Loreen Xibalba

Tag 105, 28.09.2022: Küss meinen Arsch

„Küss meinen Arsch oder ich schlag dir den Schädel ein“, so umschrieb der amerikanische Dramatiker Harold Pinter vor knapp 15 Jahren die Außenpolitik der USA. Wir erinnern uns: Am 27.05.2020 war auf Tagesschau-online zu lesen, die USA kämpften weiter gegen die Inbetriebnahme der deutsch-russischen Ostseepipeline North Stream II. Gegenüber dem Handelsblatt habe der scheidende US-Botschafter Richard Grenell betont, weitere Sanktionen träfen in der amerikanischen Politik auf überparteiliche Zustimmung. Diejenigen, deren Gedächtnis nicht völlig eingerostet ist, werden sich außerdem erinnern, mit wie viel Herzblut Grenell das Projekt schon Jahre zuvor torpediert hatte. Für die Amerikaner war North Stream II gleich in doppelter Hinsicht ein Ärgernis: Zum einen stellte das Projekt ihre internationale Konkurrenzfähigkeit in Frage, weil russisches Erdgas auf dem Weltmarkt sensationell billig war. Zum anderen fürchteten sie, dass Deutschland und Russland näher zusammenrücken könnten, um so die hegemoniale Stellung der USA zu gefährden. Auf lange Sicht bedrohte das natürlich die „Küss-Mich-Am-Arsch-oder-ich-schlag-dir-den-Schädel-ein-Politik“. Ja, am Ende hätte es sogar so weit kommen können, dass die USA sich wieder den Gepflogenheiten des Völkerrechts hätten unterwerfen müssen.

Das durfte natürlich auf keinen Fall geschehen. Deshalb hat US-Präsident Biden am 08.02.2022 nach einem Treffen mit Olaf Scholz angekündigt, es werde kein North-Stream II geben, wenn Russland die Grenze zur Ukraine überschreite. Auf die Frage einer amerikanischen Reporterin, wie er denn die Inbetriebnahme des Projekts  verhindern wolle, wo es doch unter deutscher Führung stünde, meinte der Präsident lapidar: „We will… I promise we’ll be able to do it.“ Trotz dieser vollmundigen Ankündigung, brauchen die Amerikaner wohl nicht zu fürchten, dass Ihnen von offizieller Stelle eine Verantwortung für die Urheberschaft der jüngsten Terroranschläge auf die Pipelines North Stream I und North Stream II zugeschrieben wird. Gemäß Pinter verfügen sie nämlich über außerordentlich erfolgreiche Strukturen der Desinformation, der Rhetorik und der Sprachverdrehung. Pinter sagte hierzu: „Sie haben das Geld, sie haben die Technologie, sie haben alle Mittel, um damit durchzukommen, und sie tun es.“ Mit anderen Worten: „We will… I promise we’ll be able to do it.“ Haben sie es also tatsächlich getan? Haben uns die Amerikaner vorsätzlich von unserer Gasversorgung abgeschnitten, um Europa wirtschaftlich zu strangulieren?

Wie schon zu erwarten war, suchen die europäischen Medien die Schuld lieber im Osten. Schon wird Putin als Strippenzieher ins Spiel gebracht. Denn Putin ist ja bekanntlich an allem schuld und seine Politik steht für ein Abgleiten Europas in den Faschismus. Dabei hat der polnische EU-Abgeordnete Radek Sikorski nach den Anschlägen sogar ein Bild von dem Gas-Austritt auf Twitter gepostet und dazugeschrieben: „Thank you, USA.“ Das war nicht zynisch gemeint.  Sikorski soll dem amerikanischen Präsidenten vielmehr besonders nahe stehen. Glaubt man den Medien, vertritt er im polnischen Parlament regelmäßig die Auffassung die ukrainische Armee führe im Osten ihres Landes gerade einen Krieg für die Freiheit Polens. Und genau dieser Mann bedankt sich nun also bei den USA für die Sprengung der Gas-Pipelines North-Stream I und North-Stream II. Natürlich erhöht sich dadurch der Druck auf Länder wie Deutschland, sich aktiver am Ukraine-Konflikt zu beteiligen. Denn letztlich wird sich die Politik natürlich den offiziellen Narrativen unterzuordnen haben, und wie die gestaltet werden, ist zumindest vorhersehbar. Wenn also der böse Russe die Gasversorgung von ganz Europa torpediert, wird er dafür bezahlen müssen und wir Deutschen werden uns unserer „Verantwortung“ nicht länger entziehen können. Also: „Her mit den Leopard II Panzern!“ und „Frisch, fromm, fröhlich auf ins Gefecht!“

Praktisch gleichzeitig mit den Anschlägen gegen North-Stream I und North Stream II eröffneten Regierungsvertreter aus Dänemark, Polen und Norwegen übrigens die Ostseepipeline Baltic Pipe und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki verkündete vollmundig, damit gehe die Ära der russischen Vorherrschaft beim Thema Gas zu Ende – eine Vorherrschaft, die von Erpressung, Drohung und Zwang geprägt gewesen sei. Für Polen mag diese Ära zu Ende gehen. In Deutschland wird indessen ein Chaos ausbrechen, dessen Ausmaß im Augenblick noch nicht einmal zu erahnen ist. Es dürfte dabei um nicht weniger als die  vollständige Deindustrialisierung der größten Wirtschaftsmacht in Mitteleuropa gehen. Nimmt man alle Indizien zusammen, drängt sich der Eindruck auf, als hätten die USA dem Land an der Grenze zur Ukraine für sein Wohlwollen eine wahrhaft rosige Zukunft versprochen. Wie sonst könnte der Staat Polen – in konsequenter Missachtung des Potsdamer Abkommens – nunmehr von der Bundesrepublik Deutschland ungestraft 1,3 Billionen EUR Kriegsreparationen verlangen? Wenn die USA diese Forderungen unterstützen, was sich in Anbetracht der weltpolitischen Lage gerade abzeichnet, werden wir uns schon bald einer Schuld ausgesetzt sehen, die in ihrer vernichtenden Wirkung derjenigen des Versailler Vertrages gleichkommen wird. Für die USA wird der Plan auf jeden Fall aufgehen: Entweder wir schlagen uns auf die Seite des bösen Russen und bekommen dafür die Schuld an den kommenden kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa zugeschrieben. Oder wir lassen uns von den USA lächelnd vernichten und schwärmen dabei noch von der Welle aus Zuneigung und Liebe, die uns von der anderen Seite des Atlantik entgegenschwappt. „Küss mir den Arsch und ich schlag dir trotzdem den Schädel ein“ – lautet die Devise.

Apropos. Wer die Nachrichtenlage aufmerksam verfolgt, kann gerade in verschiedenen Quellen nachlesen, dass am Mittwoch letzter Woche das Angriffsschiff USS Kearsage, begleitet von den Landungsschiffen USS Arlington und USS  Gunston Hall die Ostsee in Richtung USA verlassen haben. Diese Schiffe seien ein Teil von US-Einheiten gewesen, die an NATO-Manövern in der Ostsee teilgenommen hätten.  Nun gehe es für den amerikanischen Flottenverband nach einem sechsmonatigen Einsatz wieder zurück in ihre Heimathäfen an der US-Ostküste. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Mission completed?

Am 28. September 1922 befassten sich die deutschen Zeitungen hauptsächlich mit dem Krisenherd Balkan und der Abdankung des griechischen König Konstantin. In der Karlsruher Zeitung erläuterte der Redakteur, die Griechen seien ein Opfer der englischen Politik geworden, die ihrer alten Tradition gemäß den Krieg, den sie gegen Angora zu führen gedachten, einem Hilfsvolk aufbürdet hätten, dessen Schicksal ihr nun gleichgültig geworden sei. Ungeachtet dessen, ob dieser Satz im Rückblick nun gestimmt haben mag oder nicht. So etwas soll es in der Geschichte also tatsächlich schon einmal gegeben haben. Kriege, die Kolonialmächte geführt haben, indem sie andere Völker vor ihren Karren spannten, um ihre eigenen Ressourcen zu schonen. Zum Glück sind solche Konstellationen heute undenkbar. Daher glaube ich auch fest daran, dass Putin seine eigene Investition in die Luft hat jagen lassen, um uns Europäern einen bösen Streich zu spielen. Er hätte den Gashahn zwar auch einfach nur zudrehen können. Aber das wäre natürlich viel weniger symbolträchtig gewesen und hätte seinen heimlichen Freunden aus den USA weitaus weniger in die Karten gespielt.                    

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