Djallo ist ein Mann mittleren Alters, nicht sehr gross, schlank. Er ist aus Guinea, ein Ausländer in Gambia. Man sieht es ihm an, dass er nicht von hier ist. Vor allem ist er sprachlich eingeschränkt. Er spricht nur wenig Wolof, kein Englisch (was ihm hier auch nicht so viel nützen würde). Aber er kommt zurecht.
Er hat einen kleinen Laden, wie er typisch für diesen Teil Afrikas ist. Ein etwa zehn Quadratmeter grosser Raum, mit einer Theke, dahinter ein Regal, wo nicht viel drin steht. Man kann hier Dinge des täglichen Bedarfs kaufen. Eier, zehn Dalasi das Stück (Der Euro steht bei 60 Dalasi), mittelgrosse Baguettes, ebenfalls zehn Dalasi. Die Baguettes sind trocken, nicht besonders gut schmeckend, aber wenn man sie mit Butter beschmiert, kriegt man sie runter. Bei unserer Ankunft kosteten sie noch sieben Dalasi, dann gab es plötzlich für mehrere Tage keine mehr. Sie werden teurer, wurde mir gesagt. War dann tatsächlich so. Was er noch verkauft: Thunfischdosen aus Nordafrika (35 Dalasi, glaube ich), Kaffee (grundsätzlich löslichen, anderer ist praktisch nirgendwo zu kriegen), Salz, Holzkohle, Butter (für mich nicht zu geniessen, wir kauften immer die teure Importbutter) und noch ein paar andere Kleinigkeiten. Das Angebot war also überschaubar und nicht besonders hochwertig, deckte aber die lokalen Bedürfnisse weitgehend ab. Wer etwas anderes wollte, musste zur Turn Table oder noch weiter auf den Markt in Serre Kunda, aber das war nur selten nötig.
Djallos Laden hat keine Öffnungszeiten. Er ist samstags geöffnet, sonntags, an Feiertagen, meistens jedenfalls. Man kann dort früh am Morgen einkaufen, mittags, abends, immer wenn er da ist und das ist oft. Wenn er etwas anderes zu tun hat oder jemanden besuchen will, schliesst er das Geschäft ab und geht. An das Ladenzimmer schliesst sich ein anderes an, wo er wohnt und schläft. Vermutlich steht ein Bett drin oder eine Matratze, ein Schrank, vielleicht. Die Toilette mit einer Dusche und einem Waschbecken befindet sich im Inneren des Hofes und wird auch von anderen benutzt.
Oft kommen Kinder an die Theke und kaufen, was nötig ist. Mitunter bleiben sie eine Weile und spielen vor der Tür, auf der Strasse, im Sand. Als wir in Gambia waren, kamen sie oft in unseren Hof herein, schauten sich um, ob Spielzeug in Reichweite war (was häufig der Fall war) ergriffen und benutzen es und liessen es dann wieder irgendwo liegen.
In Gambia kaufen die Kinder für ihre Eltern ein. Schon die fünfjährigen, die zehnjährigen sowieso, zumindest am Wochenende und in den Ferien.
Wenn nichts zu tun war und das war oft, weil im Laufe des Tages mitunter stundenlang keine Kundschaft kam, nahm Djallo sich gern einen Stuhl, setzte sich an den Strassenrand in der Nähe eines Sandhaufens und liess die Zeit verstreichen.
Er kümmert sich auch um unsere Ziege. Seit einigen Monaten haben wir eine. Sie ist im hintersten Teil des Hofes an einem recht kurzen Strick angebunden, haust in einer kleinen Kammer. Djallo bringt ihr täglich Futter, Wasser, säubert ihren Bereich. Warum die Ziege nicht wie viele andere hier frei im Quartier herumstreicht und sich dabei selbst ernährt, weiss ich nicht. Sie hat einen etwas bösartigen Charakter, vermutlich, weil sie klein gutes Leben hat. Wenn man sich ihr nähert, senkt sie ihren Kopf und versucht, den Ankömmling zu rammen. Sie hat schon mehrere Male ihren Strick zerrissen und vagabundierte dann durch den Hof, verteilte überall ihre Kotkügelchen. Wenn das geschah, kamen keine Kinder zu uns rein, sie hatten zu viel Respekt vor diesem Tier.
Jeden Tag in den frühen Abendstunden kam ein Motorrad vorbei und belieferte ihn mit Brot. Das Gefährt hatte einen grossen Korb auf dem Gepäckträger, der entsprechend vollgepackt war. Der Fahrer hatte sein tägliche Runde, belieferte die lokalen Läden. Für mich waren solche kleinen Beobachtungen interessant, weil ich durch sie verstand, dass die Wirtschaft auch hier in Gambia als ein organisiertes System funktioniert und nicht auf isolierten Aktivitäten einzelner Menschen aufgebaut ist (Dazu bald noch mehr).
Djallo kümmert sich auch noch um andere Dinge, vor allem um unsere Gäste. Wenn Interessenten kommen, zeigt er ihnen die Wohnungen. Wenn dann jemand etwas mieten will, diskutiert er den Fall mit Christine (meine Frau). Die Preise sind nicht komplett feststehend, je länger jemand bleibt, desto flexibler sind die Tarife. Aber auch dann, wenn es zu einer Einigung kommt, ist die Sache nicht unbedingt gelaufen. Kunden werden mitunter abgelehnt, wenn sie schon bekannt und in schlechter Erinnerung geblieben sind (kaputtes Mobiliar, fortwährende Reklamationen, Zahlungsprobleme) oder zu vermuten ist, dass sie Ärger machen werden. Grössere Gruppen junger Männer haben keinen guten Stand, mutmassliche Prostituierte auch nicht.
Bei den bestehenden Mietern nimmt er das Geld in Verwahrung und bringt es Christine, wenn sie im Land ist oder zahlt es auf ihr Konto ein. Er ist dabei sehr zuverlässig und seriös und stand nie im Verdacht, etwas für sich abzuzweigen. Das ist nicht selbstverständlich, in Gambia scheint die Anfälligkeit für monetäre Versuchungen recht gross zu sein. Insbesondere dann, wenn ein Diebstahl nicht so leicht zu beweisen ist, was ja eher die Regel ist.
Weiterhin kümmert sich Djallo um den Zugang zu Internet und Strom. Internet kann man entweder als 3G oder als WLAN beziehen. Im Falle von 3G kauft man Megabyte und lädt sie auf sein Smartphone. Sind die Megabyte verbraucht, hört die Verbindung auf. Einen WLAN-Zugang erhält man monatsweise. Er kostet knapp dreitausend Dalasi (es gibt verschiedene Anbieter mit verschiedenen Preisen, der Marktführer ist QCell), ausserdem braucht man einen kleinen Router, den man sich in die Hosentasche stecken kann (dann hat man überall WLAN).
Mit dem Strom verhält es sich ähnlich, er ist bei allen zu mietenden Wohnobjekten exklusiv. In jeder Wohnung hängt ein Stromzähler, ein Meter, auf das man Guthaben laden kann. Ist es aufgebraucht, hört auch die Elektrizität auf. Manchmal haben diese Meter Probleme, insbesondere nach Stromausfällen. Dann sitzt man im Dunkeln, oft hilft ein Anruf bei der Elektrizitätsgesellschaft. Zu Stromausfällen kommt es zuverlässig, manchmal nur einmal am Tag, mitunter in ganzen Sequenzen, dynamisch getaktet. Oft dauert das nur eine halbe Stunde oder nur Minuten, es hat aber auch schon das ganze Wochenende angedauert. Wenn es nachts passierte, holten wir Kerzen heraus und machten auf diese Weise Licht. Dann sassen wir auf dem Balkon, und schauten, wo in der Nähe gerade Strom vorhanden war und wo nicht. Ganze Strassenzüge erhellen oder verdunkeln sich von einer Sekunde auf die nächste, es ist beinahe beeindruckend.
Zurück zu Djallo. Ich hatte immer gedacht, dass es sein Laden war, in dem er arbeitete. Tatsächlich aber gehörte er einer Kette, Djallo war nur Vertragspartner.
Auch hatte immer gedacht, dass das Geschäft gut lief. Es kamen ja ständig Leute und kauften dort etwas. Es mochte im einzelnen zwar jeweils nicht viel Umsatz sein, in der Summe sollte aber schon etwas zusammenkommen. Zumal er den einzigen Lebensmittelladen in der nahen Umgebung hatte.
Doch Djallo war geschäftlich in Schieflage geraten. Das soll vor allem daran gelegen haben, dass er zu viel Kredit gab. Er besass ja vor allem Kundschaft mit wenig ausgeprägter Kaufkraft. Oft kamen Kinder, die Brot brauchten und gerade kein Geld dabei hatten. Djallo hat kein hartes Herz. Er gab Kredit. Und Kredit. Und Kredit.
Irgendwann konnte er dann seine eigenen Verpflichtungen nicht mehr erfüllen. Der Besitzer kündigte ihm, wohl fristlos und setzte einen anderen Verkäufer an seinen Platz. Djallo musste sich in den hinteren Bereich des Hofes zurückziehen, wo er noch eine Schlafgelegenheit fand.
Du solltest, sagte dieser Boss zu ihm, nun nach Guinea zurückkehren. Jetzt, wo du kein Geschäft mehr hast.
Es bist nicht du, entgegnete Djallo, der entscheidet, wohin ich gehe.
Uns gefiel diese Entwicklung nicht. Wir brauchten Djallo, weil er uns in vielen Belangen hilft, auch ist er ein angenehmer Zeitgenosse. Christine rief (wir waren inzwischen wieder in der Schweiz) den Besitzer an und forderte ihn auf, ihm eine zweite Chance zu geben. Der Besitzer lehnte ab. Daraufhin kündigte sie ihm den eigenen Vertrag, wohl auch fristlos. Der Besitzer wandte ein, dass sie ihm nun Auslöse zahlen müsste für alles im Laden, was er investiert hatte: Kühlschrank, Möbel vielleicht. Ich kenne die Details nicht. Insgesamt handelte es sich um 6000 Dalasi, also tausend Franken.
Bei der Überweisung des Geldes hatte ich ein interessantes Erlebnis mit Western Union. Western Union ermöglicht einen unbürokratischen und schnellen Geldtransfer in Regionen, wo Banken nicht verbreitet sind, ist oft alternativlos. Ich ging also zur Überweisungsstelle in unserem Dorf (das wird in der Regel am Bahnhofsschalter erledigt) und vollzog die Transaktion. Die Gebühren waren inzwischen sehr niedrig, gerade sieben Franken (was mich etwas wunderte). Als ich auf die Quittung schaute, wunderte ich mich noch mehr. Der Kurs stimmte nicht. Der Franken stand bei 56 Dalasi, auf dem Beleg standen 48. Das waren 15 Prozent Abweichung oder ein verdeckter Abschlag von 150 Franken. Man gab mir dann die Auskunft, dass Western Union seine eigenen Umtauschkurse mache und die mitunter von den offiziellen abwichen. Nun gut. Ich war damit nicht einverstanden und stornierte die Überweisung (was dauerte, aber ging). Dann rief ich Christine an. Sie meinte, dass es keine andere Möglichkeit gäbe, das Geld an den Mann zu bringen. Gut, dann also doch! Ich traf wieder auf denselben, überaus langsamen und nicht sehr freundlichen Angestellten und erklärte, dass ich keine andere Möglichkeit gefunden hatte und das Geld nun doch überweisen würde. Er schaute mich an und meinte dann, dass das nun nicht mehr gehe. Er lehne mich als Kunden ab und untersage es mir, die Dienste seines Unternehmens in Anspruch zu nehmen. Ja ja, sie dürften das, ohne Angabe von Gründen. Das war krass. Ich fuhr dann in den nächsten Ort und überwies das Geld von dort.
Das hat da alles geklappt, inzwischen betreibt Djallo den Laden in eigener Regie und wird im günstigen Fall den gegebenen Kredit mit der Zeit zurückzahlen.
Vorheriger TitelNächster Titel
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Steffen Herrmann).
Der Beitrag wurde von Steffen Herrmann auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.06.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Steffen Herrmann als Lieblingsautor markieren
Meine Gedanken bewegen sich frei
von Andreas Arbesleitner
Andreas ist seit seiner frühesten Kindheit mit einer schweren unheilbaren Krankheit konfrontiert und musste den größten Teil seines Lebens in Betreuungseinrichtungen verbringen..Das Aufschreiben seiner Geschichte ist für Andreas ein Weg etwas Sichtbares zu hinterlassen. Für alle, die im Sozialbereich tätig sind, ist es eine authentische und aufschlussreiche Beschreibung aus der Sicht eines Betroffenen.
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: