Wilhelmine die man im Dorf nur Mine nannte, war noch nicht weit gereist. Vor
ungefähr fünfzehn Jahren war sie mal in der Kreisstadt Bad Kreuznach.
Damals lag ihr Mann im Krankenhaus und sie konnte mit einer Nachbarin dorthin
fahren. Ein eigenes Auto hatten sie nie, weil sie und ihr Mann es irgendwie
immer aufgeschoben hatten, den Führerschein zu machen.
Heute
wollte sie zum Arzt in das Nachbardorf Bockenau. Das Wetter hatte es nicht
gut mit ihr gemeint, denn es schneite schon seit den frühen Morgenstunden.
Aber sie hatte einen Termin und war den Weg von Sponheim nach Bockenau in ihrem
85 - jährigen Leben schon viele Mal gegangen. Aber bei Schnee und Eis
konnten sich die drei Kilometer unangenehm lange ziehen.
Am
Ortsausgang von Sponheim hielt plötzlich ein rotes Auto neben ihr. Willi,
aus der Hauptstrasse, hatte angehalten und fragte sie ob sie mitfahren wolle.
Weil Mine ihn schon als Kind gekannt hatte und weil das Wetter wirklich schlecht
war, entschied sie sich einzusteigen. „Ei, ich muss zum Doktor Schulz no
Bockenau“, sagte sie, damit Willi Bescheid wusste.
Sie setzte
sich auf den Beifahrersitz und Willi fuhr los. Sowohl Willi, als auch Mine waren
eher ruhigere Menschen, die nicht viele Worte vergeudeten und so schwieg man
für die wenigen Kilometer nach Bockenau.
Kurz vor dem
Ort gab es zwei scharfe Kurven und die Straße war leicht
abschüssig. Willi versuchte noch zu bremsen, aber auf der eisglatten
Straße rutschte das Auto in den Graben und kippte ganz langsam erst auf
die Seite, dann aufs Dach.
Willi saß fest angeschnallt
kopfüber auf dem Fahrersitz und hielt sich mit beiden Händen am
Lenkrad fest. Mine die nicht angeschnallt war, saß nach dem halben
Überschlag, bei dem sich auch die Beifahrertür geöffnet hatte,
halb drinnen und halb draußen. Beide waren unverletzt. Mine stand auf und
strich den guten Rock glatt, den sie zum Arztbesuch angezogen hatte und
rückte ihre Wollmütze zurecht. Sie wusste nicht so recht was sie tun
sollte, es war schließlich der erste Autounfall in ihrem langen Leben.
Mine bückte sich um Willi sehen zu können und hielt den Kopf
so schräg sie konnte, um irgendwie eine ähnliche Position wie Willi zu
haben.
Willi saß immer noch erschrocken kopfüber hinterm
Lenkrad als Mine sagte: „Willi, aach noch dankescheen fürs
mitnemme“, bevor sie nochmal ihren Rock glattzog und ruhigen Schrittes in
Richtung Dr. Schulz davonging.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Jürgen Disselhoff).
Der Beitrag wurde von Jürgen Disselhoff auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.01.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Jürgen Disselhoff als Lieblingsautor markieren
Streifzug durch den Lebensgarten
von Gerhild Decker
Stimmungsvolle Gedichte und Geschichten mit viel Geist, immer gepaart mit einem Herz-und Augenzwinkern!
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: