Claus Reessing

Der Mann von nebenan

Was ist das für ein Mann? Der von nebenan. Gut gekleidet zieht er alle Frauen die ihm in die Augen schauen sofort in seinen Bann. Wie schafft der das. Was ist dran, an diesem Typen von nebenan. Was kann dieser ominöse Mann, was ich nicht genau so gut kann? Mich schaut noch nicht mal meine Friseuse im Spiegel so an. Naja, vielleicht irgendwann? Aber dann ... ich war entsetzt, ... fand man seine steife Leiche, nachts im Winter als es schneite, schwer verletzt. Kaum zu glauben. Es hieß, er wäre ein raffinierter Dieb gewesen und hätte es verstanden jede Gelegenheit zu nutzen um die Vermögen seiner Auserwählten zu stutzen. So wie es schien hatte aber eine von den dutzenden reicher Damen die so kamen ihm das ganz besonders übel genommen, und deshalb hätte er wahrscheinlich von eben dieser als kleine Aufmerksamkeit noch eine silberne Kugel mitten in sein Herz dazu bekommen. Der Schmerz der in ihm entstand, den er zuerst noch als schlechten Scherz empfand, verschwand jedoch in dem Moment, als er sah, das sich offenbar durch das Loch im Hemd sein Leben von ihm trennt. Daraufhin, soviel scheint klar, hat sie wohl spontan entschieden, ihre Identität nicht durch langes warten zu verraten, sondern sich lieber all den unnötigen Detailfragen erstmal zu entziehen. Vorzugsweise durch fliehen. Ihre Aussage, so nahm man an, würde bestimmt dazu beitragen den tödlichen Bleischaden an dem Mann von nebenan zu klären. Vermutlich könnte ihr aber genau das, langfristig weitere Vorhaben erschweren. Die vielen anderen Affären, die er mit leeren Versprechen hinterlistig um ihr Hab und Gut gebracht, fanden indes, das hätte die gesuchte Person verdammt gut gemacht. Mit dem Verdacht der durch die Solidarität der Frauen entstand, wonach nebenan vielleicht ein gemeinschaftliches Verbrechen stattfand, lag man allerdings, da alle Damen Alibis, völlig schief. Somit blieb der Justiz nur die Hoffnung, jemand verrät doch noch wie das war, eventuell, so schrieb die Presse, wenn es eine Belohnung gibt, .. in Bar! Daraufhin, mit der Aussicht auf Gewinn, war das Interesse an dem was nebenan geschah, überraschend schnell gestiegen. Um die Moneten zu kriegen hatten manche die bis dahin schwiegen, sofort konkrete Hypothesen zu dem Mord und den Motiven zur Hand. Demnach stand der Mann, wie inzwischen bekannt, gewaltig unter Druck und mit dem Rücken zur Wand. Denn von dem ganzen schönen Zaster ist ihm nicht mehr viel geblieben. Das hätte daran gelegen, dass er wegen der vielen üblen Intrigen gegen ihn, schon seit längerer Zeit kein einziges solventes Weib mehr fand, wodurch es finanziell ziemlich schlecht um ihn stand. Daraufhin verschwand der früher so gewandte Held für seine Verhältnisse recht schnell aus der Öffentlichkeit, was insoweit darauf schließen lässt, vielleicht hatte der Mann von nebenan sich und seine Fähigkeit als Gigolo einfach völlig überschätzt. Selbstverständlich war er darüber entsetzt, aber kein bisschen klüger. Also kann es letztendlich nur so gewesen sein. Der verarmte Betrüger saß mutterseelen allein daheim. Die spärlichen Indizien für eine flüchtige Komplizen geben dieser These recht. Ne, mal ehrlich, diesmal hatte der Mann einfach nur Pech. Er ist zwar verblutet, doch anders als vermutet hat er sich in der besagten Nacht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit irgendwie aus versehen selber umgebracht. Denn die Patrone welche ihn dahin gerafft kam aus einer Kanone die er garantiert zweifelsohne für eine harmlose Attrappe hielt. So eine Pistole mit der man höchstens mal bei einer Wasserschlacht auf die Nachbarschaft zielt. Naja, Irrtum seinerseits hin oder her. Das spielt jetzt eh keine Rolle mehr. Denn das was er da hatte war mit Sicherheit kein Duplikat. In Wirklichkeit war die echt, .. richtig schwer. Und in der Tat war deshalb das hohle Rund von der Waffe auch nicht leer. War ja auch schon lange her seit er sie das letzte Mal in den Händen hielt. Oder vielleicht hatte er gedacht, während er mit dem Ding so rumgemacht, hat nicht viel gekostet und das Rohr, also der Lauf, ist von innen bestimmt längst verrostet. Doch bereits seit dem Kauf steckte in der vermeintlichen Requisite, technisch betrachtet kurz hinter dem silbernen Knauf mit der goldenen Niete, schon immer, bzw. immer noch ein altes Geschoss. Ziemlich fest! Einfach so.
Naja, .. der Rest ist bekannt. Es floss allerhand Blut. Und der bis dahin gut gekleidete Mann musste am Ende schmerzhaft erfahren, das alte Schießpulver Hülsen auch nach Jahren noch funktionieren. Und wenn sie wie in diesem Fall bereits von außen faulen, ist ein gefahrloser Umgang damit auch nicht mehr zu garantieren. Unter Umständen kann der Munition dann nämlich schon der kleinste ungewollte Zündfunke reichen, um mit einer unkontrollierten Explosion nach einem lauten Knall mit Überschall durch die Mündung zu entweichen. Im Regelfall endet so ein Desaster immer mit Leichen. Manchmal sogar in kleinen Teilchen. Aber da hatte der Mann Glück. In einem Stück fiel er zurück auf eine schöne weiche Unterlage. Da lag er, angenehm .. für einige Tage. Bis zur Leichenstarre. Auf einer harten unbequemen Totenbahre wurde er dann abgeholt. So wird es wohl für immer ein Geheimnis bleiben, sein wahres Treiben hinter der glamourösen Fassade. Schade. Denn die Damen schweigen und vermeiden jeden Kommentar. Dabei wissen nur sie, wie und wer er in Wirklichkeit war. Der Mann der früher mal gut aussah. Naja, was sich nebenan zugetragen tut mir natürlich leid. Keine Frage. Besonders für ihn, ausgesprochen tragisch. Doch was soll ich sagen, seit geraumer Zeit steht vor unserem Haus ein kleiner roter Wagen. Der gehört Nina, und die, ... ja die ist wirklich magisch. Sie wohnt jetzt hier, direkt neben mir, und das Beste daran, sie ist nicht nur die neue Frau von nebenan, sondern dank der dramatischen Ereignisse um den verstorbenen Mann, vor knapp einem dreiviertel Jahr, sind Sie und ich, seit einigen Monaten ein Paar.
Wow, ... ist das nicht wunderbar.






 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.10.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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