Jürgen Disselhoff

Mine muss zum Doktor

 

Wilhelmine die man im Dorf nur Mine nannte, war noch nicht weit gereist. Vor ungefähr fünfzehn Jahren war sie mal in der Kreisstadt Bad Kreuznach. Damals lag ihr Mann im Krankenhaus und sie konnte mit einer Nachbarin dorthin fahren. Ein eigenes Auto hatten sie nie, weil sie und ihr Mann es irgendwie immer aufgeschoben hatten, den Führerschein zu machen.

Heute wollte sie zum Arzt in das Nachbardorf Bockenau. Das Wetter hatte es nicht gut mit ihr gemeint, denn es schneite schon seit den frühen Morgenstunden. Aber sie hatte einen Termin und war den Weg von Sponheim nach Bockenau in ihrem 85 - jährigen Leben schon viele Mal gegangen. Aber bei Schnee und Eis konnten sich die drei Kilometer unangenehm lange ziehen.

Am Ortsausgang von Sponheim hielt plötzlich ein rotes Auto neben ihr. Willi, aus der Hauptstrasse, hatte angehalten und fragte sie ob sie mitfahren wolle. Weil Mine ihn schon als Kind gekannt hatte und weil das Wetter wirklich schlecht war, entschied sie sich einzusteigen. „Ei, ich muss zum Doktor Schulz no Bockenau“, sagte sie, damit Willi Bescheid wusste.

Sie setzte sich auf den Beifahrersitz und Willi fuhr los. Sowohl Willi, als auch Mine waren eher ruhigere Menschen, die nicht viele Worte vergeudeten und so schwieg man für die wenigen Kilometer nach Bockenau.

Kurz vor dem Ort gab es zwei scharfe Kurven und die Straße war leicht abschüssig. Willi versuchte noch zu bremsen, aber auf der eisglatten Straße rutschte das Auto in den Graben und kippte ganz langsam erst auf die Seite, dann aufs Dach.

Willi saß fest angeschnallt kopfüber auf dem Fahrersitz und hielt sich mit beiden Händen am Lenkrad fest. Mine die nicht angeschnallt war, saß nach dem halben Überschlag, bei dem sich auch die Beifahrertür geöffnet hatte, halb drinnen und halb draußen. Beide waren unverletzt. Mine stand auf und strich den guten Rock glatt, den sie zum Arztbesuch angezogen hatte und rückte ihre Wollmütze zurecht. Sie wusste nicht so recht was sie tun sollte, es war schließlich der erste Autounfall in ihrem langen Leben.

Mine bückte sich um Willi sehen zu können und hielt den Kopf so schräg sie konnte, um irgendwie eine ähnliche Position wie Willi zu haben.

Willi saß immer noch erschrocken kopfüber hinterm Lenkrad als Mine sagte: „Willi, aach noch dankescheen fürs mitnemme“, bevor sie nochmal ihren Rock glattzog und ruhigen Schrittes in Richtung Dr. Schulz davonging.

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