Der Kater und der wilde Norden 5

Die ungestellte Frage beantwortete sich von selbst, als ein grüner, mit Schuppen versehener Reptilienkopf den aufsteigenden Dampfwolken folgte. Er war ungefähr so groß wie ein mittlerer Heuwagen und erinnerte stark an eine der fiesen Giftnattern, vor denen schon die kleinen Kinder gewarnt werden. Eine mehrere meterlange Zunge blitzte zwischen gut gepflegten Giftzähnen auf, als sich das Ungetüm mit roten Augen irritiert umsah und kleine Dampfwolken ausstieß.

„Eine Seeschlange“, entfuhr es mir ungläubig.

Ich hatte eine gute Zeichnung und eine noch bessere Beschreibung, warum man dieser Legende besser nie begegnen sollte, in dem Buch Magische Geschöpfe und deren unangenehme Begleiterscheinungen entdeckt.

Eines stand fest.

Der Verfasser hatte nicht untertrieben.

„Ich wollte ein Speedboot, Saruman, keinen Albtraum auf Speed“, jaulte der Kater entsetzt. „Kannst du gar nichts richtig machen?“

„Ist immerhin grün und dampft“, ergriff Gorgus für mich Partei. Manchmal war ich dankbar für seine einfache Art, die Dinge zu sehen.

„Hmm, und in Mordor fehlt jetzt die Hauptattraktion. Der dunkle Herrscher wird entzückt sein. Das kannst du ihm verklickern“, klagte Mikesch auf typisch unverständliche Weise und sah mich dabei finster an, als wollte er sagen, das wird kein Spaß.

Ich kam allerdings nicht mehr dazu, mich um mögliche Schadenersatzklagen des dunklen Herrscher zu sorgen, da zwischenzeitlich das Ungetüm uns ins Visier genommen hatte.

Dabei stellte ich beunruhigt fest, das die anfängliche Verwirrtheit, die vermutlich auf einen von mir verursachten, abrupten Ortswechsel zurückzuführen war, etwas anderem gewichen war, wie ich mich kannte, wahrscheinlich einem gesunden Appetit.

„Oh, oh“, merkte der Kater entsetzt an, als das Biest unerwartet schnell auf uns zuschoss. Schlammiges Wasser tropfte im nächsten Moment auf Mikesch sauberen Pelz, als der Kopf der Seeschlange hoch über uns unschlüssig hin und her pendelte, als könne sie sich nicht entscheiden, wer die Vorspeise abgeben würde.

„Geht's noch?“, beklagte der Kater die Verunreinigung seines Pelzes. „Der war frisch geleckt!“

Ich war überzeugt, dass Mikesch nun gefressen wurde.

Soviel Dreistigkeit konnte nicht ungestraft bleiben.

Doch die Reaktion fiel anders aus, als erwartet.

Statt verdaut zu werden, erklang eine weibliche Stimme über uns, die erstklassig an den Empfang eines Hauses für anrüchige Dienste des weiblichen Geschlechts gepasst hätte.

„Hallo ihr Süßen, wisst ihr, wie ich hierher gekommen bin?“

Der Gott der Durchgeknallten mußte seine Finger im Spiel gehabt haben, als diesem Untier diese Stimme verpasst wurde. Wahrscheinlich hatte er sich schlapp gelacht.

Ich war sprachlos.

Der Kater nicht.

Hätte mich auch gewundert.

„Sieh an, sieh an. Und ich dachte, ich wäre der einzige beklagenswerte Fall, den du in diese Welt katapultiert hast“, maunzte er mit einem bezeichnenden Seitenblick zu mir.

Auf die Blumen hätte ich gerne verzichtet.

„DU warst das?“, ertönte es prompt eine Oktave tiefer, dafür aber in einer rauchigen Stimmlage, bei der Männerherzen reihenweise brechen würden. Mir hingegen würde vermutlich bald was ganz anderes brechen. Aller Voraussicht nach alle Knochen im Verdauungstrakt dieses Ungetüms.

„Ähh...“, gab ich geistreich und eloquent wieder, „...kommt drauf an, wie man das sieht. Eigentlich wollte ich ein Speedboot auf Wunsch des Fellknäuls neben mir herbei zaubern“, versuchte ich die miese Karte zurück zu spielen.

Der große Kopf senkte sich daraufhin bedenklich und nahm Mikesch ins Visir.

„Speedboot? Wie süüüüß. Mein Name ist Speedi“, hauchte das Vieh dem Kater gemeinsam mit einem halben Dutzend verspielter, herzförmiger Rauchwolken ins Gesicht.

„Ich bin auf Partnersuche.“

„Das gut. Er Single“, verkündete Gorgus in gewohnt pragmatischer Weise.

„Schön“, freute sich das Ungetüm. „Ich liebe Männer mit weichem Pelz.“

„Also dann...“ Aufmunternd sah ich den verdutzten Kater an. „Einer für alle.“

„Hast du noch alle Bücher im Regal. Die Süße ist größer als die Etagenwohnung meiner Dosenöffnerin!“

„Dafür hat sie ein paar scharfe Rundungen“, lobte ich die Vorzüge des Ungetüms angesichts des fassdicken Schwanzes, der aus dem Wasser geschossen kam. Wie eine Turmmauer legte er sich in mehreren Lagen übereinander um den Kater. Das Ende bestand aus Hornplatten, die bei jeder Bewegung rhytmisch klappernde Geräusche von sich gaben.

„Flamenco“, ertönte es fassungslos jenseits der Mauer. „Ich glaub's nicht.“

„Er verliebt“, versicherte Gorgus dem Ungetüm. Genau wie ich hatte er einiges zu tun, um die ansich kampferprobten und sich jeder Gefahr stellenden Pferde am Durchdrehen zu hindern.

„Ich würde alles für dich tun“, schmolz der Schrecken jedes Seemanns dahin.

„Also Liebchen, wenn das so ist... die Kumpels und ich würden gerne in den Norden reisen. Kleine Dienstreise unter Freunden. Irgend ne Idee, wie du uns dahin bringen kannst?“, erklang es hohl aus dem Turm aus Schuppenplatten. „Außerdem leide ich an Klaustrophobie, wenn du so nett wärst…..“

„Entschuldige mein Herz“, kam es sofort seidenweich zurück. Wie von Zauberhand zog sich der Schwanz zurück ins Wasser. „Ich habe so ein einnehmendes Wesen. In den Norden kann ich Dich aber nicht bringen. Das ist viel zu gefährlich. Erst recht für ein so zart besaitetes Wesen wie mich.“

„Zart besaitet!“, prustete ich los. „Das Vieh ist vermutlich verantwortlich dafür, dass der Norden menschenleer gefegt ist. Wahrscheinlich verdaut es gerade Vetter Grumbatz“, gab ich in einem Anfall geistiger Umnachtung von mir. Aber was zuviel ist, ist zuviel.

„Du verstehst es wirklich, mit Frauen umzugehen“, fauchte der Kater mich an, während der Troll entsetzt die Seeschlange ansah.

„Vetter Grumbatz?“, fragte er vorsichtig, als würde er aus dem Schlund des Ungeheuers eine Sachstandsmeldung des verschollenen Trolls wie Inspiziere gerade den Dickdarm oder so etwas in der Richtung erwarten.

Inzwischen stritten Mikesch und ich uns herzhaft über die Nützlichkeit des Ungetüms und meine magischen Fähigkeiten während dieses irritiert der Auseinandesetzung zuhörte.

„Na schön“, lenkte ich schließlich ein. „Immerhin habe ich es herbei gezaubert. War vielleicht nicht so optimal, aber irgendwie wird es seinen Zweck schon erfüllen.“

„Haste die Lauscher nicht aufgesperrt? Nessi will nicht in den Norden.“

„Wenn dir soviel daran liegt.... Ein Stück könnte ich euch schon bringen, bis zur Brücke der Gehenkten. Danach wird es zu gefährlich.“

Die Antwort rief unterschiedliche Begeisterung bei unser kleinen Reisegruppe hervor, zumal keiner von dieser ominösen Brücke jemals ein Wort gehört hatte. Wir erwogen verschiedene Optionen des Transports, bei denen ich zum Teil blass wurde, bis Speedi verkündete, sie hätte eine Idee, abtauchte und uns verblüfft zurück ließ.

Wir beschlossen zu warten.

Schlimmer konnte es ohnehin nicht mehr kommen.

Eine leichtfertige Annahme, wie ich feststellen sollte.