Klaus Mattes

Selbstbefriedigung / 1844

 

Ich weiß leider nicht mehr, wann ich damit angefangen habe. Ich würde das zu gerne wissen. Ob mit 14, 15? Seither führe ich ein reichhaltiges und befriedigendes Selbstbefriedigungs-Sexleben. Immer nur einmal pro Tag. Von Jungs gibt’s ja die tollsten Rekordmeldungen. 20 Mal am Tag oder so. War bei mir nie.
 

 

Ich liege auf dem Rücken, habe die Augen geschlossen und denke mir eine Geschichte aus, die dann im sexuellen Vollzug endet. Ich mache es nie zu Fotos oder Filmen, nie mit dem Internet. Das war mit 16 oder 17 Jahren schon so, damals lag der Bruder im Bett oben drüber. Man musste ganz leise schnaufen. Wir haben es aber schon gehört.


Jahrelang habe ich gewichst mit den Spielen - in meinem Kopf - hübsch aussehender Kameraden von der Schule. Es kamen auch Mädchen vorbei, vor allem eine, aber in der Regel waren es eher Jungs. Längst nicht alle allerdings. Schwul war ich nicht. So sah ich es eben nicht. Ich hatte keine Gedanken, ui, du könntest am Ende schwul sein, wie wäre das denn, das musst du besser unterdrücken! Ich dachte darüber nicht nach. Diese Jungen kamen zu mir ins Wichsen, weil sie schön waren, viel schöner als ich. Wenn ich so schön je gewesen wäre, dann hätte ich auch diese Mädchen gekriegt.


Damals schon und dann das Leben hindurch hatte ich diesen einen Lieblingstyp. Er war auf eine leicht krankhafte Weise mangelernährt, also ganz mager, eckig und knochig, mit hohler Wange und markantem Kinn. Muskeln fielen an ihm kaum auf. Auch war er insgesamt nicht wirklich maskulin, sondern eher mädchenhaft, dabei nicht schrill, vulgär, lasziv oder egozentrisch. Er trug keine Körperbehaarung, trug keinen Bart. Oder er scheiterte gerade zum vierten Mal daran, sich endlich einen wachsen zu lassen. Auf eine aus dem Rahmen fallende Penisgröße legte ich absolut keinen Wert. Jedoch lange Wimpern, braune Augen und dunkle, leicht wellige Haare waren fantastisch. Manchmal verhielt er sich kess und provozierte Menschen mit seiner Frechheit, meist aber war er ziemlich still, ruhte in sich und war mir ein guter und getreuer Begleiter, der eifrig Holz sammelte, wenn wir ein Lagerfeuer zu machen gedachten. Ich muss gestehen, dass mir in meiner Eitelkeit schon in jenen Tagen gnadenlos klar war, wie sehr ich ihm an Verstandeskraft überlegen war. Der Junge war eben schlicht, schön und wahrhaftig, hilfsbereit und sanft, auch viel mehr in sich selber ruhend und also zufriedener im Leben als ich. Wenn er dazu auch noch ein großer intellektueller oder kreativer Kopf gewesen wäre, so hätte das unsere Zweisamkeit doch eher behindert.


Ich liebte George Harrison auf einer dieser vier, dem Doppelalbum The Beatles beigelegten Fotos. Wie wir wissen, war George Harrison sonst oft alles andere als sexy, aber dieses eine Mal war er top für mich. Bei den Frauen begegnete mir vollendete Grazie und Schönheit in Françoise Hardy. Kleidet denn nicht noble Melancholie junge Frauen am besten, obwohl nur wenige über sie verfügen?


Wenn jemand schön ist, warum soll man ihn denn dann nicht schön finden? In der Bundeswehrzeit gab es überhaupt nur noch junge Männer, um sie schön zu finden.


Wenn man allmählich zwanzig wird, fällt einem nach und nach auf, dass stets nur eine gewisse Richtung von ausgerechnet männlichem Aussehen einem zur Ausgestaltung innerer Onaniefilmchen taugt. Es fällt dann schwerer, nicht zu merken, dass man irgendwie, scheint's, homosexuell empfindlich ist. Doch bei mir damals, in meinem Jahren, mit meinem Familienhintergrund mochte ich an diese Ahnungen nicht rühren, sie wären abartig gewesen und ich hätte nie zu irgendwem davon sprechen können.


Noch heute bin ich überzeugt, dass ein mir bis zu dieser Minute absolut unbekannter junger Mann nur ausführlich und ohne irgendetwas zurückzuhalten von seinen sexuellen Fantasien sprechen müsste, dann könnte ich ihm auf seinen Kopf zu sagen, was er ist, ob heteronormal, schwul, bisexuell, pädophil, devot, sadistisch, transsexuell, Voyeur oder was auch immer.


Ich ließ die paar Jungen und das Mädchen in meinen Wichsfantasien erscheinen. Ich selbst war dicklich, Brillenträger, tollpatschig, schüchtern. In Szenen ungebremster Sexualität gehörte ich nicht rein, sie aber. Ausgerechnet mich ließ, als wir das Argumentieren erlernen sollten, die Deutschlehrerin eine Debatte über Empfängnisverhütung moderieren. Und man war sich einig, ich hatte das sehr gut gemacht. Ich selbst kannte mich nicht wirklich aus, welche Mittel es gab, hatte noch kein einziges Mal im Leben vor der Frage gestanden, wie ich einer eventuell denkbaren Empfängnis hätte vorbeugen können. Zu jener Zeit sah ich eines Tages im Vorbeigehen in den Papierkorb im Klassenzimmer und erspähte ein offenbar schon benutztes Präservativ ohne Verpackung. Es schien in meiner Klasse Leute zu geben, die, im Unterschied zu mir, den Sex mit Dritten schon erlebten.


Schwuler Sex, wie ihn sich heute jeder kostenlos in leicht zu findenden Internetflicks besorgen kann, ist sehr weithin weder der Sex, den ich mir als Siebzehnjähriger nur für mich selbst erdacht hatte, noch der Sex, den ich dann ein Leben lang genoss, auch nicht der Sex, mit dem ich mich zur Selbstbefriedigung immer noch animiere. Schwänze von über zwanzig Zentimetern Länge, weit aufgerissene und gesprengte Körperspalten, Unmengen von Zuckerguss, der chaotisch über Gesichter, Zungen, Haar, Gliedmaßen getröpfelt wird, das war nie das Ding. Somit wäre ich nach wie vor nicht schwul. Oder nicht normal.


Was ich viel lieber sah, habe ich weiter oben beschrieben. Und dazu kam oft, wenn nicht gar in den allermeisten Fällen, die kleine fiktive Geschichte mit Verführung, Zwang, Erpressung, Nötigung, meine Geschichten von Tätern und Opfern, bei denen die Opfern sich zuerst wehrten, aber dann in einem Meer von Genuss vergingen. Man könnte folgern, dass ich kein Anhänger des handelsüblichen schwulen bzw. männlichen Maximal-Quantitäts-Sexes bin, sondern ein ephebophiler, Androgynen-verliebter Sadomasochist. Wo der Punkt aber liegt, den ich zu machen versuche: Es ist erstaunlich, wie die allerersten sexuellen Szenen, die man in sich aufsteigen fühlt, genau in die Richtung zeigen, in die es ein Leben lang weitergehe wird. Ich habe nie von Schwänzen und nie von Frauenkleidern oder Brustoperationen geträumt. Niemals.


Dass die sexuelle Potenz mit dem Alter abnimmt, spüre ich heute auch. Meine Selbstbefriedigung treibe ich aber noch immer, wenn auch nicht mehr täglich. Oft merke ich es selbst nicht, wenn es mir über längere Zeit schlecht geht. Merke es erst, wenn die Sorgen wieder nachlassen. Immer wieder habe ich erlebt, dass meine Tage des Unwohlseins mit einer Reihe von Tagen ohne Selbstbefriedigung zusammenfielen. Besonders wenn ich in einem normalen, ordentlichen Beruf war und eine gewöhnliche Wochenarbeitszeit gearbeitet habe, hat sich das jedes Mal so entwickelt. Abends, während ich anfing,das Personal und die Ausgangslage für die kleine Wichsgeschichte zusammenzustellen, sank ich nieder und driftete in den Schlaf. Bisweilen wachte ich mit dem Wissen auf, gerade einen sexuellen Traum erlebt zu haben. Aber einen Samenerguss allein nur durchs Träumen hatte ich nie. Auch damals als Jugendlicher nicht. Ein wacher Verstand und die Hand mussten schon auch dabei sein.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.02.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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