Karl Wiener

Was ist künstliche Intelligenz?

Zunächst ist „KI“ nur eine Abkürzung, genau wie „IT“. Bedeutung erlangt eine Abkürzung erst durch Interpretation. „IT“ könnte „Idiotentest“ bedeuten, soll aber „Informationstechnik“ heißen. Was also bedeutet „KI“?

Landläufig steht „KI“ für „künstliche Intelligenz“. Um die Richtigkeit dieser Interpretation beurteilen zu können, muß man zunächst den Begriff Intelligenz definieren. Ich will weder mit Hirnforschern noch mit Psychologen oder Philosophen konkurrieren. Physikalische oder chemische Reaktionen im Hirn überlasse ich den Spezialisten. Ich beschränke mich auf die Intelligenz als Fähigkeit lebender Organismen, selbstbestimmt zu handeln, im Unterschied zu Maschinen, die fremdbestimmt funktionieren. Intelligenz befähigt Individuen, auf gleiche äußere Gegebenheiten unterschiedlich zu reagieren.

Bereits Mitte des vorigen Jahrhunderts versuchten wir den Zeitaufwand für die Lösung ingenieurtechnischer Aufgaben mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung zu minimieren. Kollegen, die der Rechentechnik fernstanden, hatten wohl schon damals die Vorstellung, daß der Rechner eine Art Intelligenz besitzt. Das zeigte sich in dem blinden Vertrauen, das sie in die Rechenergebnisse setzten, während wir eventuelle Fehler in unseren Programmen nicht ausschlossen und den Rechner lediglich als „Geschwindigkeitstrottel“ betrachteten.

Die Technik der Datenverarbeitung hat sich seither enorm entwickelt. Größere Datenmengen können auf kleineren Speichermedien hinterlegt und mit schnellerem Zugriff abgerufen und verarbeitet werden. Doch auch heute löst der Rechner nur die Aufgaben, für die er programmiert ist. Warum auch sollte das binäre Zahlensystem, das Grundlage der elektronischen Rechentechnik ist, plötzlich anfangen selbständig zu denken, während dies dem Dezimalsystem seit Adam Riese nicht gelungen ist?

Die Schaffung einer künstlichen Intelligenz ist seit jeher ein Menschheitstraum. Schon im Altertum glaubte man an die Möglichkeit, einen Homunkulus aus Lehm zu formen. Alte orientalische Märchen träumen von einem Flaschengeist, der alle Wünsche des Flaschenbesitzers erfüllt. Aber das sind eben nur Märchen.

Wie jede Maschine Kann der Computer die Arbeit auf vielen Gebieten erleichtern. Durch Verknüpfung mit Sensoren, Arbeitsmaschinen und Werkzeugen können Rechner komplizierte Verrichtungen steuern. Diese Roboter sind zum Beispiel in der Lage, Autos zu montieren, Fahrzeuge zu lenken oder medizinische Operationen durchzuführen, wenn sie dafür programmiert sind. Sie können unter Umständen sogar feinfühliger und präziser funktionieren als der Chirurg. Selbstbestimmt handeln können sie nicht. So gesehen gebraucht ein Schimpanse, der sich einen Zweig sucht, um Rosinen aus dem Kuchen zu puhlen, mehr Intelligenz als ein Roboter für die Ausführung vorprogrammierter Befehle.

Neuerdings wird auch über die Möglichkeiten diskutiert, mit Hilfe des Computers Gedichte und Romane zu schreiben. Man speichert umfangreiche Literaturdateien. Im Bedarfsfall wird dann nach Themenvorgabe oder Stichworten aus dem gespeicherten Wortschatz automatisch neuer Lesestoff zusammengestellt. Wenn zum Beispiel ein Kleinkind, das noch nicht in der Lage ist, sich den Hintern zu putzen, bla-bla in das Smartphone brabbelt oder mit seinen kleinen Fingern braune Spuren auf der Benutzeroberfläche hinterläßt, entsteht aus abgespeicherten Satzfetzen ein Gedicht. Aber ist nicht alles, was so ein kleiner Mensch von sich gibt, ein Gedicht?

Unlängst erhielt ich aus den USA einen Brief, in dem mir der Alltag einer befreundeten Familie geschildert wurde. Der Absender ist der deutschen Sprache nicht mächtig und wollte mir das Lesen erleichtern indem er seinen Text vom Computer übersetzen ließ. Beim Lesen wurde ich stutzig. Plötzlich sprangen junge Ziegen im Text herum. Da bekannt ist, daß in den USA kleine Kinder als Geißlein bezeichnet werden, konnte ich den Text deuten. Woher soll aber der Automat wissen, ob im konkreten Fall mit „kids“ die sieben Geißlein oder Kinder gemeint sind. Gewiß, man kann ihm beibringen, aus dem Zusammenhang Schlüsse zu ziehen. Wenn die Geißlein auf dem Spielplatz oder in der Schule herumspringen, dann handelt es sich wahrscheinlich um Kinder. Was aber, wenn der Tummelplatz der Geißlein eine Wiese ist?

Häufig wird von einer Bedrohung der Welt durch außer Kontrolle geratene Roboter gesprochen. Man befürchtet, daß künstliche Intelligenz nicht den vorgegebenen Programmen folgen sondern sich eigene Algorithmen schaffen könnte. Natürlich können durch unkorrekte Programmierung oder falsche Datenerfassung Fehlfunktionen entstehen. Doch eher als in marodierenden Robotern sehe ich die Bedrohung durch künstliche Intelligenz darin, daß die Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln verlorengeht und eine andere Affenart den Menschen zu ihrem Nutzen domestiziert.

Nach reiflicher Überlegung komme ich zu folgender Deutung des Begriffs „KI“:

KI gleicht dem künstlichen Bein,

das befähigt zu gehen,

ohne Bein zu sein.

 

Abschließend möchte ich noch den Hirnforscher, Herrn Prof. Hüther, zitieren:

Kinder und Jugendliche müssen Gelegenheit haben, die Erfahrung zu machen, wie toll es ist, wenn man etwas, das man vorhat, selbst plant, gut durchdenkt und es dann auch erfolgreich ausführt. Was wir uns alle wünschen ist, daß die Schule ein Ort wird, wo Kinder die entscheidenden Erfahrungen machen, die ihnen helfen, all die Kompetenzen, die exekutiven Frontalhirnfunktionen, in ihrem Hirn auszubilden und die Fähigkeiten zu erwerben, die sie brauchen, damit sie später in unterschiedlichsten Lebenssituationen Gestalter sein können und nicht zum Opfer der Verhältnisse werden. Das ist das Grundbedürfnis eines jeden Kindes. Es möchte nicht nur ausführen, was andere ihm sagen, sondern es möchte selbst gestalten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.02.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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