Katja Baumgärtner

Eine Geschichte über Armut Von Mutter und Tochter

Eine Geschichte über Armut

Von Tochter und Mutter

 

 

 

„Meine Tochter wird 10 Jahre in einem Monat. Ich kann ihr das Fahrrad nicht kaufen, das sie sich wünschte!“ kam Mutter Elisabeth müde nach Hause und schluchzte. „Ich packe es einfach nicht!“ flüsterte sie vor sich hin. „Wir können uns nur das Notwendigste kaufen.

Ich schäme mich so sehr dafür, nicht mehr Geld zu haben! Es reicht gerade für die Miete und Essen, für ein paar billige Kleider und die Schulsachen. Tina darf in der Schule nicht sagen, dass wir zu arm sind uns, nächstes Jahr die Klassenfahrt zu leisten! Ich schäme mich so! Ich muss mir für sie eine Ausrede einfallen lassen!“ und bei diesem Satz errötete die 41 jährige Frau, die ihre Haare zu einem Dutt hochgesteckt hatte. Das war einfacher, wenn man nicht dauernd zum Friseur gehen kann.

Früher trug sie offene Haare bis zum Kinn, aber das war für ihrem Empfinden eine Ewigkeit her.


„Tina, Hausaufgaben gemacht und Mittag gegessen.“ Elisabeth musste heute nachmittags arbeiten wie so oft. Sie bereitete dann den Vortag das Essen vor. Tina war sehr selbstständig und machte die Hausaufgaben jeden Tag ohne wenn und aber. „Mama, kannst Du mir heute Abend noch die Englischvorkabel abfragen?“ „Gerne, mein Kind!“ „Übrigens ich habe in Mathe nur ´ne 4 geschrieben!“ „Macht nichts, Tina. Am Wochenende schaue ich über deine Rechenaufgaben! Du siehst ja. Ich habe einen Meister im Schneidern und habe trotzdem kein Geld. Aber `ne gute Ausbildung ist schon wichtig. Versuch auf die höhere Schule zu gehen!“

„ Ja, Mama!“ Nach einiger Zeit sagte sie weiter: „Wenn Papa noch da wäre, Mama!“ „Ja, der Unfall!“ seufzte Elisabeth. „Damals ging es uns noch gut, Kleines!“ und Tina und ihre Mutter schauten zu dem Foto ihres Vaters Otto rüber, was auf dem Regal stand neben dem Radio. „Wir packen das schon, Kleines!“ und Elisabeth streichelte über Tinas Haar, was zu einem Pferdeschwanz hochgebunden war.

Beide lernten gegen Abend noch kräftig Vokabel. „Das wird ne 1, Tina. Ich bin ganz gespannt!“ Tina lenkte ab: „Mama, ich freue mich auf meinen Geburtstag!“ „Ja, Tina!“ und die Mutter schaute ihr dabei nicht ins Gesicht. Das Geschenk muss kleiner ausfallen, dachte Elisabeth in diesem Moment.

„Feiern können wir nur zu zweit!“ „Ich weiß doch, Mama!Hauptsache ich kriege das Fahrrad!“ Ihre Mutter schluckte. Tina bemerkte es nicht und umarmte ihre Mutter und wünschte ihr Gute Nacht! In ihrem Kinderzimmer las Tina zum dritten Mal Peter Pan. Ihre Mutter konnte ihr keine weiteren Bücher zum Lesen kaufen. Die junge Frau kam herein und sie gab ihrem Kind Tina einen Guten Nachtkuss. „Jetzt schlaf mal gut ein und träume etwas Schönes, Kleines!“
„Wenn ich das Fahrrad bekomme, dann bin ich schon fast erwachsen, Mama! Stimmt`s!“
Elisabeth nickte mechanisch und ging enttäuscht aus dem Kinderzimmer. Das Licht im Zimmer war schon ausgeschaltet. Der Rollladen war gesperrt, dass das Licht der Straßenlampen und Häuser einfiel.

 

An Tinas` Geburtstag gab es dann nur einen Roller und einen Gesundheitskuchen. Die Sonne blitzte ins Fenster und man sah Schlirrstreifen auf dem Fensterglas vom Putzen. Wahrscheinlich schien die Sonne am Tag des Fensterputzens. Tina ließ sich nicht die Enttäuschung anmerken. „Morgen fahre ich mit dem Roller in die Schule. Bin ja schon ein großes Mädchen.“ „Ich weiß! Wir haben ja auch noch Weihnachten, Tina!“ „O ja, Mama!“ und Tina sprang auf die Mutter zu und wollte sie drücken. Die Mutter atmete tief ein. Wie soll ich das packen! schluckte sie nachdenklich. Aber an Wunder mag sie gar nicht denken. Vor 2 Jahren verstarb ihr Mann Otto noch an der Unfallstelle Ihr Auto war ein Schrottwagen nach dem Unfall. Keine Rettung mehr für ihren Mann. Tinas Mutter und sie mussten danach aus der großen Wohnung. Finanziell ging es ihnen vorher gut. Sie verlebten eine schöne Zeit zu vor. Sie waren eine glückliche Familie 2 Jahre zu vor noch gewesen. Elisabeth musste damals nichts arbeiten wie ihren Beruf ausüben. Sie war Hausfrau. Da sie keinen Stress vertragen konnte, verbot es ihr Mann zu arbeiten und sich um Tina und der Wohnung mit samt den großen Garten zu kümmern. Das war eine Menge für die Frau. Sie war ausgelastet. Das änderte sich nach dem Tod des Mannes und ihre Mutter und Tina mussten in ein kleinere Wohnung in ein anderes Viertel, wo es auch andere Wohnblocks gab. Beide mussten sich damit abfinden, ihr altes Zuhause aufgeben zu müssen. Sie mussten einfach mit allem klarkommen. Elisabeth suchte sich eine Arbeit als Schneiderin in einer Fabrik. Sie konnte nicht großartig wählen und nahm die erst beste Stelle an. Das war die Arbeit in der Fabrik. Die Arbeit war unter Elisabeths Niveau, aber sie konnte einfach nicht wählerisch sein. Die Umstellung war für beide viel und anfangs taten sich beide schwer. Besonders anstrengend war es für die Mutter. Geld vermachte ihr Mann beiden nicht, er studierte gerade und wollte Diplom-Betriebswirt werden. Das Geld sparte er dafür zusammen. Er hinterließ Elisabeth und Tina fast gar nichts, nur das sie über die Runden kamen. Sie lebten von der Hand in den Mund, mit dem Geld was Otto ihnen hinterließ konnten sie gerade die Miete und die Kaution bezahlen und einiges anderes – nur Nützliches teils. Aber von dieser Zeit an hieß es sparen.

 

Elisabeths´ Aufseher war sehr zufrieden mit ihrer Arbeit. Er beobachtete sie. Sie war fleißig und aufmerksam bei der Sache. Sie blieb am Ball. Oft fiel sie erschöpft ins Bett, ließ es ihrer Tochter dennoch nicht anmerken. Ausflüge waren selten.Die Mutter klagte nicht, nur manchmal ihre Tochter. Im Gegensatz zu ihr musste sie stark sein und ihr Kind durchbringen. Dafür verzichtete sie auf vieles. Sie hatte seitdem keinen Bekanntenkreis mehr. Ab und zu sprach Elisabeth mit den Nachbarn. Tina war bis jetzt einmal im Kino mit ihrer Mutter gewesen. Es lief Bibi Blocksberg. Das war ein Erlebnis für Tina, woran sie lange in Erinnerung schwelgte. Sie blieb in ihrer alten Schule, dafür sorgte ihre Mutter. Ihre Freunde blieben, dennoch hielten dessen Eltern sie fern von Tina, die in einem anderen Viertel der Stadt lebten.

 

Einmal stand Elisabeths` Aufseher vor den beider Tür. Tina öffnete überrascht und war ganz entsetzt über diesen Mann, der ja nicht ihr Papa war. Er lächelte das Mädchen an und fragte nach ihrer Mama.Tina warf seinen Blumenstrauß später unten im Hinterhof in den Müll. Sie verleugnete ihre Mama, nicht hier zu wohnen. Ihrer Mutter sagte sie nichts von dem Besuch und dem Strauss. Sie lehnte ihn als Mamas Verehrer ab. Es kam nicht heraus, dass Elisabeths Chef sie überraschend besuchte. Ihre Mutter war zwischenzeitlich einkaufen gewesen.

 

Tina war zufrieden mit dem Roller. Sie fand sich damit wie so oft ab, dass das Geld nicht zu mehr reichte. Sie freute sich sogar und dachte an Mamas Geburtstag, der in drei Monaten sein wird.

Sie malte ein Bild von sich und ihrer Mutter. Sie überlegte ein Wiesenblumenstrauß zu pflücken. Nur wie und wo? So veranlasste sie, den Nachbarsjungen Erich einen Tag vor Mamas Geburtstag ihr die Blumen zu pflücken. Sie werde ihn zu einem Blumenstrauß fertigen. Erich hatte ein Fahrrad und es war kein Problem, aufs Land zu fahren und Blumen und anderes zu pflücken. Es war Ende Juli und der Junge war froh, einen Grund zu haben, einen Abstecher auf`s Land zu machen.

Einen Tag vor Elisabeths Geburtstag backte Tina ein Rotweinkuchen. Es roch am späten Abend nach Kuchenduft, aber ihre Mutter war so von der Arbeit müde, dass sie sich früh am Abend gleich ins Bett legte und einschlief. Tina hörte sie schnarchen, was sie immer tat, wenn sie zu viel Stress hatte. Das Mädchen war zufrieden und rührte also daraufhin in aller Ruhe den Kuchen ein. Taschengeld bekam sie so gut wie nicht, so dass es nur für ihre Mutter für ein gutes Stück Seife reichte.

Am nächsten Morgen klappte alles wie am Schnürchen. Tina spielte auf ihrer alten Blockflöte Happy Birthday. Beide waren entlastet und entspannt. Es war Sonntag und keine Grund zur Hektik. Elisabeth fotografierte nur den Blumenstrauß und dann ein Bild mit ihr und ihrem Kind mit dem Smartphone.

So hatte sich Tina Mamas Geburtstag vorgestellt. Sie dachten nichts schlechtes. Nachdem Elisabeth ihre Tochter zu Bett gebracht hatte, öffnete Elisabeth spontan mir nichts dir nichts die Wohnungstür. Es lag unerwartet ein natürlicher vom Floristen gebundener Blumenstrauß vor der Tür. Es steckte ein Kärtchen im Strauß: Nächsten Sonntag Nachmittagsvorstellung zu dritt für die Kinderoper Hänsel und Gretel. Ich hole euch ab... Michael Klausen. Unter dem Blumenstrauß lag verpackt das Buch Am Südpol denkt man ist es heiß, das die junge Frau erstaunt auspackte und vor Glück weinte.

Danach öffnete die Mutter das Kinderzimmer und schaute hinein. Sie sah ein schlafendes Kind und ging auf sie zu, gab ihr einen liebevollen Kuss auf die Stirn und flüsterte: „Vielleicht haben wir Glück, Kleines. Ich mag ihn!“ und sie ging und drehte sich noch mal zur schlummernden Tina um.

Der Rollladen war gesperrt und es schimmerte Licht von den Straßenlampen und Häusern hindurch wie immer.

 

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