie möglich zu Ende zu bringen und wusste doch, dass sie irgendetwas falsch gemacht hatte.
„Oh nein, nicht schon wieder!“
Vorsichtig blinzelte Anabella, öffnete die vorsichtshalber zusammengekniffenen Augen schließlich ganz und schaute sich um. Auf den ersten Blick sah alles ganz normal aus. Doch was war das? Es schnurrte! Eindeutig! Zu allem Überfluss schienen die Schnurrgeräusche von dem Kürbis zu kommen, der immer noch harmlos auf dem Küchentisch lag. Jetzt bewegte sich das Gemüse, sprang behände vom Tisch und rieb sich an Anabellas Bein. Beim genaueren Hinsehen erkannte die kleine Hexe, dass der Kürbis vier schwarze Pfoten, einen Schwanz und ein Katzengesicht hatte.
„Lilly, da habe ich ja was Schönes angerichtet“, murmelte Anabella, denn sie erkannte die Katze ihrer Eltern wieder. Lilly besuchte sie von Zeit zu Zeit und schenkte ihr meistens eine Maus, die sie gerade gefangen hatte. Offensichtlich hatte das Tier sich unbemerkt in die Küche geschlichen. Es war Anabella zwischen den Zauber geraten, was zur Folge hatte, dass Katze und Kürbis untrennbar miteinander verbunden waren. Ja, zu einem Wesen zusammengefügt worden waren. Lilly war nun eine Katze mit dem Körper eines Kürbisses.

Den ganzen Nachmittag und Abend verbrachte Anabella damit, ihre Zauberbücher zu studieren. Irgendwie musste es doch möglich sein, den Zauber wieder rückgängig zu machen! Doch sie fand nicht ein einziges Beispiel, geschweige denn einen geeigneten Zauberspruch. Während die Kürbiskatze sich pudelwohl zu führen schien und gar nicht mehr aufhörte zu schnurren, war Anabella den Tränen nahe. Wie sollte sie ihren Eltern beibringen, dass die Katze jetzt eine Mischung aus Tier und Gemüse war. Schließlich rauchte der kleinen Hexe der Kopf vom Lesen in ihren Zauberbüchern. Sie beschloss, es für heute gut sein zu lassen. Im Übrigen hatte sie aus lauter Schreck vergessen etwas zu essen. So bereitete sie sich einen kleinen Nachtimbiss zu, den sie sich mit der neuen Hausgenossin teilte. Ihre Zauberkräfte setzte sie hierbei vorsichtshalber nicht ein. Anschließend legte sie sich ins Bett und war bald eingeschlafen.

Am nächsten Morgen wachte Anabella davon auf, dass jemand an ihre Haustür klopfte. Verschlafen rieb sie sich die Augen und hoffte insgeheim, dass sie nur geträumt hatte. Doch sie kam schnell auf den Boden der Tatsachen zurück, denn die Kürbiskatze hatte sich neben ihr zusammengerollt, soweit das bei ihrer neuen Körperform möglich war. Jetzt hob sie ebenso verschlafen den Kopf und schien Anabella anzugrinsen.
„Wenigstens habe ich dich nicht in einen Igel verzaubert“, murmelte Anabella schlaftrunken.
Wieder klopfte es, dieses Mal heftiger. „Du bleibst hier liegen und rührst dich nicht“, wisperte die kleine Hexe Lilly zu, während sie zur Tür eilte.
„Guten Morgen. Ich wollte mal bei dir nach dem Rechten schauen“, begrüßte Anabellas Mutter sie und betrat das Haus. „Sag mal, ich vermisse die Katze. Hat sie sich bei dir blicken lassen?“ Betreten schaute Anabella zum Bett, wo sich nichts rührte. Ihre Mutter folgte ihrem Blick. „Was macht der Kürbis auf dem Bett?“, fragte sie.
„Ähm, ja, ich wollte ihn gerade in die Küche bringen“, stotterte die kleine Hexe.
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Du bist heute wohl ein bisschen daneben. Weißt du was, ich koche uns ein schönes Kürbissüppchen, dann geht es dir gleich besser. Ich transportiere den Kürbis jetzt in die Küche und dabei zeige ich dir noch einmal den Gemüseputzzauber.“ Die Mutter hob ihren Zauberstab, aber Anabella fiel ihr in den Arm. „Ich habe wirklich keinen Hunger, Mama und überhaupt ... ich hasse Kürbissuppe! Ja, genau! Und ich werde alle Kürbisse aus meinem Garten verbannen! Das Haus ist mir schon kürbissig genug.“
Wieder schüttelte die Mutter den Kopf. „Kind, was ist denn...“, weiter kam sie nicht, denn Lilly regte sich. Sie sprang mit einem Ploppgeräusch vom Bett und strich Anabellas Mutter um die Beine, die dies mit vor Staunen offenem Mund geschehen ließ. Schließlich räusperte sie sich. „Was hast du jetzt schon wieder angestellt, du Unglückskind?“, fuhr sie ihre Tochter an.
„Ja also, eigentlich wollte ich mir eine Suppe kochen. Die Katze hat mich abgelenkt, gerade als ich den Zauber zum Gemüseputzen machte.“ Anabella zuckte hilflos mit den Schultern. „Du siehst, was dabei herausgekommen ist.“
„Ja, das sehe ich. Dann will ich mal versuchen den Schaden zu beheben.“ Gekonnt wirbelte die Mutter mit ihrem Zauberstab, was zur Folge hatte, dass die Kürbiskatze von Boden abhob, sich ein paar Mal überschlug und wieder auf dem Bett landete. Allerdings hatte sich an ihrem Äußeren nichts verändert. Noch einmal versuchte Anabellas Mutter ihr Glück. Wieder hob Lilly ab, drehte sich wie ein Kreisel und plumpste auf den Tisch, wo sie versuchte auf die Beine zu kommen. Doch schien ihr ganz furchtbar schwindelig zu sein, denn sie torkelte und wäre um ein Haar über die Tischkante gefallen.
„Donnerschlag und Funkelstein“, rief die Mutter genervt aus. „Du hast einen Zauber verwandt, den ich nicht auflösen kann. Das kannst du nur allein. Ich hoffe du findest bald heraus, was du falsch gemacht hast. Ich glaube ich sollte jetzt lieber gehen.“
„Na toll“, dachte Anabella, während sie hinter ihrer Mutter die Tür schloss. „Ich scheine ein Problem mit Kürbissen zu haben.“ Sie wandte sich Lilly zu, die sich von den Zauberaktionen der Mutter erholt zu haben schien. „Was meinst du?“
Dieses Mal grinste die Katze tatsächlich. „Was soll‘s“, schien sie sagen zu wollen. „Ich fühle mich ausgesprochen wohl.“
Die kleine Hexe ging in die Hocke und strich Lilly über die Nase. „Na dann. Irgendwie sind wir beide einmalig, was. Und jetzt mache ich uns ein ordentliches Frühstück. Aber ohne den Zauberstab - vorsichtshalber.“


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.02.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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