War auf dem Masslkofener Schlittenbergerl der letzte Schnee dahingeschmolzen und die wehrhaften Schneeburgen der gegnerischen Ober- und Untermarktler nur noch ein paar kümmerliche Häufchen schmutzig grauer Matsch, folgten oft ein paar Tage, an denen die „Lobach“ ein besonderes Schauspiel bot.
Das schmale Flüsschen, das den Marktflecken Masslkofen und das gut einen Kilometer entfernte Bauernnest Krahburg voneinander trennte, trat über seine Ufer und verwandelte die angrenzenden, weitläufigen Auwiesen in einen einzigen riesengroßen See, der die Krahburger quasi von der Außenwelt abschnitt. Die einzige Straße, die von dort nach Masslkofen führte, stand teilweise hüfthoch unter Wasser.
Ein Wahnsinn diese Wassermassen. Sie schwappten herein bis zum Bründlstadl!
So faszinierend der Anblick dieser Seenlandschaft aber auch war, es gab da etwas, was ein paar Masslkofener Schulbuben überhaupt nicht gern sahen.
Schon früh um halb acht, standen der Scheiferl, der Schosl, der Weige und der Fritzl, vorne am Bick-Eck und mussten mit immer länger werdenden Gesichtern mit ansehen, wie ein paar ihrer Mitschüler, diese Krahburger Glückspilze, in einer „Plättn“ zur Schule gerudert wurden.
Und mittags, da ging die Fuhre auch noch zurück!
Nein, es war einfach nicht zu fassen!
„De Bauerngloifen de blödn!“
Zweimal am Tag durften die Schifferl fahren und sie, - sie schauten mit dem Ofenrohr ins Gebirge.
Und diese Ungerechtigkeit, - die tat weh. Jawohl, die schrie geradewegs zum Himmel.
So gern auch der Scheiferl ein Masslkofener war, an solchen Tagen, da hätte er glatt mit denen getauscht. Jawohl, da wäre er sogar freiwillig ein Krahburger geworden.
Freilich nicht für immer!
„Na, na, des af gar keinen Fall! Blos so lang bis s’Hochwasser weg is, owa koan Tog länger!“
Da aber - wie wohl mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen ist-, die örtlichen Statuten einer vorübergehenden Ausbürgerung des Masslkofener Gemeindemitglieds Alfons Scheiflberger massiv im Wege gestanden wären, blieb ihm die Fahrt mit der Plättn verwehrt.
Doch so schwer diese Gewissheit auch zu verkraften war, heuer, da schien dieses Hochwasser auch für das frustrierte Leidensquartett etwas übrig zu haben.
Und zwar, - etwas unglaublich Gigantisches!
Hatte doch der Artmannbauer, der zu dieser frühen Morgenstunde mit den Vieren vorne am Bick-Eck stand, angesichts eines angespülten Maulwurfkadavers behauptet, dass ein einziger Maulwurfpelz vierzig Pfennige wert sein soll.
Wenigstens würde das der Rohn derzeit dafür bezahlen, meinte er.
Im ersten Moment war man sprachlos.
„Wooos, da Rohn, der vo da Gerberei, drausst in da Dinglfingerstrass? - Vierzg Pfenneng für an Scher?“
„Ja mi läckst am Osch! An sechan Hauffa Geijd für a douts Viech!“
Sofort schnappte sich der Scheiferl die angespülte Maulwurfsleiche und verstaute sie in seinem Schulranzen.
Dann dachte er an die Vielzahl der weiteren Hochwasseropfer!
„Und für a Maus?“, hakte er nach. „Kriagt ma äbba für a Maus a wos?“
„Ja, und für an Ratzn? fragte der Weige. „A sechana waar ja sogar no vui greijßa! Mindastns zehnmoi so grouß!“
„No frale“, nickte der Artmannbauer, - „a Zwanzgerl zoit der ollawei für an Ratzn. Für a Maus vielleicht blos a Zehnerl, - aber immerhin, des waar ja a ned schlächt zoit, - oda?“
Dass aber der wie ein Holzfuchs grinste, fiel dem Scheiferl zwar auf, aber er dachte sich nichts dabei, - nein, ganz im Gegenteil.
Ihm wurde direkt schwindlig, als er sich vorstellte, was in diesen Hochwasserfluten für Unsummen trieben.
Ratzn, Maulwürfe, Wühlmäuse, allesamt ersoffen!
- Mindestens hundert, eher zwoahundert! -
Beim Schosl, da wurden es noch mehr. Der stellte Hochrechnungen auf, die nahezu ins Unermessliche gingen. Mathematische Tiefflieger, wie der Fritzl, waren da glatt überfordert.
Der konnte mit dieser schier endlosen Nullenreihe rechts der „Eins“ überhaupt nichts mehr anfangen.
Aber sei’s drum, Nullen hin oder her!
Jetzt hieß es Ruhe bewahren und vor allem, - s‘Maul halten.
Kein Sterbenswörtchen davon erwähnen!
Jawohl, bald sollte es vorbei sein mit den mageren Jahren.
- Schon am nächsten Nachmittag stürzten sie sich hinein in den Wohlstand! -
Bis es den vier mannhaften Pelzjägern buchstäblich die Zehennägel aufdrehte, staksten sie eine halbe Woche lang wie Watvögel durchs eiskalte Hochwasser und erarbeiteten sich dabei ein gewaltiges Vermögen.
Zwei riesengroße Einkaufstaschen voll kostbarster, pelzumhüllter Wasserleichen.
Ja, sie waren auf einen Schlag steinreiche Menschen!
Freudestrahlend schleppten sie ihre Ausbeute hinaus zur Gerberei Rohn und stellten die tropfnassen, vor Dreck strotzenden Taschen auf den Ladentisch.
Vorsichtshalber kontrollierte der Scheiferl seine Hosentaschen noch mal auf eventuelle Löcher. Alles im grünen Bereich, sie waren dicht und boten Platz für jede Menge Zaster.
…das erste, was er sich davon kaufen wird, ist ein Schubkarren voller Wundertüten
…mindestens einen Schubkarren voll…!
Ja, und dann kam der Rohn aus seiner Werkstatt.
Wortlos betrachtete er die beiden Einkaufstaschen auf seiner vormals blitzsauberen Ladentheke, und warf einen Blick hinein. Aber was für einen!
Jedenfalls hatten den die Masslkofener Pelzjäger falsch gedeutet!
„Wia vui, dass san, des wisst ma nimma Herr Rohn,– owa sie miassn‘s ja eh nomoi nochzeijn!“
Mein lieber Freund, dann ging’s aber los!
Gerbermeister Rohn schoss hinterm Ladentisch hervor, geradeso als ob er allen Vieren den Kragen umdrehen wollte.
„Ja, wos waran eijtz des? Ja, wos foidn eijtz eijch ned eij!“
„Es Wuidsäu es dreckadn“, brüllte er!
„Schauts bloß, dass mit dem stingadn Viechzeigs abhauts, owa a bissl dalli!“
Ja, was war denn jetzt los?
Die Pelzjäger verstanden die Welt nicht mehr!
Mit so einer Reaktion hatten sie niemals gerechnet. – Ja, niamois, im Lem ned!
Vielmehr dachten sie, er würde ihnen die kostbare „Felltiersammlung“ geradezu aus der Hand reißen.
„Owa da Artmann hod gsagt“ …
Gerbermeister Rohn riss die Ladentür auf, - „An sechan Dreg einamocha, - raus, owa schneij!!“
… „owa da Artmannbaua“… stammelte der Scheiferl… „mia kriang doch…“
„Ausse sog e!“
… „vierzg Pfenneng für an Scher, - hod a gsagt!“
„An Dreg kriagts, - ausse! - Werds glei, oda soll e eijch Haxn mocha!“
Und schon standen sie mit ihren Einkaufstaschen im Freien.
„O meij, o meij“, so eine Enttäuschung!
„De ganze Drecksarbat,- oiss für d’ Katz g’wen!“
Der große Traum von Reichtum und ganzen Schubkarren voller Waffelbruch, - zerplatzt wie eine Seifenblase.
Freilich hätte der Rohn seinerzeit Pelze gekauft, aber nur die von Maulwürfen und das auch nur unter der Voraussetzung, dass man sie den Viechern vorher über die Ohren zog.
Und so blieb den enttäuschten Pelzjägern nichts Anderes übrig, als sich zentnerschweren Herzens vom erhofften Wohlstand zu verabschieden.
- Er füllte drüben beim „Huaba-Schneider“ die halbe Aschentonne. -
Na ja, wer weiß wofür es gut war, dass damals aus dem Reichtum nichts wurde. Obwohl der Scheiferl nichts dagegen gehabt hätte. - Nein, überhaupt nichts.
Es war schon eine großartige Sache, als er sich durch Schosl’s Nullenreihe rechts der Eins, für kurze Zeit wie „Dagobert Duck“ fühlen durfte.
Aber mit, oder ohne Quadrillionen, das Leben ging weiter.
Ja, sogar für die so arg verprellten Masslkofener Pelzjäger, die blieben, was sie schon immer waren, - „arme Deifen“!
Übrigens, dem Artmannbauern, dem haben sie kein Wort mehr geglaubt, der war und blieb für sie einer der größten Spitzbuben, die seinerzeit in Niederbayern herumliefen.
Vorheriger TitelNächster Titel
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Helmut Hartl).
Der Beitrag wurde von Helmut Hartl auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.02.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Helmut Hartl als Lieblingsautor markieren
An schean Tog
von Franz Supersberger
Eine gewisse Schwermut durchzieht wie ein roter Faden die Gedichte von Franz Supersberger. Verwurzelt im Land Kärnten, schreibt er über Tradition, Alltag, Einsamkeit, Sein und Schein in seiner Umgebung. Die Gedichte enden bisweilen unerwartet lapidar. Eurojournal
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: