Hans K. Reiter

Spazierengehen auf dem Friedhof

Egbert Schmitt gab den Anstoß, als er mir schrieb, er gehe jetzt zum Spazierengehen auf den Friedhof.

Freilich, denke ich, wieso eigentlich nicht?


Ich auf dem Fahrrad, mein Hund vor mir her, ein Samstag, einige Leute sind schon unterwegs.

Malerisch liegt der örtliche Friedhof eingebettet in einem Wäldchen, das dem wütenden Abholzen getrotzt hat. Bäume weg, Häuser rein! Jedoch, wo Menschen wohnen, sterben sie auch und deshalb hat der Friedhof gute Chancen auch weiterhin zu überleben. Des einen Tod, des andren Leben!

Da sehe ich sie, wie sie, ihre beiden Hunde hinterherlaufend, auf den unter Bäumen versteckten Eingang des Friedhofs zusteuert. Zwei riesige Schilder: Fahrradverbot und Hundeverbot! Flugs ist die Dame drin, ihre beiden Hunde auch. Wie hätte sie es auch anders machen sollen? Diese beiden, Größe Dackel, aber es waren keine, haben auch Rechte!

Ich fahre weiter, halte und steige ab. Mein Hund hat einen Spielgefährten gefunden. Schnüffeln, Bein heben, erst der eine, dann der andere und nochmals. Gespielt haben sie nicht. Ich schiebe das Rad, so um die 37 kg, weil Lastenrad mit Box für den Hund vorne und einer Achse mit zwei Rädern, e-Motor, versteht sich.

Beim Haupteingang des Friedhofs habe ich des Öfteren geparkt. Auto im Schatten, Hund raus und los geht’s. Groß ist die Stellfläche für Autos nicht, aber du kannst dein Auto auch weniger vorschriftsmäßig abstellen. Polizei habe ich dort jedenfalls noch nicht gesehen.

Und akkurat jetzt, als ich mein Rad schiebend durch die Gegend transportiere und weit und breit weder Hundegenosse noch Genossin zu sehen sind, also mein Hund ob dieser ungewöhnlichen Situation etwas verdutzt das Terrain sondiert, steigt mir die Erinnerung an diesen unverwechselbaren Geruch des Friedhofs in die Nase. Komisch denke ich noch, vorher, als die Frau mit ihren beiden Hunden darin verschwunden war, habe ich diese typische Geruchsexplosion des Friedhofs, diesen leicht bitteren Geschmack von Thujen in der Luft nicht festgestellt. Sind meine Geruchsorgane etwa nicht mehr in Ordnung, gar vom Virus befallen?

Die aufkeimende Panik ebbt im Bruchteil einer Sekunde ab. Mein Hund hat sich heimlich auf den angrenzenden Acker gemacht und will sich gerade in etwas für mich nicht Erkennbares hineinwälzen. Da rieche ich es sofort und ohne Hemmnisse, Mist! Mit der Nase ist also alles in Ordnung und der Hund hat brav meinem energischen Ruf TABU Folge geleistet und sich nicht gewälzt. Wir haben ihm TABU beigebracht, weil pfui uns nicht gefällt.

So ein Friedhof hat verschiedene Gesichter, denke ich. Gräber sind nur selten verwaist, die meisten gepflegt und gehegt, den Jahreszeiten entsprechend bepflanzt. In der warmen Jahreszeit eilen Menschen mit Gießkannen hin und her. An vielen Gräbern brennen Grablichter. Ich denke nach, aber Leuchtdioden sind mir noch nicht untergekommen. Ob es etwa verboten ist? Zu Weihnachten Engel, Nikoläuse, Schlitten ziehende Elche etc. Im Fasching buntes Durcheinander. Zu den Geburts- und Todestagen etwas mit Kerzen?

Ich schiebe weiter. Da, vielleicht hundert Meter weiter, ein Hund! Meiner ist schon unterwegs, der andere auch. Sie treffen sich etwa in der Mitte. Freundliches Begrüßen und Beschnuppern, Animation zum Spiel, ein paar Sprünge, zwei drei Runden einer hinter dem anderen, dann Wechsel, Bein heben, und so fort. Meiner hat bald keine Lust mehr und kommt zu mir, ein untrügliches Zeichen weiterzugehen, das nächste Abenteuer anpeilen.

In England, einige Jahre habe ich dort gelebt und gearbeitet, sind die Friedhöfe völlig anders. Die Grabsteine sind verwittert, manche bereits schief im Boden versunken, viele der Namen kaum noch zu entziffern, gelegentlich ein Kranz am Grab, keine Pflanzungen, wie wir es kennen. Leute halten sich im Friedhof auf, lesen ein Buch, blättern in der Zeitung, manche haben etwas zu Essen mitgebracht, trinken einen Kaffee aus dem Becher.

Friedhöfe, wie der Waldfriedhof in München, sind riesige Parkanlagen mit unzähligen Wegen. Wer nicht achtgibt verläuft sich und legt ein gewaltiges Pensum an Kilometern zurück, bevor er seinen Ausgangspunkt wieder findet. Kaum jemand der Besucher kennt sich in diesen Grabstein- und Grabkreuzansammlungen wirklich aus. Irgendwen nach dem Weg zu fragen, wird unweigerlich zu noch größerer Verwirrung führen und schließlich mit dem endgültigen Verbleib dort enden.

Wir befinden uns außerhalb des Wildgeheges am Forstenrieder Park, ein Paradies für Hunde. Gelegentlich queren Reiter den Weg, manchmal ist einer mit einer Wagonette unterwegs. Er ist in der Gegend bekannt und fährt hin und wieder ziemlich gewagt. Meinem Hund ist es egal. Er schaut zwar, rennt sogar hinterher, lässt es jedoch bald wieder bleiben und trottet zurück zu mir.

Wildschweine, durch einen Zaun getrennt, sehen wir öfter. Es kümmert sie selten, sogar Hundegebell stört sie nicht. Jüngere laufen manchmal zur besonderen Belustigung der Hunde ein paar Meter am Zaun entlang mit.

Dürften Hunde im Friedhof herumtollen, wär’s diesen recht, den Besuchern allerdings wohl meist nicht. Nun ja, wer Ruhe sucht oder sich für Gräber interessiert (wer da wohl liegt?), Historien studiert und alles weiß über die verschiedenen Familien und Geschlechter, möchte nicht gestört sein. Ich kann nicht mehr sagen, wie das in England ist.

Noch nicht einmal Kioske gibt es. Die Besucher sind sich da völlig selbst überlassen. Um die Friedhöfe herum allerdings finden sich für gewöhnlich immer Gasthöfe und Cafés. Das leibliche Wohl ist wichtig, besonders dann, wenn man Stunden mit dem Gegenteil zugebracht hat.

Ich weiß nicht, ob es Notrufsäulen gibt. Ich achte nicht darauf. Meine Frau hat recht, wenn sie meint, ich müsse mehr auf anderes achten. Allerdings, wozu in diesem Fall? Ich darf mich nicht darauf einlassen, sonst fallen mir alle möglichen Dinge und Bezüge ein. Der Rahmen wäre schnell gesprengt!

 

Dem Hund reicht es. Ich merke es daran, dass er nur noch ab und zu vorausläuft oder sich seitwärts in die Büsche schlägt. Wenn er anfängt, hinter mir her zu trotten, dann ist Heimfahrt angesagt.

Ich öffne ihm die Türe zu seiner Fahrbox, werfe ein paar Leckerlies hinein, und schwupp ist er drin. Zur Sicherheit hänge ich ihn an. Bei schönem Wetter sitzt er wie im Cabriolet ohne Dach, bei Kälte, Wind oder Regen knöpfe ich das Verdeck zu. Er kann dann zwar dank der Plastikfenster nach vorne und nach hinten hinausschauen, aber sich nicht während der Fahrt unanständig gegenüber Vorbeieilenden aufführen, was er bei offenem Dach schon sehr gerne tut. Bellende Hunde beißen nicht und angehängt ist er auch! Eine Klingel oder Hupe benötige ich dank des Hundes nicht.

 

Vielleicht sollte ich zum Schluss noch erwähnen, dass ich als Kind in München Sendling, unterhalb der Alten Sendlinger Kirche, aufgewachsen bin. Zur Kirche gehört ein kleiner Friedhof, in dem wir gerne gespielt haben, und vor allem fasziniert hat uns das Beinhaus in der zugehörigen Kapelle, in der hinter Gittern die Totenschädel der Opfer der Sendlinger Bauernschlacht, auch Mordweihnacht von 1705 genannt, aufbewahrt werden.

(https://de.wikipedia.org/wiki/Sendlinger_Mordweihnacht)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.03.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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