Adrian Braissant

Delta: 2. John Collins

Am nächsten Morgen, es war gerade hell, standen Herr Roth und Andy in Zweisimmen auf dem Bahnsteig und warteten auf den Zug nach Spiez. Von Herrn Roth hatte Andy erfahren, daß sie dort umsteigen mußten und zwar in den Zug nach Bem.

Zweisimmen selbst hatte keinen großen Bahnhof. Dennoch roch es da nach jener besonderen Mischung aus konserviertem Bahnschwellenholz und warmem Öl, so daß in Andy großes Fernweh aufflammte.

Vieles ging ihm in diesen Minuten durch den Kopf. Am allermeisten beschäftigte ihn jedoch, daß er Murrli nicht mehr hatte auf Wiedersehen sagen können. Er hatte sie so gesucht, sie aber nirgends gefunden. Na ja, Marie hatte ihm dafür fest versprochen, sie für ihn jeden Tag lieb zu streicheln.

Schweigend stand Andy neben Herrn Roth, wischte mit der Schuhspitze in eine Pfütze und beobachtete, wie sich die aufgewirbelte Erdwolke langsam wieder senkte. Es war ausgesprochen ruhig an diesem Dienstagmorgen. Niemand schien verreisen zu wollen, der Bahnsteig war leer.

Die Stationsglocken klirrten abwechselnd in hohem und tiefem Ton, dann rauschte der Zug ein und bremste schnaubend. Ein Postbeamter eilte mit einem Handwagen zum Gepäckwagen und übergab zwei Postsäcke.

"Komm, wir müssen einsteigen", mahnte Herr Roth und ging vor. Andy schleppte seinen kleinen Reisekoffer zum Wagen und wartete ordentlich, bis Herr Roth eingestiegen war.

"Bitte einsteigen und die Türen schließen..." quakte der Lautsprecher monoton.

Andy folgte Herrn Roth ins Zweite-Klasse-Abteil zu den Rauchern. Herr Roth würde seine Pfeife rauchen wollen, dachte er und setzte sich auf die mit dunkelrotem Kunststoffpolster bezogene Bank.

Die Luft war nicht stickig, das Abteil fast leer und das Wichtigste: Er saß am Fenster. Was konnte da noch schiefgehen?

Der Zug rollte an und beschleunigte ruckartig. Andy sah gespannt aus dem Fenster. Die Stützbalken der Bahnsteigüberdachung huschten vorbei wie Zaunpfosten. Die Stationsglocke bimmelte aufgeregt und entfernte sich rasch. Jetzt konnte sie niemand mehr aufhalten, die Reise hatte begonnen.

Wie ein Tausendfüßler wand sich der Zug durch ein enges Joch, machte eine sanfte Biegung und verschwand bald darauf in einem Tunnel. Das Licht ging an. Andy sah schräg gegenüber eine alte Frau sitzen. Er konnte beobachten, wie sie mit zittrigen Händen in ihrem, mit einem rot-weiß karierten Tuch abgedeckten, Einkaufskorb herumwühlte. Mühsam, und, wie ihm schien, auch ziemlich umständlich, zog sie dann ein Stück Bauernbrot hervor und steckte es in den Mund. Geduldig begann sie, an der Rinde zu kauen wie an einem Stück Leder. Andy vermutete, daß die Alte wohl keine Zähne mehr hatte, denn ihr Unterkiefer berührte beim Kauen beinahe die Nasenspitze.

Das Licht verlosch und Andy sah wieder aus dem Fenster. Zarte Nebelschwaden hoben sich aus dem Flußbett der Simme und krochen in hauchdünnen Fetzen über die Wiese. Ein Hund bellte, wütend an der Kette zerrend, den vorbeizischenden Zug an.

In Spiez auf dem Bahnhof herrschte reges Treiben. Doch die Zeit zum Umsteigen war zu knapp, um sich lange umzuschauen. Im Zug nach Bern gab es dann fast keine freien Plätze mehr. So mußte Andy die Bank mit einer dicken Dame und ihrem verhätschelten Pudel teilen. Herr Roth saß gegenüber neben einem Studenten, der wohl seine Aufgaben nachzuholen hatte. Er schrieb ohne einmal aufzusehen irgendwelche Formeln auf ein Stück Papier, strich sie nervös wieder durch, um von Neuem zu beginnen.

"Magst Du Tiere?" fragte die Dame plötzlich. "Ja", antwortete Andy spontan.

"Möchtest Du Romeo gern streicheln?" "Wie hat er es denn gern?"

"Am Kopf. Siehst du, so", sagte die Dame, ergriff seine Hand und führte sie.

Romeo zitterte.

"Ist Romeo kalt?" fragte Andy erstaunt.

"Er ist nur aufgeregt", erklärte die Dame.

Der Student neben Herrn Roth grinste breit, und das schien die Dame sehr zu ärgern. Jedenfalls stand sie auf und ging mit Romeo im Arm weg. Zur blieb der kräftige Duft ihres Parfums. Die Dame kam nicht mehr wieder.

Die Zeit raste. Andy hatte sich gerade eben an das Abteil und die vielen Leute gewöhnt, als Herr Roth am ausgeklappten Aschenbecher seine Pfeife ausklopfte und sagte: "Nimm deinen Mantel. Mach' dich fertig, bald müssen wir aussteigen."

"Ist das Bern?" fragte Andy erstaunt. "Ja", antwortete Herr Roth und holte beide Koffer vom Gepäckständer herunter. "Her müssen wir das letzte Mal umsteigen."

"Dann fährt der nächste Zug bis über die Grenze und hinein nach München?"

"Ja, genau", bestätigte Herr Roth ungeduldig und stand schon im Mantel, während Andy noch zögerte.

Die Häusermassen verdichteten sich zusehends. Rumpelnd holperten die Wagen über eine Vielzahl von Weichen und schwankten ächzend hin und her. Die Gleise verzweigten sich wie die Adern in einem Ahorn- blatt. Andy beobachtete die vielen flackernden Ampeln und Signallampen ringsherum und bewunderte die großen Lokomotiven, die wartend vor den Depots standen.

Der Zug fuhr tosend in den Bahnhof ein. Der Bahnsteig war voll von Menschen. Wie Ameisen rannten alle durcheinander. Die Türen klappten auf, die Wartenden näherten sich in Scharen vor die Eingänge, so daß die Leute, die aussteigen wollten, kaum vorbei konnten. Andy hatte beinahe vergessen, wieviel Menschen in so einer Stadt lebten.

Herr Roth steuerte zielbewußt durch die Menge und zog Andy hinter sich her. Einmal mußten sie einem Elektrofahrzeug ausweichen, das sich mit vier angehängten Postkarren durch die Leute hupte, dann er- reichten sie den anderen Zug.

Eine endlos lange Fahrt lag vor ihnen. Eigentlich hätte Andy (er hielt es ohne ein Buch nie sehr lange aus) in der "Schatzinsel" weiterlesen wollen, doch es fehlte ihm einfach die Ruhe dazu. Zwar begann das Reisefieber langsam abzuflauen, doch es wallte schon ein anderes, ebenso beherrschendes Gefühl in ihm auf Es war das Kribbeln in der Magengrube, gegen das er noch kein wirksames Mittel kannte.

Sein Magen war noch immer wie zugeschnürt und er wußte nicht, ob er die belegten Brote je essen könnte, die Marie ihm eingepackt hatte. Er hatte sie ja gewarnt und ihr gesagt, er werde bestimmt keinen Hunger haben.

"Wenn du ein Mann werden willst, dann mußt du essen. Wirst schon sehen, der Hunger kommt..." hatte sie gesagt und ihm die Tüte mit den Broten energisch in die Hand gedrückt.

Andy befühlte die Tüte und legte sie auf die Ablage unter dein Fenster.

Seit Bern hatten sie nun schon eine volle Stunde Fahrt hinter sich. Das Wetter wurde immer besser. Im Sonnenlicht konnte Andy den glänzenden Schienenstrang der Nebenspur bis weit hinter den letzten Wagen verfolgen. Und manchmal, in langen Kurven, sah er sogar vorne die Lokomotive, die, er hatte es am Bahnhof bewundert, zwischen den Lichtern ein großes Schweizerwappen trug.

München erreichten sie so gegen halb fünf Uhr nachmittags. Andy hatte unterwegs doch noch Hunger bekommen und damit einmal mehr bewiesen, daß Marie genau wußte, wie hungrig Jungen, wie er, werden konnten. Gestärkt und kein bißchen müde schleppte er seinen hellbraunen Lederkoffer zum Taxistand. Ein klapperiger Mercedes fuhr vor und brachte sie ein paar Blocks weiter in die Luisenstraße zum Hotel Theresia.

Alles war vom Filmteam vorgebucht worden. Andy erhielt ein modern eingerichtetes Einzelzimmer, in dem (seiner Meinung nach) ein übergroßes Bett stand. Sofort ließ er seinen Reisekoffer hinter der Zimmertür fallen, machte einen gestreckten Hechtsprung aufs flauschige Federbett und wollte es erst mal testen. Dummerweise ächzte und quietschte das Bett mit jedem Hopser derart, daß er fürchten mußte, Herr Roth, der das Zimmer nebenan bewohnte, könnte es vielleicht hören und schimpfen.

Flink hüpfte er wieder vom Bett, wanderte am hell lackierten Spiegelschrank vorbei zum angelehnten Fenster und warf einen :flüchtigen Blick hinab in die Luisenstraße, wo reges Treiben herrschte.

 

Das Abendessen in einem Restaurant nahe des Bahnhofs war reichlich und gut. Herr Roth verzehrte ein Hühnchen, Andy hatte sich eine Bratwurst mit Spätzle bestellt. Nach dem Abendbrot fühlte Andy sich so müde und gleichzeitig aufgeregt, daß er froh war, ohne lange Umwege wieder zurück ins Hotel zu kommen. An der Tür wünschte er Herrn Roth noch eine gute Nacht und warf sich dann in seinem Zimmer aufs Bett.

Es lag nicht etwa am ungewohnten Straßenlärm und auch nicht am ächzenden Bett - nein - das Kribbeln allein war schuld, daß er in dieser Nacht auf den Mittwoch kaum einen Augenblick schlafen konnte. Jedesmal wenn er auf der Schwelle zum Tiefschlaf stand, riß ihn das Kribbeln wieder zurück, jagte den Puls jählings hoch, und aus war der Traum vom Schlafen.

"Du wirst nicht der Einzige sein!" fuhr es ihm immer und immer wieder durch den Kopf.

Ziemlich verschmitzt lag er auf dem Bett, starrte an die weiße Decke und beobachtete die vielen Schattenlichter der vorbeidröhnenden Autos.

"Es werden auch andere Jungen ihr Glück versuchen." Vielleicht war er der glückliche Sieger!

Ach nein, bestimmt gab es bessere als ihn. Gab es immer bessere? "Einfach unmöglich so zu schlafen", dachte er und versuchte mit aller ihm verbliebenen Kraft, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.

 

Am nächsten Morgen war er dann so aufgeregt, daß er kaum mehr müde war, als er mit Herrn Roth um acht am Frühstückstisch saß. Verkrampft rührte er in seiner Schokolade und konnte vor Lampenfieber keinen Happen essen. Ein Wagen holte sie wenig später ab. Die Fahrt quer durch die Stadt dauerte sehr lange, bis sie endlich das Studio erreichten.

Es gab keine große Begrüßung. "Er soll sich erst mal an die Atmosphäre eines Studios gewöhnen", sagte Eilison, der ungefähr die Figur von Marie hatte, trocken zu Herrn Roth und drückte Andy ein paar Drehbuchseiten in die Hand.

Jetzt saß Andy allein mit den Seiten in einer Ecke des Studios und sagte nichts. Heiße Lampen brannten, totale Hektik herrschte und stickige Luft hing im überfüllten Raum, der kaum größer war, als das Schulzimmer im Internat.

Irgendwie hatte Andy sich das alles ganz anders vorgestellt. Mehr Platz, mehr Luft, andere Leute.

Als Collins, ein schlanker, aber kräftiger Mann mit lichtem schwarzen Haar und einem gepflegten Vollbart, ihn aufrief, brauchte er einige Zeit, vom Drehbuch los zu kommen und gedanklich wieder zurück ins Studio zu finden. Robin, wie der Junge im Drehbuch hieß, hatte wie er keine Eltern mehr. Auch wenn die Handlung im 18. Jahrhundert spielte, so wußte Andy dennoch sehr genau, wie Robin sich fühlen mußte, wie allein er war - eben genau wie er.

"Hey, Junge, was ist denn los? Du bist dran!" fuhr Ellison ihn an und wischte seinen strähnigen Pony aus der verschwitzten Stirn.

"Hast Du noch Fragen? Möchtest du vorher proben?" fragte Collins mit ungewöhnlich ruhiger Stimme.

"Nein - danke..." sagte Andy nur leise, er wollte nur eins: Es sollte endlich losgehen.

"Bitte Ruhe ... und Action!" rief Collins und lehnte sich auf seinem Klappstuhl nach vorne.

Andy stand unter den hellen Scheinwerfern, die ihn so sehr blendeten, daß er Collins und Ellison kaum noch auf ihren Stühlen sitzen sehen konnte. Das war nur gut, denn so konnte er sich frei bewegen und ungehemmt sprechen, ohne das Gefühl, beobachtet zu werden. Er war jetzt Robin.

Er öffnete eine als Kulisse aufgestellte Tür, die den Eingang in eine versuchte Hafenspelunke darstellte, wanderte zwischen zwei Bankreihen hindurch zum Wirt, der sich an einem großen Faß Rum zu schaffen machte. Im Film sollte dieser breitschultrige Mann einen Vollbart besitzen und ständig betrunken sein. Es störte Andy aber keineswegs, daß der Wirt hier im Studio nur von einer ausgedienten Schaufensterpuppe verkörpert wurde.

Ganz vorsichtig trat er näher, stellte sich dabei vor, der Wirt würde ihn erst in dem Moment bemerken, als er schon vor ihm stand und setzte mm Sprechen an, so als hätte der Mann ihn eben mürrisch angefahren: "Was willst du noch, du Rotzlümmel?"

Andy wich etwas erschrocken zurück und antwortete eingeschüchtert: "Ich kann sehr gut arbeiten. Sie werden es sehen."

Doch der Wirt sollte ihn nicht haben wollen und ihn drohend davon jagen.

Andy vertiefte sich so sehr in seine Rolle, daß er erschrocken aufblickte, als Collins "Aus!" rief und laut in die Hände klatschte.

Die Flutlichter erloschen und Andy sah einstweilen nur hellumrandete Schatten im Studio herumgeistern. Völlig verschmitzt und mit trockener Kehle kehrte er zu seinem Stuhl in die Ecke zurück. Alles in ihm verlangte nach einem großen Schluck kühlem Wasser.

Ziemlich erschöpft sank er auf den Stuhl nieder und beobachtete teilnahmslos die Hektik. Er konnte es nicht richtig sagen, aber irgend- wie war er enttäuscht. So fest hatte er sich auf den Moment gefreut, in dem er vorsprechen würde. Und nun, mit einmal, war alles vorbei.

Ellison und Collins standen neben den Scheinwerfern und unterhielten sich ziemlich aufgeregt. Einmal glaubte Andy gehört zu haben, wie Eilison sagte: "Stummer Junge mit Talent", und Collins bekräftigte dies mit einem tiefen Nicken.

Kurz darauf trennten sich die beiden und Collins kam auf ihn zu und sagte: "Du hast dir nun 'ne Cola verdient." Er zog einige Münzen aus der Tasche seines Jacketts und drückte sie ihm in die Hand. "Der Automat ist gleich draußen im Flur."

Andy bedankte sich höflich und ging. Der Getränkeautomat stand im schmutzigen, fensterlosen Flur direkt neben der Herrentoilette an der Wand. Überall lagen zertretene Zigarettenstummel, leere Kaugummistreifen und verbogene Flaschendeckel auf dem Kunststeinboden.

Der Automat brummte aufdringlich laut und irgend etwas schepperte metallisch in seinem Inneren. Andy nahm das Kleingeld und warf die Münzen in den Einwurfschlitz. Sie klimperten durch den halben Kasten, bis sie schließlich irgendwo in den Eingeweiden 'in einen leeren Metallbehälter klirrten.

Andy wählte und drückte die rote Taste auf der Cola stand. Es surrte und die Lampen der Anzeige flammten überhell auf.

Erschrocken wich er zurück, bis er hinter sich kalte Fliesen spürte. Es schien, der Automat müsse in der nächsten Sekunde explodieren. Andy kniff die Augen zusammen und blinzelte durch die vorgehaltenen Hände.

Nur Sekunden konnten vergangen sein, dann wurde es plötzlich still. Alle Lampen am Automat verlöschen, dann rasselte es schwer im Inneren. Wenig später rollte eine Flasche Cola in die Ablage und der Automat begann wieder zu brummen, wie zuvor.

Leicht verwirrt entnahm Andy die gekühlte Flasche. Sie zischte beim Öffnen und rauchte wie ein Colt. Der Deckel quoll aus dem überfüllten Sammler und klirrte trocken auf den Kunststeinboden. Gerade wollte Andy ihn mit dem Fuß unter den schmierigen Automaten befördern, als die Türe nebenan aufgerissen wurde und ein drahtiger Mann von ungefähr zweiundvierzig Jahren aus der Toilette trat.

Schuldbewußt sah Andy an ihm auf. Für einen Moment trafen sich ihre Augen, seine rehbraunen mit den grauen des Mannes. Es waren treue, aber traurige Augen, Wenn Omi recht behielt, und die Augen wirklich die Fenster zur Seele waren, dann spiegelte sich in diesen Augen, die verzweifelt um Hilfe schrien, tiefe Traurigkeit.

Die ernsten Gesichtszüge des Mannes begannen zu zerfließen, es zuckte um die Mundwinkel. Zuerst war es nur ein verzerrtes Grinsen, dann aber glitt es in ein offenes und warmes Lächeln, das den Jungen unweigerlich ansteckte.

Der Mann hob seine Hand. Er berührte Andys Nasenspitze und zwinkerte ihm dabei wohlwollend zu. Dann drehte er sich zackig auf dem Absatz um und verließ mit Riesenschritten den Flur.

Seltsam beeindruckt wußte Andy nicht, was er fühlen sollte. War dieser Mann nun einer, vor dem er sich fürchten mußte? Andy kam aus dem Grübeln nicht mehr heraus und fand schließlich, daß ein böser Mensch nie so liebevoll lachen könnte.

Mit dem letzten Schluck des herrlich kühlen Getränks war der Durst nun endgültig besiegt, und Andy tappte durch den langen Flur zurück zum Studio.

Er fühlte sich ausgebrannt und die Müdigkeit von zwei fast schlaf- losen Nächten lastete so schwer auf ihm wie das Gewicht eines überdimensionalen Mühlsteins.

"Stummer Junge mit Talent", hatte Ellison gesagt - würden sie ihn nehmen? Würde er nun derjenige sein, der gewonnen hatte? Sein Herz verkrampfte sich.

Andy griff nach der Türklinke, sie war abstoßend klebrig. Er berührte sie nur mit zwei Fingern und wollte eben das Studio betreten, da flog die Tür von selbst auf und Ellison stand verdutzt vor ihm. Beinahe hätte er ihn sogar überrannt, in seiner Eile.

Ellison brummte ein paar unverständliche Worte und hastete davon. "Na, Andy, alles klar?" fragte Collins munter und packte gerade ein Filmstativ in einen Metallkoffer.

"Ja, alles klar, danke", antwortete Andy.

"Paß mal auf', fuhr Collins fort. "Ich gehe schnell einen Happen essen, bevor am Nachmittag die nächsten Jungen kommen. Herr Roth hat inzwischen angerufen. Er wurde aufgehalten und kann erst so in einer Stunde wieder hier sein... Magst du Hot Dogs?"

"Ja - sehr!"

"Na dann, auf geht's.

Nur zu gern hätte Andy in diesem Moment gefragt, wie seine Chancen seien, ob er wirklich gut gewesen war. Aber vielleicht hatte Collins ja bei jedem Jungen geklatscht.

Und Ellison? Würde auch er bei jedem anderen Jungen gesagt haben, er sei talentiert?

"Was grübelst du?" unterbrach ihn Collins und hielt ihm einen Hot Dog hin.

"Ach, nichts - danke", sagte Andy verlegen. "Du sprichst wohl nicht sehr viel?"

"Ich weiß nicht", antwortete Andy und nahm einen kräftigen Bissen vom Brot. Sein Magen hatte bereits wild zu rumpeln angefangen, als sie vorhin die paar Schritte über die Straße zur Bude gegangen waren.

"Du fragst dich bestimmt, wie deine Chancen sind?" forschte Collins beharrlich weiter.

"Ja", sagte Andy beschämt und hätte sich beinahe dabei verschluckt. Collins lachte. "Tja, sieht nicht schlecht aus. Ach, was soll ich noch

lange drum herum reden. Dein Spiel hat mir prima gefallen. Du hast die Rolle. Es fehlt uns nur noch das 'Okay' der Behörden. Und natürlich mußt du auch wirklich mitmachen wollen. Willst du denn?"

"Ja! Ich will!" rief Andy begeistert, ihm war, als spränge ihm in diesem Augenblick das Herz aus der Brust. Es stockte und vollführte die wildesten Kapriolen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.03.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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