Klaus-Peter Behrens

Der Kater und der wilde Norden 4

- 4 -

Der Tag war fortgeschritten und der Regen wärmer geworden. So allmählich wurde mir bewußt, worauf ich mich da tatsächlich eingelassen hatte. Vielleicht hätte ich bei Ignaz mal nachfragen und nicht einfach Mikesch Behauptung schlucken sollen. Immerhin hatte der Kater in der Vergangenheit gezeigt, dass er es meisterlich verstand, einem einen Troll als Elfe zu verkaufen. Wie auch immer, jetzt konnte ich nicht mehr zurück. 
Vorwärts zu kommen erwies sich allerdings auch alles andere als einfach, jedenfalls wenn man in den Norden wollte. 
Ich konnte das gut nachvollziehen.
Die Zuwegung zu einem Landstrich zu erschließen, der mit mehr Schreckenslegenden als Einwohnern aufwarten konnte, stand auf Ignaz Prioritätenliste vermutlich noch hinter der Entscheidung meiner Lohnerhöhung.  Bollwerke, Fallgruben und Zugbrücken standen da wahrscheinlich besser im Kurs und wurden nur deshalb nicht realisiert, weil die Staatskasse mit notorischer Ebbe glänzte.
Aber der Norden war auch ohne seine finsteren Bewohner alles andere als erholungstauglich.
Schon seit vielen Wegstunden quälten wir uns durch eine kaum zugängliche Wildnis, die so abweisend wirkte, dass man glauben konnte, auf einem anderen Planeten gelandet zu sein. 
Irgendwo am Rande des Sonnensystems, wo es besonders finster war.
„Hast du dir eine Karte für die Reise besorgt oder wenigstens mal vorher nach der Richtung gefragt?“, wandte ich mich an den Kater, von dem nicht viel mehr als die Ohren aus dem Dickicht heraus ragten, durch das wir uns seit Stunden kämpften.
„Ich hab n inneren Kompass“, erklang es dumpf aus der  dichten Vegetation.
„Was das?“, wunderte sich Gorgus, der neben mir auf seinem besonders kräftigen Pferd saß und den besten Überblick hatte. 
Mich erstaunte die Frage nicht, hatten Trolle doch den Orientierungssinn eines gewöhnlichen Durchschnittkiesels. Kein Wunder, dass Vetter Grumbatz abhanden gekommen war, was mich zu der Überlegung brachte, ob er vielleicht nur ein paar mal falsch abgebogen war und sich jetzt an den sonnigen Südgestaden vergnügte, während wir Trottel im finsteren Norden auf der Suche nach ihm waren.
„Der beste Weg für die erste Etappe nach Norden soll der Fluss ohne Wiederkehr sein“, unterbrach Mikesch meinen unerbaulichen Gedankengang.
„Ist der nicht für seine Wildheit, seine hungrigen Bewohner und tödlichen Stromschnellen bekannt?“, erwiderte ich. Mir schwante Schlimmes. „Willst du uns umbringen?“
„Du mußt an deiner inneren Einstellung arbeiten“, maunzte der Kater gelassen. „Der Tag das Problem. Du wolltest einen Hinweis. Kaum bekommst du einen, beschwerst Du dich auch schon. Think positiv.“
Ich schüttelte den Kopf. Die Erfahrung hatte mich gelehrt, dass eine Diskussion mit dem Kater in der Regel dazu führte, dass man an seinem Verstand zu zweifeln begann und am liebsten von der nächsten Zinne gesprungen wäre. Außerdem gab der Kater einem mit Freude Informationen, auf die man gerne verzichtet hätte.
Fluss ohne Wiederkehr.... 
Wenn ich das schon hörte! 
Ich schauderte, während ich mein Pferd um eine besonders dichte Brombeerhecke herum dirigierte und erfolglos versuchte, die Vorstellung zu verdrängen, was mir auf diesem Fluss alles zustoßen konnte.
„Gibt's noch einen anderen Weg?“, erkundigte ich mich mit zarter Hoffnung.
„Njet, es sei denn, du willst n paar Monate weiter durch diesen Schrebergarten latschen und Hilly erst dann wiedersehen, wenn du vom Alter gebeugt bist und keine Zähne mehr hast.“
„Fluss Versuch“, machte mir Gorgus Mut. „Ideen von Kater nicht immer schlecht“, nahm er das Fellbündel in Schutz. 
„An deiner Bewunderung müssen wir noch arbeiten mein Großer. Aber trotzdem danke für die Blumen. Im übrigen kann ich den Fluss schon riechen. Ne halbe Stunde noch, Houdini und du kannst dir die Füße im kühlen Fluss baden, wenn du willst.“
Die Aussicht hatte etwas, wie ich zugeben musste.
„Nee, willste lieber nicht“, urteilte der Kater einen Augenblick später nach einem Seitenblick auf meine ausgelatschten Sandalen. „Bist doch auch gegen das Fischsterben, oder?“
„Das nicht gut“, stimmte Gorgus zu.
„Wozu hat man Freunde?“, grummelte ich beleidigt.

Ein gefühltes Jahr später ließen wir endlich das Dickicht hinter uns und erreichten im Licht des Sonnenuntergangs das schlammige Flussufer. Allerdings ließ das warme Licht die Szenerie nicht freundlicher erscheinen. 
Im Gegenteil. 
Der blutrot gefärbte Himmel passte perfekt.
Wer behauptete, die finsteren Schlunde der  Unterwelt zu kennen, war einfach noch nicht hier gewesen. 
„Okaaayyyyy.....“, maunzte Mikesch gedehnt beim Anblick dessen, was meine schlimmsten Befüchtungen noch übertraf. Der Fluss war breit und vermutlich auch tief genug, um darin das gute alte Finsterburg zu versenken. Schlammbraune Wassermassen wälzten sich mit unglaublicher Gewalt das Flussbett entlang und schäumten dabei wie Mollas alter Kessel unter Überdruck. Ein idealer Fluss zum Ertrinken. Zudem floss er schnurstracks nach Süden und führte alles mögliche mit sich! 
„War das eben Holzhütte?“, grollte Gorgus verblüfft, der den besten Überblick über die Apokalypse genoss.
„Hmmm.... n unfreiwilliges Hausboot“, miaute Mikesch ungewohnt kleinlaut. 
„Was hast du erwartet?“, fauchte ich den Kater an. „Es wird Frühsommer. Schon mal was von Schneeschmelze und Flut gehört.“
„Bisher nur im Fernsehen“, räumte Mikesch ein. „Also haben wir zwei Optionen. Wir warten bis zum Herbst bis das Wasser sinkt oder du zauberst was Anständiges herbei, mit dem wir das da bezwingen können.“
„Zaubern nicht gut“, wehrte Gorgus erschrocken ab. 
Um mein Ansehen als Hofmagier stand es wahrlich nicht zum Besten. Allerdings musste ich dem Troll Recht geben. Die Idee war wirklich nicht gut, wenn ich so an meine letzten Experimente dachte..... Auf der anderen Seite war mir wie durch ein Wunder der eine oder andere Zauberspruch auch mal gelungen.
„An was hast du denn gedacht?“, ließ ich mich daher auf die Diskussion mit dem Kater ein. 
Der spreizte die Schnurrhaare und grinste mich herausfordend an.
„Ich dachte an ein Speedboot mit ordentlich Dampf, mit dem wir uns elegant durch die Stromschnellen schlängeln können“, schlug er vor.
„Speedboot?“ 
Was zum Henker war das nun schon wieder? 
„Speedboot, schlängeln, Dampf“, murmelte ich, da ich meine Unwissenheit nicht zugeben wollte, während ich in Gedanken einen passenden Zauberspruch zusammenbastelte. Im Leitfaden für Zaubereranwärter, die die Anwendung so komplexer Zaubersprüche wie das Anzünden einer Kerze überlebt hatten, wurde im nächsten Schritt empfohlen, zukünftig mehr Kreativität zu verwenden sowie ein gutes Testament zu verfassen. 
Gute Ratschläge sollte man ernst nehmen.
Wer brauchte schon ein Zauberbuch, wenn man kreativ sein konnte? 
„Schön, ihr habt es ja so gewollt“, verkündete ich düster und überhörte dabei geflissentlich Gorgus Protest. Dem Troll konnte man einen gesunden Selbsterhaltungstrieb nicht absprechen. Auch Mikesch trat vorsichtshalber ein paar Schritte zurück.
„Grüner Tarnanstrich wäre hilfreich“, regte er noch an, als ich mich ans Flussufer begab und beide Arme hob. 
Lass die Gedanken fließen, machte ich mir selbst Mut. Du bist ein Magier! 
Dann schloss ich die Augen und gab ein Potpourri meiner gesammelten Zaubersprüche von mir, wobei ich mich intensiv auf etwas dampfendes, schlängelndes names Speedboot konzentrierte. Dass ich dabei wie ein durchgeknallter Wanderprediger aussah, der versuchte, die Wassermassen zu bannen, verdrängte ich vorsorglich. Erschöpft ließ ich einen Augenblick später die Arme sinken und öffnete die Augen, um mein Werk zu bestaunen.
Zu sehen war nichts. 
Sah man mal von ein paar massiven Baumriesen ab, die in den wilden Strudeln Karussel fuhren. Das Brechen mannsdicker Äste tönte durch das laute Brausen zu uns herüber und machte uns deutlich, was wir auf diesem Fluss zu erwarten hatten.
„Also doch bis zum Herbst warten“, kommentierte Mikesch trocken mein Ergebnis.
Ich zuckte die Achseln. Es war ungewöhnlich, dass mein Spruch gar nichts bewirkt hatte.
„Da Dampf“, merkte Gorgus plötzlich von der hohen Warte seines Pferderückens aus an.
Tatsächlich stiegen aus einem der tückischen Strudel kleine Dampfwolken auf. Ein ungutes Gefühl sagte mir, dass ich dafür verantwortlich war. Mikesch warf mir einen schrägen Seitenblick zu als wollte er sagen, Was hast du jetzt wieder angestellt?


Was da auf den Kater zukommt, erfahrt ihr in 14 Tagen

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.05.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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