Wolfgang Hoor

Der Nikolaus und die Dame, die nicht an ihn glaubt

Der Nikolaus und die Dame, die nicht an ihn glaubt

Der Nikolaus, noch immer in Alltagszivil, steht missmutig vor dem Schrank mit den kleinen Geschenken. Aus den Fächern mit Unterhosen, Strümpfen, Stofftaschentüchern, Kartenspielen, ein paar Würfeln soll er was für einen Bernd Wiemer aus der Schiller-Straße16 in seinen Rucksack packen. Er hat diesen Jungen seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Damals war der Lümmel fast sitzen geblieben. Vielleicht ist das inzwischen längst passiert.

Er hätte große Lust, dem Lümmel mal ordentlich die Leviten zu lesen. „Weißt du was von dem Bernd Wiemer?", fragt er den Knecht Ruprecht. „Abgetaucht", schimpft der, während er sich sein Gesicht schwarz färbt. „Keine Nachrichten mehr. Als wenn er inzwischen ein braver Junge geworden wäre." Der Nikolaus stampft mit dem Fuß auf. „Dabei war die letzte Nachricht über ihn, dass er nur durch ein Wunder nicht sitzen geblieben ist.“

Während der Knecht Ruprecht fertig ist mit der Verkleidung, steht er vor dem Schrank mit den Instrumenten von früher, als noch lustig geprügelt werden durfte. Er könnte ja vielleicht doch noch mal was in dieser Richtung unternehmen, ein ganz schlecht gelaunter Nikolaus könnte sich auch wieder nach den alten Zeiten sehnen. Also steckt er, ohne dass es der Nikolaus merkt, einen Rohrstock in seinen Sack. O ja, er ist herrlich schlecht gelaunt, der Nikolaus. Er pfeffert eben die Sachen, die er für den Wiemer ausgesucht hat, wieder in den Schrank. Ein gutes Vorzeichen für einen dramatischen Besuch.

Und in diesem Augenblick klingelt es und der Postbote bringt einen Brief aus dem Hause Wiemer. Er stammt von Maria Wiemer, der Mutter von Bernd. Die Frau Wiemer schreibt: „Lieber Nikolaus, ich glaube zwar nicht an dich, aber ich habe von irgendwem deine Adresse zugesteckt bekommen.. Also versuche ich es mal auf gut Glück. Ich muss ja irgendwo meinen Frust loswerden. Also es geht um den Bernd. Der ist inzwischen eine Katastrophe. Er entzieht sich wortlos meinen Mahnungen und Vorhaltungen, hält mir Vorträge über das Gute im Menschen und die Unsinnigkeit strafender und tadelnder Erziehung. Er ist seit einiger Zeit kaum mehr im Hause, ist ständig mit pubertierenden Jugendlichen zusammen und lügt mir was vor, dass er mit ihnen ein Projekt oder so was ähnliches vorhat. Ich komme einfach nicht mehr an ihn ran. Er braucht endlich mal jemand, der ihm die Leviten liest.“

Der Nikolaus braucht ein paar Minuten, bis er verstanden hat, was ihm da berichtet wird. Ja, so muss die Welt aussehen, in der er gebraucht wird und in die er wieder Ordnung bringen kann. Das hat er nämlich gelernt, das ist sein Job! Sein Gesicht hellt sich auf. Er nimmt das Kartenspiel und die Würfel, die er ursprünglich für diesen Bernd vorgesehen hat, wieder aus dem Schrank, tut sie in seinen Rucksack. Seine Augen gleiten über die Geschenke, die er seit ewig nicht mehr angerührt hat, sie fallen auf ein schönes großes elektrisches Auto, das man mit einer Fernbedienung steuern kann, und das kommt zu den anderen Sachen dazu.

„Stell dir vor, der Junge tanzt der Mutter auf dem Kopf rum. Da müssen wir hin, mein lieber Knecht Ruprecht, in dieser Familie gilt es, die Welt wieder in Ordnung zu bringen.“ Und er drückt den Knecht Ruprecht voll Freude an sich und er spürt auch, was in seinem Rucksack ist. „Nein, nein“, sagt der Nikolaus, „mit diesem Rohrstock arbeiten wir nicht mehr. Meinst du, dass dein Sack groß genug ist, um einen Zwölfjährigen hineinzustecken? Er baucht Besinnungshaft, mindestens eine Woche.“

Und der Knecht Ruprecht grinst schadenfroh, tut den Rohrstock zu den anderen Züchtigungsinstrumenten und steckt einen zusammengefalteten zweiten Sack in den ersten. „In den geht er mit Sicherheit“, ruft er. „Schön, dass du an diese alte Tradition anknüpfst. Wenn wir den Lümmel schon nicht mehr mit dem Rohrstock erziehen dürfen, dann ist die Haftstrafe eine schöne Alternative. Ich weiß schon, wo ich ihn unterbringen werde.“ Und er lacht tückisch.

Als der Nikolaus und der Knecht Ruprecht die Frau Wiemer besuchen, ist sie allein zu Hause. Sie sieht gerade ihre Ärzte-Lieblingsserie „In aller Freundschaft“. Sie reagiert zuerst gar nicht auf das Klingeln, dann hört man sie schimpfen, wer gerade jetzt ihre Ruhe stören müsse, und dann erscheint sie verärgert an der Tür. „Um Himmels Willen“, sagt sie – diese Serien hat sie heute auch schon gesehen – „um Himmels Willen, was haben Sie denn bei mir vor? Ich glaube nicht an den Nikolaus.“ Als sie dann aber sieht, dass der Nikolaus, an den sie nicht glaubt, tatsächlich ihren Brief in der Hand hat, sagt sie: „Na, das ist vielleicht ein Ding! Dann kommen Sie mal rein, dann können wir ja mal richtig loslegen.“

Und kaum haben die Himmlischen Platz genommen, legt sie Frau Wiemer los. „Wissen Sie, er trinkt. Alles kommt vom Trinken. Nein , er besäuft sich nicht, aber seine Weltanschauung ist besoffen. Stellen Sie sich vor, er meint Verständnis und Liebe seien das Grundgerüst für eine gute Erziehung. Und ich will feste Regeln. Um 8 Uhr ins Bett, keine Ausnahmen, klare Grundmuster, wer erzogen wird, soll in jedem Augenblick wissen wo er dran ist. Ausnahmslos, ausnahmlos! “ Und in diesem Sinne fährt sie noch zehn Minuten fort.

Schließlich macht sich der Knecht Ruprecht durch ein sehr deutliches Hüsteln bemerkbar, und der Nikolaus zieht sein großes Buch aus der Tasche und macht sich ein paar Notizen und dann sagt er sehr laut: „Dann wollen wir doch endlich mal den Bernd sehen und ihn mit unseren Mitteln ermahnen.“ Da lacht die Dame Wiemer hochnäsig. „Dieses erziehungsresistente Exemplar eines männlichen Wesens kann ich leider nicht rufen. Er ist auch heute Abend, wie ich es schon gesagt habe, außer Hauses.“ Der Nikolaus schaut auf die Uhr. „Es ist halb neun? Sie sagten, er liegt um acht im Bett und Sie hatten ja ursprünglich unseren Besuch nicht in Erwägung gezogen. Und was sagt sein Vater dazu?“ –

Die Dame Wiemer explodiert. „Sein Vater! „Herrje, was sind Sie denn eigentlich für schwachsinnige Himmlische? Haben Sie nicht verstanden, von wem wir reden?“ – „Von dem zwölfjährigen Bernd Wiemer“, ruft der Nikolaus jetzt, auch er empört. „Für den habe ich das Spielzeug hier mitgebracht und mit dem hat auch der Knecht Ruprecht ein Hühnchen zu rupfen.“ Er packt seine Gaben aus und der Knecht Ruprecht seinen Sack, weil sich ja nun die Untaten des Jungen fast ins Unermessliche gesteigert haben.

Die Dame Wiemer beginnt zu lachen. Zuerst herzlich, dann schallend, dann höhnisch. „Mein Sohn Bernd Wiemer ist ein braver Junge und lebt in einem Internat, wo er nach meinen Erziehungsgrundsätzen behandelt wird. Mein Mann Bernd Wiener ist wie schon erwähnt außer Hauses und widersetzt sich all meinen Erziehungsgrundsätzen.“

Als der Knecht Ruprecht sich an diesem Abend abschminkt, meint er: „Alles was recht ist, lieber Nikolaus. Aber für so ein Weibsbild bräuchte ich doch noch einmal den Rohrstock.“ – „Wir wissen ja jetzt, wo sie zu Hause ist. Dir fällt sicher was ein und ich sehe, höre und spüre nichts.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.09.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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