Christina Elsner

Die Welt steht still

Gibt es einen Gott? Gibt es einen Gott für Menschen die keine Menschen sind? Sie fragt es sich oft, das Mädchen mit dem traurigen Blick im jungen Gesicht wenn sie am Grabe ihrer Mutter steht. Es wäre gut wenn sie etwas fühlen würde wenn sie dort steht. Doch sie fühlt nichts. Nur die Erde unter ihren Füßen wenn sie nachgibt. Manches mal hat sie den Wunsch in diese Erde zu sinken. Einfach fort von den Blicken die ihr entgegen kommen von einem Vater den sie liebt. Sie liebt ihn so sehr. Auch er liebt sie so sehr. Er liebt ihr Gesicht und ihren Körper. Alles ist genauso wie bei dem Menschen der in der Erde ruht. Vielleicht ist dies auch der Grund weshalb sie nichts fühlt. Ja, so muss es sein, sie liegt in der Erde, begraben unter zwei Metern Staub und Dreck durchwühlt von Maden und anderem Gewürm, der modrige Gestank durch die teuersten Blumen und Kränze aufgehoben. Ihrer Meinung nach riecht alles gleich. Gras, Blumen, Leichen. Alles riecht gleich. Nach Tod. Hätte sie dieses einmal gewusst, das ihr Leben der Friedhof ihrer Träume werden könnte, wäre sie gerannt so weit ihre Füße tragen. Sie wäre gerannt bis ihre Fußsohlen aufgerieben gewesen wären und eine Blutige Spur auf den Sauberen Straßen von ihrem Heimatort irgendwo ausserhalb von Ottawa. Sie will so gerne diese Spur hinterlassen, aber sie kann nicht. Sie bleibt in der Zeit stehen. Irgendwie kann sie sich gut vorstellen genau die perfekte Frau zu sein. Wenn er neben ihr steht, wenn er sie ansieht mit den großen grünen Augen die sich mit Tränen füllen die nie stoppen. Sie werden nie vergehen und trocknen diese Tränen auch wenn sie auf die Erde fallen und sich in den dichten Boden saugen. Sie kann es kaum ertragen, dieses Leben in dem sie nichts hat ausser diesem Vater den sie so liebt und mit ihm leidet den Ganzen Tag und die Ganze Nacht. Stunde um Stunde, die auf der handbemalten Wanduhr vertickt. Eine Wanduhr die ihre Mutter bemalt hat. Jede Faser und jedes Keramik Gefäß in dem Kleinen Häuschen mit der roten Tür scheint ihr ein Leben vorherzubestimmen und es für sie zu leben. So Langweilig das sich in ihrem Herzen eine Kluft auftut. Aber ihr Vater, der sieht diese Kluft nicht. Nein, er selbst kann nicht sehen wie sie zerbricht, Stück für Stück denn seine Augen sind so Tränenerfüllt. Also nimmt sie dieses hin, schweigend, immer wieder Kränze und Blumen niederlegend auf ihr eigenes Grab. Es ist ihr eigenes Grab für sie.

Sie leben in einer Schneekugel deren Glashülle sie nicht zerbrechen können. Sie beide. Aber das Mädchen, sie denkt sich wenn sie die Augen nur schließt dann ist sie weit weg. Ob sie ihn wohl bedauert? Wahrscheinlich ist es Bedauern das sie fühlt wenn sie ihn ansieht, auf dem Ledersofa sitzend das sich ihre Mutter gewünscht hatte, verblasste Fotografien anstarrend wie den Heiligen Gral. Heiligkeit ist nichts im Vergleich mit ihr, aber er soll sie ruhig sehen so wie er sie will, denn dann wird ihr so manche Sünde verziehen. Und ein Sünder ist sie seit ihrer Geburt, das Mädchen mit den ach so traurigen Augen und dem eisigen Blick. Er soll ihr ruhig ihr Leben vorleben, das braucht sie vielleicht. Sie ist ein Mensch. Und doch ist sie wiederum keiner wenn sie in der kleinen Küche steht und Teller spült die sie hasst im Takt mit der handbemalten Uhr. Dann ist sie ein Ungeheuer das in seinen Fesseln liegt und wartet. Überall scheint der Schatten zu schweben, scheint der Herzschlag zu sein den es nicht mehr gibt, es bringt sie fast um. Die Fesseln halten das Ungeheuer nur Mühsam in ihrem Spielraum. Auch das wohl nicht für immer.

Ein Schönes Mädchen ist sie. Ungeschliffen wie ein Diamant. Nein, nicht doch ,das wiederspricht sich, sie ist auf Hochglanz poliert - ein Replikart von etwas wertvollem. Sie steht still in sich selber den Schmerz zurückschiebend so das es nur noch dieses dumpfe Klopfen in ihrer Seele gibt.
Dichterherz- Begraben in einer Leblosen Hülle. Oder ist es doch nur ein Stück Kohle, ihr ach so großes Herz? Sie weiß es nicht mehr. Zu viel Zeit ist vergangen in ihrem Leben ohne wirklich vergangen zu sein. Eine tragische Anekdote. Tragisch bis zum letzten. Und dennoch nur ein gewöhnlicher Stein in einem übervollen See. Gefüllt von toten Seelen. Das ist es wohl wie sie manchmal denkt. Und so oftmals, denkt sie gar nicht. Die Leere in ihrem Gesicht ist einfach da, einfach nicht zu übersehen. Ein Püppchen soll sie sein. Aber das kann sie nicht sein. Sie ist wie ein Vampir der allen um sich herum das Leben aussaugt und sie danach liegen lässt in einer Seitenstraße. So macht es ihr Vater ja auch mit ihr. Diese Liebe ist ungesund. Sie wird sie töten. Das hofft sie innerlich. Ja, sie wünscht sich den Tod. Jemanden der sie rettet. Wieder dieses Ungeheuer. Das letzte Einhorn.

Wahrscheinlich hätte sie, wenn sie vor langer Zeit gegangen wäre so etwas gefunden wie Liebe, Trauer und Glück anstatt der trostlosen Leere. Aber sie hat gewählt. Die Küchenuhr tickt ständig weiter. Immer wieder im gleichen Takt. Alles bleibt gleich. Ihre Haare vielleicht nicht ganz. Sie wachsen, sie ändern die Farbe. Er hat sie angeschrieen als sie die Farbe geändert hat. Er will keine Veränderung. Er weiß was er will. Auch sie weiß es. Das ist schlimmer. Sie sieht es in seinen Augen aufleuchten wenn sie leichten Fußes durch den Garten geht. Sie spürt die ach so grünen Augen auf ihrem Rücken bei jedem Schritt den sie geht. Es macht ihr keine Angst mehr. Sie alle sind erwachsen. Sie alle sind Menschen. Oder doch nicht? Verliert man seine Menschlichkeit wenn man behauptet das dass Eigene Herz in einem Eichensarg vergraben ist unter dicken Dreckschichten. Ist man dann unmenschlich, ist man dann tot? Ist man dann vielleicht frei?
Freiheit, indem man keinen Herzschlag spürt? Freiheit durch ein Küchenmesser, einen Sprung in den Eyresee?
Sie möchte ertrinken, unter der Oberfläche begraben werden , sie möchte ihn mitziehen, hinaus aus dem Whiskey hinein in das Wasser, ertrinken kann man in allem. So gebrochen sitzt er da im Ohrensessel, das Glas in der Hand.

"Wir könnten zum See fahren. So wie damals."

Sagt er so schwach. So schmerzhaft. Sie nimmt ihm das Glas aus der Hand.

"Das können wir, aber Damals ist was es ist. Damals eben."

Er sieht sie so gequält an , die Augen schon wieder rot. Man könnte meinen er würde nichts anderes tun als große fette Tränen zu weinen. Jede Träne auf seinem Gesicht tut ihr wahrscheinlich mehr weh als ihm selber. Sein ach so schönes Gesicht mit den vollen Lippen und den großen grünen Augen. Da nehmen ihre Gedanken eine Wendung an, so unscheinbar erst, aber immerhin ist sie dort. Sie tut sich auf diese Gabelung zwischen Wahn und Alltag. Ein Winziger Kratzer auf der handbemalten Uhr.

"Willst du nun an den See?"

Die Ungeduld die er hat, so wie früher. Ein kleines Lächeln breitet sich bei ihr aus und sie küsst ihn kurz auf diese so schwungvollen Lippen. Zu voll für die eines Mannes in seinem Alter. So schön und sanft. Aber sie redet sich ein es sei ein Kuss von der Tochter für den Vater und so sei es. In seinen Schimmernden Augen jedoch, ist dieser kleine Funke, zu schwach noch um ihn zu sehen. Aber er ist da.

Alles ist vorhanden in diesen Augen, so tief wie ein See und genauso gefährlich. In ihm selbst herrscht verlangen so dunkel und tief, es beginnt langsam seine Seele anzunagen, egal wie oft und lang er betet. Ob er den Rosenkranz nun hält in seinen feinen Händen oder nicht. Gott hat ihn verlassen. Er weiß es, sie weiß es, die Ganze Welt weiß es. Auch wenn seine Ganze Welt nur aus einem Dorf besteht.

"Natürlich will ich an den See."

Sagt sie und ihre Trauer ist hinfort, oder dieses Gefühl das sie selbst als Trauer bezeichnet. Vielleicht ist es auch Sehnsucht, nach etwas das sie nie haben kann? Vielleicht. Aber was weiß sie denn schon. Nicht zu hässlich nicht zu schön, nur dumm ist sie. So soll es auch sein. Warum muss sie schon schlau sein. Dafür gibt es keinen Grund mehr.

"Willst du dann nicht den Picknickkorb packen so wie Mutter...."

Er unterbricht sich selbst und sie möchte ihn totschlagen für das was er sagt, wie er es sagt, bis er nicht mehr genug Kraft hat um zu weinen. Auch das tut sie nicht. Sie lacht nicht und sie weint nicht. Sie macht ein paar Sandwichs mit Schinken, nicht zu dick und nicht zu dünn. Ganz so wie Mutter. Wie er sie dabei ansieht, bekommt sie nicht mit, die Arme die er neben sie auf die Küchenanrichte stützt bemerkt sie erst nicht. Er steht hinter ihr, den Kopf auf ihren beinahe gepresst, das Fleisch vor sich anstarrend.

"Das machst du gut."

Flüstert er heiser, die Augen auf den rosigen Schinken vor sich gerichtet.

"Davon bekommst du erst etwas am See."

Sie spricht so leise, so zaghaft, er ist sich nicht sicher was sie denn nun meint als sie die fertigen Sandwichs sorgfältig in ein Körbchen Packt.

"Und wenn ich jetzt davon möchte?"
"Nein."

Ihre Stimme zittert nicht, noch ist sie erregt. Sie ist einfach sie selbst. Er beugt sich etwas mehr über sie, der Atem in ihrem Nacken, die Uhr gibt einen warnenden Glockenschlag ab.

"Komm wir müssen gehen."

Sie war nie ein Freund der vielen Worte. Worte braucht man nicht wenn man sich so gut versteht. Man braucht keine Worte wenn man sich liebt.
Sie hat in der Tat schon zu viele Worte verloren in ihrem Leben. Also schweigt sie mit ihrem schönen Mund vor sich hin. Er ist ihr zu nahe. Viel zu Nahe. Manchmal fühlt es sich an, als wäre er tief in ihr drin versteckt wie ein Dorn. Oder auch ein Stacheldraht. Vielleicht hat er auch die Aufgabe eines Bandwurms übernommen und beginnt sie von innen nach aussen zu fressen. Mitten durch all ihre Organe um sich in ihrem Herz einzunisten wie ein lästiger Parasit. Verbotene Früchte reifen in seinem Garten und sie möchte etwas sagen das sie nicht ausdrücken kann als sie mit sündigen Schritten zum alten Dodge schlendert. Das Gefühl seiner Augen wird sie nicht los. Es lässt sich nicht verdrängen wie es auf ihr ruht, dieses seltsame schwüle Zelt. Ein Schleier aus verhangenen Trieben in Smaragdgrün weht immer hinter ihr her. Er könnte sie hinfort wehen ohne das sie sich wehren kann dieser Schleier. Sie wäre willig sich davon tragen zu lassen ohne auch nur zurück zu sehen. Es wundert sie das er mit ihr überhaupt was unternehmen will. Mit ihr. Dem Nichts das sie ist. Dem Nichts das er ansieht mit den Augen, nun im Sonnenschein glitzernd als wäre sie etwas das er verschlingen könnte mit einem einzigem Bissen, umrundet das Auto mit schweren Schritten. Er muss unweigerlich wieder an die Küche denken, an ihre Finger wie sie das Fleisch schnitten.. Ein Gefährlicher Zug auf den er springt. Die Autotür fällt ins Schloss, unsagbar laut und er sieht sie zucken. Bilder machen sich in ihm breit. Zu einer anderen Zeit hätte sie geschrieen , ein Thantrum geschmissen das die Götter im Himmel sich erzürnen würden. Aber das war alles einmal. Vergangenheit.

Nicht einmal das Radio macht er an. Er mag keine Musik mehr hören. Sie kommt ihm vor wie Spott in ihren harmonischen und liebevollen Tönen. Er achtet auch kaum auf die Straße. Sein Blick ist meistens unfokussiert wenn er sie betrachtet und wieder möchte er weinen. Er möchte immerzu weinen bis er keine Augen mehr hat und keinen Schmerz mehr in sich fühlt aber er sagt nichts darüber. Sie hat miterlebt wie er zu einem Stillen Mann wurde. Das hat sie zum weinen gebracht. Vor ihren Augen breitet sich der Eriesee aus und sie ist erleichtert. Denn sie muss nun nicht länger neben ihm sitzen und so tun als würde sie vor sich hinträumen wenn alles was sie wahrnimmt sein After Shave ist und der Gedanke das sie krank ist. Aber er sieht sie auch an, aus den Augenwinkeln.

Ihre Gedanken spinnen ein Feines Netz aus feinen und sündigen Fäden. Sie möchte sich manchmal umbringen dafür.

"Komm schon, oder willst du ewig in der Kiste sitzen?"

Aber sie sitzt doch schon in einer Kiste, Ihr Leben lang schon. Ein Püppchen im Karton. Natürlich sagt sie das nicht. Sie sagt es nie. Und sie wird es nie sagen, eher würde sie sich die Zunge abbeißen und sie verschlucken, den blutigen Klumpen der sie ist.

Er lächelt ein Sorgenschweres Lächeln und die sanfte Stimme passt perfekt zu seinem Aussehen. Sie möchte ihm gerne die Sanftheit austreiben, sie aus ihm herausprügeln mit einem Baseball Schläger oder einer Gartenschaufel. Doch dann kann sie es nicht. Es ist ein schöner Tag. Der Wind spielt mit ihren Haaren, die Männer drehen sich nach ihr um. Man kennt sich, winkt sich zu, hält aber abstand. Er merkt es nicht. Er sieht die anderen kaum vor sich. Oder neben sich. Bei Gott, er könnte über sie stolpern und doch würden sie nur verschwommene Schatten bleiben.

"Heute ist es schön."
"Es ist immer schön. Immer sehr schön. Das weißt du doch."

Es wirkt nicht komisch auf die Leute um sie herum.

Wenn er sich neben sie setzt auf der Decke, sich ausbreitet und sie starrt ihn wütend an, weil er nicht einmal die Dezentzeit hat ihr beim auspacken der Gabeln zu helfen, dieses Grinsen auf dem Gesicht, sie wirken wie ein Ehepaar. Vielleicht sollten sie es mal probieren.

"Hör auf mir Gras ins Gesicht zu schmeißen."
"Nein, das werde ich nicht."

Er wirft sich auf sie mit einem Schrei, nur so aus Spaß, ein Funkeln in den Augen. Ein Spiel.
Bis er sie küsst. Sie erstarrt unter ihm. Spiele spielt man nur so lange wie man den Ball halten kann und das kann er nicht. Das kann sie nicht. Er will sie gerne verschlingen, ein Glitzern im teuflischem Blick, der so sanft sein kann. Er ist schwerer als er aussieht, sie bekommt keine Luft mehr.

"Hast du Hunger?"
"Ja. Großen Hunger sogar."

Sie lächelt, auch dieses teuflische Grinsen. Ein Schatten fällt über die beiden.

"Dann solltest du ein Sandwich nehmen."

Sie beide sind lange schon hinter den Linien verschwunden die alles in Grenzen einteilen.
Eine traurige Welt würde man sagen. Aber man sagt es nicht. Der Schleier über seinen Augen und die viel zu langen Wimpern, das alles sieht sie vor sich liegen. Auf einem Altar der Verrücktheit ist sie gefesselt mit ihm, an ein Kreuz genagelt und sie blutet so sehr das es nie wieder heilt. Sie hat aufgehört zu glauben und zu beten.

"Du willst kein Sandwich richtig?"
"Richtig."

Er kann sich nicht mehr beherrschen. Zu lange gewartet. In Särgen gefangen und er ist auch noch immer betrunken. Es ist ganz furchtbar schlimm, es schmerzt in ihm. Er fühlt sich wie ein durstender in der Wüste der seine Oase sieht, sie aber nicht berühren darf weil es ein Verbrechen gegen alles wäre was heilig ist. Doch er hat keine Heiligkeit mehr in sich. Nein. Er ist nur noch ein leeres Gefäß und seine Stimme verraucht und voller Verlangen.

"Und das was du willst kann ich es dir geben?"

Ihm entkommt fast ein Stöhnen aus seinem trockenem Hals.

"Ja. Kannst du. Nur du."

Möchte sich gerne auf sie legen und nie wieder aufstehen, der Duft ihrer Haut lässt ihn fast ohnmächtig werden. Er riecht vieles, den See, das Gras, den Tee in der Kanne neben sich- Aber der Geruch ihrer Haut ist wunderschön. So viel schöner als alles andere. Ihre Hände fassen nach ihm, seinen Haaren. Irgendeinen Halt braucht sie in dieser Welt. Und sie hat nur ihn. Mehr ist da nicht. Er erzählt ihr wie schön sie ist, wie wunderschön ihre Mutter doch war und das sie genauso schön ist. Ihr Wunsch ist es mit Narben übersäht zu sein, so hässlich das man von ihr wegläuft. Sie ist ein stolzer Schmetterling dem er die goldenen Flügel ausreißt mit seinen gefühlvollen Händen und Gesten. Eben diese Hände schleichen sich unter den Stoff ihrer Bluse. In seinem Hals ist ein Knoten. Falsch ist es. Das schreit in ihm. Doch er sagt nichts dazu. Sein Körper und sein Geist handeln von einander unabhängig.


Seide unter seinen Fingern zerreißt mit einer zu hitzigen Bewegung.

"Es tut dir nicht weh? Oder mein Engel ich tue dir nicht weh? Nein oder?"

Sie will ihm sagen das er sie tötet, aber er ist so glücklich, er weint nicht, sein Gesicht ist rot erwärmt, erregt.
Seine Stimme zittert leicht vor Erwartung , genauso wie ihre Hände. Die Leute die sonst noch am See sind, schauen hinfort. Einige, nicht alle, aber das bekommen die beiden eh nicht mit.

"Nein, du tust mir niemals weh D-."

Die Lippen auf ihren bestrafen sie mit ungewohnter Härte. Sie versucht sich an seinen Namen zu erinnern. Sie weiß nicht genau. Sie weiß nicht mehr. Die Zunge in ihrem Mund, die Hände auf ihrem Körper, es ist schwer für sie zu denken.

"Daniel. Lass das. Nicht."

Sieht sie spielerisch an, vergessen was Recht und Ordnung ist und was sich gehört.
Was man darf und nicht. Es ist ihm so egal. Er wird wieder jung mit ihr. Er vergisst was war. Ein Zeitsprung könnte man meinen.

"Daniel."
"Die Leute sind mir egal."

Kommt durch seine Lippen hitzig hervor. Ihre Fingernägel krallen sich in seinen Nacken und er sieht sie kurz mit einem schmerzhaften Ausdruck an. Die Realität schleicht sich ein. Nur kurz. Er versucht krampfhaft sich an sie zu klammern und er schafft es auch, er ist so viel stärker als er wirkt. Sein Kopf ist ganz schwer, alles dreht sich. Sie kann sich doch wohl jetzt nicht auch drehen? Das würde ihn verrückt werden lassen.
Ihm ist schwindelig. Kann nicht mehr denken, nicht mehr stehen, sein Hals ist trocken.

"Ich brauche dich mein Engel. Ich brauche dich."

Auf ihre Nackte Haut fallen Tränen. Sie streicht ihm langsam durch die Haare. Er weiß wahrscheinlich nicht einmal mehr wer sie ist, genauso wie sie selbst. Sie sollte mit ihm andere Dinge machen. Plätzchen backen, Fernsehen, ein Puzzle zusammensetzen und sich von ihm durch ihr Leben helfen lassen. Sein Kopf aber liegt zwischen ihren Brüsten und nicht auf einem Kissen im Wohnzimmer des zu Hauses was sie verdammt. Ihr Fluch. Sie ist verflucht. Ihre Finger wandern seinen Hals hinunter, wieder hinauf, die Leute schauen weg. Entsetzt und gelähmt. Oder einfach nur mehr erwartend indem sie alle vor sich hinschweigen.

Sie spürt den heißen Atem auf ihrer Haut ganz nah bei ihrem Herzen, die Haare auf seinem Kopf sind weicher als sie in Erinnerung hat. Aber sie war ja auch noch klein als sie zum letzten Mal ein Büschel davon in Händen hielt. Er hat 3 Tage lang getobt. Seltsam das sie an so etwas denkt wenn man einmal die Situation betrachtet. Äußert seltsam. Seine Haare sie riechen nach Wildblumen und Früchten. Nach Sommer. Ein wenig nach Zitrone würde sie sagen Sauer und doch süß. Sie lässt ihre Finger weiter wandern, unter seinen Hemdkragen.
Sie sollte es nicht, aber ihre Finger wandern weiter bis zu seinem Brustbein, der erste Knopf springt auf. Seine Haut ist weich unter ihren Fingern, so weich und sein Herz schlägt so schnell. Sie könnte weinen wenn doch das Herz nur für sie schlagen würde. Für sie brechen.

"Daniel. Liebst du mich?"
"Nur dich mein Engel. Nur dich - schon ein Leben lang."


Aber es bricht nicht für sie, niemals für sie. Sie schmeckt den Whiskey wenn sie ihn küsst, so bitter auf seiner Zunge, so süß. Bittersüß das war auch er wohl schon immer. Sie müsste sich schämen. Das tut sie nicht. Sie ist weit über ihr Schamgefühl hinaus. Ihre Augen richten sich an den Himmel der Wolkenverhangen ist auf einmal , aber immer noch klar. Sie lässt ihre Hände weiter wandern erforschen. Sie kennt den Körper über sich und auch nicht. Sie sollte ihn niemals so kennen lernen. Niemals. Aber was ist schon niemals? Ein Wort. Ihre Hände sie breiten sich auf den zitternden Muskeln aus. Der erste Regen fällt. Sie mochte schon immer ihre Hände, sie liebte schon immer ihre Hände wenn sie etwas neues entdeckten. Selbstverliebtheit ist eine Schande aber sie liebt es wie ihre Hände auf der weichen Haut Wandern, von einer Brustwarze zur anderen , den Pfad dazwischen erkunden und die Geräusche die er macht.

"Du willst mich so sehr Daniel?"

Er nickt , seine Augen sie leuchten mit Tränen, er will so sehr.

"Dann schäme dich nicht - Ich tue es auch nicht. Heute sind wir Daniel und Rosemary."

Und ihre Hände sie schieben das Hemd von seinen Schultern, ins mittlerweile durchnässte Gras. Die Schinkenbrote sind uninteressant für sie beide geworden und liegen nur noch den Kriechtieren zum Fraß vor.
Ihr Fleisch interessiert ihn ganz entscheidend mehr, wie schön sie doch ist, die Göttin mit den kalten Augen vor ihm, über ihm. Sein Hemd liegt irgendwo im Gras und auch in seinem Haar hat sich ein Blatt verfangen es sollte ihn stören und er sollte schreiend davonlaufen. Aber das macht er nicht denn heute sind sie Daniel und Rosemary. Er lässt seinen Kopf weiter wandern und drückt seine Hände auf ihr erhitztes Fleisch. Sie stöhnt und es hört sich an als würde sie sterben wenn er aufhört. Er lächelt leicht, drückt sie nach unten, sie sind so nah am See, ihre Haare sind schon fast im Wasser, ihre Hose hat sie auch nicht mehr an. Er hält sie kurz hoch und schmeißt sie hinter sich, ihre Hände in seine nehmend. Viel kleiner sind sie nicht. Er möchte sie behandeln wie ein Juwel, doch sie lässt ihm nicht die Möglichkeit, schiebt ihn nach hinten, so hart das es schon beinahe wehtut, aber immerhin tut doch nichts mehr weh denn sind wir nicht alle stumpf. Mit einem Zufriedenem Lächeln auf den Lippen öffnet sie langsam die Knöpfe zu seiner Hose. Ihr einziges Ziel. Er sieht sie flehend an. Sie hat Gnade schaut nicht hin als sie langsam ihre Hände wieder auf Wanderschaft gehen lässt. Der Regen wird härter, stürmischer, Grashalme schneiden in seinen Rücken als er ihre Hüften festhält, einen Schrei von sich gibt als würde ihre innerliche Wärme ihn verbrennen und gleichzeitig erlösen.

Er bebt unter ihr, sieht ihr zu wie sie sich aufbäumt über ihm, der Wind peitscht um seine Ohren und er möchte ihr Gesicht sehen. So gerne ihr Gesicht sehen wie damals also streicht er ihr die Haare aus dem Gesicht und der Blick lässt ihn fast erstarren, aber das Zittern seiner Muskeln lässt nicht nach. Mit jedem Stoß und jedem Schrei weiß er nun das es nie mehr so wird wie früher, oh Gott was für ein Narr er doch ist, was für ein verfluchter Narr, das ist noch ein Kindergesicht das sich in Extase verzieht auch wenn es schon zweiundzwanzig Jahre alt ist und der Körper über ihm, der weiß auch mit jeder Bewegung was er da tut. Er beginnt zu weinen, so bitterlich zu weinen und zu schluchzen das sie ihn ansieht durch einen Lustverhangenen Blick, ihre Finger über die Regen und Schweißnassen Locken gleiten lässt einen Finger auf seine Lippen legt.

"Pssst. Du tust mir nicht weh. Wir alle sind schon längst in der Hölle. Und wenn du diesen Körper begehrst so sei er dir gegeben mit allem was du willst."

So sanft sie nur kann presst sie ihre Lippen wieder auf die seinen, versucht ihn zu beruhigen doch er lässt sich nicht beruhigen, hält sie fest um sie noch enger an sich zu ziehen, in sich hinein dreht sich und vergräbt den Kopf wieder in dem Tal zwischen ihren Brüsten wo er Wärme findet, die Haut küsst und die Finger seinem Haar machen ihm so gar nichts mehr aus als es ihn wie eine Flutwelle überkommt, dieses Gefühl als würde er fallen und fallen bis er nicht mehr fallen kann, bis er zerbricht auf dem Boden der Tatsachen der soweit entfernt ist. Es ist komisch wenn man den Sinn für die Realität verliert. Die glitschige Haut auf seiner und die Beine die um seine Hüften geschlungen sind nimmt er erst wieder wahr als sie zittert kurz leise in seine Halsbeuge schreit und sich festhält an ihm.

Sie möchten wieder kommen die Tränen, aber es gibt nichts mehr zu weinen und er muss den zierlichen Körper auf dem Seinem festhalten bevor auch er zerbricht. Seltsamerweise fühlt er sich wohl, will nie wieder aufstehen, vergisst völlig das seine Kleidung irgendwo herum liegt und auch ihre. Sie flüstert leise in sein Ohr, ihre Stimme nur ein Hauchen.

"Da-."

Sie wollte es fast wieder sagen dieses hässliche Wort mit den drei Buchstaben. Ein Glück nur das sein Name mit den ersten beiden davon anfängt, obwohl sie jetzt den Mann hinter Daniel bräuchte. Denn sie ist so müde, sie ist noch so klein, noch so süß. Und ein Teufel in Menschengestalt wie er manchmal sagte. Aber das ist wohl schon lange her.

"Ja mein Engel?"
"Ich bin so müde Daniel."

Sie ist schon kaum mehr wach und er muss lächeln das Gesicht Regen nass und er würde fast denken es wäre normal wenn sie nicht auf einer Wiese sitzen würden, nackt und angreifbar auf einem Weg miteinander verbunden der für sie beide ein ganzes Leben begräbt. Er löst sich von ihr, ganz langsam und sachte, und doch ist es schmerzlich.

Wenn ihn seine Nachbarn so sehen könnten und seine Augenbrauen ziehen sich zu einer ärgerlichen Linie zusammen wenn er an diese Menschen nur denkt. Er wird eine Dusche brauchen denkt er als er so an sich heruntersieht, fast muss er lachen. Es ist unglaublich. Er findet seine Hose gerade noch ausserhalb vom See, aber trotzdem ist sie nass und er zittert als er das kalte Stück Stoff über seine immer noch heiße Haut zieht. Sein Hemd ist nur noch für den Müll also stopft er es zusammen mit den Brotresten in den Korb.

Ein glitschiges Stück Seide verfängt sich an seinem Fuß. Sein Hirn muss erst noch begreifen was er da in Händen hält. Er wird in die Hölle kommen. Mit Sicherheit. Seine Augen sehen sich , landen auf ihr. Wie ein gefallener Engel liegt sie da auf dem Gras, schon am schlafen ohne ein Geräusch von sich zu geben. Er beugt sich zu ihr hinunter nimmt sie in die Arme, die Decke um sie und sich wickelnd. Mittlerweile ist es ein Sturm.

Nichts zu dem Sturm der in ihm tobt. Ihre Hände greifen nach seinem Hals.

"Mir ist kalt. Mir ist kalt Daddy"

Wieder möchte er weinen, doch er kann nicht weinen. Er ist so leblos auf einmal, sein Gesicht Aschen Farben, eine grässliche Imitation seiner sonst so sanften Züge. Es ist Als wäre er tot. Ein lauter Lacher versucht sich seinen Hals hoch zu schleichen. Er erstickt in einem blutigem Kloß. Er hat sich auf die Zunge gebissen, so sehr das sie blutet. Das Blut fließt seinen Mundwinkel entlang, tropft auf ihr bleiches Gesicht. Gott, auch sie sieht aus wie tot. Sie ist so schön, denkt er, aber so tot. So furchtbar tot.

"Wir, wir, wir..."

Etwas anderes verlässt seinen Mund nicht. Nur dieses Verfluchte Wir. Ein Wir das es nicht mehr gibt und plötzlich muss er an die Küchenuhr denken, an die handbemalte Küchenuhr seiner über alles geliebten Frau. Ihm wird schlecht. Denn er hasst diese Uhr. Er hasst sie. Die Farben gefielen ihm nie, er hat schon oft mit dem Gedanken gespielt sie wegzuwerfen. Das Gefühl das sich in ihm anbahnt ist kaum zu beschreiben, er möchte sich übergeben, merkt schon wie die Kotze seinen Schlund hoch kommt wie eine schleimige ekelhaft fette Schnecke. Es fühlt sich für ihn warm an. Einen Moment lang spürt er Wärme und dann muss er im anderen aufspringen und kotzt seinen gesamten Speiseplan in den See während etwas anderes sein Bein herunterrinnt.

Er friert, er friert fürchterlich am ganzen Körper und am liebsten möchte er in den See springen und ersaufen, was ihm aber wieder nichts nützt denn er kann ja Schwimmen. Hastig dreht er sich um und rennt zum Auto. In seinem Ohr ist eine Stimme.

"Gib ihr etwas zu trinken, sie wird denken sie hat geträumt und du bist fein raus, komm schon, was macht es schon. Alles Blut der Welt ist doch irgendwie gleich. Nun komm schon Daniel, komm schon, sie ist doch noch ein Kind."

Die Stimme in seinem Kopf fängt hysterisch an zu lachen, bis er Migräne bekommt. Er hat den Verdacht das sein Kopf gleich platzt. Was hat er nur getan. Die Stimme in seinem Kopf bekommt diesen verächtlichen krächzenden Ton.

"Oh bitte, jetzt warst du es ganz alleine mein Lieber? Bis jetzt dachte ich dazu gehören immer zwei, auch wenn Nummer zwei nur deine Hand ist Kumpel."

Er schüttelt sich, immer noch den bitteren Geschmack im Mund und denkt plötzlich an sie, wie sie da liegt, kann kaum stehen, so schlecht ist ihm, aber er kann sie ja nicht im Regen liegen lassen, also hebt er sie auf, trägt sie zum Wagen mit seinen zittrigen Händen und den wackligen Beinen. Zeit vergeht aber eigentlich vergeht die Zeit niemals, das weiß er, das weiß sie und wenn er lange darüber nachdenkt wird ihm schwindelig.

Vielleicht sollte er doch ein wenig Musik hören, auch wenn sie keinen richtigen Klang mehr hat. Nur aneinander gereihte Töne. Etwas unbeholfen fummelt er mit den Knöpfen des Radios herum, irgendwer erzählt was von Krieg, der andere singt schmalzig von Liebe und wie doch noch alles gut wird. Im Rückspiegel sieht er einen kleinen blassen Körper, gehüllt in eine Decke, noch zitternd vor Kälte.

Sicher wird alles gut, denkt er und ein Schnauben entgleitet ihm. Endlich hat er eine Station gefunden die er als einigermaßen erträglich empfindet und lauscht. Celine Dion schmettert inbrünstig `Think Twice´ . Das ist so herrlich das er anfängt zu lachen wie ein Wahnsinniger, und wer weiß er wird wohl wahnsinnig sein. Der Regen ist so stark, er wagt sich kaum schneller als fünfundzwanzig Meilen zu fahren und hinter ihm hubt ein ungeduldiger Mensch.

"Mir ist so furchtbar kalt. Mach das Fenster zu."

Er lacht hysterisch und setzt seinen geliebten Kombi fast gegen die nächste Ampel. Er sollte nicht fahren. Auch das Radio hat er ausgemacht, von Krämpfen geschüttelt. Die Lichter und der Regen ziehen an ihm vorbei in einem schnellen Strom den er kaum erkennt. Ach er hätte seine Brille aufsetzen sollen. Aber es geht auch so, denn er kann die Rote Tür ja nicht verfehlen.

"Hey, wir sind da."
"Hurumpf:"
"Ich weiß das du müde bist. Ich weiß."

Und er sagt die Wahrheit, er weiß wie müde und erschöpft sie ist, auch er ist fertig. Aber mehr als das. Er ist am Ende, fühlt sich wie tot. Selbstmord schießt es ihm durch den Kopf als er sie vorsichtig anhebt wie ein Püppchen, sie in seine Arme schlingt und sich dabei ertappt den Geruch ihrer Haare wohlwollend zur Kenntnis zur nehmen. Die Tür fällt hinter im unsagbar laut ins Schloss.

Sie sagt nichts weiter obwohl sie hellwach ist. Manchmal ist es besser nichts zu sagen. Kein Sterbenswörtchen. Wir wollen doch nicht das die Schneekugel in der wir kleinen unbedeutsamen Menschenkinder uns befinden, durch unser ungeschickt Händchen in Scherben springt, nicht wahr? Denkt sie kurz bevor sie die Augen wieder schließt, denn sie will nichts sehen, sie will blind sein.

Der liebe Gott allerdings, hat ihr gute Augen gegeben und sie sieht. Nur allzu gut sieht sie den schmerzlichen Ausdruck der Reue auf seinem Gesicht als sie vor ihrem Spiegel steht. Sie kann ihn sehen wie er hinter ihr in der Tür schwebt wie ein Geist.


"Was stehst du da so dümmlich herum? Du solltest baden oder so, aber starr mich nicht an. Nicht so."

Er blinzelt kurz, möchte etwas sagen, nur ein wenig seinem Ärger über ihre Worte Luft machen, aber er kann nicht. Ist so schwach. Wer hält hier wen, fängt wen auf? Schreit zum Himmel das es falsch ist, ganz entsetzlich falsch. Sie steht nur vor dem Spiegel.

"Wie soll ich dich denn ansehen?"
"Nicht als wäre ich die Pest, der Teufel, eine Hure."

Dieser Wortlaut. Er sticht ganz tief in sein ohnehin schon zerbrochenes Herz. Unmerklich zuckt er zusammen, so als würde er sich vor einem Schlag ducken wollen, es aber nicht schaffen. Ihre Augen starren ihn im Spiegel an, auf ihrem Gesicht nichts ausser einer dünnen Schicht Eis. Er bleibt noch einen winzigen Augenblick stehen bevor er in die Küche marschiert und die verdammte Uhr betrachtet. Der Zeiger ist stehen geblieben, wohl kurz nachdem sie zuletzt in der Küche waren. Es ist zum heulen. So zum heulen das er nichts anderes kann als gemeingefährlich zu der Uhr aufzusehen , sie zu verfluchen. Er hasst dieses hässliche Stück Müll wirklich über alles. Seine Hände zittern und er braucht wirklich eine Zigarette oder einen Whiskey, sein Schädel dröhnt sowieso schon.

Mit dieser Erkenntnis schnellt er nach vorne, die Uhr von der Wand reißend und sie durch das geschlossene Fenster feuernd.

"Gott was zum Teufel machst du da? Bist du wahnsinnig?"

Er starrt durch das Loch im Küchenfenster und die Küchenuhr, die ganz geblieben ist.
Sein Blick ist so weltfremd sie fragt sich wo er sich gerade befindet, mit seinem Gedanken, mit seinem Kopf und allem anderen.

"Sie ist noch ganz."
"Das Fenster, warum ..."
"Sie ist immer noch ganz und ich bin kaputt."

Er grinst leicht vor sich hin, nur ein Geist, nur ein Schatten seiner selbst. Wie schon die Jahre vorher, er ist einfach nur ein Schatten, verrückt vielleicht. Aber nur ein wenig. Es gibt Menschen die verrückter sind als er, das weiß auch sie. Aber trotzdem, er macht ihr Angst, ins Leere starrend und vor sich hinmurmelnd das sie ganz geblieben ist und er ist kaputt. Für einen fürchterlichen Moment befürchtet sie das etwas in ihm zersprungen ist nachdem was sie taten. Was soll das schon gewesen sein? Er ist erwachsen, sie ist erwachsen, und sie alle wissen nicht was sie tun, niemand auf der Ganzen Welt weiß hundertprozentig was er tut. Ihr verwirrter Blick wandert aus dem zerbrochenem Fenster in den Garten, die Rosenbüsche stehen immer noch in voller Blüte, so herrlich schön und stolz.

Es könnte eine perfekte Postkartenidylle sein, wenn da nicht die Küchenuhr wäre die anstatt an der Wand zu hängen im Garten liegt . Immer noch handbemalt und unbefleckt. Wortlos geht sie aus dem Raum, die Augen nach oben gerollt, aber eigentlich nicht verärgert sondern eher verletzt.

"Deswegen machst du so ein Theater?"

Kommt ihre leise Stimme aus dem Keller, wo sie etwas sucht. Und sie findet die Winschester recht schnell zwischen eingemachter Marmelade. Marmelade, denkt sie säuerlich. Sie mochte nie Marmelade. Sie wollte immer nur Honig und in einem Anflug Nostalgie sucht sie nach einem Glas Honig, aber sie kann keines finden. Natürlich. Alles voller Marmelade, nichts für sie. Seufzend geht sie wieder nach oben, das Gewehr in der Hand. Wenn sie nur in die Richtung des Regals blickt wird der Griff um die Waffe fester, sehr viel fester. Sie möchte sich gerne erschießen, sie nur noch ein Stückchen mehr anheben. Nichts weiter. Nichts weniger. Sie weint nicht einmal, sie ist doch schon lange tot. Oder nicht? Sie hat es doch getan. Urplötzlich muss sie daran denken das sie nicht in den Himmel kommt, denn sie hat eine Sünde begangen. Oh sie hat viele begangen und mit jeder wird es schwerer für sie weiterzugehen.

Wenn sie ehrlich ist, kann sie schon lange nicht mehr laufen, sie ist ein emotionaler Krüppel. Die Waffe in ihrer Hand wird so viel leichter. Sie fühlt sich gut an.

"Rose?"

Er steht erstarrt auf der Kellertreppe, ein frisches Hemd an, eine frische Hose, und sie hat ihre ältesten Sachen.

"Rose, um Gottes Willen, wir können darüber reden, ich weiß das es falsch war, oh Gott es tut mir leid, ich weiß ich bin schlecht."

Sie starrt ihn an, die Augen groß.

"Daniel.. ich wollte damit der verdammten Küchenuhr ein Ende setzen, mehr nicht. Was denkst du?"

Er klammert sich am Geländer fest, stolpert fast und sie hat das Gewehr noch immer in der Hand. Sie weint plötzlich. Sie weint weil er so schön ist und sie so furchtbar krank, sie kann nicht anders als an seine Lippen zu denken, dieses samtweiche Fleisch. Sie ist so krank. Sie möchte noch einmal dieses Machtgefühl haben. Nur noch einmal, es erfüllte sie so komplett das er unter ihr war, unter ihr, sich wandt wie ein Wurm, ihrer Macht ergeben, ihrem Körper hörig. So furchtbar krank. Sie drückt das Gewehr so fest, aus ihren Fingerknochen ist sämtliche Farbe entwichen.

"Du bist so erbärmlich. Du willst mich lieben? DU willst MICH lieben? DU kannst MICH niemals lieben. NIEMALS so wie ich DICH. DU liebst nur SIE, für IMMER, Daniel. Ich dachte du wärst anders, Gott möge dir beistehen, denn ich weiß nicht.."

"Ach das ist doch Mist Juliette. Erzähl doch nicht so einen Schwachsinn."

Sie hält ihm die Winschester entgegen.

"Ich heiße nicht Juliette. Und jetzt, jetzt erschieß mich bitte oder schmeiß mich raus. Ich kann es nicht ertragen dich noch länger so zu sehen. Ich dachte, ich mache dich glücklich, aber du kennst das Wort gar nicht mehr."

Seufzend geht er die Stufen hinunter, seine Schritte schwer.

"Leg es hin. Ich bitte dich."
"Sag mir einen Grund."


Ganz vorsichtig nimmt er ihr Gesicht in beide Hände, hält es fest, die Augen geschlossen, und von seinen Lidern hängen Tränentropfen. Sie kann sehen wie er atmet, wie sein Adamsapfel auf und ab wippt.

"Ich kann nicht mehr, Rosie, ich kann nicht mehr, ich hab dich wahnsinnig gern, ich liebe dich sogar mehr als alles auf der Welt aber je älter du wirst, desto mehr möchte ich dich in Kleider stecken die dir viel zu groß sind. Bitte leg das Ding weg."

Sie legt die Waffe vor seine Füße, geht an ihm vorbei. Der Duft seiner Haare schwingt ihr entgegen doch diesmal riecht er anders. Es riecht nicht mehr nach Früchten. Sein Haar riecht nach Dornen ohne Rosen und als sie mit der Hand noch einmal flüchtig durchfährt spürt sie fast wie sie sich schneidet. Sie kann es richtiggehend fühlen.

"Rosie.."

Sie geht weiter und er hält sie fest, seine Hand fühlt sich so kalt an. So tot.

"Du kannst damit nicht leben? Ich kann damit leben Daniel. Aber ich kann nicht damit leben das du mich ansiehst als hättest du mich vergewaltigt. Du hast nur einen Menschen vergewaltigt. Dich selber."

Die Ohrfeige ist so hart, das sie nach hinten fliegt, und auf dem Boden aufschlägt.

"Vergiss niemals wen du vor dir hast."

Sie fängt nur an zu lachen. So bitter und laut das sie sich in Tränen auf dem Boden vor ihm windet.

"Oh das habe ich schon vor einiger Zeit getan, und du tust gut daran das gleiche zu tun wenn du willst das ich hier bleibe."

Er zittert und kniet vor ihr nieder.

"Bitte geh nicht."
"Daniel. Ich muss dir etwas sagen."

Seine Händen graben sich in den Teppich neben ihr. Er kann sie nicht ansehen. Seine wunderschönen Augen weigern sich in ihr traumhaft schönes Gesicht zu sehen auf dem sich ein großer blauer Fleck bildet. Nein, er kann sie nicht ansehen, weil es ihm wehtut, er möchte die zeit zurückdrehen, vielleicht würde er sich dann beherrschen können, würde sie nicht küssen, aber er weiß er belügt sich nur selber wenn er sich einredet sich beherrschen zu können.

"Nein, Rose, ich will es nicht hören. Ich will es nicht hören Rose. Ich will das du gehst. Nimm dir ein Taxi, fahr zum Bahnhof, steigt in den nächsten Zug der kommt. Weit weg von mir. Steig ein, und denk nicht mehr daran."

Seltsam, denkt sie sich, so seltsam, denn es tut nicht einmal weh. Nein, sie ist erleichtert als sie durch ihr Zimmer schreitet, wahllos ein paar Kleidungsstücke in einen Koffer wirft, einfach nur die ältesten Sachen, von denen sie nicht einmal mehr weiß ob sie denn nun passen. Sie hat keinen Schimmer ob sie die Sachen überhaupt schon jemals getragen hat. Sie ist sich sicher der Micky Maus Pullover hat schon bessere Tage hinter sich. Hinter sich. Sie muss schon wieder lachen, kann sich kaum erinnern wann sie das letzte mal so gelacht hat.

In ihrem Geist sieht sie sich vor einem Gericht sitzen, aber nicht weil sie vielleicht endlich rausgekriegt haben das ihr silbernes Armband kein Geschenk einer Freundin war, nein deshalb ganz sicher nicht.
Auch der letzte Rock fällt schließlich in den Koffer, welcher nur mühsam zugeht.

"Rose. Versteh mich nicht falsch, aber ich bin. Ich weiß nicht."

Sie lächelt schwach und falsch.

"Ich weiß, du bist endlich wieder nüchtern."

Er nimmt sie spontan in den Arm, ganz fest, das es fast schmerzlich ist, drückt sie und schluchzt. Sie wünscht sich er würde etwas anderes tun als zu weinen. Er war doch so glücklich. Wieso ist er denn nicht mehr glücklich. Sie weiß wer Schuld an all ihrem Unglück ist, Sie möchte am liebsten die Winschester nehmen, zum Friedhof marschieren, die Knochen ausgraben, hoffen das sie sich irgendwie bewegen, sich irgendwie regen, einen Kommentar darüber machen das sie nicht immer so viele Honigbrote essen soll weil sie sonst eines Tages richtig fett werden würde. Oh ja, darauf wartet sie und dann wird sie Tontauben schießen mit der Winschester und dem nervigen Skelett üben.

Diese kindlichen Rachgedanken, sie kommen und gehen, meistens bleiben sie als dumpfer Schmerz.
Er lehnt sich an sie, immer wieder Entschuldigungen wispernd, ihr über das Haar streichelnd, und das es halt nicht anders geht. Es gibt keinen Weg zurück. Auch sie selbst ist sich dessen bewusst. Kein Weg zurück aber auch anscheinend keiner nach vorne.


"Soll ich dich zum Bahnhof fahren?"

Sie überlegt kurz.

"Nein, ich ruf ein Taxi an, ich ruf ein Taxi an,"

Wortlos nickt er, stapft zum Telefon, eine Whiskeyflasche in der Hand die er sich geholt hat während sie gepackt hat. Es ist ein komisches Bild, das er da abgibt, die Flasche Whiskey in der einen das grell Pinke Telefon in der anderen, das noch an ihre Jugendtage erinnert, obwohl sie auch nicht alt ist. Nicht richtig alt wie in- wenn sie ihn jetzt ansieht, merkt sie das er graue Haare hat, mehr graue als Braune.

Leise spricht er vor sich hin und sie sieht sich um. Es ist inzwischen Nacht. Dunkel, kein Stern strahlt am Himmel. Totale Finsternis erstreckt sich durch das sanft erleuchtete Wohnzimmer, das kann sie aus ihrem Raum heraus sehen, denn sie steht in der Tür, und sie glaubt in den Schatten zu sehen wie sie immer breiter werden, das Licht regelrecht verschlingen. Ja sie werden das Licht aus meinem Leben verschlingen gesteht sie sich ein, die Hände fest um den Griff des Koffers geschlungen.

"Es ist wahrscheinlich in einer Stunde hier. Stau in der Stadtmitte."

Sie stellt den Koffer ab und setzt sich darauf.

"Was machst du jetzt?"
"Auf das Taxi mit dir warten. Hast du alles was du brauchst?"

Nervös wie er ist fängt er an seine Nägel zu kauen. Sie zieht eine Grimasse. Sie hat nicht alles was sie braucht, auch er weiß das, zieht ein Bündel Geldscheine heraus, vielleicht fünfhundert Dollar und kaut weiter auf seinen nicht mehr wirklich vorhandenen Nägeln herum nachdem sie es eingesteckt hat.

"Musst du das machen?"

Er kann ihr keine Antwort geben, es hupt vor der Tür.

"Ich dachte es kommt erst in einer Stunde."

Er sagt nichts, zuckt die Schultern. Vielleicht haben sie noch einen Wagen frei gehabt, denkt sie sich aber sie sagt nichts weil er nichts sagt und nichts sagen will. Alle möglichen Dinge schießen ihr durch den Kopf. Zum Beispiel das eine Geburt mehrere Stunden dauert, sogar ein bis zwei Tage, aber das es nicht einmal zehn Sekunden braucht bis ein Leben vorbei ist. Sie erinnert sich nicht an ihre ersten Minuten auf der für sie verfluchten Erde. Aber sie erinnert sich genau wann es für sie vorbei war. Es war nicht auf einmal vorbei, nein ihr ganzes Leben ist dahingeschlichen wie eine Schnecke und sie fragt sich nicht länger warum. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde die sollte man belassen wie sie sind. Aber wie gesagt, sie weiß wann ihr Leben geendet hat, ganz genau kann sie es sagen. Es war nicht etwa der Tag im Krankenhaus als die Geräte dieses komische Geräusch von sich gegeben haben. Dieses ätzende Geräusch und wie er sie angesehen hat, wie er dem Arzt gar nicht mehr zugesehen hat. Sie erinnert sich daran, aber da war sie noch lebendig.

Ein wenig geweint hat sie auch, aber nicht weil die Geräte plötzlich stillstanden, nein sie hat nur geweint weil er angefangen hat zu weinen, nicht mehr wusste wo die Erde anfängt oder beginnt, aber sie selbst sie wusste es noch und das war das Schlimme daran.

Das Taxi hubt erneut und sie erwacht aus ihrer Starre, die Augen weit offen, doch sie sehen nichts.

"Na dann. Machs gut."

Jetzt - sagt eine unsichtbare Stimme hinter hier- Jetzt Mädchen bist du entgültig tot- siehst du wie er es dir dankt, deine Grenzenlose Liebe, deine Aufopferung. Sieh ihn dir genau an, betrachte ihn dir ganz genau, wie er dich ansieht, wie sich seine Lippen kräuseln, in einer Geste des Ekels. Er empfindet Ekel und du, was hast du gedacht? Das er es dir danken wird? Oh bitte, wach doch auf. Wach endlich auf, du kleines Kind, die Zeiten sind vorbei. Ich würde ja sagen du sollst weiterleben- aber jetzt geht das nicht mehr, du bist tot.

Ein Lachen hallt durch ihren Kopf, sie schüttelt sich und geht, den Koffer in der Hand, die Schlüssel in der anderen, sie bemerkt seine Augen in ihrem Rücken. Seinen selbstbedauernden Blick, nein kein Stern scheint heute Nacht für sie und innerlich weiß sie auch das ihr nie wieder einer scheint.

"Na kommt denn mal einer? Ich mein, kostet mich ja nichts, aber ich komm mir langsam verarscht vor."

Einen Moment baumelt der Schlüssel an ihrem Ringfinger aber sie sagt nichts als er sie ansieht, aber die Stimme hat Recht. Sie hat recht, erkennt sie voller Zorn und sie knallt den Schlüssel auf das Schränkchen in der Diele und einen Moment später knallt die Tür hinter. Er starrt minutenlang auf die Tür, sieht sie an, denkt sie wird wieder kommen, das nie etwas passiert ist. Doch das Holz ist so starr wie eh und je, nein sie kommt nicht zurück und der Schlüssel ist der Beweis dafür.

"Wohin soll's gehen Miss?"
"Bahnhof."
"Welcher?"

Sie blickt in den Rückspiegel, sie kann ihn kaum sehen, aber sie sieht das er fett ist, unglaublich fett, das der Gurt seine Wampe nicht hält und das sie den Gurt gleich sprengen wird, nein gegen Männer wie ihn ist Daniel ein Adonis und beinahe muss sie lächeln, aber es ebbt ab- er liebt dich nicht Mädchen.

"Zu welchem wohl?"
"Straightway?"
"Genau."

Er starrt sie mit kleinen Dackelaugen an, bestimmt erwartet er das sie einer dieser Fahrgäste ist, die einem ihre ganze Lebensgeschichte erzählen, doch sie schweigt, den Koffer auf dem Schoss und starrt in die Dunkelheit. Nichts als Dunkelheit vor ihnen, nur noch ein paar Lichter, Straßenlaternen aber auch sie wirken depressiv und sehr allein.

"Na Miss, sie sind aber ..sie sehen.. entschuldigen sie bitte, aber sie sehen tot aus."

Sie hebt eine Augenbraue, und ihr Mund verzieht sich zu einem Grinsen, nicht fröhlich sondern bitter.

"Oh nichts zu entschuldigen. Ich fühl mich genauso."

Sie entdeckt ein Loch in ihrer Hose, und sie denkt nur kurz daran das ihre Mutter nie nähen konnte. Nein, das konnte sie nicht. Sie konnte vieles nicht und sie mochte ihre Mutter nie besonders, geschweige denn liebte sie diese. Aber sie akzeptierte sie, denn sie machte ihren Vater glücklich. Überaus glücklich und sie war eben der Betriebsunfall.

"Wissen sie, eigentlich bin ich tot. Mausetot und, können sie das Haus noch sehen wo sie mich eingekarrt haben, na ja abgeholt zum Schlachthof sozusagen? Betrachten sie es sich gut. Da drin liegt mein Herz auf dem Küchenboden. Es ist ein beschissener Küchenboden müssen sie wissen, richtig beschissen ganz grausam. Aber den hat auch meine Mutter ausgesucht. Scheiße, ist der hässlich.
Jedenfalls liegt da mein Herz und zuckt noch leicht wie in den billigen Horrorfilmen. Ach was red ich, es zuckt nicht mehr. Nichts für ungut, fahren sie einfach weiter, achten sie auf die Straße und machen sie einfach ihren Job."

Für den Rest der Fahrt fragt er sie nichts mehr. Ein paar nervöse Schweißperlen haben sich auf seiner Stirn gebildet aber er fragt sie lieber nichts mehr. Er denkt nur an seine vier Kinder und dankt Gott dafür das sie noch klein sind, und er betet das sie nie so werden, wahrscheinlich wird sie sich auf dem Stairway Bahnhof vor einen der Züge werfen.

Ein kleiner Teil von ihm fängt an Stairway to Heaven zu summen. Er wartet darauf das dieses seltsame Mädchen ihn von hinten anfällt und irgendwas sagt, aber sie bleibt stumm, die Dunkelheit betrachtend und für einen winzigen Moment als er von der Straße in den Rückspiegel sieht, entdeckt er die Dunkelheit auch in ihr. Ein Schauder überläuft ihn, kalt wie Eis.

Stairway ist kein riesiger Bahnhof, aber auch kein regionaler und dafür ist sie irgendwie dankbar als sie aussteigt, die kalte Nachtluft einatmet und ihm einen Schein in die Hand drückt, ein zwanziger. Alt und zerknautscht.

"Sie kriegen noch fünf zurück, Miss."
"Ach stimmt schon."
"Danke Miss, für ne Tote sind sie großzügig."

Sie grinst nur leblos vor sich hin. Irgendwie ist sie müde.

"Schönen Abend noch."

Langsam erklimmt sie die Stufen, den Koffer in der Hand und sieht in der Entfernung das kleine Schalterhäuschen schwach erleuchtet in der alles verschlingenden Dunkelheit. Es gab Tage an denen sie sich niemals alleine hier her gewagt hätte. Sie hätte seine warme Hand genommen und wäre mit ihm zusammen auf das Schalterhäuschen zumarschiert, sich gelegentlich nach Monstern umsehend- sie konnten sich ja überall verstecken- alles was sie sehen würde, wäre Dunkelheit und dann würde sie Panik bekommen, sich nach einem Halt umsehen in einer dämonischen Welt.

Sie würde in ein Paar weiche grüne Augen schauen wenn es am schlimmsten wäre, aber die Zeit ist vorbei. Die Dame hinter dem Schalter ist freundlich, sie kennt sie, ihren Namen nicht, denn sie war schon lange nicht mehr am Bahnhof, aber sie weiß das die Frau hinter dem Schalter freundlich ist und das muss ihr reichen.

"Hallo, mein Gott was für eine Freude dich einmal wieder zu sehen. Wie geht es deinem Vater? Deiner Mutter..oh tut mir leid, sag mal wie geht es dir?"

Sie versucht zu lächeln. Sie schafft es unter größtem Kraftaufwand, aber es wirkt wie eine entsetzliche Grimasse.

"Gut- Nie besser."
"Ah.. ich verstehe."

Aber sie versteht nicht, sie versteht nicht wie das Leben aus den Augen des Mädchens entwichen ist, sie versteht es kein bisschen. Sie glaubt zu verstehen. Sie glaubt. Glauben ist wie Schönheit Ansichtssache.

"Sagen sie, der Zug, der von dem ich immer so begeistert war, der große Rote, wo fährt der hin?"
"Der Fährt nach Quebec."
"Gut- kann ich eine Karte haben?"
"Aber sicher.. er fährt in.. zwanzig Minuten. Es ist nicht mehr viel frei. Du müsstest dir, ja ein Platz nur noch .. ein Mister.. Gottchen ich sag ständig ich muss ne neue Brille haben."

Die Dame schüttelt den Kopf. Doch Rosemary lächelt nur einsam und traurig. Sie war schon immer Schneewittchen im Sarg.

"Mir ist egal wie er heißt, ich nehme die Karte."

"Das macht dann fünfzig. Fährst du alleine? Ich meine, du bist noch so jung. Und die Welt ist schlecht."

Sie möchte in Tränen ausbrechen, Wasserfälle weinen. Aber sie kann nicht.

"Ich weiß- aber ich möchte sie sehen, alleine. Und ausserdem, egal ob die Welt still steht oder sich dreht, das Leben geht weiter."


Eigentlich wollte sie sagen - Und ausserdem- was geht sie das an.
Denn es geht die Frau einen feuchten Dreck an, ob sie nun nackt über den Bahnhof tanzen würde, aber das macht sie ja nicht, und sie sagt es auch nicht, denn sie ist ein so höflicher Mensch, puscht sich immer bis zum letzten, kann kaum atmen wenn sie so grinst wie eine billige Halloween Maske.

Sie fühlt sich auch nicht jung, sie fühlt sich nur alt und müde.

"Viel Spaß"

Sie winkt einmal, es ist ein zynischer Gruß den die Frau als falsche Freundlichkeit missversteht.
Die Lichter vom Zug erhellen die Dunkelheit und als sie ihr eigenes Spiegelbild sieht weicht sie erschrocken zurück. Das kann doch nicht sie sein. Das kann sie nicht sein, sie war doch so ein fröhliches Kind.

Ihr Kopf dreht sich, die Locken fliegen und sie will sich am liebsten immer weiter schütteln bis sie, nun ja bis sie alles weggeschüttelt hat. Vor ihrem geistigen Auge kann sie sehen wie er in der Küche sitzt, auf dem Stuhl mit dem roten Kissenbezug, einen Arm über die Stuhllehne hängend, zwei Knöpfe an seinem Hemd auf, ein Glas in der anderen Hand und auf den Kühlschrank starrt mit wässrig matten Augen aus denen kein Fünkchen Leben scheint. Oh ja, nur allzu gut kann sie das sehen.

Der Schaffner selbst ist müde, sie ist müde und so kontrolliert er nicht einmal ihre Karte als sie an ihm vorbeischlurft den Koffer in der Hand, den schmalen Gang entlang schlurft wie eine alte gebeutelte Frau. Sie stolpert über etwas. Dieses Etwas über das sie stolpert kommt nur langsam auf die Beine, ein hartes, kantiges Gesicht, unterbrochen von einem weichen Kinn und vollen Lippen schaut sie verschlafen an. Sie kann nur starren.

"Einen Grund. Einen verfluchten Grund warum ich dich nicht töten sollte, Mädchen, denn ich mag nicht wenn man mich beim schlafen stört."

Leicht grinsend hält sie die Karte hoch, sie bemerkt noch nicht einmal das grinst bis das Etwas sie anstarrt aus Ozean blauen Augen. Aufmerksam betrachtet er sie.

"Kannst du den Koffer da oben reinstellen ohne mir den Schädel einzuschlagen nachdem ich wieder auf der lausigen verwanzten Pritsche liege, von der ich so offensichtlich heruntergefallen bin, hmm?"

Sie lacht, sie kann nicht anders, sie lacht so laut das jemand in der Nachbarkabine gegen Wand haut und etwas brüllt das sich als Antwort erweißt.

"Hier versuchen Leute zu schlafen!!"
"Dann versuch es weiter, Wichser."

Wieder lacht sie, ihre Stimme zu schrill in seinen müden Ohren.

"Warum lachst du wie verrückt."

Sie starrt auf seine Pinkfarbenen Haare. Auf die kunstvollen Tätowierungen in seinem Gesicht und die lange Narbe die sich über seinen gesamten Oberkörper zieht wie ein Autobahnstreifen.

"Oh, das, ich hab das Arschgesicht zum Trocknen aufgehängt, glaub mir."


Sie lacht so das ihr die Tränen in die Augen schießen, und ihr Lachen geht in weinen über. Lautes ununterdrücktes Weinen das nicht stoppen will.
"Oh Scheiße, was hab ich jetzt wieder gemacht. Komm Mädel steht auf. Wer immer dich verlassen hat, er kommt nicht zurück, und nein ich mache keinen Scherz, ja ich weiß wie ich auf die Leute wirke, ja sie haben gelegentlich Angst vor mir, das ist besser für sie, besonders wenn ich nervös bin.. aber bitte hör auf zu weinen."


Sie sieht ihn an, nein er ist sicherlich nicht ihr Typ, so ganz anders wie die Männer die sie bevorzugt, denn die sind alle so wie ihr Daddy. Wieder beginnen die Tränen zu fließen. Er seufzt tief, nein er kann ihr nicht helfen und er wird es auch nicht tun, wer ist er denn schon. Wenn sie es wüsste würde sie wahrscheinlich noch mehr heulen, aber das wäre ihm auch egal. Er ist gebranntmarkt. Die Tätowierungen auf seinem Gesicht, sie sehen fast aus wie Schwarze Flammen, aber sie sind nicht zu dick, sie sind nicht zu schmal.

Es waren die schlimmsten Schmerzen seines Lebens als er sie hat machen lassen, aber der Mensch quält sich selbst am liebsten. Die grellen Haare waren mehr oder minder ein Unfall. Und wenn er gewusst hätte das noch ein nicht gerade hässliches Mädchen den freien Platz in seinem Abteil nehmen würde hätte es zwei Möglichkeiten für Allan gegeben die seine Kleidung beträfen. Entweder eingekleidet, in voller Anzug Montur, oder nackt. Aber da es recht heiß gewesen ist, hat er einfach nur einen Pullunder angehabt und passende Seidenhosen. Den Pullunder hatte er ausgezogen und nun stand oder viel mehr saß ein Mädchen vor ihm, nicht unbedingt hässlich das sich die Augen aus dem Kopf weinte wegen irgendeinem Kerl.

Allan hätte ihr auch sagen können das alles besser wird, doch dass wird es nicht, und er will es ihr auch nicht wirklich sagen, denn er kennt nicht einmal ihren Namen. Er hätte ihr auch ein Angebot machen können, in einer vernünftigen, tiefen Stimme, wie man den Kerl beseitigen konnte. Wahrscheinlich hätte sie gelacht. Aber die Tätowierungen über seinen Wangenknochen hätten sich nicht einmal einen Millimeter verzogen. Allan ist Profikiller. Er wird in Quebec aussteigen, einen Menschen umbringen und weiterfahren. Dann wird er sich einen vernünftigen Haarschnitt verpassen lassen und sich vielleicht ein neues Piercing für seine Unterlippe kaufen.

Nach unendlichen Momenten vergeht ihr Schluchzen und er deutet auf ihren Koffer, den sie anhebt, es aber nicht kann, weil er so schwer ist für sie und er hebt ihn mühelos hoch was sie etwas überrascht denn er ist zwar muskulös aber auch ziemlich Schmal, wie eine dieser Statuen.

"Nun ja, das hätten wir. Kann ich jetzt schlafen?"
"Tut mir leid.. Mr.?"
"Blue"

Sagt er und sie lacht wieder, ihre Augen mit Lachern tanzend. Sie ist so frei und seltsamer Weise als er sich Kopfschüttelnd auf die Matratze haut um ein wenig Schlaf zu finden, komischer Weise denkt sie nicht eine Sekunde an Daniel. Neugierig wie sie ist schleicht sie zu ihm, kann nicht schlafen, die Augen weit offen an die Decke gerichtet. Langsam studiert sie sein Profil und seinen nackten Oberkörper. Die Lange Narbe übte eine Faszination auf sie aus, er hatte so eine verdammte Schönheit an sich, so tragisch. Sie kennt nicht viele Männer die schön sind.

Männer können gut oder schlecht aussehen. Aber schön? Sie denkt nicht an Daniel. Sie weiß auch nicht warum sie ihn so schön findet. Mit Entsetzen stellt sie fest das sie ihre Hand leicht auf seinen Bauch gepresst hat, mit leichtem Ärger das man seine Schönheit zerstört hat.

"Hey, noch weiter unten würde es mir besser gefallen Baby, aber wie alt bist du denn?"

Sie erschreckt sich kurz und heftig, behält aber ihre Hand wo sie ist.

"Zweiundzwanzig, Blue."

Er richtet sich auf der Liege auf, noch ein paar Stunden bis Quebec und sieht sie verwirrt an.

"Müsstest du mir nicht theoretisch eine runterhauen?"

Sie lacht wieder, Ihre Hand wandert weiter nach oben.

"Nein, sehe ich genau andersrum. Wie alt sind sie?"
" Achtundzwanzig. Du reicht. Dein Name?"

Sie betrachtet fasziniert wie die Muskeln unter ihren Fingern anfangen zu zittern wenn sie darüber streicht. Er müsste sie aufhalten wenn er ein Anständiger Kerl wäre, sie müsste es gar nicht erst angefangen haben. Aber die Welt ist schlecht.

"Nenn mich Lady."
"Warum?"

Sie sieht ihn kurz an, lässt ihre Hand in die andere Richtung schnellen, weiß selbst nicht wieso. Seine Augen sind weit aufgerissen, er hatte es als Scherz gemeint.

"Weil ich keine bin."

Mühelos reißt er ihre Hand von seinem Körper, hoch in die Luft und sie fürchtet er wird sie schlagen, aber er wirbelt sie herum und sie ist an ihn gepresst.

"Lass das spielen, wenn du nicht weißt mit was du spielst. Regel eins."

Sie lacht nur und auch er lacht, dreht sie einmal im Kreis, um sie in den Arm zu nehmen. Er will sie nicht trösten, er will sie nicht lieben, aber er kennt kleine Mädchen und als sie in Tränen, Flutwellen aus Tränen ausbricht, da kommt sie ihm nicht älter vor als vielleicht zwölf.

Armes Ding, möchte er sagen, aber er sagt nichts, denn sie ist eine Fremde, nur ein Mädchen wie tausend andere, liegt auf der Straße herum im Dreck, ihre Haut befleckt und aufgerissen. Sie ist eines dieser Mädchen die er noch aus seiner Schulzeit kennt und er hat sich mehr als einmal in eines dieser Mädchen verliebt, aber mehr war da nicht. Diese Art von Mädchen konnte man nicht lieben, sie waren wie ein Blatt Wind, mal unten mal oben.

Niemals stabil. In einer leisen Stimme fängt sie an zu reden, hat keinen Grund, aber er ist so anders als ER, ist so stark, kann sie vielleicht halten und vielleicht nimmt er ihr Angebot auch an. Sie kann nicht anders als in kalten harten Worten zu erzählen. Es ist das erste mal das Blue eine Horrorgeschichte ohne Monster hört.

"Er war mein Vater. Mein Vater. Und ich wollte. Ich wollte und er wollte, und dann war er es nicht mehr, und dann schickt er mich weg? Was zum Teufel gibt ihm das Recht dazu.!!"

Er schüttelt den Kopf. Liebe ist eine Krankheit. Blue liebt nie. Er hat es auch nicht vor, dazu ist sein Leben zu verplant. Er hat eine Schwester, die ist genauso wie sie. Vielleicht auch noch ein wenig anders, aber was weiß er schon, er kennt weder das Mädchen das sich schmerzvoll an ihn krallt noch seine Schwester. Es reicht ihm das er weiß welche Schuhgröße er hat und wie schnell ein Projektil seiner Waffe einen lästigen Abend beendet. Das ist alles was er weiß.

Wenn er sie monoton anstarrt sieht er nichts, sie tobt und schreit in seinen Armen, aber er kann nichts sagen was es besser machen würde, denn es wird nicht besser.

"Entschuldigung.. das interessiert dich nicht wirklich."

Sagt sie leise und er lächelt zynisch.

"Stimmt. Es gibt schlimmeres, aber das interessiert mich genauso wenig wie der Idiot drüben in der Kabine der immer wieder an die Wand trommelt. Ich hab heute schlechte Laune. Sehr schlechte Laune Mädel. Und wenn der Idiot so weitermacht, bringe ich ihn um."


Sein Lächeln ist immer noch zynisch, aber er sagt diese Worte nicht zynisch, er meint sie ernst und ihre Augen leuchten. Sie ist fasziniert. So sehr das es ihr nicht auffällt wie gefährlich es ist, wie gefährlich er ist. Sie kann einfach nicht begreifen das sie von einem Zug auf den anderen Springt, mitten beim Fahren.

"Machen wir da weiter wo wir aufgehört haben?"
"Nein"
"Was?"

"Nein. Keine Lust. Ich bin müde, du bist verrückt und emotional.. na ja der ganze Scheiß eben, weißt du, der Scheiß der immer in diesen beschissenen Zeitungen steht, zwischen den Kochrezepten die scheiße sind. Alles im Allem könnten wir heiraten und eine beschissene Ehe haben, aber hey, ich laber wieder Scheiße. Ach ja, Scheiße ist mein Lieblingswort."


Sagt er und versucht sich zu setzen, aber sie hängt immer noch irgendwie an ihm wie ein Kleidungsstück das er eigentlich nicht wirklich will und ihre Haut riecht eigentlich auch nicht schlecht. Aber er ist so müde und wenn er morgen müde ist, könnte er tot sein und wie er es so sagen würde was wäre der beste Fick seines Lebens wenn er morgen nicht mehr feiern könnte das er ihn hatte?
Nichts. Am Ende bleibt immer das Nichts. Und das Nichts ist auch wieder der Anfang, ein ewiger Kreis der sich nicht schließt.

"Was machst du morgen."

Fragt sie ihn mit großen Augen, glitzernd mit einer Faszination die er auch nur allzu gut kennt.

"Ich mach dir einen Vorschlag. Du sagst mir nicht deinen Namen, denn dann wird es persönlich. Ich sage dir nicht meinen- richtigen- Namen. Also vielleicht bleib ich dann bei Lady, weil du ja keine bist und dann.. na ja weiß nicht so genau. Du kannst heute hier schlafen, überdenken, genau wo du jetzt bist, und ich sage nichts dagegen weil ich so Arsch- müde bin und wenn du morgen aufwachst und rennst ist das nicht mein Problem, und wenn nicht, kannst du mitkommen mit mir."

Ihr Verstand sagt ihr, sie sollte nicht. Sie darf nicht. Sie ist doch noch so jung. Just in diesem Moment starrt sie verärgert in die Dunkelheit. Sie weiß sie wird fallen, vom Himmel, niemand wird sie fangen und niemand wird sie von der Straße aufkratzen auf der sie aufschlagen wird.

"Warum?"

Er zieht die Augenbrauen zusammen bis sie fast eine Schwarze Linie bilden.

"Warum nicht."


Es ist so simpel. So furchtbar simpel. Warum nicht. Sie kann kaum glauben das es so simpel sein kann, das Leben. Aber sie weiß doch auch nichts vom Leben. Ihr Schweigen deutet er als ja und zieht sie zu sich, nicht sanft, sondern hart und schnell. Er ist so anders, aber er nimmt ihr die Last von den Schultern was sie nur langsam bemerkt. Sie bemerkt es nicht die ersten paar Minuten aber sie bemerkt es weil er ruhig unter ihr atmet, sich keinen Deut darum schert was in der Welt passiert. Sie wünschte sich sie könnte auch so sein. So stark. Er ist so stark. Gegen ihn wirkt ihr so über alles geliebter Daniel wie ein Schwächling. Ihr so über alles geliebter Daniel, an den sie noch nicht einmal gedacht hatte.


Sie denkt an ihn und sie kommt zu dem Entschluss das da ein Nichts ist. Ein gähnend leeres Nichts das sie umgibt wie ein dunkler Schleier. Sie würde sagen der Mann vor ihr ist schön, verdammt sogar, hat aber diese Harte Art an sich. Sie nimmt ihm etwas von seiner Schönheit. Sie macht ihn ein kleines Bisschen gefährlich und sie weiß auch nicht warum aber es gefällt ihr so sehr. Vielleicht hat sie auch aufgegeben, die Illusionen ihrer Kindheit liegen hinter ihr, begraben hinter einem Haus mit einer roten Tür. Warum nicht schießt ihr immer wieder durch den Kopf.

"Wenn ich jetzt sterben müsste, was würdest du mir sagen?"
"Das ich meine Ruhe will, weil ich Schlaf brauche und das du seltsam bist."

Sie schläft ein nach diesen Worten, an seine warme Haut gelehnt. Es ist das erste mal das sie richtig schläft seit langer Zeit, das sie nicht träumt, das sie sich in einem Nichts befindet, in einem lautlosen, bizarrem Vakuum das sich sonderbar gut anfühlt.

Es ist eine traumlose Nacht für sie, nichts ausser Schwärze. Nichts, bodenlose Löcher. Sie merkt nicht das sie im Schlaf zuckt und sich an ihn klammert, er merkt nicht das er im Schlaf immer wieder spricht und sagt das alles gut wird, das sie keine Angst haben braucht, es sind nur Angewohnheiten die beide nicht einmal ahnen, unterbewusste Handlungen die lange tot und begraben sind, aber die Schaffnerin die vorbeischleicht und kontrolliert ob alles in Ordnung ist hat da ihren eigenen Eindruck.

Sie denkt mit ihrem zurechtgerückten und billigen Groschenromanen verseuchtem Verstand das sie ein Liebespaar sind das die Wogen des Lebens gemeistert hat und in eine glückliche Zukunft segelt auf dem Ozean der Zeit. Aber dem ist nicht so. Sie will einfach nur entkommen und er ist das nächstbeste was an den Strand gespült wurde mit der Flut.

Der Morgen ist grell. Ganz furchtbar grell und Kälte durchflutet. Sie wacht nur langsam auf, möchte nicht wirklich von der Schwärze lassen und nicht wirklich weiterschlafen, sie möchte in der Mitte sein von alledem. Sie bemerkt den Atem auf ihrem Gesicht. Er ist süßlich und gleichzeitig bitter, so als hätte er etwas saures gegessen oder getrunken. Auch er ist wach, schon länger als sie, die Augen weit offen und blinzelt in die Sonne.

"Hey"

Sagt sie und sie ist glücklich, so glücklich und sie weiß nicht einmal warum, sie ist so glücklich als sich das Licht in seinen Haaren bricht. So glücklich.

"Morgen."

Sagt er bewusst einen Namen weglassend denn er denkt das sie rennen wird, sie ist ohnehin eines dieser sprunghaften Mädchen, aber er denkt wie schon sein ganzes Leben lang falsch.

"Sind wir schon in Quebec?"
"Ja. Ich muss hier raus."
"Ich auch."

Er setzt sich auf, streckt sich , die Schultern einmal kurz rollend bis es knackt.

"Autsch, ja ich bin wach."

Wieder lacht sie. Auch er erlaubt sich ein Grinsen.

"Wie heißt du?"

Will er wissen und wirft ihr einen Blick zu der die gesamte Luft aus dem Zugabteil saugt. Er will eine Entscheidung ohne das sie weiß wer er ist, aber das ist ihr nur recht, und das schockiert sie leicht.

"Rosemary."


Sie betrachtet ihn genau, das tiefgehende blau seiner Augen, wie kindlich sie wirken, voller Leidenschaft die ein Kind nicht haben kann aber ein Erwachsener auch nicht wirklich. Es scheint ihr so als wäre er zwischen zwei Welten gefangen.

"So Rosemary"

Sagt er in einer rauchigen Stimme die ab und an recht klar und deutlich ist, so als würde auch sie sich noch verändern.

"Dann erzähl mal."
"Was denn?"

Nach einer Zigarette suchend und sie findend dreht er sich zu ihr, die Haare durcheinander, das Gesicht noch müde, dennoch erschreckend klar. Seine Augen sind einen Moment von Rauch verhangen und sie möchte erzählen, so gerne alles erzählen, aber dann fällt ihr ein das sie eigentlich schon alles erzählt hat bei ihrem kleinen Ausbruch in der Nacht und was sie noch alles getan hat in eben der Nacht.

Sie wird Rot, furchtbar rot und ihre Wangen glühen regelrecht. Es ist das erste mal das sie lebt, stellt er erstaunt fest und grinst um die Zigarette herum. Es ist auch das erste mal seit langem das er etwas mehr lebt als sonst, aber das ist was anderes und auch nicht so furchtbar wichtig, denkt er sich als sie ihn ansieht, Augen groß und schimmernd. Lebendig.

"Lass es uns einfach vergessen Rose. Ist doch Okay wenn ich Rose sage?"
"Klar."

Grinst sie und beantwortet alle Fragen auf einmal. Der Zug steht schon gute zwanzig Minuten und das bemerken sie erst als die Schaffnerin die sie ohne ihres Wissens in der vorherigen Nacht beobachtet hat sie freundlich aber bestimmt auffordert den Zug zu verlassen. Sie hat immer noch die Illusion aus ihren Groschenheftchen im Kopf als er dem Mädchen neben sich einen Arm hinhält und sie sich einhakt, so als wäre es das natürlichste auf der Welt.

In ihrer Welt. Aber wenn sie sich nun die Mühe machen würde sich die beiden genau anzusehen würde sie sehen das er ungeschickt versucht sein Hemd zuzuknöpfen und das ihre Hand zittert, denn sie ist und bleibt ein weltfremdes zurückgezogenes Mädchen das nichts zu erwarten hat egal wie sie sich windet. Und er bleibt ein Profikiller, der seinen Anschein waren muss. Sie weiß nicht das er ein Killer ist aber sie spürt das er gefährlich ist.

Das macht ihr Angst, das macht sie lebendig.

"So."
"So."

Für einen Moment denkt sie das er sie einfach anlachen wird und ihr sagt das er einen Scherz gemacht hat, für einen Moment denkt sie das sie träumt, das sie aufwachen wird aus ihrem wirren und verstricktem Traum, das sie aufwachen kann, die Kraft hat sich aus ihrem Traum zu befreien und urplötzlich denkt sie flach das sie erst aufwacht wenn sie tot ist, das der Tod ihr das Leben bringt, das sie nicht mehr gebetet hat seit.. sehr langer Zeit. Dann ist alles weg.

"Es sind nur ein paar Meilen bis zu meiner Residenz."

Sagt er beiläufig. Der Koffer in ihrer Hand ist schwer und sie möchte das er ihn ihr abnimmt, äußert ihren Wunsch aber nicht. Sie macht nur ab und an ein paar ächzende Geräusche als sie die Stufen vom Bahnhof heruntersteigen und er erbarmt sich nach der Hälfte der Stufen und nimmt ihn ihr aus der Hand, während er selber sein Gepäck mit Leichtigkeit in der anderen hat.

"Ich kann dir nichts zahlen, weißt du."

Sagt sie und streicht sich urplötzlich sehr unsicher eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

"Brauchst du nicht, kannst anders zahlen."

Kein Scherz diesmal, kein Lachen, nur eine gewisse Abgebrühtheit und er wartet darauf das sie rennt, aber sie rennt nicht. Das wundert ihn. Aber es wundert ihn vieles über das Mädchen an seiner Seite. Sie scheint etwas zu verbergen, unbewusst, doch eigentlich keinen Wert darauf zu legen das es ein Geheimnis bleibt.

"Klar."

Sagt sie nach einer kleinen Ewigkeit, den Blick auf sein Gesicht fixiert.

"Hab ich was im Gesicht?"

Fragt er, die Augenbraue gehoben und sie muss lachen als er den Satz noch einmal überdenkt das auch er in Schallendes Gelächter ausbricht. Sie denkt nicht einmal an Daniel. Sie hat auch keinen Grund dazu denn meistens denkt sie nur nach wenn sie unglücklich ist und sie hat schon zu viel nachgedacht.

Auch Daniel denkt viel nach. Sehr viel sogar. Zu viel. Er hat den Tag nachdem sie gegangen ist damit verbracht sich Kinderfotos von ihr anzusehen. Nebenbei hat er noch eine Flasche Wein geleert die zwanzig Jahre alt war. Er wollte sie sich aufheben, für etwas besonderes. In seinem Alkoholisiertem Verstand rechnet er noch einmal nach und er weiß das die Flasche zweiundzwanzig Jahre alt ist. Gemeingefährlich auf die Bilder starrend erinnert er sich an den Tag an dem er sie gekauft hat.

Von seinem letzten Geld. Oh, wie seine Frau ihn zur Schnecke gemacht hat, sogar noch im Krankenhaus und er war augenblicklich zurückgewichen, aber danach hatten sie nicht mehr viel Zeit um zu streiten denn dann war es soweit. Sie würden Eltern werden und.. er konnte noch immer nicht fassen das sie einfach gegangen ist. Er kann es nicht begreifen. Sie hätte stur dagegen anreden müssen. Das hat sie nicht. Es klingelt und er macht auf in der wagen Hoffnung das sie davor steht, ihm sagt das es ihr genauso leid tut genauso wie ihm und dann wäre alles wieder gut.

Aber es ist nur die alte Schabracke von Gegenüber die vor der Tür steht und ihn ansieht als wäre er ein Fremder. Ist er ja auch, er ist eben nicht mehr der nette Mann von Gegenüber der vor über zwanzig Jahren eingezogen ist mit Frau und Kind, immer eine Zigarette im Mund die er verstohlen in ihren Rosenbüschen ausdrücken würde. Nein, das ist er nicht mehr und wenn sie ihm das gesagt hätte , hätte er automatisch gesagt das es genau zweiundzwanzig Jahre gewesen sind, allerdings interessiert es das alte Suppenhuhn wahrscheinlich eh nicht.

"Ja, was kann ich für sie tun Miss Snipson?"
"Oh ich wollte gerne mit ihnen über ihre Tochter sprechen, warum sie nicht zur Arbeit kommt."

Der Ton ist wie immer hochnäsig und wie immer versucht sie an ihm vorbeizuschauen. Wie immer möchte er ihr sagen das sie sich nicht aufregen soll, denn Rose hat sich schon immer alles abgearbeitet in dem kleinen Eckladen. Sein Ausbruch, den er so nötig hätte, kommt nicht. Er steht vor ihr, über ihr regelrecht türmend und eine selbstsichere Erscheinung die er schon seit mehr als acht Jahren nicht mehr hatte.

"Sie ist nicht hier und sie kommt auch nicht mehr zurück."

Seine Hand krallt sich in den Türrahmen und er spürt wie das Holz unter seinen Fingern zersplittert, denn er wird Lügen. Er wird zum ersten Mal in seinem Leben jemanden so richtig ins Gesicht lügen und das bringt ihn fast um den Verstand. Fast noch mehr als die Sache mit seiner geliebten Tochter.

"Wir ziehen weg, sie ist schon mal vorgefahren."
"Ah?"
"Ja. Kann ich sonst noch was für sie tun?"
"Nein. Nein ist schon in Ordnung."
"Gut."

Aber nichts ist gut. Er kann spüren wie ihn seine Kraft wieder verlässt, wie er von Sinnen ist und das er sie nicht hätte gehen lassen sollen ,es aber dennoch getan hat.

Er ist wie in Trance, stolpert die Treppen hinauf und landet mit einem dumpfen knall auf dem Boden. Das macht nichts, denkt er sich, er hat es immerhin bis ins Badezimmer geschafft und die weißen Kacheln unter seinem Gesicht sind angenehm kalt. Vielleicht sollte er ihr noch nicht gleich nach, denn sein Kopf schmerzt beträchtlich. Sie könnte ja auch wieder kommen, er kennt sie schließlich. Neben der Stelle wo er so hart auf den Boden geprallt ist läuft eine dünne rote Linie entlang, sein Blut, erkennt er dunkel.

Sein eigenes Blut. Er schließt die Augen gegen eine Welle von Übelkeit und richtet sich auf.

"Du siehst nicht gerade gut aus, mein Guter."

Sagt er zu sich selber und möchte das Spiegelbild am liebsten erschlagen, aber das kann er nicht. Er ist so fertig mit der Welt, so fertig mit sich selbst. Er muss sie zurück haben, denn er kann nicht ohne sie sein, es war ein Fehler sie gehen zu lassen.

Damit wird er sich später auseinander setzen beschließt er Kurzerhand und kramt im Medizinschränkchen herum auf der Suche nach Rasierschaum und Rasierer an sich. Das nächste Mal wenn er sie sieht wird sie sabbern, wird zu ihm zurück kriechen stellt er sich vor, nur um dann auf seinem gedanklichen Trampelpfad stehen zu bleiben und den Rückwärtsgang einzulegen, was ihm aber nicht so recht gelingen will. Dieses mal fängt er aber nicht wieder an zu weinen, dieses mal passt er auf das er sich nicht mit der Rasierklinge schneitet.

Für einen Mann seines Alters ist er sehr eitel. Zu eitel würden manche sagen, manche interessieren ihn aber barsch gesagt einen Scheißdreck weshalb er sich weiter rasiert, die Augen auf den Spiegel fixiert.

"Hmm.. das ist besser."

Er grinst ein wenig, so als würde er zu einer Verabredung gehen. Es fehlt eigentlich nur der Blumenstrauß. Kritisch begutachtet er seine Haare . Was er sieht gefällt ihm nicht besonders, denn sie haben zu viele graue Strähnen und sie sind etwas zu lang an den Schläfen. Das lässt ihn zur Schere greifen und an den Seiten eine kleine Korrektur vornehmen.

"Viel besser.."

Murmelt er während er Gedankenverloren nach dem Haargel greift das er von Bloomingdales hat, es aber nicht um drei Teufels Namen zugeben wird. Ein paar fahrige Handbewegungen später ist er einigermaßen zufrieden mit der Frisur die aus weichen, mit teurem Haargel angefeuchteten Locken besteht.

Einen Moment noch zufrieden, blickt er unzufrieden auf sein Flanell Hemd.

"Nicht besser- ekelhaft."

Er schüttelt sich kurz bevor er es in Fetzen reißt, nach einem Deo sucht und eines findet das einigermaßen männlich klingt und damit zu sprühen beginnt. Ein leichtes Husten bahnt sich den weg an die Oberfläche aber es vergeht schnell wieder. In seinem Schrank sucht er nach etwas das passend ist, etwas das ihn glücklich macht und er sucht sich ein rotes Seidenhemd heraus das er seit Jahren nicht mehr getragen hat.

Er fühlt sich gut, unbesiegbar sogar, aber sein Herz ist nicht ganz der Meinung. Sein Bart mag zwar gestutzt sein und seine Haare mit teurem Gel geglättet und zurecht geschnitten, aber das heißt ja nicht das sie mit ihm kommen wird. Er weiß noch nicht einmal genau wo sie ist, aber wie weit kann man in zwei tagen schon kommen. Mit was könnte sie schon fortgehen? Nur mit dem Zug, und der, der am weitesten weg fährt ist der Richtung Quebec.

Eine Stimme in seinem Kopf sagt ihm in einer ruhigen und sachlichen Haltung, das seine Chancen nicht gerade gut stehen das sie wieder kommt. Das sie sogar sehr schlecht stehen, denn er hat ihr weh getan, ob er das nicht wüsste, brüllt die Stimme ihn an. Innerlich brüllt er zurück das die Stimme ihn mal kann. Das macht man immer wenn man weiß das die innere Stimme recht hat.

"Was machst du wenn sie nicht zurück kommt?"

Fragt er sein Spiegelbild und er sieht förmlich wie seine Augen nach unten schielen, wie sie regelrecht um die Ecke wandern, sich an der Winschester und der kleineren Waffe festsaugen.
Kurz lächelt er sein Spiegelbild an, nicht wahrnehmend das er nicht mehr richtig bei verstand ist und ist versucht seiner Reflektion auf die verglaste Schulter zu klopfen.

"Na dann bring ich mich um."

Es klingt beinahe fröhlich und es macht ihm nichts aus das es so ist. Wie ist er doch gefallen. Aber ist es nicht immer das selbe? Wir fallen vom Himmel, und niemand fängt uns auf. Ganz vorsichtig und behutsam packt er einen kleinen Koffer, nur mit dem nötigsten, denn er hat ja Zeit.

Zeit ist zerbrechlich aber unvergänglich, immer gleich bleibend in einem Rhythmus den kein Mensch wirklich begreift und Daniel will ihn auch nicht begreifen als er alle Türen abschließt, endlich zugibt das er immer nur an sie gedacht hat und es nicht ändern kann, sich in ein Taxi setzt und Richtung Bahnhof fährt.

Er weiß nicht das sie nicht an ihn denkt, sondern intensiv in ein blaues Augenpaar starrt, ihr Interesse geweckt durch eine Einrichtung die sich ein Mann wie der den sie vor ihrer Nase hat nicht leisten kann. Aber sie hat auch gelernt das kann und sein Welten auseinander liegt. Ganze Galaxien sogar.

"Komm rein, oder willst du da stehen?"

Er lächelt, und sie bemerkt das in seinem Lächeln etwas ist das ihr ein komisches Gefühl gibt. Sie weiß nicht was es ist. Vielleicht das sein Lächeln die Augen nie erreicht, das er eine gewisse Distanz einnimmt vor ihr.

"Oh klar.. Blue."

Sie kann ein Kichern nicht unterdrücken und er seufzt, um sie herumschleichend wie ein Panther.
Wütend auf sich selber rumort er in der Küche herum, die Augen diskret auf sie gerichtet. Sie wirkt so klein in seinem Apartment, in seiner Umgebung und in seiner Welt. Aber sie weiß nichts von seiner Welt, keinen Schimmer hat sie und das weiß auch er. Seufzend holt er sich ein Bier aus dem Kühlschrank, betrachtet sie weiter im Spiegel der Dunstabzugshaube während sie Sachen beobachtet die ihm gehören, ihm etwas bedeuten, oder einmal etwas bedeutet haben.

Ihm bedeutet eigentlich nicht mehr viel etwas, denn er verdient sein Geld damit Leute umzubringen, aber auch das macht nichts, denn die meisten die er vor seiner Flinte hat haben sowieso keinen Gott oder sind so wie der Mann der ihn einfach hat liegen lassen nachdem er ihn aufgeschlitzt hat. Sie meinten er wäre betrunken gewesen und in dem Moment hat sich Allen gedacht, fein und eine Woche darauf hat er seinen Vater getötet.

Mit dem gleichen Schwert das der alte Sack aus Korea mitgebracht hat. Es hat ihm Spaß gemacht. Es macht ihm immer Spaß. Er weiß nicht warum, aber er fühlt sich nur dann lebendig wenn er Macht hat und die Leute Angst vor ihm. Er braucht dieses Macht Gefühl.

"Bist du das?"

Fragt sie neugierig und hält ihm ein gerahmtes Foto unter die Nase das er gar nicht wahr nimmt wenn er daran vorbei geht. Ein Junge mit großen blauen Augen, die voller Lacher tanzen und neben ihm ein Mädchen auf einer Schaukel. Das ist schon Jahre her und er denkt nicht gerne daran und wenn doch erträgt er es nur mit irgendwelchen Drogen.

"Nein"

sagt er flach

"Das ist Allen. Und Allen ist schon lange tot. Sein Vater hat ihn umgebracht. Aber genug von dem Scheiß. Auch ein Bier?"

Sie stellt das Foto wieder hin, die Augen auf ihn fixiert.

"Verstehe."

Sagt sie und legt die Arme von hinten um ihn. Sie versteht, er versteht. Nimmt sie in den Arm, küsst sie lange, weiß nicht warum, interessiert ihn nicht, küsst sie weiter, eine Romanze aufgelesen im Zug und es muss wohl ein Schnellzug sein denkt er, denn rasend schnell verliert er sein Herz an sie, weil sie nichts sagt, weil sie keine Angst vor ihm hat , weil sie ihn nicht weiter fragt wer er ist und wer er war.

Vorsichtig setzt er sie ab, weiß nicht recht wieso, nimmt ihre Hände in seine, bedächtig festhalten tut er sie .

"Du kannst hier bleiben Rosemary, solange du möchtest, aber eine Regel gibt es."

Angst. Furchtbare Angst durchfährt sie, denn sie weiß das sie nicht der Mensch ist der sich gerne an Regeln hält und das macht ihr Angst. Es könnte Angst vor ihr selber sein, oder vor dem Blick den er ihr zuwirft.

" Wenn ich abends nicht nach Hause komme und das Telefon geht, geh nicht ran, wenn ich ein blutiges Hemd trage frag nicht wessen Blut es ist. Wenn ein Mädchen namens Melody auftaucht, lass sie rein, aber sprich nicht mit ihr."

"Wie lautet die Regel? Ich habe sie nicht ganz, nicht so richtig.."
"Stell keine Fragen Rose, es könnte dich mehr kosten als uns beiden lieb ist hmm?"

Vorsichtig streicht sie ihm durch die Haare, erstaunlich weich unter ihren Fingern. Sie sollte nicht nicken, aber sie nickt und er erhebt sich, drückt ihr einen leichten Kuss auf die Stirn und dreht sich von ihr weg. Sie lächelt, er spürt das. Manchmal weiß man nicht was man im Leben tut. Manchmal kann man es bestimmen, manchmal aber auch nicht. Er weiß nicht warum er sie mitgenommen hat, vielleicht ist es wegen einem Blick den er glaubt gedeutet zu haben, vielleicht einfach nur wegen seiner fast leeren Wohnung. Aber wer will schon mit einem Profikiller zusammen leben. Natürlich hat er es ihr nicht gesagt.

Er schenkt ihr einen Blick, die Kleidung die sie trägt ist schon alt. Gebraucht, aber dennoch geliebt.

"Was ist deine Lieblingsfarbe Rose?"
"Rot."

Strahlt sie ihn an und unwillkürlich muss er lachen.

"Gut, Rose, wie wäre es wenn ich, nachdem ich eine Winzigkeit erledigt habe, erst einen kleinen Einkaufsbummel machen und dann, weiß nicht ausgehen, feiern, das wir, na ja das wir uns gefunden haben auf diese furchtbar kitschige Weise?"

Ein leichtes Wackeln mit den Augenbrauen und ihr Lachen hallt durch die Wohnung, prallt an den Wänden ab und löst etwas in ihm aus über das er lieber nicht nachdenkt. Oder nicht nachdenken sollte.

"Warst du schon einmal verliebt Rose?"
"Nein. Nicht wirklich."

Das Bier immer noch in der Hand, holt er ein zweites und gibt ihr eines.

"Warst du schon einmal betrunken Rose?"
"Nein. Nicht wirklich."

Er grinst breit um den Flaschenhals herum , ihr die Zweite Flasche reichend.

"An einem von beidem solltest du arbeiten."
"Mach ich schon."

Grinst sie zurück , stellt aber bewusst die Bierflasche ab. Er hat sich diese Antwort denken können und es erfüllt ihn mit Schock und Verlangen. Er möchte nicht aufstehen, möchte sich nicht bewegen, möchte gerne bleiben. Aber er kann nicht, die Welt ist nicht aus Watte- deshalb geht er ganz langsam, und sieht sie im gehen an. Rot würde ihr stehen.

Ein weit entferntes Bild breitet sich in ihm aus, er weiß nicht woher es kommt, warum es ihn erreicht, aber es ist so schrecklich das er zurückweicht.

"Was ist?"
"Ich. Muss gehen. Bleib hier Rose."

Für einen Moment denkt er an sie in einer Blutlache. Es schüttelt ihn. Rosenrot. Schneeweißchen und Rosenrot. Das kommt ihm vor wie ein Witz, aber wenn er sie ansieht nicht mehr so ganz so witzig, das ist der Punkt. Sie sagt nicht einmal auf Wieder sehen. Sie wird sich halt noch ein wenig in der Wohnung umsehen denkt er sich als er aus der Tür schleicht, zum ersten Mal seit Monaten und sich fragt warum er sich das denn nun wieder antut.

Sein Weg durch die Straßen ist stehst langsam in der Stille eines Tages der sich langsam zum Ende neigt. Sein Geist wandert irgendwo zwischen der Nichtigkeit und der Wichtigkeit des Seins. Manchmal wünscht er sich fort, in eine bessere Welt in der auch er den weißen Gartenzaun und die zwei ein halb Kinder hat, aber das kann er nicht denn er würde kein guter Vater sein. Absurd. Das ist das Wort welches sich in seinem Kopf breit macht wie eine modrige Decke. Das ist absurd. Eine Stimme von hinter ihm, der Zigarettenstumpen im Mund, bis auch der letzte Zug verglüht lacht ihn beinahe aus.
Eigentlich ist er noch nicht weit von seiner Wohnungstür fort, aber wie alle Menschen die sich dem Alltag ergeben hat auch er den Sinn für Raum und Zeit fast ganz verloren.

"Na, wer ist die Schönheit vom Lande? Hast du es ihr gesagt?"

Er lacht nur kurz, ein hässliches kurzes Lachen das an eine kaputte Säge erinnert.

"Hab ich mir gedacht. Wie heißt dein Spielzeug.?"

Er sagt nichts, schraubt nur fachmännisch das Zielgewehr zusammen und marschiert davon. Sie ist nicht sein Spielzeug. Aber mehr als ein schöner Gegenstand kann sie auch nicht sein wenn er will das sie nichts mitbekommt von dem was er tut.

"Allen."

Er war schon immer der Typ Mensch der ehrlich und brutal war, meistens beides zusammen. Auch egal.

"Was?"
"Wenn du es mal ernst meinst sag ihr es."

Eine Augenbraue anhebend sieht er die junge Frau vor sich an. Sein Blut in ihren Adern, Brüderchen und Schwesterchen, und doch Welten entfernt. Es gibt Momente da will er sich am liebsten die Arme abschneiden damit er nachprüfen kann ob seines vielleicht eine andere Farbe hat, was er hofft. Er hasst sie nicht, er kann sie nur nicht verstehen. Das ist alles.

"Klar doch, gib mir das Magazin."
"Ich konnte es akzeptieren."

Er erinnert sich dunkel an ihre Akzeptanz, am Boden sitzend, die Hände vor das Gesicht geschlagen, alles um sie herum voller Blut. Ihre Akzeptanz. Ja, es ist deutlich wie die Sonnenstrahlen an einem schönen Tag.

"'Du Monster' hast du gesagt, das nennst du Akzeptanz? Ich bitte dich. Aber hast ja recht, ich geh heute Abend hin und sag ihr ,Hi Rose, ich verdiene mein Geld als Profikiller'"

Er kann nicht wissen, als er fortgeht um irgendeinem Menschen einem anderen vom Hals zu schaffen das sie an der anderen Seite der Tür steht, sich der Entfernung wohl bewusst, die Augen weit aufgerissen, unsehend auf das Holz vor sich starrend.

Wenn sie gut wäre würde sie jetzt laufen, aber sie will nicht mehr davon laufen, sie ist so müde vom Laufen, das davon laufen tut so weh. Es tut immer weh davon zu laufen. Für immer wird es Blasen geben die blutig aufplatzen wenn sie nun rennt. Deshalb rennt sie nicht sondern verkriecht sich in die Wärme eines Bettes das sie nicht einmal kennt.

Sie hat viel Zeit zum Nachdenken. Sie ist nicht unglücklich, aber sie hat viel Zeit zum Nachdenken, die Augen geschlossen und sie träumt bis sich der Schlüssel in der Tür dreht. Eine kleine Stimme flüstert ihr zu das sie schnell an ihm vorbeirennen könnte. Das Stimmchen in ihrem Kopf sagt ihr auch das er ein grausamer Mann ist der sie auch nur töten wird. Im Geiste gibt sie lachend zurück das sie schon lange tot ist und das er doch mit ihr machen kann was er will und das die Stimme endlich ruhig sein soll.

"Hey."

Sagt eine viel realere Stimme von über ihr und sie blinzelt kurz, sich aufrichtend im Bett.

"Hi"

Er kratzt sich am Kopf, weiß nicht recht was er sagen soll. Sie nimmt ihm die Arbeit ab.

"Ich hab an der Tür gehört als du gegangen bist."

Das verlangt nach einer Zigarette findet er, und er hat schon lange nicht mehr so oft geraucht.

"Geh einfach."

Sie schüttelt den Kopf.

"Ich find schon was für dich."

Wieder ein Kopfschütteln und völlig zusammenhanglos erzählt sie ihm warum sie überhaupt in der Situation ist, in der sie ist. Er staunt etwas, denn sie hat diese Kaltblütigkeit in ihrer Stimme die nicht viele Mädchen in ihrem Alter haben. Sie erzählt alles, neutral als würde sie einen Aufsatz schreiben.
Sie hat noch nicht einmal eine Träne mehr übrig.

"Und hast du es gewollt?"

Sie nickt und er seufzt.

"Dann versteh ich das Theater nicht."

Er war auch schon immer einer der Menschen die es sich leicht machen konnten. Es war sehr leicht für ihn die Welt so zu drehen wie er es wollte denn er konnte es, er war stark. Aber sie war nicht stark, sie gab stehst ihre ganze Kraft ab und das war am Ende das was dazu führte wie sie war, schwach und voller Selbsthass, schon über das Ende hinaus geschossen.

"Ist auch nicht wichtig."

Meint sie strahlend als hätte die Unterhaltung nicht stattgefunden und eigentlich möchte sie nur noch vergessen, lässt zu das er sie mit in einen Club nimmt und ihr jeden Drink zeigt und gibt den auch er nimmt und verträgt. Eigentlich ist ihr egal was drin ist. Sie spürt den Alkohol kaum noch, Manche haben sogar die Farbe von seinen Haaren und das bringt sie so zum lachen das sie den halben Drink verschüttet über sein bestes Hemd. Ist ihm auch egal.

Denn er ist glücklich, irgendwie verdammt und es ist ihm egal was noch passieren mag- Ganz langsam streicht ihr Finger über das letzte Glas, ihre Welt ist schon verschwommen, weggeschwommen und voller Rauch. Es ist die Art von Welt von der ihr Vater sie immer gewarnt hat, sie davor beschützt hat.

"Weißt du."

Lallt Allen in einem Moment trunkener Ehrlichkeit vor sich hin, denn so sehr er sich auch wünscht das Allen tot ist, er ist es nicht, er ist nur versteckt unter Farbe und Brandmalen, so sehr er es sich auch wünscht er bleibt in solchen immer Allen, was ihn dazu veranlasst ihr ein paar Worte zu sagen die er wenn er sich kontrollieren kann nicht mehr wissen will oder wird.

"Weißt du, es ist einfach jemanden wie dich zu lieben Rose. Es ist so verdammt einfach jemanden zu lieben der nichts zurück will ausser ein wenig , na ja."

Er kichert vor sich hin, wartet auf die Ohrfeige die nicht kommt denn er hat recht. Sie starrt in ihr Glas.
Ein Mensch der nichts zurück will. Sie überdenkt die Worte noch einmal kommt aber immer wieder zu dem Schluss das er recht hat, was kann sie schon zurück wollen?

"Er hat .. er immer nur geweint. Weißt du was ich gemacht hab als alles vorbei war?"

Sie starrt noch weiter in den Drink, wartet das sich seine trunkenen Augen heben, was sie auch tun und fährt sanft fort.

"Ich hab ihm ein Gewehr unter die Nase gehalten und gesagt er soll es beenden oder ich beende es."

Eine Zigarette aus seiner Jackentasche ziehend sieht er sie an.

"Du konntest nicht?"
"Sag mir wie."
"Weiß nicht. Man kann es oder nicht, ist ganz einfach."

Sie sprechen kein Wort mehr miteinander nach diesem Satz, aber das ist auch nicht nötig. Sie
stolpern betrunken in die Nacht hinaus sich gegenseitig festhaltend in einer Welt in der es keinen Halt gibt und sie nicht sagt das sie diesen Halt bei ihm gefunden hat, irgendwie, irgendwo zwischen einem Nachtzug und ein paar Drinks deren Inhalt sie eigentlich nicht wissen will. Besser so.

"Hmm die Nacht ist noch jung."

Meint er ausgelassen wie ein kleines Kind und zieht sie hinter sich her, über ein paar Pflastersteine mehr in ihrem Leben an denen sie sich die Füße aufschürft weil sie irgendwie ihre Schuhe verloren hat in der Gasse hinter dem Club mit den lustigen Drinks und den ebenfalls lustigen Schirmchen.

"Gott, du bist wohl unermüdlich."

Grinst sie breit und schlägt nach ihm. Er duckt sich mit Leichtigkeit vor dem Schlag, Schnelligkeit die er irgendwann gelernt hat auf seinem Weg vom Himmel, direkt in die Hölle. Es gibt mehr als eine Hölle. Manche sind heller, manche nicht.

"Du willst mich doch nicht etwa provozieren?"

Es ist nicht viel mehr als ein Knurren das er von sich gibt und sie wackelt verführerisch mit dem Hintern bevor sie davon rennt, mit einem Tempo das sie nicht haben dürfte und er ihr nachdonnert auf dm Asphalt vor dem Bahnhof mit einem einzigen Ziel. Er wird sie schon kriegen. Wenn sie nur wüsste das sie jetzt an Daniel denken sollte, der vorsichtig sein Spiegelbild inspiziert auf der anderen Seite des Bahnhofs auf dem sie sich befindet.

Aber sie denkt nicht an ihn, sie denkt an den Mann der hinter ihr ist, den sie nicht richtig kennt und auch nicht kennen will, denn so wie es ist so soll es bleiben, sie will einfach nur ihren Spaß haben, sie will leben. Wieder öffnet sich der Himmel in einer breiten Welle von Regen und sie rutscht aus auf dem harten Pflasterstein als er sie erreicht, die Haare an der Stirn klebend, keuchend weil er nicht mehr richtig atmen kann und seit langer Zeit nicht gerannt ist.

"Ich krieg dich."
"Versuchs doch."

Schreit sie halb lachend zurück und rennt davon. Wenn sie sich jetzt umdrehen würde, könnte sie erkennen wie auf der anderen Seite eine Figur im Regen beginnt zu rennen. Daniel. Sein ganzes Wesen ist von einer Panik durchzogen.

Er hätte sie nicht gehen lassen sollen. Nein, niemals. In seinem Hals bildet sich ein Knoten. Sie muss solche Angst vor dem Kerl haben der ihr nachrennt und wenn er nur etwas schneller rennen könnte, wenn er nur etwas besser wäre. Hätte er sie doch nie gehen lassen.

Seine Schritte kommen ihm zu langsam vor, er beginnt zu schwitzen, stolpert, rafft sich wieder auf. Zu langsam, was um Gottes willen hat er getan. Er konnte sogar erkennen das sie keine Schuhe anhat, oh Gott was ist nur passiert.

Seine Sachen hat er liegen lassen in seiner Blinden Panik und er kann nicht sehen in eben dieser Panik das die beiden vor ihm einfach nur spielen. Sie sieht ihn nicht, die Augen glasig, spielerisch auf Blue eintrommelnd als würde sie sich befreien wollen. Aber sie ist schon längst frei, doch Daniel, so blind, furchtbar blind schreit irgendwas und Blue dreht sich um, sieht den Lauf der kleinen Waffe ganz kurz aufblitzen und friert auf der Stelle ein. All seine Schnelligkeit nützt ihm nichts als Rose stolpert, über ihre eigenen Füße und vor ihm liegen bleibt.

Es ist wie in einem dieser schlechten Filme. Er kann den Schuss hören. Er kann ihn nicht sehen. Seine Augen sind geweitet, so als würden sie aus seinem Kopf fallen. Es ist so furchtbar kalt auf einmal im Neonschein der Bahnhofsleuchten. Er kennt den Mann nicht. Weit entfernte Worte hallen in seinem Ohr wieder, und an seinen Fingern fließt Blut herab. Es fließt aus ihr heraus, auf das Regennasse Pflaster, sie klammert sich an ihm fest und er beginnt zu schreien, so laut das es Jeder hört. Ihre Augen sind leer. Kein Lebenszeichen. Sie sind so matt wie ein altes Foto. Er begreift nicht.

"Rose?ROSE?"

Er ruft weiter bis seine Stimme erstickt. Kann nicht mehr, fällt auf den Boden. In der Ferne hört er irgendwo Sirenen.

"Das ist nicht witzig Rose. Weißt du, das ist nicht witzig, Bitte steh auf."

Er hört das Klicken von Metall. In seinen Ohren hört es sich an wie Donner. Realität. Sie wird nicht aufstehen. Sie bleibt liegen auf dem kalten harten Pflasterstein. Der Mann vor ihm ist Leichen blass, streckt seine Hand nach ihrem Körper aus. Noch warm.

"FASS MEIN MÄDCHEN NICHT AN; WER BIST DU ÜBERHAUPT DAS DU DAS RECHT DAZU HAST?"

Daniels Augen sind mit Tränen gefüllt, aber das interessiert Blue nicht im geringsten. Er versucht sie festzuhalten, aber sie gleitet von ihm fort, er spürt wie sie kälter wird, ihre Augen glasiger.

"Dein .. Mädchen? Du hast versucht sie zu vergewaltigen."

Blue starrt ihn einfach nur an, Rage in seinen Augen aber er spricht kein Wort sondern erschrickt nur als sich eine Blutlache auf seinem Hemd verbreitet.

"Sie atmet nicht. DU hast sie umgebracht."

Daniel sieht ihn nur an, eine Maske aus Eis und er begreift was er getan hat. Schreie beginnen um sie herum zu schwirren wie ein undurchdringlicher Schleier während der Regen weiter fällt.

"Sir, bitte, sie müssen da weg, wir versuchen erste Hilfe zu.."

Das Gesicht von Blue ist wie eine Maske.

"Zu spät? Das meinten sie doch oder?"

Abwesend streicht er ihr durch die Haare. Zu spät. Das ist wie ein bitterer Whiskey, ein Schlag ins Gesicht, zu spät. Er sieht aus wie eine absurde Karikatur als ihm Tränen über die Wangen rollen.

"Sir? Sie müssen das Opfer loslassen. Wir werden versuchen ihren Vater oder.."

Er lässt zu das sie von ihm genommen wird, er riecht noch ihr Parfüm und er riecht Blut als die kläglich gebrochene Stimme ihn erreicht. In Handschellen gelegt und am Ende

"Ich..ich bin. Ich bin ihr Vater."

Alle Anwesenden starren sich mit dem Blick an der nur Mitleid ausdrückt. Blue steht auf, geht noch auf ihn zu und einen Moment lang denkt Daniel das Blue ihn erschießen wird, aber er schlägt nicht einmal zu. Ganz sachlich blickt er sich in der Runde aus Sanitätern und Polizisten um. Sein Blick fällt auf ein Leichentuch.

Die traurigen Grünen Augen, das nasse Haar. Er weint immer nur Blue, hallt es in seinen Ohren. Du machst mich glücklich, hallt es, das hat sie gesagt bevor sie in den Club sind. Ich liebe dich hat sie nicht gesagt aber das hat sie auch nicht gebraucht. Es zerreißt ihm das Herz förmlich in der Brust. Er kann nicht aufhören zornig vor sich hinzuweinen, die Hände vor die blauen rotunterlaufenen Augen zu pressen, möchte aufhören zu weinen.

"Ich hab das alles nicht gewollt."

Er hört nicht zu, er geht einfach die Treppen herunter, sieht noch wie sie ihn abführen. Versucht sie zu zeichnen als er bei sich ankommt, sonderbar nüchtern und klar ist die Welt. Aber sie steht still die Welt. Ein neuer Strich. Zerknüllt das Blatt Papier. Fängt ein neues an. Kann nicht mehr, als die Kohle verwischt. Sie werden keine Zeugenaussage von ihm wollen, Daniel hat es zugegeben. Irgendwie müsste ihn das mitleidig stimmen aber die Stimmen in seinem Kopf und seinem Herzen schreien immer nur vor Kummer. Es klingelt. Von Draussen peitscht der Regen an seine Fenster. Er hört auf zu zeichnen, das Kohlestückchen weglegend, einmal durch den Raum gehend bevor er Sachen zerschmeißt und sich die Hand aufreißt. Es schellt weiter und er schmeißt eine Vase gegen die verschlossene Tür.
Es scheint ihm das die Welt still steht, als sich ein Schlüssel in der Tür dreht.

"Allen?"

Eine vorsichtige Stimme und er steht einfach nur das, fühlt wie sein Herz sich zusammenzieht.

"Sie ist tot."

Sagt er knapp und zertrümmert weitere Gegenstände die in seine Hände kommen. Sie hält ihn nicht auf. Sie nickt nur, aber er hört nicht zu was sie ihm zu sagen hat. Sie nähert sich ihm nicht. Sie kennt ihn ja. Er verbringt die ganze Nacht damit sein Apartment systematisch auseinander zu nehmen bis er seine Hände kaum noch erkennt. Es ist als wäre er tot. Er kann nichts sehen ausser ihrem Gesicht, von einem Leichentuch verhüllt. Es ist schlimm. Er schläft nicht ein.

Als er am Morgen das Radio anmacht hört er wie der Ansager sachlich irgendetwas von Familientragödie murmelt, so als wäre es der Wetterbericht. Das man den Vater in eine Klinische Einrichtung gebracht hat nachdem er sogar Inzest zugegeben hat. Er hätte geweint. Das sei schlimm.
Blue fängt auf einmal hysterisch an zu lachen um ähnlich wie Rose in Tränen auszubrechen. Aber Rose wird nie mehr in Tränen ausbrechen, denn Rose liegt in einem Sarg. Hofft er. Hofft das er nicht gläsern ist denn man könnte hindurchsehen wie sie verfault, ihre Schönheit vergeht. Man könnte sehen wie unglücklich sie ist.

Er setzt sich wieder hin, packt ein Paar Sachen zusammen die er braucht wenn er schnell weg will, aber bleibt stehen und schreit einmal laut auf. Zweimal. Schreit für eine Stunde. Die Tränen stoppen nicht. Der Schmerz stoppt nicht. Ich mag das Rosa- du siehst aus wie Pink Panther- hallt es in seinen Ohren. Das hält er nicht aus. Setzt sich wieder hin, in einen Haufen Scherben und merkt es nicht einmal. Langsam greift er nach dem Stift. Fängt noch einmal an. Aber er kann es nicht beenden das Bild denn er zittert. Also lässt er es. Packt zusammen was er braucht, hinterlässt einen Zettel an der Tür damit ihn findet wer ihn finden will und geht zum Bahnhof.

Im Licht kann er sehen das der Bahnsteig gesperrt ist. Die Blutlache ist immer noch sichtbar. Nur schwach, aber immer noch da. Deshalb nimmt er ein Taxi zum Flughafen. Auch er hat einen geschwätzigen Fahrer dem er nicht antworten will bis dieser ihn etwas fragt was seiner Meinung nach einer Antwort würdig ist.

"Glauben se auch das die Welt stillstehen kann?"
"Ja. Aber man selber dreht sich immer weiter im Kreis bis man erbricht."

Meint er flach und der Fahrer fragt nichts mehr, denn seine Frage ist ja beantwortet.


ENDE

Manchmal bringt Liebe einen um und manchmal ist es besser soChristina Elsner, Anmerkung zur Geschichte

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Tanz der Zauberfee von Hartmut Pollack



Hier ist ein Buch geschrieben worden, welches versucht, Romantik in Worten zu malen. Gefühle in Worte zu fassen, die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie zu überschreiten, ist immer wieder für den Poeten eine große Herausforderung. Zur Romantik gehört auch die Liebe, welche im zweiten Teil des Buches Platz findet. Liebe und Romantik sind und werden stets die treibenden Kräfte im menschlichen Leben sein. Hartmut Pollack legt ein neues poetisches Büchlein vor, das die große Bandbreite seiner lyrischen Schaffenskraft aufzeigt. Der Poet wohnt in der Nähe von Northeim in Südniedersachsen in der Ortschaft Echte am Harz. Die Ruhe der Landschaft hilft ihm beim Schreiben. Nach seinem beruflichen Leben genießt er die Zeit als lyrischer Poet. In kurzer Zeit hat er im Engelsdorfer Verlag schon vier Bände mit Gedichten veröffentlicht.

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