Juliana Schöneich

Eine Bank im Park

Eine Bank im Park

Heute war sie die Erste. Normalerweise ist er vor ihr da. Sie treffen sich jeden Tag an der gleichen Stelle im Park. Er sitzt schon auf der Parkbank und wartet auf sie. In seiner Hand hält er eine Tüte. Er zündet sich ein Pfeifchen an und wartet. Sie kommt immer aus der gleichen Richtung. Sie geht nicht, sie stolziert. Ihre Art sich zu bewegen wirkt irgendwie majestätisch. Obwohl sie ungeheuer neugierig darauf ist, was er ihr wohl heute mitgebracht hat, geht sie keinen Schritt schneller. Und dann steht sie vor ihm. Begrüßungsworte sind nicht notwendig. Beide schauen sich nur an. Jeder ist sich der Liebe des anderen vollkommen sicher. Wenn er die Tüte öffnet, sitzt sie neben ihm. Er lässt sie immer zuerst vom Inhalt kosten. Und sie ist täglich neu erstaunt über seinen Einfallsreichtum, sie mit den leckersten Sachen zu verwöhnen. Nach dem Essen erzählt er ihr, was ihn gerade bewegt. Sie legt ihren Kopf auf sein Bein und hört ihm zu. Seine Hände streicheln sie zärtlich. Und wenn er nicht redet, genießen sie einfach ihr Beisammensein.
Während sie heute auf ihn wartet, erinnert sie sich an ihre erste Begegnung.
Er saß auf dieser Bank und hielt etwas in seinen Händen. Sein Körper war nach vorne gebeugt. Aus seinen Augen tropften Tränen. Sie fühlte, dass er sehr traurig war. Ganz vorsichtig näherte sie sich ihm. Er nahm sie zunächst gar nicht wahr. Erst als sie vorsichtig ihren Kopf auf sein Bein legte, bemerkte er sie und erzählte ihr seine Geschichte.
Seine Partnerin hatte diese Bank auf einem Spaziergang durch den Park entdeckt. Vor ihnen war ein kleiner See, auf dem Enten schnatterten. Hinter ihnen waren große Wiesen, auf denen Kinder spielten. Die Bank stand im Schatten einer mächtigen Rosskastanie. Es war die perfekte Stelle um die Seele baumeln zu lassen. Unzählige Male hatten sie sich hier ausgeruht.
Vor sieben langen Wochen hatten sie zum letzten Mal zusammen auf dieser Bank gesessen. Wenige Tage danach wurde sie sehr krank und starb ganz plötzlich.
Eigentlich hatte er sich fest vorgenommen, diese Stelle im Park zu meiden.
Weil er aber heute heftige Rückenschmerzen hatte und die Bank ganz nah war, machte er schweren Herzens eine Pause. Hier ohne seine Partnerin zu sitzen, fiel ihm unendlich schwer. Er vermisste sie so sehr und er verspürte eine tiefe Sehnsucht nach ihr. Es tat so furchtbar weh, weil es so endgültig war.
Sie hatte ihm geduldig zugehört. Ganz zärtlich drückte sie ihren Kopf in seine Hand. Das ist ein ganz besonderer Liebesbeweis von ihr.
Und beide versprachen, sich am nächsten Tag wieder hier zu treffen.

Allerdings mit einer Einschränkung von ihr. Bei Regenwetter bleibt sie lieber zu Hause.
Samtpfoten mögen keinen Regen.

Juliana Schöneich


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.10.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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