Hajo Schindler

Ich sehe schwarz

Als ich mich an diesem Tag aus dem Bett quälte, um die Frühstücksbrötchen zu holen, herrschte draußen sehr trübes Wetter. Am Himmel zogen dunkle, schwarze Wolken ihre Bahnen. Auf dem Weg zur Bäckerei lief vor mir eine schwarze Katze von links nach rechts über den Weg. Oh weh!

In meinem Horoskop hatte ich gelesen, mich erwartet heute ein schwarzer Tag, ich solle mich aber nicht zu den schwarzen Schafen zählen.

Als ich wieder nach Hause kam, hörte ich meine Frau aufgeregt aus dem Keller rufen: „Komm mal schnell, hier ist eine große Spinne. Ich glaube, wir haben eine schwarze Witwe im Keller.“

Ich konnte meine Frau besänftigen, erklärte ihr ruhig und mit wohlfundierten Worten, dass es sich um eine ganz normale, nicht gefährliche Hauswinkelspinne (Tegenaria domestica) handele. Diese Ausführung war meiner Frau aber völlig egal.

Neben meinen unzweifelhaften Qualifikationen als Fußball-Bundestrainer, Virologe, Immunologe, Wirtschaftsweiser, Meteorologe - zusammengefasst in einem Wort = Besserwisser - hoffte ich jetzt bei meiner Frau auch als Biologe punkten zu können, hatte ich zumindest gedacht. Pustekuchen!

Als wir uns vom Keller wieder in die Küche begaben, hörten wir dort im Radio den Sommerhit des Jahres 1966 „Black is Black“ von der spanischen Rockgruppe Gruppe Los Bravos. Das passte ja sprichwörtlich wie die Faust aufs Auge.

Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine so gehäufte Anzahl von schwarzen Anzeichen in einer so kurzen Zeit ertragen haben zu müssen.

Zufall?

Doch des Rätsel Lösung folgte auf dem Fuße, es war ja Freitag, Black Friday. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergangen ist, aber wer an diesem Freitag die Zeitung aufgeschlagen hat, konnte beim Durchblättern leicht depressiv werden. Die Anzeigen alle so farblos und düster. Alle Artikel vor schwarzem Hintergrund. Mal ehrlich, wer kauft denn da noch gerne ein?

Ich sage es nur ungern und es ärgerte mich auch ein wenig, denn meine Güte, wie konnte ich das nur vergessen? Schon Tage vorher wurde ich auf diesen Black-Friday, dieses Black Weekend aufmerksam gemacht, denn überall in den Zeitung große Anzeigen: Power Black Sale Rabatt, Black Friday Daels, Power Black Friday, Black Friday Week, Black Shopping Week, Payback Black Week, Black Friday Fallen und nicht zu vergessen, den Black Out Auftakt der deutschen Fußball- Nationalmannschaft bei der WM in Katar.

Es ist mehr als gewöhnungsbedürftig für Menschen, wie ich es einer bin, der mit den begehrten tausendseitigen, zwei Kilogramm schweren Versandhauskatalogen von Quelle, Neckermann und Otto aufgewachsen ist. Meine Kindheit verbrachte ich in einem kleinen Dorf nahe der Universitätsstadt Göttingen. Ein Stadtbummel durch Göttingen kam eher selten vor. Ich erinnere mich gut, denn früher bestellten, kauften meine Eltern zusammen mit anderen Bewohnern des Dorfes beim Versandhaus. Als Kind durfte ich mir vor Weihnachten immer Sachen aus dem Katalog aussuchen und dann auf einen Wunschzettel schreiben - manches davon bekam ich dann auch. Ich erinnere mich an die Spielzeugseiten - die habe ich immer als Erstes aufgeschlagen, und schon Wochen vor Weihnachten sah ich sie immer wieder durch, träumerisch, was ich mir denn dann am liebsten wünschen würde.

Mir fällt ein: Früher hieß Shopping noch Einkaufen und der Sale nannte sich Schlussverkauf. Die Läden schlossen werktags um 18:30 Uhr und Samstag um 14.00 Uhr. In den Büros wurde die Korrespondenz auf Schreibmaschinen getippt. Man nutzte Fernschreiber anstelle von Computern. Lang ist es her.

Heute kann das Einkaufen einfacher, aber auch anstrengender sein.

Aus der Zeitung erfahre ich, dass sich trendbewusste Shopper (ich nenne sie: Generation Selfie-Darsteller, Klientel Instagram, Twitter Fraktion, Social Media Rebellierer, TikTok Aktivisten oder einfach Display-Wischmopp-Apostel) am Black Friday Urlaub nehmen. Die Zeit wird dann genutzt, um im Internet aus der Flut von der Black-Friday-Pseudo-Schnäppchen lohnende Angebote herauszufischen.

Wenn das „gefrühtstückt“ ist, folgt meistens noch ein anstrengender Marsch durch die Geschäfte, die sich mit Lockvogelangeboten/-rabatten überbieten.

Meine Frau und mir fiel das Prospekt eines Möbelhauses in die Hände. Mega Angebote im Haus. Nur heute! Das Möbelgeschäft hatte den Preis des eleganten Box-Spring Bettes von 4.498 € (UVP) auf 799 € gesenkt. ????? Power Black Sale stand da. Ein Schnäppchen? Ich denke NEIN, eher eine Lockvogel-werbung und wie ich meine einen Batzen unseriös oder der angeblich erste Preis war total überhöht und das Produkt ließ sich deshalb nicht verkaufen.

Trotzdem ärgerten wir uns in diesem Moment, dass wir kein neues Bett benötigen. Aber vielleicht sollten wir unsere biblisch alte und teuer bezahlte Schlafgelegenheit, immerhin schon gekauft vor 3 Jahren, aus unserem Schlafgemach entsorgen und…………. einfach zuschlagen.

Früher gab es den Weltspartag. Heute heißt dieser Tag Black Friday. Fette Rabatte, echte Schnäppchen eben. Also nichts wie los, dachte ich mir, denn wer kennt nicht das Sprichwort: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Der Spargedanke ließ meinen Adrenalinspiegel in ungekannte Höhen schnellen, wenn ich nur genug ausgebe, spare ich. Super! Halt, Stopp!!! Ich habe gelernt, mein Geld zusammenzuhalten und hätte ein schlechtes Gewissen, wenn ich diesem Kaufrausch unterliegen würde.

Trotzdem konnte ich mich von dem Gedanken, Geld zu sparen, nicht so ganz trennen. Weihnachten steht schließlich vor der Tür und ich überlegte fieberhaft, was ich meinem Herzblatt diesmal unter den Weihnachtsbaum legen könnte. Schmuck geht immer, erinnerte ich mich. In der Zeitschrift Stern sah ich eine große Anzeige von Wellendorff. Abgebildet war da ein toll aussehender, wertvoller Goldring, versetzt mit bunten Edelsteinen. Wahre Werte stand darunter. Im Internet konnte ich über diesen ausgefallenen Regenbogenring nichts finden, deshalb versuchte ich mein Glück in einem Juweliergeschäft. Auf meine Frage in dem Edelschuppen, ob ein Black Sale Rabatt für den Ring auch in Betracht kommt, warf mir die in einem schwarzen Etuikleid eingehüllte und nach sündhaft teurem Parfüm riechende Verkäuferin einen verächtlichen Blick zu, als hätte ich sie gefragt, ob sie mal mit mir….., na ja ,Sie wissen schon….zu Abend essen würde. Nebenbei bemerkt: Wenn Blicke töten könnten, hätte ich dieses Epos nicht verfassen können. - Ihre eisige Antwort war: „Nein! Wir führen nur handverlesene, erstklassige und außergewöhnlich wertvolle Schmuckstücke! Rabatte gibt es darauf nicht. Die brauchen unsere Kunden auch nicht.“

Natürlich, wie konnte ich Depp nur danach fragen. Nach dieser Abfuhr habe ich es unterlassen, mich auch nicht getraut, noch nach dem Preis des Ringes zu fragen. Amüsiert und zugleich ein wenig empört verließ ich grußlos den Laden.

Gerade in diesem Augenblick, wo ich dieses Epos zu Papier bringe, erhalte ich eine E-mail von einem Virenscanner Anbieter: „Schnell sein und Rabatte sichern! Sparen Sie bis zu 79% auf unsere erstklassigen Sicherheitslösungen“, heißt es da.

Schluss aus. Ende Gelände. Ich muss mich jetzt ranhalten, die Beine in die Hand nehmen, sonst wird das nichts mit den Schnäppchen für mich und dann sehe ich tatsächlich schwarz, äh, Black, denn wie heißt es doch: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“

Es wäre schlimm, wenn ich dadurch nichts Gutes mehr sehe – und das Beste verpasse. Man sagt aber ja auch, man solle nicht immer so schwarz sehen. Tue ich nicht, denn es gibt ja Gott sei Dank nach dem Black Friday auch noch den Cyber-Monday. Und wenn ich da auch leer ausgehe, last but not least, ebay lässt grüßen.

Also… in diesem Sinne, ich werde dranbleiben, dranbleiben, dranbleiben….., denn zum Weihnachtsfest gehört traditionell das Beschenken von Personen, die einem lieb und teuer sind. Einige würden sich schwarzärgern, wenn sie nicht bedacht würden. Was wäre ein Weihnachtsfest also ohne Geschenke? Ein No Go! Deshalb bin ich drangeblieben und habe das ein oder andere Teil tatsächlich an den „schwarzen Tagen“ besorgt.

Verehrte Leser jeglichen Geschlechts, Sie kennen mich jetzt schon ein Weilchen, deshalb kann ich Ihnen ganz im Vertrauen gestehen: Okay, mit dem wertvoll, teuer aussehenden Ring für meine Frau hat es ja nicht geklappt, aber ich erinnerte mich an eine besondere Wärmeflasche, die ich bei dem Stadtbummel gesehen hatte. Meine Frau klagt mitunter über kalte Füße. Ich weiß, sie wird in einem Freudentaumel verfallen, wenn sie dieses Geschenk am Heiligabend unter dem Weihnachtsbaum entdeckt. Ich freue mich jetzt schon mit. Ja, was tut man als aufmerksamer Ehemann nicht alles, um seine Herzallerliebste zufrieden zustellen. Und ich muss gestehen, es hat sich hier und da doch gelohnt, am „Weltspartag“ = Black Friday einzukaufen. Schwarzer Humor hilft auch dabei.

Ich werde nach Weihnachten darüber berichten, ob meine Frau sich über die besondere Wärmeflasche anstelle des Ringes tatsächlich gefreut hat.

Frohe und gesunde Weihnachten!

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.12.2022. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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