Wenn man so uralt ist, wie ich es bin, erscheinen die Jahre letztlich wie Wochen. Ich habe keine Ahnung, woran das liegt, kann sein, dass man zu viel sieht, hört und erlebt. Wen und was habe ich nicht alles in meinem Leben kennengelernt! Es ist unwahrscheinlich, dass man das alles im Gedächtnis behalten kann. Im Auf und Ab der Zeiten gibt es immer wieder Höhepunkte und auch Niederlagen, davon kann sich niemand freisprechen.
Gut, ich stehe jetzt seit 1809 hier an diesem Platz in der halbsteilen schmalen Gasse, die Unterstadt und Oberstadt miteinander verbindet. Hier kamen in den früheren Jahrhunderten die Transporte auf der Alten Salzstraße vorbei, die von Lüneburg zur Hansestadt Lübeck führte. Es herrschte hier seinerzeit ein reger Verkehr, Salz war eben die beliebteste Ware im ganzen Reich.
So lief das Leben jahrein, jahraus. Dann kam das große »völkische tausendjährige Reich«, alles bekam nun eine andere Bedeutung. Die Nachkommen der Familie Avram und Rebecca Rosenbaum, seit rund 150 Jahren schon hier in der Stadt daheim, bekamen die Veränderung als erste zu spüren.
Sie hatten in diesem kleinen »Städel« gelebt, und gearbeitet, waren als Mitbürger geachtet, dann für ihr Vaterland im Jahre 1914 in den Krieg gezogen. Sie lebten ihr Leben nach ihrem Glauben; liebten und erzogen ihre Kinder zu guten Menschen und sie starben danach im Glauben an den G’tt ihrer Väter - so wie jeder andere Mensch in der kleinen Stadt.
Dann eines Nachts wurden sie einfach aus ihrem Heim vertrieben, sie mussten es verlassen ohne jede Habe, wie einst Adam und Eva das Paradies. Und niemand in der kleinen Stadt wusste später, wohin die Familie Rosenbaum gezogen war. Und um bei der Wahrheit zu bleiben: Es interessierte auch keinen Menschen, weil sie alle nur mit sich selbst zu tun hatten!
Hier stehe ich nun seit 1809. Die Familie blieb verschollen, bis heute. Auch an das »Stammhaus der Rosenbaums« erinnert nichts mehr, da die späteren Besitzer mich mehrfach renovierten. Halt, das stimmt nicht ganz! Ganz oben nämlich, an meinem Giebel findest du noch ein Zeichen meiner jüdischen Herkunft: Ein Giebelfenster mit einem Rahmen, der dem Davidsstern entspricht. Diese Geschichte ist fiktiv. Aber sie hätte so geschehen können. Dieses Haus steht immer noch an seinem Platz, mit dem bewussten Davidsstern
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.02.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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Jahre wie Nebel: Ein grünes Jahrzehnt in dunkler Zeit
von Horst Lux
Es wurde sehr viel geschrieben über jene Jahre der unseligen Diktatur eines wahnwitzigen Politikers, der glaubte, den Menschen das Heil zu bringen. Das meiste davon beschreibt diese Zeit aus zweiter Hand! Ich war dabei, ungeschminkt und nicht vorher »gecasted«. Es ist ein Lebensabschnitt eines grünen Jahzehnts aus zeitlicher Entfernung gesehen, ein kritischer Rückblick, naturgemäß nicht immer objektiv. Dabei gab es Begegnungen mit Menschen, die mein Leben beeinflussten, positiv wie auch negativ. All das zusammen ist ein Konglomerat von Gefühlen, die mein frühes Jugendleben ausmachten. Ich will versuchen, diese Erlebnisse in verschiedenen Episoden wiederzugeben.
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