Angie Pfeiffer

Ich bringe ihn um ...

„Er ist erledigt!“
Erstaunt blickte ich auf den Telefonhörer, dabei konnte ich meine Freundin darin doch gar nicht sehen. „Wie meinst du das bitte?“, fragte ich vorsichtig.„Wie ich das sage. Ich bringe ihn um!“
Wen sie meinte, musste ich sie gar nicht erst fragen, das wusste ich auch so. „Was hat er gemacht?“
„Er hat ein neues Betriebssystem auf meinem Tablett installiert. Jetzt ist alles weg! Alles, kannst du dir das vorstellen?“
„Aber du hast deine Daten doch bestimmt gesichert?“
„Pah!!!“ Tatsächlich wurde meine Anne noch lauter. Sie klang jetzt wie ein Düsenjet. Also von der Lautstärke her, nicht von den schnaubenden Geräuschen, die sie produzierte. Die klangen eher wie ein in Rage geratener drei Meter großer Muffeltroll. „ER HAT SO’N NEUES TEIL DAFÜR GEKAUFT UND WOLLTE DIE DATEN SICHERN“, röhrte sie. „Aber das hat er vergessen. Jetzt ist alles futsch – weg – im Orbit verschwunden. Ich werde ihn …“ Ich hielt den Hörer einen halben Meter weit von meinem Ohr weg, weil ich einen plötzlichen Gehörsturz durch Geräuschüberflutung vermeiden wollte und gab beruhigende Geräusche von mir. Das hatte ich nicht mehr gemacht, seit mein Jüngster aus dem Gröbsten, sprich den Windeln raus war. Während meine Freundin weiter keifte, überlegte ich.
Was war nur passiert?
Sie und Winston waren immer das Traum/Vorzeigepaar schlechthin gewesen. Wie oft hatte Anne mir erzählt, dass sie in einer ‚gut ausbalancierten Beziehung‘ lebe? Und ein bisschen hatte ich sie immer darum beneidet. Nie gab es einen nennenswerten Streit zwischen den beiden. Sie schienen unnatürlich harmoniesüchtig zu sein. Selbst mit ihren Zwillingen blieb ihnen der schlimmste Pubertätshorror erspart.
Anne arbeitete freiberuflich, erledigte zwar 90 % der Hausarbeit, aber das schien für sie völlig in Ordnung zu sein. „Während Winston in seinem stressigen Job unterwegs ist, bin ich die meiste Zeit zu Hause“, klärte sie mich auf. „Wenn er möchte, dass ich ihn auf einen langweiligen Geschäftstrip begleite, dann kann ich sagen, dass ich einen wichtigen Auftrag habe. Das merkt er gar nicht. Im Gegenzug habe ich schon so manchen ätzenden Auftrag abgewimmelt, weil ich mich ja um die Familie kümmern muss.“ Freiraum schien in dieser Beziehung das Zauberwort zu sein.
Alles änderte sich, als Winston Rentner wurde. Zunächst bestand er darauf, die Hausarbeit fifty-fifty aufzuteilen. Allerdings hatte er eine komplett andere Zeiteinteilung als Anne. Während sie es gewohnt war, den Haushalt so schnell wie möglich in Schuss zu kriegen, bestand Winston darauf, erst einmal auszuschlafen. „Schließlich bin ich lange genug früh aufgestanden.“
„Stell dir vor: er fängt am späten Vormittag an, sich das Frühstücksmüsli selbst zu schroten“, erzählte mir meine Freundin damals noch leicht genervt. Winston war gerade Rentner geworden. „Erst mal produziert er eine Riesensauerei in der Küche und dann schmeckt das Zeug wie zerkrümelter Taubenmist.“ Anne schüttelte sich. „Er wird sich schon wieder einkriegen“, versuchte ich die Wogen zu glätten. „Vielleicht kann er Sport treiben. Dann ist er ordentlich ausgepowert und nervt weniger.“ Anne setzte sich kerzengerade auf. „Klasse Idee. Habe ich ihm auch vorgeschlagen. Jetzt quengelt er herum, wenn ich nicht mit ihm zum Joggen gehen. Dabei besuche ich seit Jahren abends meinen Fitnessclub. Am Nachmittag wartet er dann mit Kuchen im Wohnzimmer, obwohl ich dann höchstens einen Joghurt esse.“ So schnell wollte ich mit meiner Partnerberatung nicht aufgeben. „Vielleicht kann er sich ein schönes Hobby anschaffen“, schlug ich vor. „Hat er. Sein neuestes schönes Hobby ist es, Preise zu vergleichen. Aber nicht die für ein neues Auto oder so. Nein! Er studiert sämtliche Angebote der örtlichen Discounter und erklärt mir anschließend, wo ich welchen Artikel günstiger bekomme. Als er neulich meinte, dass es zweilagiges Toilettenpapier auch tut, weil das billiger ist, bin ich total ausgerastet. Das war gut, weil er beleidigt war und mir für eine Weile aus dem Weg gegangen ist.“
„Na ja, aber ihn ständig zu beleidigen, damit er Ruhe gibt, ist jetzt auch nicht so die Lösung“, wandte ich ein. Anne seufzte tief. „Stimmt. Ich fühle mich im Moment wie der Hase mit dem Igel. Wohin ich auch komme, Winston ist schon da …“

Anne hatte aufgehört zu schreien. Erleichtert hielt ich den Telefonhörer wieder ans Ohr. „Aber er lebt noch?“, stellte ich sicher.
„Na ja, schon. Ich habe ihn zum Einkaufen geschickt. Hoffentlich bleibt er schön lange weg. Dann habe ich mich auch beruhigt.“
Das hörte sich schon nicht mehr so blutrünstig an. Ich lachte. „Gib es zu, im Grunde deines Herzens liebst du ihn noch … ein ganz kleines bisschen.“
„Zugegeben“, seufzte meine Freundin. „Ich verstehe ja auch, dass er, wo er nicht mehr darüber entscheidet, ob er Kredite an große Firmen vergibt, wenigstens entscheiden möchte, ob der Blumenkohl einsfünfundneunzig oder zwei Euro vierzig kosten soll. Aber trotzdem nervt er enorm.“

Nach dieser Unterhaltung hörte ich längere Zeit nichts mehr von Anne. Ich begann mir Sorgen zu machen. Ob sie Winston vielleicht doch umgebracht und in einer Kiste in ihrem Kleiderschrank versteckt hatte? Oder in der Kühltruhe im Keller? Zum Glück waren meine Befürchtungen unbegründet. Neulich ist mir meine Freundin begegnet. Sie sah aus wie das blühende Leben. Erschüttert musterte ich sie. „Dir geht es gut, nicht wahr! Ist zwischen Winston und dir wieder alles in Butter? Hat er wieder angefangen zu arbeiten, oder was?“
„Das nicht“, strahlte meine Freundin mich an. „Aber es ist ein Glücksfall eingetreten. Mein Onkel Alfons ist gestorben und hat uns seinen Schrebergarten vermacht.“
„Oh, mein Beileid“, stammelte ich. Ich verstand nicht ganz, was Anne daran so lustig fand. Sie grinste nämlich immer noch wie ein Honigkuchenpferd. „Stell dir vor, Winston ist sofort in den Vorstand gewählt worden. Er ist jetzt sehr aktiv dabei und hat kaum noch Zeit, um sich um den Haushalt oder so zu kümmern.“ Jetzt verstand ich und hatte eine spontane Idee: „Sag mal, kann er uns dann nicht helfen, an einen netten Schrebergarten in der Anlage zu kommen?“ Anne stutzte. „Wie jetzt, ihr habt doch einen Garten am Haus.“
„Na ja, das schon. Trotzdem - mein Alan geht im nächsten Frühjahr in Rente. Einen Spanischkurs habe ich ihm schon gebucht, aber sicher ist sicher …“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.02.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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