Klaus Mattes

St. Bernhard quetscht noch etwas Kohle raus

Sommer 1980. Der geniale schwäbische Verleger Dr. Siegfried Unseld aus Frankfurt trifft Thomas Bernhard in Gmunden am Traunsee, in Oberösterreich. Herr Bernhard druckst herum und mault. Er sei doch nichts anderes als ein kleiner Verlagsangestellter und liefere nur brav seine getippten Manuskripte ab. Aber der deutsche Verlag wisse diese Fron kaum zu schätzen und behandle ihn als Schaffenden recht stiefmütterlich.

Da zieht Dr. Unseld seine Abrechnung für die vergangenen Monate aus der Aktentasche. Zahlen, bei deren erstmaliger Lektüre er kürzlich selbst nicht schlecht gestaunt hätte. Da habe Bernhard nun schon seit Jahren immer höhere Abschlagszahlungen im Voraus angefordert und in Einzelfällen bis zu 30.000 DM auf einen Schlag erhalten! Und dennoch, darüber eben staune er, sei momentan noch ein Kontostand zu Gunsten des Schreibenden in den Büchern erkennbar.

Nur ganz kurz war im Gesicht des Thomas ablesbar, dass er seinerseits auch eher mit Überzahlungen auf sein Konto gerechnet hatte. Mit einem Schlag ist die Harmonie dieses Treffens von Genie und Ermöglicher jetzt gewährleistet. „Dann kann ich doch gleich mal 15.000 DM von Ihnen haben“, scherzt Bernhard. Stunden vergehen im Zwiegespräch, dann sind sie bei 20.000 DM angelangt. Noch später am Tag steht man bei 25.000 Mark, die Bernhard in Bälde auf sein, von den österreichischen Behörden nicht einzusehendes Konto bei der Bank im Grenzort Freilassing überwiesen werden.

Am selben Abend führt Thomas Bernhard den Herrn Verleger, der eigentlich im Urlaub ist und gerade das alljährliche Gesundfasten absolviert, in ein prachtvolles Hotel am Ufer des Traunsees. Er lädt ihn zum Schlemmen und Genießen ein. Dr. Unseld, ein äußerst charakterfester Mann, winkt ab, nur Mineralwasser ist ihm genehm. Der Autor lässt fallen, dass das Zimmer des Chefs auch schon bezahlt sei.

Siegfried Unseld ist allerdings den Geiz seines Geschäftspartners seit Jahren gewöhnt. Sämtliche Alarmglocken schlagen also an. Dann kommt es heraus. Bernhard, der schon drei kleine Romane voller autobiographischer Szene seitlich am Exklusivvertrag mit Suhrkamp entlang dem Salzburger Verlag Residenz von Wolfgang Schaffler verkauft hat, hat halt noch ein viertes Büchlein, „Die Kälte“, verfasst, das auch noch bei Residenz in der gewohnten Aufmachung erscheinen sollte.

Schon beim allerersten Mal war Bernhard klar gewesen, dass Dr. Unseld von einem Vorkaufsrecht des Suhrkamp Verlags ausging. Alles, was Bernhard schreibt, muss erst einmal der Frankfurter Firma angeboten werden, von deren monatlichen Zuwendungen, den Abschlägen auf irgendwann noch zu erlösende Verkaufsgewinne, Herr Bernhard lebt wie, hat er selbst heute behauptet, wie ein kleiner Angestellter. Er wäre aber dem Schaffler persönlich noch verbunden, hat Bernhard gesagt, er verdanke ihm was aus den Jahren seiner Ausweglosigkeit als junger Anfänger. Und dann beim vorigen Mal, beim dritten Band, bei „Der Atem“, einem beträchtlichen Erfolg bei Kritik und Buchkonsumenten, hatte Siegfried Unseld sich dermaßen geärgert, dass er Bernhard eine von der Rechtsabteilung aufgesetzte Vereinbarung hatte unterzeichnen lassen, wonach so etwas nie wieder vorkomme.

Was aber tut der Bernhard? Er serviert Unseld an diesem Tag, wo sie sich so gut verstehen, die Ankündigung von „Die Kälte“, lässt andeutungsweise sogar fallen, bei höchstens fünf Bänden hätte sich das Projekt dann ja sowieso bald, höchstens noch einmal so ein Buch.

Siegfried Unseld überliefert den Augenblick aus seinem Notizbuch:

 
Dann fing er an zu spielen: Nun sind wir 16 Jahre zusammen, wir sind gut miteinander gefahren. Die Rechnungen sind ausgeglichen, ist es nicht besser, wenn wir uns trennen? Sie fahren nach Hause, keine monatlichen Überweisungen mehr, kein Ärger mit dem Angestellten Thomas Bernhard. Wieder Schweigen, ich glaube, ich habe noch nie so lange schweigend und betroffen dagesessen, den Felsen im Rücken, den im Abendrot sich kräuselnden See vor mir. Ich kann das nicht beschreiben, ihn, der mir immer wieder clownesk versetzte, daß er DM 2.000.- auch anders verdienen könnte. Er brauchte ja nicht zu schreiben. Ein entfernter Vetter von ihm sitze in einem Steinbruch und zähle die Lastwagen, die ein- und ausführen, und bekäme auch DM 2.000.-. Meine Orgie in Mineralwasser, trostloser Gegenpol zum Trostlosen. Was wir machten, war nichts anderes als eine Szene aus einer Komödie von Thomas Bernhard. Die Alternativen des Spiels waren samt und sonders komisch. Wir konnten so und so entscheiden. Er mußte aus der Stimmung heraus damit rechnen, daß ich ihm zustimme, daß ich sage, ja, machen wir Schluß miteinander. Er wäre zu allem bereit gewesen, ich nicht; damit riskierte er den höheren Einsatz. Ich weiß nicht, ob ich noch einmal die Nerven habe, ein solches Gespräch durchzustehen.
 

(Briefwechsel Bernhard-Unseld, Seite 597)

Der kluge Herr Unseld gibt also noch einmal nach. „Die Kälte“ mag an Residenz gehen, aber das muss schnell geschehen. Es soll möglichst im selben Jahr erscheinen, keinerlei Werbung zuvor. In der Realität wird das Jahr 1981 daraus. Aber Nachauflagen bei Residenz darf es keine mehr geben. Irgendetwas wird auch im Jahr 1981 von Thomas Bernhard bei Suhrkamp herauskommen und das soll sich mit „Die Kälte“ nicht beißen müssen. Ach ja, meint Bernhard, vielleicht schreibt er noch zwei oder drei Erinnerungsbücher über die frühen Jahre, die kommen dann alle ins Haus Suhrkamp, versprochen.

Es wurden fünf Bücher für Residenz. „Ein Kind“ von 1982 sollte am Ende noch dazukommen. Bernhards nächster größerer Roman, „Beton“, verzögerte sich auch bis ins Jahr 1982. Andere autobiographisch inspirierte Geschichten wie „Wittgensteins Neffe“, „Der Untergeher“ und „Holzfällen“ wurden zu Suhrkamp-Hits der achtziger Jahre. (Und lohnen nach wie vor jede Lektüre.) Allerdings verblieben die glorreichen Fünf bei Residenz, auch nachdem der österreichische Staat diesen Verlag übernommen hatte, wurden immer wieder neu aufgelegt, mal als Taschenbuchkassette, mal als Gesamtausgabe leinengebunden. Die heute lieferbaren Taschenbücher werden von der Suhrkamp-Konkurrenz dtv vorgehalten. Erst indem sich Suhrkamp im 21. Jahrhundert an die Neuerstellung einer großen kommentierten Thomas-Bernhard-Werkausgabe machte, gab es schließlich den „Autobiographie“-Band auch noch beim mittlerweile nach Berlin verzogenen Haus für bestes deutsches Schreiben.

(Man führe sich übrigens bitte auch Bernhards verschmitztes Konterfei eines löwenartigen Großverlegers im Drama „Über allen Gipfeln ist Ruh“ (1981) zu Gemüte! Ganz schön frech, wenn man bedenkt, dass er damals Angestellter vom Chef Unseld war.)

Man hört sie buchstäblich auf dem Boden kollern, die Steine die den Männerfreunden von ihren großen Herzen fallen. Man erhebt sich, man umarmt sich. Und schon zückt der gewitzte Angestellte seine nächste Frechheit. Wo die Konten derweil so formidabel ständen, könne man die monatliche Grundpauschale jetzt doch von 2.000 auf 2.800 DM erhöhen.

Den Vetter, der im Steinbruch immer diese Lkws abzählte, den hat es nie gegeben. Allerdings in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre den Stolz eines frisch gebackenen Eigenheimbesitzers Thomas Bernhard, dass er, während er seinen Bauernhof eigenhändig restaurierte (zusammen mit zwei Bauarbeitern), mit dem Lastwagen Baumaterial transportieren konnte. Dem Romanerstling „Frost“ war zu Beginn der sechziger Jahre eine Vorform anderen Titels vorausgegangen, die ihm der Frankfurter S. Fischer Verlag zurückgeschickt hatte. In Bernhards späterer Legendenbildung wird aus jener Stellung zwischen einem österreichischen Junglyriker von ziemlich hermetischem Ton und sehr geringer Bekanntheit und seiner nachmaligen Schufterei für nahezu im Jahrestakt abgelieferte große Prosa das Fegefeuer künstlerischer Verzweiflung. Umso mehr sei er froh gewesen, dass er nicht zum Arbeits- oder Sozialamt habe schleichen müssen, sondern Bier ausfahren konnte für eine bekannte steirische Brauerei. Bis heute führen allerdings die Biografien diesen Zeitraum genauer datiert nicht auf.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.07.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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