Steffen Herrmann

Leben in Gambia, 5. Teil

Kafountine ist ein Fischerdorf im Süden von Senegal, inzwischen auch ein Mekka für europäische Touristen, Aussteiger und Rentner (sogar in der deutschsprachigen Wikipedia hat es jetzt eine eigene Seite).
Es gibt dort einen langen, breiten und (sieht man von den gelegentlichen Verschmutzungen ab) schönen Strand, der streckenweise fast menschenleer ist. Daran schliesst sich, landeinwärts, ein weitläufiges waldiges Gebiet an, das aus vielen grosszügigen Grundstücken besteht.  Dort herrscht eine idyllische Ruhe. Es ist schattig, die Luft ist erfüllt vom Gezwitscher der Vögel, gelegentlich begegnet man Menschen.
Wir besitzen dort ein Stück Land, das aber noch nicht so richtig bewohnbar ist. Von uns soll an dieser Stelle auch nicht die Rede sein, sondern von unseren Nachbarn, die ich kennengelernt habe.

Malang ist ein Maler, vielleicht dreissig Jahre alt. Er wohnt unweit von unserer Bleibe, ich sah ihn manchmal, wie er mit aufgerollten Bildern unterm Arm vorbeiging. Wir kamen ins Gespräch. Er versuchte mich zu überzeugen, etwas zu kaufen. OK, meinte ich, komm vorbei und zeig, was du hast. Am nächsten Morgen kam er zu uns und breitete seine Werke auf unserer Veranda auf dem Fussboden aus, bis diese vollständigen von seinen Bildern bedeckt war. Mir gefiel, was er gemacht hatte. Ich fragte, wieviel sie kosten würden. Oh, meinte er, ich mache einen guten Preis. Ich bin nicht Picasso. Wieviel kostet ein Bild? frage ich erneut. Er druckste herum. Gut, sagte ich, ich habe ohnehin kaum Geld hier. Nächstes Mal kaufe ich etwas. Das war im letzten Jahr. Als wir dieses Jahr wieder in Kafountine waren, war ich es, der ihn anrief. Komm und zeig mir deine Bilder, forderte ich ihn auf.
Tatsächlich ist Malang ein grosser Künstler. Er malt abstrakte und figürliche Bilder und in jeder Kategorie sind Meisterwerke dabei (nicht alles von ihm fand ich gelungen). Es ist Kraft und Wärme in diesen Gemälden, sie sind weit weg von Klischees aller Art, gar nicht nach irgendeinem Schema gefertigt. Noch immer stehe ich häufig vor ihnen (zwei haben wir in die Schweiz mitgenommen) und lasse sie auf mich wirken. Ich fühle mich jedes Mal besser, wenn ich sie anschaue.
Wir wählten drei Bilder, ich zwei, Christine (meine Frau) eines. Gut, sagte ich, den Preis musst du mit meiner Frau diskutieren. Meine Frau – selbst Afrikanerin – ist eine harte Verhandlerin. Diesmal kam Malang schneller zu Sache. Er wollte etwa achtzig Euro pro Bild. Christine reagierte empört und drohte mit Abbruch des Geschäftes. Nach einigen Minuten einigten sie sich, auf vierzig Euro pro Bild.
Malang wirkte leicht unzufrieden, etwas niedergeschlagen, als er akzeptierte. Es ist eine freie Entscheidung, sagte ich ihm, du musst den Preis nicht akzeptieren. Schon gut, erwiderte er.
Dieser Handel beschäftigt mich noch immer von Zeit zu Zeit. Es bleibt das Gefühl, dass ich mich nicht fair verhalten habe. Ich habe mit vorgenommen, ihm nächstes Jahr die Differenz zu seinem ursprünglichen Peis nachzuzahlen.

René ist ein Mann, den ich vor vielen Jahren kennengelernt, zumindest einige Male gesehen habe. Gesprochen haben wir kaum miteinander, aber er ist mir gut in Erinnerung geblieben.
René ist ein Franzose, der nach Kafountine gezogen ist und dort etliche Jahre gelebt hat. Er ist nicht sehr gross, hager, mit einem zerfurchten Gesicht und Bart. Vielleicht sechzig Jahre alt. Er hatte einen Club direkt am Strand gekauft – ‘La Nature’ - und lebte von dessen Einkünften. ‘La Nature’ war ein Ort der guten Laune, es gab dort häufig Reggae-Parties, auch Zimmer zum Übernachten waren da.
René war immer am Arbeiten. Er fegte den Hof, wischte die Fliesen, kochte Essen, strich Türen, schlachtete Hühner. Er lebte sein Leben und redete wenig. Später, als er alt zu werden begann, vermutlich auch kränkelte, kehrte er Kafountine den Rücken und ging nach Frankreich zurück. Einige Jahre später starb er.
Nachdem René gegangen war, zerfiel ‘la Nature’ rasch. Heute ist es eine Ruine.

Jattu war unsere Mieterin. Eine Frau aus Nigeria, vielleicht vierzig Jahre alt, kräftig gebaut, stolz, tough. Sie hat einen Stand an der Hauptstrasse und verkauft dort Haushaltswaren. Es ist eines jener Geschäfte, wo manchmal stundenlang kein Kunde kommt.
Sie ist alleinerziehend und hat eine Tochter, die etwa 16 Jahre alt war, als ich sie kennen lernte. Das Mädchen ging in Gambia zur Schule, in die SBEC, das vielleicht beste Gymnasium des Landes. Es ist eine private Schule und entsprechend teuer. Ich unterhielt mich mit ihr und testete ihr Wissen. Alles, was ich sie fragte, wusste sie. Sie kannte sich mit Genetik aus, mit Astronomie, mit europäischer Geschichte. Sie sagte mir, dass sie in Nigeria oder Ghana Medizin studieren und Herzchirurgin werden wolle. Ich war beeindruckt.
Wir hatten ein gutes Verhältnis zu Jattu. Wenn wir mit Besuchern aus Europa kamen, kümmerte sie sich um die Verpflegung. Sie kaufte auf dem Markt ein, kochte und bewirtete uns, gegen einen bescheidenen Kostenbeitrag.
Allerdings trübten die Beziehungen sich dann etwa ein, wegen ihrer Nebenbeschäftigung. Sie hatte das von ihr gemietete Haus zu einem Bordell umfunktioniert. Einige junge Frauen - ich glaube, alle stammten aus Nigeria – wohnten und arbeiteten dort. Das Geschäft lief gut. Manchmal, besonders Samstagabend, standen die Männer im Vorhof Schlange und warteten geduldig, bis sie an der Reihe waren. Mir fiel das erst auf, als mir einmal auf dem Weg nach Hause eine stramme, fast barbusige Frau entgegenkam und mir zuwinkte. Bist du verheiratet? fragte sie direkt. Ja, antwortete ich. ‘I wish I could cry’ rief sie und ging dann weiter.
Christine gefiel das ganz und gar nicht. Sie sprach von Zeit zu Zeit davon, Jattu zu kündigen. Lass sie drin, wenn sie ihre Miete zahlt, meinte ich. Aber irgendwann war es ihr zu viel, Jattu musste raus.

Olivier und Petra sind ein Paar, die wir letztes Jahr kennengelernt haben. Er ist ein Schweizer aus dem Wallis, um die sechzig, ruhig, manchmal etwas abgespannt. Er lebt vom Tourismus, bietet Eselstouren an. Ich wusste nicht, dass es so etwas gibt, aber es schien nicht schlecht zu laufen. Petra ist eine Deutsche, lebt nun in der Schweiz und arbeitete als Kunsttherapeutin (auch ein sehr seltener Beruf). Als sie uns besuchen kamen, tauschten wir uns über die Corona-Handicaps aus. Sie erzählten ihre Story des ersten Lock-Downs. Als die Grenzen weltweit zugingen, hatten sie sich einen Platz in einem der letzten Rettungsflüge ergattert, sie mussten nur noch nach Dakar kommen. Sie gingen auf die Website der Fluggesellschaft und buchten einen Flug von Ziguinchor nach Dakar. Das ging ganz problemlos, sie bezahlten und luden sich das Ticket runter. Als sie dann auf dem Flughafen ankamen, war das ein gottverlassener Ort. Sie fragten einen herumlungernden Mann, was denn hier los sei. Hier fliegt schon seit Wochen kein Flugzeug mehr, sagte der. Sie riefen die Botschaft an und diese buchte sie auf einen anderen Rückflug einige Tage später an, bat sie aber, noch einen Mann mitzunehmen, der dasselbe Problem hatte und sonst nicht mehr nach Dakar kam. Sie willigten ein.
Die Grenze nach Gambia war inzwischen geschlossen. Man muss wissen, dass Gambia zwar ein kleines Land ist, aber sich wie eine Schlange tausend Kilometer weit in den Senegal hineinwindet. Es zu umfahren, bedeutet also einen gewaltigen Umweg in Kauf zu nehmen, durch eine fast menschenleere Trockensavanne. Als sie da so Stunden um Stunden entlangtuckerten, trafen sie in der Mitte der Ödnis auf einen Polizisten. Der stoppte sie. Rasch stellte sich heraus, dass sie ein ernsthaftes Problem hatten. Es war nämlich nur noch erlaubt, zu zweit im Auto zu fahren. Zu dritt war streng verboten. Corona Regel! Absurdität ist kein Kriterium, über das man mit Polizisten diskutieren konnte und auch eine diskrete Korruption (Hier sind Europäer in der Regel, auch mangels Erfahrung, zumeist sehr ungeschickt) ist im Senegal nicht so gut möglich. Am Ende bekamen sie das mit Hilfe der Botschaft geregelt und konnten weiterfahren.
Wir trafen sie in diesem Jahr wieder. Sie hatten sich ein Grundstück in Kafountine gekauft, nur wenige Meter Fussweg von unserem entfernt.  Sie hatten einen Partner, den sie für sehr vertrauenswürdig hielten und mit dem zusammen sie alles aufbauen wollten. Er nahm das erforderliche Geld entgegen, brannte damit aber durch und tauchte nie wieder auf. Sie waren frustriert, machten aber weiter. Als wir sie besuchten, war sie in Arbeitskleidern, in Zementstaub gehüllt und fuhr mit einer Schubkarre durchs Gelände. Sie diskutierte direkt mit Olivier, ob sie Zeit hätten, uns zu empfangen oder das auf ein anderes Mal verschieben sollten. Zuerst wollten sie uns nach Hause schicken, dann waren wir doch eingeladen. Es war etwas seltsam. Sie thematisierten Oliviers Gemütszustand. Er war niedergeschlagen, überarbeitet und von einer Sinnkrise heimgesucht. Burn out in der senegalesischen Savanne, es gibt nichts, was es nicht gibt.
Die beiden hatten auch einen Gast bei sich. Eine junge Frau aus der Schweiz, die gerade ihr Studium beendet hatte. Sie kam mit einer Freundin aus dem Ort, begrüsste uns kurz, ging dann aber rasch wieder, sodass ich nicht mit ihr ins Gespräch kam. Ihr Aufenthalt hier war durch eine Organisation vermittelt, deren Namen ich wieder vergessen habe. Die Gastgeber mussten Unterkunft und Essen bereitstellen, im Gegenzug dafür mussten die Gäste arbeiten, sechs Stunden täglich. Lohn gab es keinen. Ich überlegte kurz, ob so etwas auch für Afrikaner attraktiv war. Das war es ganz klar nicht. Wenn eine Afrikanerin persönlich für dich arbeiten soll, musst du ihr ebenso Unterkunft und Nahrung zur Verfügung stellen, aber auch einen Lohn zahlen (wenn auch keinen grossen). Überdies musst du normalerweise auch die An- und die Abreise zahlen, wenn sie woanders wohnt (Sie kommt ja deinetwegen).   
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.06.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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