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Ein Abend auf Terasse

Gegen Abend ist es wärmer geworden. Obwohl der Wind vom Westen her spürbar weht, kann ich ohne Jacke auf Terasse sitzen.
Ich genieße die Stille des Frühsommerabends und blicke auf die Felder und die Wiesen. Sehe rüber, zu den Ausläufern des Teutos in der Ferne. Erblicke zwei Windräder in östlicher Richtung sowie einige Baukrähne im Neubaugebiet des Nachbarorts. 
Die Abendsonne wirft ihre letzten Strahlen auf die Szenerie. 
Der weißblaue Himmel rundet das Bild ab. 

Wie gemalt, denke ich, und überlege, es vielleicht zu versuchen. Versuchen, es zu malen, meine ich! 
Nicht, daß ich talentiert wäre. Aber darum geht es ja nicht. Ich habe schon einige "Werke" gemalt. Und ich war sehr selten zufrieden mit dem Ergebnis. Was meine Augen wahrnehmen, wie meine Vorstellung es als Ergebnis vorwegnimmt, und wie meine Hände sowie Finger es ausführen, es umsetzen, das ist nicht zwangsläufig auf einer Linie. 

So sitze ich da, auf meinem bequemen Strandstuhl, blicke in die Ferne, lausche den Grillen beim abendlichen Konzert, hin und wieder unterbrochen von einem Motorengeräusch eines vorbeifahrenden Autos, und ich weiß Clyde links neben mir.
Clyde ist mein Kater. Ein Kater mit ein paar Prozent Hundegenen. 
Clyde ist ein Hofkater. Er ist treu und anschmiegsam wie ein Hund. Untypisch für einen Kater. 
Er liegt auf einem Terassenstuhl und döst vor sich hin. 
Ruhen, bevor gleich seine Nachtschicht beginnt und er sein Revier ablaufen muss. 
Es ist schön, zu beobachten, wie er sein Katerdasein genießt. 
Er ist die Ruhe selbst. In der Regel sehr gechillt, fast nie in Hektik. 
Ihn zu beobachten, ihn um mich zu wissen, bereitet mir Freude und beruhigt mich.

Wenn ich da etwas von ab hätte. Von dieser Gelassenheit. 
Natürlich habe ich dazugelernt.
Aber ich habe auch für mich erkannt, dass ich nicht aus meiner Haut kann. 
Obwohl ich in bestimmten Situationen anders reagieren kann als früher, scheint es noch ein sehr langer Weg für mich.
Ein sehr langer Weg zur inneren Ruhe und Gelassenheit, der inneren Zufriedenheit. 
Es ist gut, dass ich mich deutlich mehr spüre als früher. Ich höre mehr auf meinen Körper und/oder auf mein inneres Ich. 
Der Antreiber, der Kritiker, sie sind immer noch präsent in mir. Sie geben niemals auf. 
Und ich weiß, sie sind auch wichtig. 
Sie sollen bleiben, aber sie sollen nicht mit dieser Dominanz und nichr immer mit diesem erhobenen Zeigefinger auftreten. 
Zähneknirschend haben sie dem Faulenzer in mir mehr Terrain überlassen. Sehr viel Terrain, um ehrlich zu sein. 
Und das hat auch der Genießer in mir für sich zu nutzen gewusst. 
Da ist es schwer für den Rationalen in mir, alles zusammenzuhalten. 
Manchmal fühle ich mich, als ob ich ertrinke. 
Nein, das ist nicht richtig. 
Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, zu ertrinken.
Was ich mit diesem im mehrfachen Sinne unpassenden und auch unangemessenem Vergleich ausdrücken will, ist, dass ich manchmal ein nicht zu beschreibendes Gefühl habe.

Ich versuche es an einem Beispiel zu erklären: 
heute stand eine längere Trainingsrunde mit dem Rennrad und am Abend ein Besuch des hiesigen Weinfests mit Freunden auf dem Programm.
Nachdem ich heute Morgen einen externen Termin hatte, der um einiges länger andauerte, als vorher angenommen, geriet mein Zeitplan etwas durcheinander. Zuhause habe ich mich dann der Fertigstellung meines letzten Kunstwerkes gewidmet. Es war dann halb Zwei am frühen Nachmittag.
Plötzlich verspürte ich ein leichtes Unbehagen. Ich fühlte mich nicht zum ersten Mal in dieser Woche leicht erkältet. Machte sogar einen Corona Schnelltest (negativ). 
Entschied mich dann, nicht Rennrad zu fahren (Antreiber und Kritiker blieben relativ stumm). 
Um 4 Uhr heute Nachmittag sagte ich dann auch meinen Weinfesttermin ab. 
Ab da an ging es mir zunehmend besser. 
Das rief neben Ratlosigkeit, auch den Zweifler in mir hervor. Der Zweifler fragt sich, ob ich jemals ins Gleichgewicht komme. 
Anstatt zufrieden zu sein, dass es mir besser ging, zweifelte ich mich selbst wieder an. Stellte mich selbst in Frage.
Ich schaue rüber zu Clyde. Wie er da eingerollt auf dem Gartenstuhl liegt und döst. 
Vielleicht, ja vielleicht versuche ich es mal mit Gelassenheit. Ganz ohne Zwang, ohne Druck. Ich lerne noch. Und ich erlaube mir die Zeit, die es braucht. Zweifel nicht ausgeschlossen. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.07.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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