Kafountine ist ein fast idyllischer Ort in der Casamance, dem südlichen Distrikt Senegals. Von der städtischen Region Gambias, in der die meisten Menschen des Landes leben, ist es mit dem Auto etwa drei Stunden entfernt.
Wir fuhren in diesem Jahr mehrere Male dorthin, meist übers Wochenende. Die Fahrt ist manchmal entspannt, manchmal auch nervig. In den frühen Abendstunden staut sich der Verkehr, man kommt nur schleppend voran. Die Luft ist staubig, mitunter stinkt sie. Unglaublich dreckige Lastwagen, die eine dicke schwarze Russwolke hinter sich herziehen, kommen uns entgegen. An den Strassenrändern farbenfroh gekleidete Frauen mit Kindern an der Hand. Hühner und Ziegen stöbern umher, auf der Suche nach etwas Essbarem. Manchmal überquert auch eine Herde Kühe die Strasse.
Ein sehr gewöhnungsbedürftiger Anblick sind die Autowracks an den Strassenrändern. Das Land ist ein wahrer Friedhof der Autos. Kilometerweit erstrecken sich die wenig idyllisch vor sich hinrostenden Karossen. Die Karriere vieler Autos nimmt hier ihr Ende. Wenn sich in Europa die im Laufe des Lebenszyklus häufiger werdenden Reparaturen nicht mehr lohnen, landen die Fahrzeuge häufig nicht auf dem Schrottplatz, sondern in einem Container und werden nach Afrika verschifft. Hier können sie gut und gern noch zehn Jahre fahren, weil das System sehr auf Recycling eingestellt ist. Sie kriegen fast alles repariert. Was kaputt geht und nicht unbedingt nötig ist, wird entfernt, ansonsten so gut es eben geht ersetzt oder repariert. Bis es irgendwann wirklich nicht mehr geht und die Kadaver irgendwo abgestellt werden. Dort wird noch ausgebaut, was irgendwie zu verwerten ist: Die sitze, das Radio, selbst die Türen, die oft in Dörfern in die Eingangstore der Höfe eingebaut werden.
Die sich ansammelnden Autowracks sind Teil eines grösseren Müllproblems. Es gibt einige Bestrebungen, das zumindest zu dämpfen, so hat Senegal die Einfuhr von Autos verboten, die älter als zehn Jahre sind. generell ist es so, dass in Ländern mit schwacher staatlicher Struktur der öffentliche Raum wenig Unterstützung hat. Niemand ist dafür zuständig, er ist verwahrlost. So trank ich auf der Fahrt nach Kafountine eine Büchse Bier und als sie leer war, hielt ich sie unschlüssig in der Hand. «Werf sie aus dem Fenster», sagte mein Fahrer. Er bemerkte mein zögern. «Das macht man hier so», ergänzte er. Ich tat es schliesslich, mich an die hiersige Kultur anpassend. Doch ich wartete damit zumindest, bis wir in einem unbewohnten Gebiet waren.
Das Müllproblem hat verschiedene Aspekte. Der normale Küchenmüll, Essensreste, Bananenschalen etc. ist unproblematisch. Das wird von den vielen Tieren verwertet. Ziegen essen fast alles, auch die Schweine sind nicht besonders wählerisch. Dann gibt es den Plastikmüll, mengenmässig viel weniger, aber doch erheblich. Das wird in periodischen Abständen verbrannt. Es finden sich Menschen – wie genau das abläuft, weiss ich nicht, es beruht aber wohl auf privater Initiative – die alles zusammenharken und alles Brennbare abfackeln. Das zieht sich dann ein etwas widerlicher Geruch von verbranntem Plastik, windeln und so weiter durch die Gegend. Glasflaschen werden mitunter von mit Handwagen umherziehenden Menschen gesammelt und irgendwohin gebracht (Genaueres weiss ich nicht).
Das Problematischste ist der metallische Abfall, weil der aus dem System des Reyclings rausfällt. So liegen überall leere Aluminiumdosen herum. Diese Art von Müll ist erst durch den westlichen Lebensstil entstanden, der bisher noch nicht sehr verbreitet ist, aber doch zunehmend seine Spuren hinterlässt.
Um in die Casamance zu kommen, muss man die Grenze passieren. Genauer gesagt sind es drei grenzen, im Abstand von jeweils einigen Kilometern. Erst kommt die gambianische Grenze, dann der Zoll und schliesslich die senegalesische Grenze.
Innerafrikanische Grenzen sind mit Vorsicht zu geniessen. Sie sind nicht so ganz vorhersehbar und man weiss nie so genau, was da passiert. Letztes Jahr bin ich einmal an der senegalesischen Seite gescheitert. Alle waren bereits durch, dann war ich an der Reihe. Der Grenzer schaute mich streng an und fragte: «Wo ist dein Coronatest?» Ich hatte keinen. Ich versuchte mich zu verteidigen und wandte ein, dass ja sonst auch niemand einen gezeigt hatte. «Das sind Afrikaner», sagte der Polizist. «Aber ihr, ihr bringt das hierher». (Meine Frau war auch aus Europa angereist, so ganz schlüssig war diese Logik also nicht). Dann wandte er sich an meine Frau und sprach zu ihr auf Wolof. Er sagte, dass ich nicht denken sollte, dass er ein Rassist sei. Jedenfalls kam ich nicht durch. Um unterschied zu Gambia, ist in Senegal ein nein ein Nein, da lässt sich dann nichts mehr diskutieren.
Wir fuhren zurück und holten meinen Test. Der Polizist wandte ein, dass der Test nicht mehr gültig war (Die Gültigkeit war zehn Tage, meiner war zwei Wochen alt), aber liess und durch.
Ein anderes Mal wurde ich auf der gambianischen Seite ins Hinterzimmer gerufen. Mein pass wurde gründlich studiert, dann wurde mir gesagt, dass meine Residenz in Gambia nicht eingetragen war. «Was ist deine Adresse?» fragte man mich. Ich sagte, dass wir in unserem eigenen Haus wohnen würden, was aber nicht als Argument galt. Auch der Einwand, dass es kaum reguläre Adressen in Gambia gab, weil die Strasse ja keine Namen und die Häuser keine Nummern hatten, überzeugte ihn nicht. Schliesslich, weil das zu lange dauerte, kam meine Frau herein. Sie redete eine Weile mit den Polizisten, dann konnte ich gehen.
Ein anderes Mal wurde ich in ein sehr kleines Hinterzimmer gebeten. Der Polizist machte langsam den Stempel in meinen Pass, dann fragte er mich: «Was ist gut für einen Polizisten?». Es lag mir auf der Zunge zu sagen «Respekt zu haben», aber damit hätte ich mich in Schwierigkeiten bringen können, die leicht zu vermeiden waren. Ich stellte mich ein bisschen dumm, aber der Mann liess nicht locker. «Was willst du haben?» fragte ich schliesslich. «Was immer du hast, gib es mir!» forderte er mich auf. Ich gab ihm ein paar Dalasi, die Szene war ein bisschen entwürdigend.
Das Thema der Korruption. In Senegal ist mir das kaum begegnet, in Gambia dafür häufig. So gibt es diese Checkpoints, wo die Autos angehalten werden. Dann gibt es eine Art gedämpfter Kommunikation, ziemlich ritualisiert. In der Regel kann man dann unmittelbar weiterfahren, manchmal wird man aber auch unverblümt nach einem Geldbeitrag aufgefordert. Ich habe nie verstanden, wozu diese Checkpoints da sind. Eine Menge Polizisten sind damit beschäftigt, auf der Strasse zu stehen, die Autos anzuhalten und dann weiterfahren zu lassen. Mit konnte auch niemand so richtig sagen, was die Funktion dieser Kontrollen ist. Meist wird das Stereotyp «Sicherheit» vorgebracht, doch Gambia ist nicht gerade ein unsicheres Land. Es ist nicht gerade wie in Nigeria, sondern doch eher, wie in Europa (was das Sicherheitsgefühl betrifft). Mein Eindruck war jedenfalls, dass dieses Personal vom Staat besser verwendet werden könnte, etwa, um das Müllproblem zu lösen.
Kafountine ist ursprünglich ein einfaches Fischerdorf gewesen und besitzt auch heute noch ein markantes Fischereiviertel mit vielen, oft eng beieinander liegenden, langgestreckten hölzernen Booten am Strand oder im Wasser; mit einem archaischen Fischmarkt, wo die aus dem Meer gezogene Fracht geräuchert wird oder roh verkauft wird. Es ist ein Ort voll Lärm und Gestank, überall liegen Fischabfälle, Vögel kreischen und kreisen in grossen Mengen in der Luft, Katzen schleichen umher, Kinder spielen im dreckigen Sand. Kunden kommen und gehen, tragen grosse Schüsseln toter Fische von dannen, Frauen stehen an langen, versifften Tischen, zerhacken fische, verpacken sie. Ein Ort des Lebens.
Wegen seiner breiten und ausgedehnten Strände, die vor einigen Jahrzehnten noch fast menschenleer waren, wurde das Dorf schliesslich auch für Touristen attraktiv. Es ist, unter anderem, ein idyllischer Ort: friedlich, menschenfreundlich, mit einer lebendigen urwüchsigen Kultur. Es gibt hier anteilsmässig inzwischen fast so viele Europäer, wie es Afrikaner in deutschen Städten gibt. Neben Touristen leben hier Aussteiger, die versuchen, sich eine Existenz aufzubauen, etwa als Restaurantbesitzer, vor allem aber eine grosse Zahl von Rentnern, die hier die Wintermonate über leben. Die meisten haben sich ein grosses Grundstück in der Nähe des Strandes gekauft, sich dort ein haus gebaut und geniessen ihr leben in den Tropen abseits des europäischen Lifestyles, doch nicht abgeschnitten von ihm.
Ich bin vielen Franzosen begegnet, einigen Deutschen, auch Holländern und immer wieder Schweizern. Wir selbst besitzen ein grösseres Stück Land (fünftausend Quadratmeter), etwa einen halben Kilometer vom Strand entfernt. Meine Frau hatte das vor knapp dreissig Jahren gekauft, bevor sie nach Europa auswanderte. Es hatte damals dreihundert Euro gekostet, heute wäre dergleichen nur für ein Vielfaches davon zu haben. Unser Land ist noch immer ziemlich unzivilisiert, wenn auch nicht mehr ein Stück Busch mit Schlangen und Ratten wie vor ein paar Jahren. Inzwischen wird es landwirtschaftlich genutzt, von einer alten Frau bewirtschaftet, die all die schweisstreibenden und zum Teil sehr anstrengenden Arbeiten selbst erledigt: in der Hand eine Harke oder eine Machete.
Unser Nachbar ist ein Deutscher, der seit fünfundzwanzig Jahren den grössten Teil des Jahres hier verbringt. Er kommt aus Thüringen und hat dort auch eine Frau und zwei Kinder, scheint aber lieber im Senegal zu sein. Er stellt hier künstlerisch gestaltete Möbel her und verkauft sie an die ansässigen Europäer oder sonstige zahlungskräftige Kundschaft. Alle Arbeiten in seinem Haus erledigt er selbst, so erneuert er in regelmässigen Abständen dessen Strohdach. Dieses Aussteigerleben hatte mich ursprünglich sehr beeindruckt, inzwischen sehe ich das etwas differenzierter.
Ein fester Bestandteil der Kultur dieser Region ist der Kumpo. Das ist ein braunes, zotteliges Wesen (natürlich ein Kostüm), dass die Aufgabe hat, zu prüfen, ob der gemeinschaftliche Geist noch intakt ist und dafür sorgt, dass das auch so bleibt. Der Kumpo kommt, um zu tanzen und zum Tanzen zu animieren. Er tanzt lange und wild, begleitet von unermüdlichen Trommeln, inmitten einer lange anschwellenden Menge von Dorfbewohnern, die phasenweise ihre Tänze präsentieren, Darbietungen, die oft nicht nur rhythmisch, sondern geradezu athletisch, in jedem Fall sehr energiegeladen sind.
Das mystische Wesen in Gambia ist anderer Natur. Es ist der weithin bekannte und gefürchtete Kankurang. Dieser ist ebenfalls zottelig, doch etwas bunter und schriller gefärbt und in seinem Aussehen menschenähnlicher. Er ist ein unfreundlicher Geselle, in jeder Hand hält er eine Machete, die er drohend schwingt. Der Kankurang spielt eine rolle bei der Beschneidung der Jungen. Er zieht mit den Initianten in den walt und bleibt dort über Tage, wo die Beschneidung dann stattfindet. Ob er das selbst tut oder die Prozedur nur leitet, weiss ich nicht. Inzwischen ist diese Figur ziemlich degeneriert, es tauchen überall falsche Versionen, so Kinder-Kankurangs in grosser Zahl. Mein dreijähriger Son spielte mit Kindern der Nachbarschaft im Sand, als an der Strassenecke plötzlich so ein Kinderkankurang auftauchte – mit zwei über dem Kopf gekreuzten Macheten. Die Kinder rannten davon, mein Junge blieb ruhig auf dem Sandhaufen, ich stand neben ihm. Als der Kankurang vorbeikam, schaute er hoch, und begann den Sandhaufen hochzustapfen, mit seinen Macheten gestikulierend. Ich schnappte mein Kind und rannte bis zur nächsten Strassenkreuzung, er hat seitdem ein kleines Kankurangtrauma. Die ganze Sache war für mich schon recht grenzwertig und zwielichtig. Ein Hauch von afrikanischer Kultur, ein Hauch von Dekadenz und eine Spur von Leichtsinn, ja Gefährlichkeit. Ich musste an Kindersoldaten denken, an die kriege von Liberia und Sierra Leone.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.05.2022.
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