Mitmischen? Ordnen? Schreiben gar?
Leander wollte nicht mehr.
Dabei herrschte an offenen Fragen, an Geschichten, kein Mangel.
Das Dorf wollte schöner werden. Das Watt wollte frei sein (oder war es die Endmoräne?), Menschen wollten lieben und Liebe machen (nicht immer mit der Zustimmung aller). Die Sonne wollte scheinen (wenn man sie nur ließ). Und das Gute, Reine und Wahre rang mit dem Bösen, hier und überall. Aber Leander, ein Großer unter den Kleinen, wollte durchaus nicht mehr. Lieber fütterte er Krähen an der Elbmündung oder malte Atome, wie er sie sich dachte (krumm und schief aber immer elegant); manchmal schaute er angeblich hinter sich in die Kloschüssel und gluckste: Sowas kommt von sowas, war aber ansonsten guten Mutes, ein Kerl, ein Phantast, ein Bürger.
Er verwünschte das Jüngste Gericht, von dem er sich nichts, aber auch gar nichts versprach außer Gerechtizismus und Niedertracht. Den Titel Ortschronist trug er mit Stolz.
Eines musst du dir merken, sagte er mir (es ist keinen Monat her). Ich spitzte die Ohren. Nichts ist dem Willen feindlicher als der Wille selbst, - nichts tut, nichts lässt man ungestraft. Vor einer Woche dann übertrieb er etwas für meinen Geschmack, als er im kleinen Kreis (ich war dabei) postulierte: Ich bin ein alter Balken, wurmzerfressen, und trage ein Dach, auf dem Möwen turteln in der Nacht. Dennoch, Geist und Gedanke waren vereint.
Leander wollte nicht mehr. Das Erntedankfest von Otterndorf überlebte er nicht. Hier war kein Rückzug möglich. Hier hieß es: Nach Hause geh'n wir nicht. Hier mischten sich Schreie und Raunen im Takt. Die Kombo Herzrasen hielt nur kurz inne und spielte einen Walzer für den Übergang, wie es im Norden Sitte ist. Der Notarzt konnte nur feststellen, was alle ahnten: Leander hatte ausgehaucht, er wollte und – nun war es amtlich - er wird nicht mehr. Alsdann! Einer der Edelsten ist von uns gegangen, ohne Frage. Leander Kopf, Studienrat a.D., ist tot. Wir sind sehr traurig.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.06.2022.
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Kein Leben hinter mir: Trauma oder Irrsinn
von Klaus-D. Heid
Langsam gehe ich auf das sechzigste Lebensjahr zu. Da hinter mir nahezu jede emotionale Erinnerung »verschwindet«, besitze ich keinerlei sichtbare Erinnerung! Vieles von dem, was ich Ihnen aus meinem Leben berichte, beruht auf alten Notizen, Erinnerungen meiner Frau und meiner Mutter oder vielleicht auch auf sogenannten »falschen Erinnerungen«. Ich selbst erinnere mich nicht an meine Kindheit, Jugend, nicht an meine Heirat und auch nicht an andere hochemotionale Ereignisse, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin.
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