Rolf Grebener

Der Ausritt am Gallimarkstag


Wir waren Kinder! Meine Schwester Christa war acht Jahre und ich war sieben Jahre alt. Auf dem Pferd von Onkel Loert, der alten Mietze zu reiten, war wohl das Beste das wir uns vorstellen konnten.  Es war im Oktober 1953. Wir waren gemeinsam mit unseren Nachbarn Onkel Loert und Tante Erna auf dem Kartoffelacker. Diese Woche war Gallimarkt in Leer. Meine Eltern wollten am nächsten Tag mit unseren Nachbarn zum Markt. Christa und mich wollten sie nicht dabeihaben. Wir sollten bei Oma und Opa zu Hause bleiben. Als Belohnung dafür, sollten wir dann die alte Mietze von Onkel Loert reiten dürfen. Bald ging die Arbeit auf dem Kartoffelfeld dem Ende entgegen. Onkel Loert wollte schnell fertig werden. Er trieb seine Mieze an. Meine Schwester Christa und ich waren übermütig. Wir freuten uns auf den nächsten Tag, bewarfen uns gegenseitig mit kleinen Kartoffeln und trieben noch so manchen Schabernack. Onkel Loert machte eine kurze Rast um sich eine Zigarette zu drehen. Los weiter, riefen Christa und ich. Nein, sagte Onkel Loert, das Pferd muss pinkeln. Wir Kinder lachten. Als Onkel Loert das nächste Mal mit dem Kartoffelroder vorbeikam, riefen Christa und ich, prrrrrt. Das Pferd blieb stehen.“ Was soll das“, schimpfte Onkel Loert.“ Wir wollen fertig werden“.“ Das Pferd muss pinkeln,“ Borromäus Orden lachten wir Beide. Da es schon dämmerte, ging unnötig Zeit verloren. Bei der nächsten Runde, machte wir es genauso. „Ihr habt es euch selber verdorben,“ schimpfte Onkel Loert. „Die Mietze dürft ihr morgen nicht reiten. Selber schuld. Bleibt bei Oma und Opa und seid lieb.“ Das war für uns ein harter Schlag. Das Abendbrot schmeckte an diesem Abend nicht so gut wie sonst. Nach dem Abendessen gingen wir wie immer zu Oma und Opa, um gute Nacht zu wünschen. Wir bekamen dann jedes Mal von Oma eine Scheibe Mettwurst. Der nächste Vormittag schleppte sich dahin! Nach dem Mittagessen kamen Onkel Loert und Tante Erna. Sie fuhren mit unseren Eltern zum Gallimarkt. Christa und ich liefen betrübt zu Nachbars Pferdeweide. Da stand sie, die gute alte Mietze. Wir krauelten ihr den Kopf. Mietze fand das schön, sie wieherte. Das reiten hatte man uns verboten. Hatte man uns auch das draufsetzen verboten? Wir waren uns nicht sicher. Ich nahm das Tau, dass auf dem Gattertor hing und knotete es Mietze an den Halfter. Christa machte das Tor auf! Wir führten Mietze an den Ackerwagen, der hinter Onkel Loert`s Haus stand. Mietze kannte das. Geduldig wartete sie bis wir auf den Ackerwagen und dann auf Mietze´s Rücken geklettert waren. Das liebe Tier kannte nicht unser Reitverbot und trottet  gemächlich  Vielleicht lag es an dem Wind, der unsere Bedenken so schnell verfliegen ließ. Mietze genoss es scheinbar, mit uns einen Ausflug machen zu dürfen. Zum großen Teil bestimmte Mietze unseren Weg. Von Südgeorgsfehn über Vreschen-Bokel und durch drei Ortsteile von Augustfehn. Kläffende Hunde machten  unseren Ausritt teilweise beschwerlich. Und dann noch der Baptistenpastor, der auch unsere Eltern kannte. Es wurde kühler. Unsere Beine schmerzten vom langen reiten. Unsere Angst, nicht rechtzeitig vor unseren Eltern zu Hause zu sein, dämpfte die Freude an unserem Ausritt. Nach Hause, so schnell wie möglich. Bei der alten Mietze einen Gang höher zu schalten war schwer möglich. Sie trottete in ihrer gewohnten Geschwindigkeit weiter. Bei uns zu Hause war die Aufregung groß. Der Baptistenpastor hatte uns verpfiffen. Als wir an unserem Haus vorbei auf dem Weg zu Nachbars Wiese ritten, stand unser Opa am offenen Fenster und drohte mit dem Handstock. Schnell brachten wir das Pferd auf die Weide. Und jetzt? Nach Hause zu gehen trauten wir uns nicht. Es war dämmerig geworden. Von weitem sahen wir ein Feuer. Ein Bauer hatte nach der Kartoffelernte, die Ranken, also das abgestorbene Kartoffellaub verbrannt. Für uns eine Gelegenheit uns aufzuwärmen. Um etwas essen zu können, haben wir Kartoffeln, die wir gefunden hatten, in die Glut gelegt. Inzwischen war es dunkel und nebelig geworden. Unsere Eltern waren sehr in Sorge gewesen. Unser Papa hat uns gesucht. Plötzlich tauchte eine Gestalt im Nebel auf. Schnell sprang ich über den kleinen Graben auf eines unseren Wiesen. Die Gestalt im Nebel war unser Papa. Er hat sich Christa geschnappt und ihr einen Klaps auf den Hintern gegeben. Christa hat nicht geweint. Vielleicht war sie froh, so glimpflich davon gekommen zu sein. Papa hat mich gerufen. Leider war ich schon über unsere Wiesen und Felder auf dem Weg nach Hause. Hätte Papa mich doch auch erwischt! Neben unserem Haus versteckte ich mich hinter einem Berg Drainagerohre. Die obere Schicht legte ich so, dass ich genau ins Küchenfenster schauen konnte. Christa war endlich zu Hause. Sie freute sich über die Geschenke, die Mama und Papa vom Gallimarkt mitgebracht hatten. Plötzlich stand mein Papa hinter mir. Er gab mir wohl auch um der Gerechtigkeitswillen einen Klaps auf den Hintern. Den Klaps spürte ich nicht. Vielleicht hatte sich da im laufe der Zeit eine kleine Hornhaut gebildet. Endlich wieder zu Hause. Oma und Opa, Papa und Mama, auch meine kleinen Geschwister freuten sich, das wir wieder zusammen waren. Gemeinsam aßen wir an diesem späten Abend, Kartoffelsalat und Würstchen. Beim Zubettgehen sagte meine Schwester Christa zu mir: „Diesen Tag werden wir in unserem Leben nicht vergessen.“ Das war vor neunundsechzig Jahren.“
Rolf Grebener

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