Heinz Lechner

Lily the Pink

Ich liebe Musik.
Einfache Musik. Pop, Folklore, Weltmusik, Rock, Blues, auch etwas Klassik und selbst einige Opern. Aber bevorzugt höre ich die Popmusik aus meiner Kindheit und Jugend. 
So ist es nicht verwunderlich, dass ich immer wieder mal ein bestimmtes Lied im Ohr habe, welches mir dann oft stundenlang nicht aus dem Sinn geht. Das kann mit der Zeit etwas auf die Nerven gehen, ist aber nicht weiter ärgerlich. So geschehen etwa mit den Lied „Ode an die Freude“ von Walter Carlos, das hielt sich mehrere Tage in meinem Schädel. So richtig schlimm war es aber erst kürzlich mit Brendan Gleeson‘s „The unfortunate Lad“, welches mich an den Rand des Wahnsinns trieb.
Aber dieses Mal hatte ich ein Lied im Kopf, welches zu den absonderlichsten in der Geschichte der populären Musik gehört. Ich verbinde es mit „Faschingspartys“ aus meiner Kindheit, es stammt aus dem Jahre 1968. 
Ich war schon eine längere Wegstrecke unterwegs, als es plötzlich „erschien“. In Gedanken summte ich es vor mir her und dachte mir noch nichts dabei, aber verärgert war ich doch, denn ich habe dieses Lied schon als Kind nicht gemocht. Es ist ganz unbestritten ein Gassenhauer der primitivsten Art. Ich habe ja gar nichts gegen einfache Ohrwürmer, aber dieses Lied ist sogar für mich unzumutbar. Es geht wirklich auf die Nerven. Der Refrain ist der reinste Psychoterror. 
Das Lied heißt:"Lilly the pink." ( Man muss es unbedingt gehört haben, um meine Verzweiflung zu verstehen.)
Es beschlich mich, als ich mich auf dem Weg zur Arbeit befand. Urplötzlich war es da und mit jedem Schritt den ich ging, sang ich zackig und in marschmusikalischer Manier in Gedanken diesen Text vor mir her:


 

                           "we'll drink, a drink, a drink 

                            to Lilly the Pink, the Pink, the Pink.

                            The Savior of

                            the Human Ra-ha-hace.“


Trotz der nervenaufreibenden Melodie war ich anfangs noch amüsiert. In Gedanken machte ich mich über mich selbst lustig und es freute mich, in meinem Alter noch so kindlich und albern sein zu können. Gleichzeitig aber, - obwohl doch kein Mensch bemerken konnte, was in meinem Schädel vorging - schämte ich mich ein wenig, solch einen primitiven Ohrwurm nicht aus dem Sinn zu bekommen.
Nach wenigen Minuten war der Spuk vorbei und ich dachte nicht länger darüber nach. Doch Stunden später - während ich mich in einer Unterredung mit meinem Arbeitgeber befand - holte mich dieser Refrain wieder ein. Ich mochte wohl einen unkonzentrierten, geistesabwesenden Eindruck auf den Gesprächspartner gemacht haben. 
Abends auf dem Nachhauseweg musste ich den nächsten Anschlag hinnehmen. Obwohl ich von mir behaupten kann, ein extrem friedliebender Mensch zu sein, zeigte mir dieses Lied welch ein mir bisher unbekanntes Potential an Aggressivität in mir schlummerte. 
Ich wusste nicht gegen was oder wen ich böse sein sollte, aber am liebsten hätte ich eines der am Gehweg abgestellten Fahrräder umgedroschen. Obwohl ich mich zu beherrschen wusste, fühlte ich mich hilflos einer mir ungewohnten Gereiztheit ausgeliefert. Was solch eine dämliche Melodie anstellen konnte!
Ich überlegte lange, ob es wohl eine logische Begründung für diesen "Überfall" gab. Hatte ich es kürzlich im Radio gehört oder geträumt davon? Bei der letztlich erfolgten Durchsicht meiner CDs den Titel gelesen? Hörte einen Passanten womöglich im Vorübergehen diese Melodie summen oder pfeifen? War es mir von Youtube vorgeschlagen worden? Hat irgendjemand erzählt davon oder wurde es in einem Bericht erwähnt?
Ich kann mich nicht erinnern, in irgendwelcher Art und Weise mit diesem Lied in Kontakt getreten zu sein. Scheinbar gibt es keine Erklärung dafür, weshalb sich diese Melodie, welche zurecht seit 40 Jahren in den hintersten Gefilden meiner Erinnerungen schlummert, sich plötzlich soweit vorgedrängt hatte.
Als ich nachts erwachte, war es sofort wieder da, verschwand aber glücklicherweise sogleich wieder. Aber morgens, als der Wecker rief, wartete es schon auf mich und begleitete mich bis zum Frühstück. Ich empfand es nicht mehr so unangenehm wie am Vortag. Nun hatte ich mich schon an diese Melodie gewöhnt und konnte ihr allmählich etwas Sympathie abgewinnen.
Tagelang ging das noch so. Immer wieder tauchte es urplötzlich auf und verschwand nach wenigen Sekunden wieder. Jedoch nahm die Zahl der Angriffe mit der Zeit ab und nach etwa 10 Tagen war ich befreit von diesem Lied und alles war wieder gut.
Kurz darauf erfüllte ich mir einen schon lange gehegten Urlaubswunsch. Endlich mal einige Tage an der Nordsee zu verbringen. Zuvor las ich, wie es meine Art ist, Informationsmaterial und Reiselektüre um mich auf den Urlaub vorzubereiten. Und mittendrin in der Urlaubsplanung attackierte mich ein neues Lied. Es war wie ein schlechter Witz.

Ein Lied, noch stupider, nervtötender und furchteinflössender als alles zuvor gehörte. 

Aber dieses Mal kannte ich den Grund........

Nordsee!

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.04.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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