Angelika Güth

Das ist doch nicht normal

Eine Aufgabe aus der „Kreativen Schreibwerkstatt“

Das ist doch nicht normal

Während ich mich „schlau mache“, was unter dem Wort NORMAL so alles zu finden ist, kann ich mich nur wundern. Ja wirklich. Und ich finde, ganz besonders technisch schön, das  Normal-Maß, oder Masse-Normale aus korrosionsbeständigem Stahl mit unterschiedlichen Kilogramm-Nennwerten oder aus Platin-Iridium als 1-kg-Normale.

Ich liebe solche Wortschöpfungen. Und, da finde ich sogar eine Stadt in Illinois, die Normal heißt. Ich frage mich aber inzwischen auch, wer legt in unserer Gesellschaft fest, was – so ganz allgemein - als Normal zu gelten hat? Das Normal-Gewicht oder die Normal-Größe zum Beispiel. Zwei Begriffe, die die Gesellschaft festlegt, oder sagen wir mal „Teile der Gesellschaft“, die auf androgyne Typen auf Laufstegen steht, also das verordnete Normal-Aussehen sozusagen. Überhaupt, die Masse der Gesellschaft (da haben wir es wieder) legt so Einiges fest, was zur Zeit normal sein muss, sollte und benutzt das Wort „normal“ unterschiedlich. Unsere Gesellschaft formt und legt damit ihren ganz persönlichen „Normal-Begriff“ fest, sehr bedenklich, finde ich.

Nun frage ich Sie aber - und  schon mal vorweg gesagt - ich bin nicht ausländerfeindlich - sind Farbige, Roma, Islamisten, Obdachlose, Homosexuelle, Heterosexuelle nun nach der aktuellen gesellschaftlichen Eingruppierung  normal oder nicht normal ? Mein Inneres schreit, Glatteis….

Genau, da haben wir es. Es gibt offensichtlich als Dauerzustand nichts wirklich Normales / Un-Normales per definitionem. Alles ist eine Frage der Einstellung, und der Meinungsbildung der Masse.

Selbstreflektion?  WAS IST DAS DENN?

Aber nochmal, und ich kaue jetzt sehr nachdrücklich auf dem Begriff herum, was heißt das nun, das Vieles nicht normal ist? Und da fällt mir doch Einiges aus Gesellschaft und Politik ein, und, entschuldigt bitte, da bin ich jetzt mal so richtig polemisch.

Zum Beispiel. Erinnern Sie sich noch?  ? Das UnWort „Schweinegrippe“ von 2009.  Hier bestimmte offensichtlich der Staat ohne Scheu und Scham, dass es zwingend notwendig und normal sei, sich gegen Schweinegrippe (oder war es Corona?) impfen zu lassen. Dass Falschaussagen, Mogeleien, Absprachen mit der Pharmaindustrie öffentlich wurden, könnte man als unnormal bezeichnen, wenn es nicht inzwischen so normal wäre. „Durchstiche“ nennt man das in der Politik heute. Auch sehr kreativ.

Die Wirtschaft und der Staat finden es immer noch normal, dass Menschen spätestens mit 50 Jahren kein Arbeitsplatz mehr zugemutet werden kann. Ja, Sie hören richtig, da lässt doch das „alte Eisen“ grüßen.

Aber bevor ich jetzt immer ärgerlicher werde, könnte es auch sein, dass der Staat Vieles als normal „vorschreibt“? Und wäre das jetzt normal oder nicht normal? Sie sehen, auch jetzt noch, mehr Fragen als Antworten.

Ich jedenfalls bin davon überzeugt, dass, wenn ich aufpasse, kritisch denken kann, reflektiere, dies und das für mich sogar in Frage stelle, es für mich immer klar ist, was normal und nicht normal ist, oder noch nicht? Ja, ja da ist Selbstreflektion gefragt.

Und das Ende des Gedanken-Reigens: Ich erkenne ich für mich, ich bestimme, was ich normal finde, basta. Und jetzt setz ich noch eine normale / nicht normale Geschichte drauf:

Awita (auch als eigene Erzählung in meiner Sammlung)

Awita geht nicht mehr aus dem Haus. Sie liebt nur noch die Traumwelten der Telenovela im NDR, nachmittags um viertel nach Vier. Zigaretten, Wodka und die süßen Feigen aus der Dose kauft sie per Homeshopping. Überhaupt, die Welt außerhalb der Wohnung ist Awita fremd geworden. Die da draußen braucht sie nicht mehr, denn hier, in ihrem plüschigen altrosa Wohnzimmer, auf ihrem biedermeiergrünen Diwan liegend und nur mit einem burgunderroten Satinmorgenmantel von Tchibo bekleidet, nur hier lebt sie ihre „tele-novelischen“ Träume von Liebe, Verrat, Betrug und Versöhnung.

Und sie ist zufrieden mit sich und der Welt, denn das glückliche Ende jeder Telenovela ist so schön, dass es ihr Tränen der Rührung in die Augen treibt. Dann seufzt sie tief und lang, zieht ein Kosmetiktüchlein aus dem Aldi-Karton und tupft über ihre Augen, ganz vorsichtig, dass die Wimperntuche nicht verwischt. Wenn die Tränen versiegt sind, seufzt sie wohlig. Beherzt und kraftvoll spießt sie mit dem giftig grünen Cocktailspieß eine neue Zuckerfeige auf, schnappt mit ihren beerenroten Glitzerlippen zu, zieht den Spieß genüßlich über die glänzende rosa Zunge und beißt wollüstig in die Feige. Mit einem großen Schluck Smirnow-Wodka spült sie sie hinunter. Ihr Satinmorgenmantel raschelt verführerisch wenn sie sich über das lila Lacktischchen von Ikea beugt, nach einer Slim Line-Zigarette greift und einen Hauch ihrer wohlgeformten Marzipanschenkel zeigt. Der Höhepunkt ihres Abends aber sind „Die Golden Girls“, und wenn die Wodkaflasche leer ist, geht ein erfüllter Tag in Awitas Leben zu Ende.

Sie lebt das wahre Leben, das weiß sie.

Und da ist es wieder, ein ewiges Dilemma, heute normal oder nicht normal?

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.02.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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