Adrian Braissant

Ein kauziges Schloss

Durch rasende Wolken liess das Mondlicht silberne Schatten verstohlen über die verwitterte Fassade huschen. Später peitschte der auffrischende Wind Wellen riesiger Regentropfen gegen das Gemäuer. Eine stürmische Nacht war hereingebrochen. Mit grossen, leuchtendgelben Augen registrierte der kleine Uhu die kleinste Bewegung unten im gepflegten Schlosshof. Obwohl er noch kaum grösser war als ein ausgewachsenes Eichhörnchen, und daher fast ausschliesslich aus diesen grossen Augen bestand, wollte er beweisen, dass er ganz gut allein zurechtkam. Doch am allermeisten trieb ihn dieser nagende Hunger an. Ein loser Fensterladen klatschte an die Wand. Wenig später löste ein Windstoss einen gebrochenen Dachziegel. Unter schabendem Klirren schlitterte er der Kehle entlang über die Traufe in die Rinne, wo er schliesslich hängen blieb. Die Augen des kleinen Uhus stachen in die Richtung und weiteten sich. Im Innern der oberhalb gelegenen Fledermausgaube flüchtete etwas. Seine Krallen umkrampften den nassen Ast, während er sich langsam vor beugte. Warum bloss hatte er nie dahin geschaut? Im Mantel der nächsten Böe glitt der kleine Uhu durch die Nacht, direkt in die Gaube. Unbeachtet, lautlos fand er behend im Dachstuhl einen geeigneten Hochstand. Von da eröffnete sich ein weites Feld. Halb mit Laken bedeckte Schränke, Tische und antike Kommoden reihten sich neben ausgefransten Holz- und Kartonkisten. Spinnweben dehnten sich unter stürmischer Zugluft zwischen Balkenlagen. Regen prasselte auf rohe Ziegel. Der kleine Uhu plusterte sich nahezu geräuschlos. Hier würde er gern bleiben. Ein idealer Unterschlupf. Jetzt musste er nur abwarten, sich still verhalten. Die Mäuse würden sich bald zeigen. Er war überzeugt, dass es so war. Zu deutlich, die Spuren im Staub. Krachend schlug der Fensterladen abermals gegen das Gemäuer. Aufgeschreckt preschte ein Wesen panisch in Richtung Unterschlupf. Grimmig entschlossen spreizte der kleine Uhu die Flügel, stach hinab und packte zu. Ein verhaltenes Fiepen, dann schlug der Uhu hart auf den Dielenboden auf. Ziemlich benommen richtete er sich umgehend auf. Er hatte jäh verloren. Doch plötzlich griffen ihn zwei riesige Pfoten. Scharfe Krallen durchbohrten gnadenlos sein dichtes Gefieder. Einen gellen Schrei ausstossend, hackte der kleine Uhu mit scharfem Schnabel wild um sich. Viel Staub, Flaum und einige Federn wirbelten herum, dann bannten ihn grosse, grüngelbe Augen. Alle Bewegung erstarrte. Der kleine Uhu - in Todesangst – riss seine Augenlieder weit auf. Ein entsetztes Fauchen fuhr ihm abrupt entgegen. Der eiserne Griff löste sich. Unbändig verstobenen zwei grosse Augenlichter in die Dämmerung wechselnder Schatten. Arg zerzaust flatterte der kleine Uhu hinauf in die Balken. Verstört und bis tief ins Mark verängstigt, stürzten wenig später ebenbürtige Gegner durch die Fledermausgaube hinaus in strömenden Regen - eine junge Katze und ein kleiner Uhu. Keiner wollte mehr bleiben, im unheilvollen Spuk alter Gemäuer.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.02.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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