Francois Loeb

KIRSCHENLATEIN

Kirschenzeit! Was da alles geschehen kann zu erfahren in meiner neuen Wochengeschichte:
KIRSCHENLATEIN
„Kirschenlatein?“, sage ich zu meinem Klassenlehrer, der hinter seinem Katheder sitzt. Soeben haben wir eine Deutschstunde hinter uns. Er, den ich so bewundere, hat uns als Hausaufgabe einen Aufsatz mit dem Titel KIRSCHENLATEIN in Auftrag gegeben. Ich bin, nach dem Pausenklingeln das seit gestern komisch scheppernd erklingt zu ihm geeilt. Stelle ihm diese Frage. Er beharrt auf dem Titel auch als ich ihn darauf aufmerksam mache, dass möglicherweise ein S zu viel in seiner Aufgabenstellung sei. Ich solle gefälligst nicht an seinen Betitelungen rummäkeln, ihm vertrauen. Mich mit eben diesem Thema auseinandersetzen. Kreativität sei gefragt. Wie er diese immer in den Vordergrund stelle. Ob ein S fehle oder nicht, sei nicht relevant. Die Aufgabe klar gestellt. Ich solle meinem Ruf als seinem Spitzenschüler gerecht werden. Hoffe, dass die letzte Bemerkung keinem meiner Mitschüler zu Ohren gekommen ist. Würde meinem miesen Ruf als Streber festigen, gegen den ich mit Penetranz täglich kämpfe.
Höre mich nachdem der Lehrer den Klassenraum verlassen hat herum was die Klasse zum Aufsatzthema meint. Verheerend! Von ‚‘der spinnt jetzt total‘, bis zu ‚dementer Buchstabenverwechsler’, vernehme ich einen bunten Strauss von Negativismen, gebunden mit einem schwarzen Häme-Band. Fahre das Problem wälzend mit der Stassenbahn nach Hause. Gönne mir dann zum Gedankenlüften eine Runde Skaten.
Frische Luft, auch wenn schwarze Wolken wie jetzt dräuen, bringt stets neue Ideen. Doch heute will sich keine einstellen. Fliegen alle den Wolken nach. Lassen sich da gemütlich ausserhab meiner Reichweite nieder, verhöhnen mich von dort aus mit offenen Mündern. Eine jedoch erhebt sich leicht. Legt ein Ei, das platzend, ideengelb versprühend vor meine Füsse fällt. Buchstaben kullern um meine Zehen. Sudoku? Darin bin ich ein Meisterlehrling. Setze das Wort in Sekundenschnelle zusammen: ‚FISCHERLATEIN‘! Oje, sich also nicht durch Kirschenlatein auf falsche Fährten locken lassen. Zurück in mein Zimmer hasten, das ich mir als Studieroase eingerichtet habe. An meinen Schreibtisch setzen. Niederschreiben:
‚Wie allgemein bekannt lassen Fischer ihre Catches gefüttert mit Worten ins Unermessliche wachsen. Entferne ich das S aus dem Titel der Aufgabe, entsteht KIRCHENLATEIN. Kirchen vorzuwerfen sie übertrieben ihre Aussagen ins Unermessliche könnte blasphemisch ausgelegt werden. Mich mit dem Padre unserer Schule anlegen? Darauf verzichte ich wie am Freitag auf Fleischspeisen. Mit Ausnahme eines Döners selbstredend, wobei ich diesen auch vegetarisch verzehren könnte.‘
Da sitze ich nun mit dem Anfang und nicht dem Fang des Aufsatzes. Kaue an meinem Bleistift. Der aufgesteckte Gummi schmeckt nach Pfefferminze. Ist jedoch, wie ich mit einem Blick feststelle, beinahe am Ende seines anstrengenden Erdendaseins. Bitte die auf der Wolke sitzende Ideenleitstelle, mir aus der Patsche zu helfen. Und siehe da, diese lässt mich nicht im Stich. Durch mein linkes Nasenloch, ach wie das kitzelt, ich muss bestimmt gleich niesen, das darf aber nicht sein, die Idee soll in mein Hirn und nicht ins Taschentuch, dringt ein Etwas. Entfaltet sich in meinem Vorderhirn. Flutet den Kopf. Und schon wieder eilt der Stift über das Papier. Ich kann diesem kaum folgen:
‚KIRSCHENLATEIN! Stimmt. Ist richtig! An einem Kirschbaum der voller reifen, dunkelroten, Kirschen hängt, öffnet die Einhundertdreizehnte vom Ast siebenundzwanzig ihren kirschförmigen Mund. Behauptet frech und geil, sie sei so schwer wie alle Kirschen auf diesem Ast. Sie sei die Grösste. Die Süsseste. Die Röteste. Die Mächtigste. Schlage alle anderen Kirschen mit einem Augenblitz, obwohl sie keine Augen ihr Eigen nennen dürfe. Da erschallt ein lautes Gelächter aus dem Inneren der besagten Kirsche. Der Wurm, der in ihr steckt, streckt seinen Kopf an die frische Morgenluft und Klack, fällt die freche, geile Frucht zu Boden. Platzt auf. Wird samt Wurm zum Frass eines Engerlings, der vom Vogel aufgepickt seinerseits sich in die Lüfte hebt, den Stein der Frucht fallen lässt, daraus ein Kirschbaum nach Jahren sich erhebt, auf dem erneut eine Frucht entsteht, die das Kirschenlatein in Perfektion beherrscht.‘
Auf und davon eile ich, nachdem ich meine Hausaufgabe erledigt habe mit dankbarem Blick zu den Wolken, ins Freie. Skate um die Wette. Immer schneller. Stets gewagter. Auch bedeutend leichter, da die Aufgabe des Aufsatzes KIRSCHENLATEIN mich nicht mehr mit ihrem Gewicht zu erdrücken mag …
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K I R S C H E N E S S E N
Vögel lieben
Auf Bäumen
Rote Kirschen
Zu ihrem Frass.
Bäume lieben
Vögel die
Tragen deren
Steine in die
Weite Welt.
Mit Diktatoren
Kirschen essen
Nein
Denn sie vergiften
Unser aller Sein.

Herzlichst
François

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.06.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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