Horst Lux

Konferenz der Ewigen

 

War es Nacht, als sie sich trafen? Dunkelheit, mattiertes Dunkel mit kobaltblauem Samt ausgeschlagen, silberne Sterne als Dekoration. Dieses Ausmaß an Dunkelheit hatte die Welt noch nicht gesehen. Eine konkav gewölbte, unendliche Nacht. G’tt war lange vor ihm da. Unendlich lange wartete er schon. Äonen waren bisher vergangen. Jahrmillionen dauerte es, bis dieses Treffen zustande kam. Ewigkeiten, nachdem er den Menschen aus dem unendlichen Chaos geschaffen hatte, wartete G’tt schon. Auf ihn, den Gegenspieler. Den Gefallenen. 

  Die Sterne dämpften jäh ihr Licht. Dann kam er. Diabolos. Mit einem Lächeln betrat er die Bühne des Geschehens. »Ich grüße dich, Herr.«
Er war klein, viel kleiner, als jemals ein Mensch es sich vorgestellt hätte. Und er sprach mit leiser Stimme, fast tonlos aber durchaus vernehmbar und gewiss nicht zu überhören. »Du wartest auf mich, Herr?«

       G’tt sah ihn an. Lange. Und durchdringend. Amethystfarbenen Augen, die bis tief in das Innere des Herzens sehen. »Er nennt mich Herr? Er, der Abtrünnige?« G’tt sprach zu ihm wie zu einer dritten Person. Dann wieder, als Feststellung: »Er nennt mich Herr!« Schließlich eindringlicher, fordernder:
»Es ist an der Zeit, dass wir über den Menschen sprechen. Dringend. « 

»Dein Geschöpf, Herr, es ist dein Geschöpf.« Diabolos verzog lächelnd die Mundwinkel. »Was soll ich dabei? Bin ich Du, Herr? «

  Er trat einen Schritt näher. »Du wirst nicht mehr mit ihm fertig, habe ich recht? Er wächst dir über den Kopf, nein, viel schlimmer noch: Er hört nicht mehr auf dich!« Diabolos legte seinen Kopf auf die Seite und sah zu G’tt auf. »Noch schlimmer. Er sucht sich andere Götter. Mich zum Beispiel sieht er als die Person an, die er anbetet. Und dazu dann noch eine ganze Anzahl von Nebengöttern, temporäre Götter sozusagen.«

       G’tt zog die Stirn kraus und sah ihn fragend an, dann streckte er seinen Zeigefinger Diabolos entgegen und sagte voller Zorn: »Dich? Dich betet er an? Wer bist du denn? Ein gestürzter, unwürdiger Engel, nicht wert, an meinem Werk teilzuhaben!«

»Mag sein.« Diabolos lachte laut auf. Das Dunkel erzitterte bei diesem Lachen, das Blau veränderte sich kurzzeitig zu tiefem Schwarz. »Ich widerspreche dir ja nicht, Herr. Aber dein Geschöpf ist nicht mehr das Geschöpf, dass du einmal schufst. Dein großer Geist Goethe sagt es doch treffend: ...die Not ist groß, die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht mehr los! Du hast deine Entscheidung einmal rückgängig gemacht, damals mit der Sintflut.« Er machte mit den Armen eine weitausholende Geste. »Aber dann machtest du den größten Fehler deiner Geschichte: Du setztest deinen Regenbogen in die Wolken und gabst ihm ein Versprechen. Und nun? «

  Diabolos Stimme glich dem Rauschen des nächtlichen Windes. »Hat sich auch nur eine Kleinigkeit geändert, ist auch nur ein winziger Charakterzug deines Geschöpfes anders geworden? Nein! Das absolute Gegenteil ist eingetreten. Er tötet den Bruder, er foltert den Nachbarn, er vergewaltigt den Mitmenschen. Immer noch. Und immer wieder und immer wieder und immer mehr!« Die rauschende Stimme verwandelte sich bei diesen Worten in ein Tosen. »Gib doch zu, dass ich Recht habe, gib es zu, Herr.« 

  G’tt war bei diesen Worten Diabolos zusammengezuckt, er schaute hinauf zu den Wolkengebilden, die in der unendlichen Weite der blauen Nacht dahinzogen. Dann sagte er leise: »Aber er liebt doch auch. Den Bruder, den Nachbarn. Er liebt seinen Mitmenschen. Ich weiß es. Das kann doch nicht alles Heuchelei sein. In Notlagen, diese Hilfsbereitschaft, ebenso bei Katastrophen, das sind doch reale Tatsachen.«  G’tt streckte seine linke Hand himmelwärts. Seine Stimme zitterte: »Das kannst selbst du nicht abstreiten.«

Diabolos schaute nachdenklich zu Boden. »Gewiss, das gibt es. Doch warum tut er das? Das macht der Mensch nur, damit er das schlechte Gewissen, das du, Herr, ihn mit deinen Geboten gelehrt hast, nicht immer mit sich herumträgt. Damit er behaupten kann, dass er gut sei.« 
Er lachte erneut. »Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Welch ein Schwachsinn steckt in diesem Dichterwort. Ich kenne die Wahrheit besser als du, Herr, ich kenne die geheimsten Wünsche und Lüste deines Geschöpfes! Ich, Diabolos, habe von Beginn der menschlichen Zeiten an mit seinem Herzen gespielt!« 

  G’tt sah seinen Gegenpart gedankenvoll an: »Das würde bedeuten, der größte Feind des Menschen ist der Mensch. Er selbst bekämpft sich, tötet sich, tut sich all die schrecklichen Dinge an!«
»Oh, der große Herr hat sich endlich meine Wahrheit zu eigen gemacht.« Diabolos lachte, es klang ein wenig höhnisch. »Aber das Schönste kommt ja noch erst, alle Kriege, alle großen Katastrophen, Hunger und Elend, alles Schreckliche schiebt er doch dir, Herr, in die Schuhe!« 
Er schüttelte sich vor Lachen, der Wald erbebte. »Bist du immer noch nicht wach? Deine schöpferische Atempause dauert ein wenig lange, meinst du nicht auch?«

Diabolos Lachen dröhnte durch die nächtliche Welt. »Warum lässt Gott all das Böse geschehen,« so fragen sie ständig, »warum tut er nichts, damit es anders wird?« Er trat einen Schritt näher. »Diese scheinheiligen Fragen müssten doch selbst dich erreichen! Diese Gebete mit schwülstigen Phrasen liebst du doch, Herr. Du willst, dass er dich anbetet! Ich habe fast das Gefühl, du bist wie er - oder ist er wie du?« Er schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Natürlich. Wie heißt es in deinen seltsamen Schriften? ... sich zum Bilde schuf er ihn! Nun? Was sagst du dazu?«

  G’tt drehte sich von seinem Gegenspieler weg, ein Beben seiner Schultern ließ die innere Erregung erahnen, die in ihm vorging. »Nein«, sagte er dann leise, »nein, das war nicht meine Absicht. Ich habe nur Regeln aufgestellt für ein Zusammenleben dieser Menschengeschöpfe, meine Gebote!«

  »Ja, ja«, unterbrach ihn Diabolos, »aber du ließest ihnen die Freiheit, selber zu entscheiden! Und das war dein Fehler, sieh das doch endlich ein! Du selbst gibst dem Menschen sein Schicksal in die Hand. Du machst aus einem unmündigen Geschöpf ein Wesen, das selbst entscheiden kann.«

       G’tt flüsterte nun: »Ich wollte, dass er mich liebt. Nichts weiter. Nicht mehr. Aber er liebt nur sich!« Er fasste das Blau der Nacht mit seiner Hand und ließ es durch die Finger gleiten. »Wird er sein eigener Schöpfer? Erhebt er sich nun auch noch dazu?«

  Diabolos nickte wortlos, dann wies er mit der Hand in die fernen Weiten der blauen Nacht: »Wenn du nicht eingreifst, Herr! Er kopiert sich jetzt selbst. Er schafft sich sein persönliches Ersatzteillager, um endlich irgendwann das ewige Leben genießen zu können. Ein bisschen anders, Herr, als du das ewige Leben gedacht hast, nicht?« 

  G’tt sah ihn lange an, seine Augen waren glanzlos geworden, sein großer Geist müde von der Erkenntnis, dass der Andere Recht hatte. »Und dich? Dich erkennt er an? Wie nennt er dich? Satan? Teufel? Mephisto? Shaitan?«  Erregt schritt er ohne Pause hin und her. Seine Stimme bebte voller Zorn. »Sprich!«
Diabolos sah gelassen und ruhig in die unendliche Weite des nun sternlosen Himmels hinauf. »Ach Herr, es gibt so viele Namen für das Böse, das weißt du genau, Herr: Ob Luzifer oder Ahriman oder Diavolo. Und es gibt so viele Orte, wo das Böse lauert: die Hölle, das Inferno, die Unterwelt, der Tartaros, die Nacht, der Friedhof, das Land der Feinde, der Nachbar jenseits des Zaunes. Der Mensch nebenan im Zimmer!«

  G’tt hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, um diese langen Aufzählungen nicht mehr hören zu müssen. Aber es musste sein, er konnte den Worten Diabolos nicht ausweichen, der nun weitersprach: »Dabei weiß und fühlt er genau, wie das Böse heißt und wo es wohnt: In ihm selbst!«

       Diabolos Worte wurden lauter, tönten weit durch die Nacht und G’tt hörte verzweifelt zu. »Aber er kann diesen Gedanken nicht ertragen, ohne zu verzweifeln. Entweder sieht er sich als schuldlos oder als verdammt. Der Mensch, dein tolles Geschöpf kann die Wahrheit nicht aushalten: Dass er gut ist u n d dass er böse ist. Und dass jeder Augenblick seine eigene Entscheidung verlangt. Eine Entscheidung, die ihm niemand abnehmen kann. Kein Gott und kein Teufel. Er selbst ist sein eigener Satan, nur er will es nicht wahrhaben!«

  G’tt schwieg lange, sehr, sehr lange. Dann sagte er leise, fast zärtlich zu einem imaginären Dritten: »Ihr betet Satan an. Ihr betet die Macht und das Geld an. Ihr betet irgendwelche Stars an. Und merkt nicht, dass ihr EUCH selber anbetet!« Seine Stimme steigerte sich zu einem Donnergrollen durch die blauen Ewigkeiten, das ganze Universum erzitterte von diesem Klang! Diabolos war verschwunden, aufgelöst in eine unwirkliche Ewigkeit, verflüchtigt in die Gedankenwelten der Menschensphäre. Ein Schatten, jederzeit bereit zur Wiederkehr, bereit, sich immer von neuem anbeten zu lassen! G’tt aber befand sich dort in den Weiten der dunkelvioletten Himmelsillusion, seine Stimme tönte noch lange nach, von tausendfachem Echo wiederholt:

»Ich bin der, der ich bin, euer G’tt. Es ist Zeit, erwachsen zu werden, meine Kinder, höchste Zeit...«

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.02.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Es wurde sehr viel geschrieben über jene Jahre der unseligen Diktatur eines wahnwitzigen Politikers, der glaubte, den Menschen das Heil zu bringen. Das meiste davon beschreibt diese Zeit aus zweiter Hand! Ich war dabei, ungeschminkt und nicht vorher »gecasted«. Es ist ein Lebensabschnitt eines grünen Jahzehnts aus zeitlicher Entfernung gesehen, ein kritischer Rückblick, naturgemäß nicht immer objektiv. Dabei gab es Begegnungen mit Menschen, die mein Leben beeinflussten, positiv wie auch negativ. All das zusammen ist ein Konglomerat von Gefühlen, die mein frühes Jugendleben ausmachten. Ich will versuchen, diese Erlebnisse in verschiedenen Episoden wiederzugeben.

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