Klaus Mattes

Die Erkennungsmelodie / 1220

 

 

 

Das Fernsehen war schwarz-weiß. Der Kater Mikesch wohnte in Holleschitz. Der Kater Mikesch fuhr Motorrad mit einem Schwein hinten drauf. Heute, wenn man es googelt, wundert man sich, dass man eine halbe Stunde lang auf Gesichter, die einfach nur Holzstücke waren, an denen sich überhaupt nichts regte, wenn sie sprachen, starrte und auch an den vielen Schnüren, die neben den Köpfen in der Nahaufnahme allenthalben zu sehen waren, nichts befremdlich fand.

Auf der Autobahn waren wir nie unterwegs, denn wir hatten kein Auto. Mein Vater schaute aber fast jedes Mal hin, wenn „Links und rechts der Autobahn“ lief, eine Reihe von Heimatkunde-Features des Südwestfunk-Fernsehens. Auch das vergleichbare „Der Fenstergucker“ gefiel ihm. Dieser Fenstergucker ist eine aus Stein gehauene Figur unterhalb des Aufgangs zur Kanzel im Wiener Stephansdom. Wie ich jetzt finde, kam die Fenstergucker-Kultursendung aus Österreich. Seltsam, wie konnten wir sie dann sehen? Österreichisches Fernsehen oder Radio kriegten wir nie rein. Ich nehme an, es gab dann noch Ausstrahlungen in der ARD. Ich weiß es nicht mehr.

Ich weiß aber noch, dass es für Baden-Württemberg von Montag bis Freitag eine gemeinsame Abendschau gab, zu welcher unser Teil vom Südwestfunk-Sendegebiet mit dem des Süddeutschen Rundfunks zusammengeschaltet wurde. Es gab vorher eine kleine Umschalte-Pause, in der die SWF-Seher den römischen Drei-Schalen-Brunnen aus dem Garten des Hotels Badischer Hof in Baden-Baden sahen, bei Nacht und im Winter; das Wasser dampfte, wie es einem Thermalbad gut anstand. Dieser Brunnen stellte sich als peinlich klein und glanzlos heraus, als ich später selbst nach Baden-Baden kam. In der Aufnahme hatten die drei, sich nach oben hinauf verkleinernden Schalen, den Bildschirm fast ausgefüllt, der Hintergrund war dunkel, von Garten und Hotel nichts zu sehen. Man hörte pathetische Paukenschläge. Achtung, jetzt folgt hier die Geschichte.

Ich spreche nicht vom sonst immer zu hörenden SWF-Pausenzeichen, dem Thema einer Mozart-Arie aus der Zauberflöte („Bald prangt, den Morgen zu verkünden“), das von einigen Holzblasinstrumenten vorgestellt wird.

Ich spreche von der Abendschau. Aber deren Erkennungsmelodie war vergleichbar, nämlich von mehreren Piccolo-Flöten gespielt, allerdings wesentlich schwungvoller. „Swingin' Safari“ von Bert Kaempfert (1962), was ich als Junge eine ungemein ausgeschlafene, munter verschmitzte Musik fand.

Der typische Bert-Kaempfert-Sound, ich weiß nicht, ob hier Leute lesen, die so jung sind, dass sie mit dem Namen nichts mehr verbinden, Kaempfert war ein Hamburger Tanzorchester-Chef und Polydor-Gewaltiger, der kurzzeitig auch was mit der Entdeckung der Beatles zu tun hatte, sein eigener erster großer Hit war „Wunderland bei Nacht“ gewesen, ein Trompeten-Instrumental aus einem deutschen Kinofilm der späten fünfziger Jahre, außerdem hat er Frank Sinatras Hit „Strangers In The Night“ komponiert. Der typische Bert-Kaempfert-Sound, der hat oft eine unüberhörbare große Trommel, auch schon mal mit dem Besen gespielt, und vor allem die fast aufdringliche Taktangabe seitens eines E-Basses. Beides gibt es in „Swiugin' Safari“ auch, vor allem aber diese etwas schrillen Piccolos, die so schnippen: „Jetzt geht es, jetzt geht es, es geht jetzt.“ Und der Rest des Ensembles sagt: „Da da ba da-dabb.“

Die Melodie und auch das Arrangement waren einem Stück südafrikanischer Folklore abgeschaut, was weder ich noch mein Abendschau-süchtiger Vater damals wussten. Und dieses lag daran, dass es ein Jahr vorher einen „afrikanischen“ Welthit gegeben hatte, der so ähnlich klang, nämlich „Wimoweh“ alias „The Lion Sleeps Tonight“. („In the jungle, the mighty jungle.“) Gerade wollte sich bei mir die Vermutung einschleichen, es hätte seinerzeit eine Afrika-Welle gegeben („Serengeti darf nicht sterben“ (1959) und der John-Wayne-Film „Hatari!“ (ebenfalls 1962) - mit wiederum Flöten von Henry Mancini), nämlich „Pata Pata“, da aber stelle ich fest, nein, „Pata Pata“ wurde 1967 zum Hit. Die Abendschau gab es auch vorher schon, in den Fünfzigern, aber da hatten wir noch keinen Fernseher.

Ich wollte jetzt noch mal den Auftakt der Abendschau mit „Swingin' Safari“ ansehen, scheiterte bei diversen Versuchen auf You Tube allerdings, bis ich in einem nostalgischen Fan-Forum fand, dass die Savannen-Flöten unser regionales Tagesjournal nicht eingeleitet, sondern abgeschlossen hatten. Man kann immerhin festhalten, dass selbst eine Abspannmelodie sich unauslöschlich mit einem bestimmten Sendeplatz verschweißt und unvergesslicher als sämtliche Inhalte und Erkennungssignale wird.

Mit diesen Melodien kann Petrus einen dereinst aus dem Grab klingeln. Vergleichbar stark für meine Kindheit waren nur noch „Melissa“, die Melodie zum Francis-Durbridge-Krimi im Fernsehen (BBC, 6 Teile, 1964), den ich, glaube ich, noch gar nicht sehen durfte, weil ich zu klein war, die meine Mutter dann aber auf Single-Schallplatte gekauft hat. Alles Weitere hierzu übergehe ich und komme zu „Kommissar Maigret“, einer Schwarz-weiß-Serie aus England, die, wie ich im Internet jetzt lese, das ZDF dann immer samstags brachte.

Davon habe ich sicher mal dies oder das gesehen, wobei ich nicht mehr zu sagen weiß, was und wie viel. Jules Maigret wurde von Rupert Davies gespielt, den ich auch schon so gut wie vergessen hatte, bis ich ihm in alten Ausschnitten im Internet noch mal begegnet bin und zum Schluss kam, dass er - von seiner Ausstrahlung her - für mich nicht eben überzeugender als Maigret ist als einige der vielen anderen, die den Kommissar gespielt haben, Heinz Rühmann oder Jean Gabin etwa. Ich finde, dass der, fraglos auch Kommissar Maigret nachgebildete Kommissar Keller, er kam dann etwas später, ab 1969 erst, aber bis zu seinem Ende Mitte der Siebziger immer schwarz-weiß, Erik Ode im Zweifel die bessere Besetzung für Maigret gewesen wäre. Wobei halt leider Odes zurückhaltende, väterliche und mitleidsvolle Art fast nur vorgeschoben war, damit er seine Mäuse fangen konnte. Und in Folge der Reinecker'schen Drehbücher wurde bei „Der Kommissar“ aus dem gallischen Ehrgefühl von Kleinbürgern und der Trauer des Ermittlers um die unausrottbare Schäbigkeit des Menschen das deutsch-typische Boulevard-Interesse für die finanziell besser Gestellten und die Verwechslung von Spießigkeit mit moralischer Wertehaltung.

Zurück in Tage, wo derartige Gedanken sehr fern von mir lagen. Sehr charmant, herzerwärmend und wunderschön fand ich die Maigret-Erkennungsmelodie, einen typisch französischen Musette-Walzer. Nur, damals war das aber egal, war die Musette so wenig französisch wie englisch. Vielmehr hatte man für die Eindeutschung den in München ansässigen Ernst-August Quelle (in der Folge mehr als GEMA-Oberer, denn als Komponist aktiv) um mehr Seine-Flair gebeten, als der britische Komponist angeliefert hatte. Freudig schneller schlug mir mein Herz, als ich Ende der neunziger Jahre eine CD namens „Straßenfeger“ meiner Sammlung einverleiben konnte - sie zeigt Kommissar Keller nebst Harry Klein-, mit der das Maigret-Thema nach all den Jahren zurückkam zu mir.

Meine Mutter, sie interessierte sich eigentlich nie sonderlich für Musik, zum Bügeln lief halt der Schlagersender SWF 1 und in späteren Jahren, nachdem SWF 1 zum Seniorensender für Popfans mutiert war, SWR 4, der deutsch-orientierte Heimat-Sender für Baden-Württemberg, meine Mutter, die aber, wie bereits erwähnt, hin und wieder, völlig unvorhergesehen, Singles kaufte, zum Beispiel „El Condor Pasa“ von Simon and Garfunkel (1970), war ebenfalls hin und weg von dieser Maigret-Musette. Diese Art Handorgel-Tanzmusik hatte ihr schon immer gefallen. Man kann noch erwähnen: In ihrer Jugend waren französische Besatzungssoldaten in der elterlichen Wohnung einquartiert worden. Leider erstand sie dieses Mal nicht die Ernie-Quelle-Single, sondern eine x-beliebige „So dudelt La France“-LP für einen Sonderpreis im Kaufhaus, ausführende Artisten gänzlich unbekannt, das Maigret-Thema war auch nicht drauf.

Ach, der elterliche Plattenschrank! Schätze, die einem vererbt wurden. Mein Vater hatte eine Schallplatten-Box von Reader's Digest mit den 9 Symphonien von Beethoven. Als Kind ging ich immer raus, wenn er sie spielte, was ja nicht oft der Fall war, als Jugendlicher hat es mich dann geprägt. Das waren sieben Vinyl-Schallplatten in einer Pappbox, Jahrgang 1964. Heute lese ich im Internet, dass man im Jahr 2013 ein Exemplar für immerhin 107 Euro verkaufen konnte. Wenn man es da noch gehabt hätte!

Mein Vater besaß auch was von Ernst Neger (der sich damals noch so nennen durfte), Hans Moser, Conny Froboess, Hermann Prey und noch mal andere Sinfonien in einer weiteren Buchclub-Kassette, die einschlägigen Meisterwerke von Mozart, Brahms und Sibelius. Hinzu kam eine dieser Schallplatten, auf denen wunderschön in einer Reihe hintereinander die heimischen Singvögel einen Kurzauftritt hinlegen. Sowie eine andere, mit der wir die Instrumente des klassischen Orchesters kennen lernen konnten. Eine Piccoloflöte kam gewiss vor, weiß ich aber nicht mehr, zumal die Lerche (ebenfalls noch mal überprüft, es war nicht „die Lerche“, es war „ein kleiner Vogel“) aus „Peter und der Wolf“ sie zugepfiffen hat. Bei uns zu Hause wurde „Peter und der Wolf“ von Liselotte Pulver erzählt, der Frau mit dem schallendsten Lachen der Schweiz. Prüffrage: Wann ist sie gestorben? Antwort: Sie lebt noch.

[Stand: April 2022]

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.04.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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"Schmetterlinge im Kopf und Bauch" ist mein holpriger lyrischer Erstversuch. Mit Sicherheit merkt man, dass es keine Lektorin gab, wie übrigens auch bei den anderen beiden Büchern nicht. Ungeordnet sind viele Gedichte, Gedankenansätze, Kurzgeschichten chaotisch vermengt veröffentlicht worden. Ich würde heute selbstkritisch sagen, ein Poet im Aufbruch. Im Selbstverlag gedruckt lagern noch einige Exemplare bei mir. Oft schau in ein wenig schmunzelnd in dieses Buch. Welche Lust am Schreiben von spontanen Gedanken ist zu spüren. Ich würde sagen, ein Chaot lässt grüßen.

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