Heinz-Walter Hoetter

Manfreds Zettel

 

 

 

 

Das ist eine wahre Geschichte.

 

Vor einiger Zeit bekam ich eine E-Mail von einem alten Freund, der mit mir vor langer Zeit zusammen bei der Bundeswehr gedient hat und jetzt genauso alt war wie ich.

 

In seiner E-Mail an mich stand zu lesen, dass er meine Wohnadresse durch Zufall im Internet gefunden habe, dazu noch einige Bilder von mir, die ihn doch sehr erstaunt haben, wie gut ich mich eigentlich gehalten hätte all die vielen vergangenen Jahre, seit wir zusammen bei der Bundeswehr waren.

 

In ihm wurde plötzlich der Wunsch wach, mich alsbald mal treffen zu wollen, um über unsere damalige Freundschaft zu reden, damit wir in alten Erinnerungen schwelgen können, denn wir waren damals ja richtig dicke Freunde gewesen und haben zusammen viel erlebt.

 

Ich war natürlich ebenfalls daran interessiert, denn ich wollte Manfred wiedersehen.

 

So kam es dann dazu, dass wir einen Treffpunkt in einer wenig frequentierten Autobahnraststätte ausmachten, sozusagen auf halber Strecke, ganz in der Nähe von Stuttgart, wobei er mit einem VW-Bus kommen würde, den er erst vor kurzem komplett in einer Werkstatt überholen ließ, wofür er einiges an Geld locker machen musste. Er sei eben schon immer ein Autonarr gewesen und liebte diesen Oldtimer über alles, wie er sich ausdrückte.

 

Dann kam endlich der Tag, als wir uns trafen.

 

Manfred sah viel älter aus als ich, was mich in der Tat etwas schockierte. Wir standen einige Zeit wie zwei alte Veteranen vor unseren PKW's auf dem Autobahnparkplatz, begrüßten uns herzlich und wollten, weil es draußen sehr windig geworden war, so schnell wie möglich in die Raststätte gehen.

 

Drinnen suchten wir uns in der äußersten Ecke des Restaurants einen schönen Fensterplatz aus, bestellten etwas zu trinken und wollten am Anfang erst einmal in aller Ruhe über vergangene Zeiten sprechen.

 

So redeten wir über zwei Stunden ausdauernd und angeregt miteinander und tauschten alte Erinnerungen aus, aßen zwischendurch gut und tranken mehrere Schnaps miteinander.

Während wir uns unterhielten, wurde Manfred plötzlich redselig und hatte vor, mir eine alte Geschichte zu erzählen, die er nur mir anvertrauen wollte.

 

Ach Heinz, wie soll ich eigentlich anfangen? Wir beide sind ja schon einige Jahre in Rente und genießen unseren wohlverdienten Ruhestand. Aber ich muss dir einfach sagen, weil du immer ein guter Freund warst, dass ich ein Geheimnis mit mir herum trage, das ich nur dir gegenüber offenbaren möchte. Zu dir hatte ich schon immer Vertrauen.“

 

Dann fragte er mich, ob das für mich auch Ok wäre, wenn er von seiner kriminellen Vergangenheit erzählen würde.

 

Ich nickte instinktiv, weil ich Manfred nicht enttäuschen wollte. Aber irgendwie war jetzt auch mein Interesse geweckt, was ihn bedrückte.

 

Also fing er an.

 

Weist du, ich habe fünfzehn Jahre meines Lebens in einer Geldtransportfirma gearbeitet und meinen Job immer korrekt erledigt, bis zu jenem Tag, als mein Kollege mit dem Geldtransporter in ein abgelegenes Waldstück fuhr und drei Millionen D-Mark in seinen dort abgestellten PKW lud, der auf einer kleinen Lichtung stand. Alles war von ihm offenbar bis ins letzte Detail geplant worden, denn er wusste haargenau, was er tat. Das Geld befand sich in diesen üblich verwendeten Aluminiumkoffern, die bei derartigen Transporten verwendet werden. Er warf die Geldkoffer nacheinander in den Kofferraum seines Fahrzeuges, kam noch einmal kurz zurück und schlug mir mit einer kurzen Eisenstange, die er plötzlich in der Hand hielt, ein paar Mal damit heftig auf den Kopf, sodass ich zwei blutige Platzwunden davon trug. Dann sagte er, er hätte für mich einen Geldkoffer vergraben und gab mir einen Zettel, auf dem er die entsprechende Stelle klar und deutlich markiert hatte. Das wäre seine Wiedergutmachung wegen der notwendigen Verletzungen, die er mir beibringen musste, damit ich nicht als Komplize in Verdacht geraten oder gar verurteilt werden würde. Wir hätten ja immer gut zusammen gearbeitet, wie er sich ausdrückte. Dann verschwand er auf Nimmerwiedersehen. Ich glaube, er ist mit seinem Wagen ins Ausland abgehauen, irgendwo hin, wo er heute noch lebt. Er hatte zeitlich einen ziemlich großen Vorsprung und wurde nie gefasst, denn er war überaus raffiniert. Natürlich hat er das Funkgerät im Geldtransporter kaputt gemacht, und ich musste die ganze Strecke zu Fuß, etwa drei oder vier Kilometer, zurück laufen, bis mich endlich ein Autofahrer zur Polizei fahren konnte, wo ich den Vorfall meldete. Es kam zu einer riesigen Fahndung nach meinem Ex-Kollegen, der aber zu dieser Zeit wahrscheinlich schon über alle Berge war. Wie gesagt, er wurde nie geschnappt. Mich hat man die ganze Zeit so richtig durch die Mangel genommen, weil ich anfangs der Mittäterschaft beschuldigt wurde. Aber sie konnten mir nichts in die Schuhe schieben, auch deshalb nicht, weil ich ja von der ganzen Geschichte überhaupt keine Ahnung gehabt habe. Mein Kumpel hatte mich ja nicht eingeweiht. Somit war ich kein Mittäter. Aber ich besaß ja noch diesen Zettel, den ich den Ermittlungsbeamten verschwieg und bis heute aufbewahrt habe. Schau! Hier ist er, Heinz.“

 

Ich war total verblüfft, als Manfred mir den schon etwas vergilbten Zettel auf den Tisch legte. Ich sah ihn mir gleich etwas näher an. Zwei Ortschaften waren da eingetragen, die sich in der Nähe eines kleinen Sees befanden, den ich eigentlich sehr gut kannte, weil ich da schon öfters vorbei gefahren bin. Die Örtlichkeiten waren mir also nicht unbekannt.

 

Ich hielt den Zettel noch eine Weile in der Hand und fragte Manfred, der mich jetzt interessiert anschaute, ob er den markierten Ort vielleicht schon mal besucht hat.

 

Ja, das habe ich bereits öfters in meinem zurück liegenden Leben getan. Immer als Spaziergänger getarnt. Aber das Geld habe ich nie an der markierten Stelle gefunden. Heute denke ich, dass mich mein damaliger Kollege an der Nase herum geführt hat, dieser üble Gauner.“

 

Schon möglich, Manfred. Aber vielleicht solltest du intensiver vorgehen, zum Beispiel mit einem Metalldetektor. Die Dinger sind echt gut, wie ich weiß.“

 

Ach was, Heinz. Mein Arzt hat übrigens festgestellt, dass ich verengte Arterien habe, wegen meines Rauchens, meinte er. Ich habe keine Lust mehr, nach dem Geld zu suchen. Ich schenke dir den Zettel und hoffe, dass du vielleicht den blöden Geldkoffer findest. Wenn ja, kannst du mir dann vielleicht ein bisschen davon abgeben. Die Banken nehmen heute noch D-Mark an, wie mir bekannt ist.“

 

Mal sehen, Manfred. Im Übrigen würde mich bestimmt keiner verdächtigen, wenn ich da in der besagten Gegend mit einem Metalldetektor herum laufe und nach dem Geldkoffer suche. Außerdem wollte ich mir schon immer so ein Gerät zulegen, weil das Suchen nach verborgenen Schätzen irgendwie sehr spannend ist.“

 

Dann ist ja alles in Butter, meine alter Freund. Wir bleiben dann wohl in Verbindung, wie ich denke. Ich würde mich sehr freuen, wenn du mich mal besuchen kommst. Du weist ja, wo ich wohne. Mein kleines Häuschen steht am Ende der Straße. Ich habe auch ein Bild dabei, das ich dir gerne überlassen würde. Ich stehe dort mit meiner Frau in unserem schönen Garten. Schau mal, da sind wir. Im Hintergrund steht unser Häuschen. Ist das nicht hübsch?“

 

Ich nickte zustimmend mit dem Kopf.

 

Sobald ich es einrichten kann, komme ich zu dir, Manfred. Ich verspreche es hoch und heilig.“

 

War schön, wieder mal mit dir zusammen gewesen zu sein. Die alten Zeiten haben wir wieder so richtig aufleben lassen, was? Du warst übrigens einer der besten Unteroffiziere, die ich beim Bund kennen gelernt habe. Eben ein richtiger Kumpel.“

 

Manfred und ich saßen noch lange in der Raststätte und sprachen angeregt miteinander. Draußen wurde es schon langsam dunkel, als wir uns herzlich verabschiedeten. Dann ging jeder wieder seine eigenen Wege. Noch einmal hupten wir uns gegenseitig zu, als er mit seinem VW-Bus an mir auf dem Parkplatz vorbei fuhr. Dann verschwand er hinter einer langgestreckten Kurve Richtung Stuttgarter Autobahn.

 

Vier Wochen nach unserem Treffen erhielt ich eine E-Mail von Manfreds Frau mit der erschreckenden Nachricht, dass ihr Mann einen schlimmen Gehirnschlag bekommen hat und mit dem Kopf in der Küche auf den harten Fliesenboden aufgeschlagen war. Die Ärzte tun zwar alles, um ihn wieder hinzubekommen, aber Manfred wird wohl nie wieder so werden wie zuvor, weil sein Gehirn zu stark beschädigt worden ist. Er kann auch nicht mehr richtig sprechen, schrieb sie mir in der E-Mail.

 

Tja, was soll ich dazu sagen? So ist das Leben. Alles geht manchmal ganz schnell und das einzige was bleibt, sind die Erinnerungen.

 

Als ich gestern den vergilbten Zettel aus der Manteltasche zog und in der Hand hielt, bin ich runter zur Amper, die durch unsere Stadt fließt, und habe ihn ohne zu zögern von der kleinen Brücke, die Silbersteg heißt, dort einfach ins vorbei fließende Wasser geworfen. Ich wollte damit nichts mehr zu tun haben, war mein einziger Gedanke. Noch eine ganze Weile habe ich dem Zettel auf dem Wasser hinterher geschaut, bis er von den Fluten geschluckt wurde und verschwand.

 

Als ich nach Hause kam und meinen Computer einschaltete, habe ich in meinem E-Mail Postfach reingeschaut, was ich immer als erstes mache.

 

Mir fiel sofort die Nachricht von Manfreds Frau auf, die eine bittere Mitteilung über ihren geliebten Mann enthielt.

 

Manfred sei vor knapp zwei Stunden friedlich auf der Intensivstation des städtischen Krankenhauses für immer eingeschlafen.

 

 

ENDE

 

 

(c)Heinz-Walter Hoetter

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.02.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Mit dem Schreiben und Dichten, ist das so eine Sache.So war ich oft der Meinung, nur lyrisch Schreiben zu können, falls ich mich in einem annähernd, seelischen Gleichgewicht befände, erkannte aber bald die Unrichtigkeit dieser Hypothese.Wichtig allein, war der Mut des Eintauchens.Das Eins werden mit dem kollektiven Fluss des Ganzen. Meine Gedanken, zärtlich zu Papier gebrachten Gefühle,schöpfte ich stets aus diesem Fluss.

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