Ellen F.

Bernie

Die Sonne scheint hinter den tristen grauen Wolken hervor und taucht einen großen, alten Betonbau in ein bizarres Licht. Es ist 7. 00 Uhr.
Bernie liegt auf seiner Matratze und zieht an einer Zigarette. Langsam pustet er den Rauch in geraden blauen Stößen aus. Seine Augen wandern auf die Asche, welche sich grau von der Glut abhebt. Das Licht was durch die Gardinen fällt, zwingt ihn dazu, seine Augen wieder zu schließen. Asche rieselt zu Boden. Das laute klirren des Weckers lässt ihn zusammenschrecken. Seine Finger tasten langsam nach dem Knopf zum ausschalten. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern bis der Wecker verstummt. Bernie dreht sich leicht nach vorne und drückt die runtergebrannte Zigarette am Boden aus. Langsam richtet er sich auf. Die kurzzeitige Stille wird von dem aufkommenden Krach der gegenüber- liegenden Bausstelle getrübt. Bernie schließt erneut die Augen und fängt an, sich mit den Händen über sein Gesicht zu fahren. Es ist aufgequollen, die Haut ist mit klebrigem Schweiß überzogen, seine langen, schmierigen Haare wirken wie angeklebt. Langsam lässt er den gestrigen Abend noch einmal Revue passieren.Die Kneipe, in der sie gespielt hatten war fast vollständig gefüllt. So viele Leute waren noch nie zu ihren Konzerten gekommen. Bernie fühlte wie der Rausch seinen Körper noch immer nicht verlassen hatte. Er war sich nicht ganz sicher, ob dieser von dem Lebens- und Freiheitsgefühl hervorgerufen wurde, dass gestern Abend das Publikum in ihm auslöst hatte oder ob es wiedereinmal nur der Alkohol war, und er sich heute Abend oder spätestens morgen früh wie immer fühlen wird. Es ist ihm egal, er will dieses Gefühl ausleben, solange es noch da ist. Sein leerer, trüber Blick durchstreift das Zimmer und bleib an seiner alten Gitarre hängen. Ihm fällt auf, dass er gar nicht genau weiß, wie lange sie dort schon steht, doch er weiß, dass er diese Gitarre niemals weggeben wird. Auf ihr hat er damals spielen gelernt, damals, als sein Vater noch bei ihnen wohnte. Schon oft wollte seine Mutter das alte Ding verkaufen, doch er weigerte sich stets sie herzugeben. Er spielte zwar noch kaum auf ihr, aber wenn seine Bass-Gitarre noch einem Konzert wieder einmal repariert werden musste, hatte er wenigstens noch seine Alte, auf der er, wenn er wieder einmal einen miesen Tag hatte, sein Frust einfach wegspielen konnte. Auch beim komponieren, war sie ihm immer eine große Hilfe gewesen. Komponieren, ja das konnte er. Es war für ihn die einzige Möglichkeit seine Gedanken und Gefühle anderen Menschen mitzuteilen. Es war der einzige Weg für ihn, nicht noch einmal verletzt zu werden. Nicht noch einmal, wenn er sich einem Menschen öffnet, allein zurückgelassen zu werden. Aber nicht nur deswegen, hatte er so viel gefallen am Komponieren gefunden, er wollte die Menschen in seinem Umfeld auch auf andere Aspekte ansprechen. Gleichberechtigung und die traurige Welt des Kapitalismus sind die Themen seiner neusten Lieder. Bernie blickt erneut zur Uhr. Es ist 7.50 Uhr. Langsam erhebt er sich von seinem Bett, wirft sich die alte, pekige Lederjacke, das einzige, was sein Vater ihm hinterlassen hatte über, steckt seine Zigaretten ein und macht sich auf den Weg in die Schule.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.10.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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