Lena Kelm

Abgeschlossenes Kapitel 7

Meine Beziehung zu Anna bestand nur noch formell bis zur Ausreise, war aufs Berufliche begrenzt, wir trafen uns ausschließlich in der Schule, in der Freizeit waren wir mit den Vorbereitungen für die Umsiedelung beschäftigt. Ich mied Annas Gegenwart.
Und dann kam der 8. März, ein großer Feiertag in der Sowjetunion. Wir warteten auf unsere Bescheide für die Ausreise in die BRD. An zwei Abenden pro Woche erteilten Anna und ich Deutsch-Unterricht für Russlanddeutsche als Vorbereitung ihrer Ausreise in die BRD. Meine Teilnehmer hatten vor, anlässlich des Internationalen Frauentages selbst-gebackene Torte mitzubringen. Sie kamen mit viel Gebäck, einem kleinen Bild als Andenken, das ich bis heute als Reliquie bewahre. Die dankbaren Schüler, Frauen und Männer Die dankbaren Schüler, Frauen und Männer unterschiedlichen Alters besorgten sogar frische Blumen, die in unserer Region ein unglaublicher Luxus waren. Die Geschenke übertrafen meine Erwartungen. Ich war gerührt und kochte wie versprochen echten deutschen Kaffee. Es wurde ein wunderschöner, ein unvergesslicher Abend, keiner wollte nach Hause.
Mich wunderte, dass Anna ein paarmal in den Unterrichtsraum hereinschaute und auf ihre Armbanduhr zeigte. Beim dritten Mal ging ich aus dem Klassenzimmer und fragte, was los sei. „Du weißt, ich habe Dienst und muss um einundzwanzig Uhr die Schule abschließen.“ – „Sind denn deine Teilnehmer schon weg?“ – „Schon lange,“ sagte sie gereizt. Naiv schlug ich vor: „Gib mir die Schlüssel, ich schließe ab. Das ist kein Problem. Meine Teilnehmer haben sich so viel Mühe gegeben und möchten etwas länger bleiben. Ich bring es nicht übers Herz, sie schon hinaus zu scheuchen. Wobei es mir genauso geht wie den Teilnehmern, es ist so schön. Komm doch zu uns, du kennst die meisten, sie dich auch.“ – „Nein, mach Schluss!“ Annas Worte trafen mich schwer. Ich kehrte zurück und erklärte, wir müssten in etwa fünfzehn Minuten den Raum verlassen. Die Enttäuschung war riesig, die Teilnehmer konnten und wollten es nicht begreifen.
Nach nicht einmal zehn Minuten riss Anna die Tür auf und spuckte fast vor Empörung jedes einzelne Wort aus: „Jetzt reicht‘s, ich schließe sofort das Gebäude!“ und ging davon. Ich eilte ihr hinterher: „Was ist mit dir los, Anna?“ – „Du denkst nur an dich, ich habe den Pelz meiner Schwester an. Du musst mich bis zur Haltestelle begleiten. Ich warte nicht länger, wir gehen jetzt.“

- Fortsetzung folgt -



 

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