Klaus Mattes

St. Bernhard verwirrt Kurt Hofmann (Gespräche mit Thomas B.)

 

Thomas Bernhard soll ja öffentlichkeitsscheu gewesen sein und seine Landsleute ziemlich verachtet haben. Da ist dann schon erstaunlich, wie oft und wie lang er sich mit Krista Fleischmann und mit Kurt Hofmann, also dem ORF-Radio und -Fernsehen unterhalten und dabei filmen lassen hat. Die zwei Journalisten einte, dass sie den Egozentriker frei herumkaspern, raunzen und mosern ließen. Keck, geradezu unhöflich kurvte er an ihren sorgfältig ausgearbeiteten Fragen vorbei, um direkt mit den Gefühlen und der Unterhaltungslust der von ihm gemutmaßten Hörer und Zuschauer spielen zu können. Liest man die Interviews aus den siebziger und achtziger Jahren heute im Taschenbuch noch mal, so scheint, als habe sich der Autor den kulturinteressierten Österreicher als geistig etwas grobschlächtige, dem Populismus zugeneigte Figur vorgestellt. Den Interviewern, egal ob weiblich oder männlich, geht er derweil schmeichelnd um den Bart, flirtet sogar a bisserl.

 

Das ist doch ein fürchterlicher Blödsinn. Zwischenmenschliche Beziehung. Ich glaube, das ist von Mensch zu Mensch. Also so kitschig wäre das. Das ist doch ganz normal, darüber braucht man doch gar nicht reden, weil das jeder weiß, wie er da ist und tut. Und da es Millionen Frauen gibt, hätte man, wenn man ihnen begegnen würde, ein anderes Verhältnis und ein anderes Gefühl.“
Und die Sexualität?“
Das spielt ja bei jedem Mensch eine ungeheure Rolle, gleich, wie er sie ausspielt.“
Was sagen Sie zu Freuds These, künstlerische Kreativität stamme aus der Sublimierung des Sexualtriebes?“
Das ist ein völlig verschrobener Satz, und der Freud war selber verschroben. Er war ein mittelmäßiger Schriftsteller und hat halt was in Gang gesetzt.“

 

Aus all den Abschweifungen und den gekonnten, aber nicht gerade klaren Antworten ließ Kurt Hofmann vom Salzburger Landesstudio für die Buchfassung die meisten seiner ursprünglichen Fragesätze dann einfach draußen. Das kommt Bernhards monologisierendem Redefluss entgegen und macht aus ihm eine weitere seiner in ihre Ich-Einsamkeit verrannten Theater-Männer. Die Stelle oben kommt im letzten Gespräch des kleinen Bandes, für das Hofmann den doppelbödigen Titel „Ich bin nur mehr kurz da“ gewählt hat. Hier sind die Fragen sichtbar, sonst aber nicht. (Man begreift, die Frage ging dahin, ob Thomas Bernhard das Thema Sexualität tatsächlich meide in seinem Leben und entsprechend keine Fragen dazu beantworte. Was er dann auch nicht tat. Er sagt, es wissen ja eh alle schon alles.)

Auf dem Umschlag vom dtv-Taschenbuch sieht man, dass Kurt Hofmann, den es zusammen mit Bernhard im Hof seines Vierkanters zeigt, Mitte der achtziger Jahre ein fescher Bursch gewesen war. Lodenanzug, schlanke Figur, knochiges Gesicht, volles blondes Haar, Knabenbärtchen. Dieser Fragensteller hatte, gewitzt durch Hinweise, dass der eigensinnige Künstler auch bei vereinbarten Terminen schon mal eben vom Erdboden verschluckt sein konnte, indem er mit seinen drei Häusern spielte, oder einfach nicht aufmachte, wenn jemand klingelte, einiger Beharrlichkeit bedurft und mehrere Tage hintereinander vorfahren müssen. Schließlich hatte er auch noch einen Vorhang sich bewegen sehen, bevor Bernhard Zeit für ihn fand. Gefreut auf das Interview hatte Bernhard sich also eher nicht. Im Gespräch wird er dann aber warm und ruft dem Radiomenschen hinterher: „Und kommen Sie ruhig wieder her, wenn Sie in der Nähe sind.“ Allzu viel Zeit solle er sich damit aber nicht lassen, denn, siehe Titel: „Ich bin nur mehr kurz da.“

Wie man mittlerweile aus der Publikation des Briefwechsels mit Siegfried Unseld erfahren hat, konnte Thomas Bernhard seinen bevorstehenden Tod viele Monate vorher bereits absehen. Und er verbrachte die letzten Jahre nach dem Hinscheiden seiner Vertrauten Hedwig Stavianicek in deren Wohnung in Wien, wo dazumal auch mehrere wichtige Bernhard-Premieren unter der Intendanz von Claus Peymann am Burgtheater anstanden, oder, vor allem die Winter, in wärmeren und trockenen Regionen wie etwa Madeira. Wenn er Hofmann also einlädt, bald wieder vorbeizukommen, dann hat der Besucher es wahrscheinlich auf solche Gründe zurückgeführt. Hinterher muss ihm aufgegangen sein, dass der schwarzhumorige Bernhard sich womöglich Endgültigeres vorgestellt hatte. „Ich bin nur mehr kurz da.“

Wer sich in Bernhards Leben und Wirken noch nicht so gut auskennt und für rasche und leicht lesbare Abhilfe sorgen möchte, der wird zu Titeln der Reihen Rowohlts Monographie, Suhrkamps BasisBiographie oder dtv Portrait greifen. Die Hofmann-Gespräche im dtv-Taschenbuch sollte lesen, wer dem Meister als virtuos blödelnden Alleinunterhalter begegnen möchte. Über Jahrzehnte haben die unterschiedlichsten Zeugen vermerkt, dass er dafür sehr begabt gewesen sei.

(Kurt Hofmann: Aus Gesprächen mit Thomas Bernhard, 1991, 151 Seiten, nur noch antiquarisch lieferbar, dafür im Internet ganz billig zu haben)


 

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