Helmut Hartl

der überforderte Namensanalytiker

Es war in den letzten Monaten seines, relativ rechtschaffenen Kindergartendaseins, als der Scheiferl eines schönen Tages anfing, über seine Nachbarn nachzudenken.

Vor allem über jene, deren Namen sich, seiner Meinung nach, komisch anhörten.

Schon hier im Gerstl-Haus, nur ein Stockwerk unter ihm, wohnten die Hennewald‘s.

Dann, drüben im ehemaligen Hebammenhaus, die Familie Würstlein.

Ein paar Schritte weiter, im alten Buchner Haus, wohnte ein Preiß namens Willibald Hupfauf und vorne am Postberg eine alteingesessene Hutmacherin, die Frau Schreivogel. 

Auch die Ganserer‘s, droben in der Pfarrgasse, sollten nicht unerwähnt bleiben.

Und ebenso die kugelrunde Lichtgeldkassiererin Helene Hiergeist, auch „Masslkofener Tagblatt“ genannt, deren hochgradig abstehendes Ohrwaschlpaar, für Scheiferls Dafürhalten, viel besser zum Bierbrauer Hasenöhrl gepasst hätten.

Ja, und nicht zu vergessen, dieser weißhaarige, alte Herr, der gleich nebenan, in dem großen, ockergelb geweißelten Haus mit den grünen, etwas schief in den Angeln hängenden Fensterläden, am Viehmarktplatz 10 wohnte.

Dieser Nachbar hieß „Regierungsrat“.

Und die Leute sagten, das wäre ein ganz ein wichtiger Mensch, was man ihm zwar nicht ansah, aber stimmen musste, weil der Scheiferl mit eigenen Augen gesehen hatte, dass sogar die allgewaltige Masslkofener Geistlichkeit Schreiner den Hut vor ihm lüftete.

Ja, und die Leute hatten recht. Dieser Nachbar war wirklich ein wichtiger Mensch.

Besonders für den Scheiferl und einem halben Dutzend anderer Nachbarskinder, weil sie ihn des Öfteren, bei seinem nachmittäglichen Spaziergang durch die Lobachauen begleiten durften. 

Ein Weg, der sich durchaus lohnte, weil sie haargenau wussten, dass in einer der beiden abgewetzten Seitentaschen seiner dunkelblauen Anzugjacke eine Rolle saurer Drops steckt, die er, überwältigt von wahren Fluten treuherzigster Dackelblicke, früher oder später, an seine begierig lauernde Gefolgschaft verteilen wird.

- Der „Herr Regierungsrat“ enttäuschte sie nie. –

 

Ja, wenn da nur nicht dieser Name gewesen wäre, der ging dem Scheiferl einfach nicht mehr aus dem Kopf.

„Regierungsrat“

Das hört sich ja nach überhaupt nichts an, höchsten nach einem Radl. Aber gut dachte sich der überforderte Namensanalytiker, vielleicht macht ihm das gar nichts aus, dass er wie ein Radl hoasst .

Vielleicht ist der sogar froh darüber, dass er blos Regierungsrat und nicht Fahrrad, Dreirad oder Spinnrad heißt.

Als er schließlich, - eine unglaubliche Nervensäge, wie sie oft stöhnte -, von seiner Mutter wissen wollte, warum ausgerechnet dieser nette Herr so einen depperten Radlnamen hätte, fiel die beinah aus allen Wolken.

„Ja Bua, ja um Gotteswuin, …des is doch koa däppata Nam ned!“ „Der Nam, der hod mit am Radl nix zum toa.“  

„Ja wos glaubst an du“, zum Herrn Regierungsrat, zu dem hod ma no nia andas g’sagt.“

„Der hoaßt desweng aso“, belehrte sie ihren wissbegierigen Sprössling andachtsvollen Blickes, weil er einmal „ein ganz ein houhs Viech“ gewesen sei, das droben in Landshut saß.

…so, so, - der Herr Regierungsrat ein Viech, - ein ganz ein hohes Viech in Landshut…? 

Der Scheiferl war irritiert, weil er erstens keine Ahnung von der niederbayrischen Regierungshauptstadt Landshut hatte, und zweitens, stellte sich der Kindergartler unter einem „hohen Viech“ etwas ganz Anderes vor als das, was seine Mutter damit gemeint hatte.

Etwa ein Rindviech, oder ein Pferd. Oder ein noch höheres Viech, - einen Giraffen.

Und da es der Scheiferl damals, im Sinne der gut nachbarschaftlichen Beziehung vorzog, den großzügigen Drops-Lieferanten nicht mit „hohes Viech“ oder ähnlich animalischen Varianten anzureden, blieb er eben beim „Herrn Regierungsrat“.

 

Und daran hätte sich auch sicherlich nichts geändert, wenn nicht hier im Gerstlhaus, in das leerstehende Zimmer der sangesfreudigen „Frein Theres“, die mittlerweile bei ihrer Schwester wohnte, wieder ein Fräulein eingezogen wäre, bei dem es sich zwar erneut nur um ein altes, jedoch im Gegensatz zur freundlichen Vormieterin, leider Gottes um ein ausgesprochen schlecht gelauntes Weibsbild handelte.

Auf gut niederbayrisch, um „a oide, zaundürre Zwiderwurzn“, die der Scheiferl schon nach kürzester Zeit am allerliebsten von hinten sah.

Aber nicht nur, weil sie dreinschaute wie der Leibhaftige höchstpersönlich und ihn, selbst wenn er zu ihr zweimal hintereinander Grüß Gott sagte, wie Luft behandelte, nein, er sah sie auch deshalb so gerne von hinten, weil sie ihr hundskötergraues Kopfhaar zu einem kreisrunden Geflecht gebunden hatte, das ihn immer wieder aufs Neue erheiterte.

Was da ihren Hinterkopf zieren sollte, sah für ihn aus, wie eins der verschissenen Schweiberlnester im Kuhstall vom Pangerlbauern. 

Und was den Scheiferl an dieser unfreundlichen Person nicht minder beeindruckte, das war ihr Name. 

Vielleicht war sie auch deswegen so grantig.

Dieses Fräulein hieß „Peter“! Jawohl „Peter“, - und das als „Weiberts!

 

Obwohl sie ja ihm gegenüber, als er sich wirklich nur aus reinstem Mitgefühl dazu hinreißen ließ, sie mit „Frau Peterin“ zu grüßen, was sich schon eher nach einem Weiberts anhörte, sogar behauptete, sie sei gar kein Weiberts“.

Ja, das war wirklich das Allerhöchste!

Schlagartig wich das triste Grau aus ihrem nickelbebrillten Raubvogelgesicht und sie bekam einen Kopf so rot wie ein Bibgockel.

„Wie heißt das, du Flegel, du ungezogener!“ „Frau Peterin erlaubt er sich zu sagen der Bengel,- da hört sich doch alles auf!“

„Peter heißt das, - verstanden, - P e t e r!“  

Der Scheiferl hatte echt keine Ahnung, warum sie sich darüber so aufregte. Vielleicht wollte die Peterin ja gar kein Weiberts sein. Aber da konnte ihr der Scheiferl auch nicht helfen. Sie war eins, wenn auch ein greislichs, was ihm aber wurscht war.

 

Ob Frau oder Fräulein, meinte damals sein Stiefvater, dieses grantige Weib sei nichts anderes als eine „übablieme Jungfer“, und die, - mein Gott, „do wern hoid manche im Alter so zwidern.“

Eine Information, die den Scheiferl um ein Haar in höchste Schwierigkeiten gebracht hätte, weil er es, arglos wie er war, beim nächsten Aufeinandertreffen mit einem kavaliersmäßigen „Fräulein Jungfer“ versuchte.

„Fräulein Jungfer“ schnappte nach Luft, ging auf wie eine Dampfnudl und drohte ihm an, dass er gleich ein solches Paar hinter die Löffel bekäme, dass er so was noch nicht gesehen hätte.

 

„Mein Gott, Frein Peter,- wirklich, - des hod a gsagt zo eahna?“

„Des duad ma owa eijtz furchtbar leid“, entschuldigte sich Mutter Scheiflberger, als sich die aufgebrachte Hausgenossin bei ihr darüber beschwerte.

„Na, Frein Peter, do dat e eahna scho bittn, dass a Aung zuadruckan. Er is hoid no a Kind, da Fonse. Der vosteht des no ne, dass ma sowos ne sogt.“

„Na Leut na, i sogs ja,- sechane Ausdrück. Woas’n no grod her hod der Lausbangert?”

Dabei wusste sie haargenau, wo er das herhatte.

 

Aber gut, so ungern der Scheiferl die neue Mitbewohnerin auch sah, ohne das Fräulein Peter, das, - wofür er übrigens nicht das geringste Verständnis aufbringen konnte-, ausgerechnet beim „Herrn Regierungsrat“ wie selbstverständlich aus und ein ging, hätte der Namensanalytiker möglicherweise nie erfahren, wie sein Nachbar wirklich heißt.  

Zufällig bekam er es mit, als sie sich drunten auf der Straße mit ihm unterhielt.

So, und jetzt wusste er es, - die Peterin sagte „Herr Bruder“ zu ihm!

…ah, do schau her…, dachte sich der Scheiferl, …dann hat ja sein Nachbar doch einen anderen Namen... Herr Bruder, … - no ja, … ja meij… af jeden Fall bessa als Regierungsrat…

 

Als ihm der Herr Regierungsrat bald darauf über den Weg lief, teilte er ihm sein neuestes Wissen mit.

„Grüß Gott, Herr Bruder“, rief der Scheiferl schon von weitem und nickte ihm in demütigster Unterwürfigkeit zu.

Der derart Hofierte blieb einige Augenblicke stehen, erwiderte wie sonst auch, „Grüß Gott Kind“ und ging kopfschüttelnd weiter.

Und beim nächsten Mal wieder, - „Grüß Gott Herr Bruder!“

Doch diesmal grüßte er nicht zurück. 

„Komm mal her Kind“, - der Herr Regierungsrat winkte ihn zu sich.

„So Kind“, sagte er, „und jetzt erzählst du mir mal, wieso du mich plötzlich Herr Bruder nennst.“

„Ja meij“, offenbarte ihm der Scheiferl, „weil e des g’hert hob!“

„Wie,- wo gehört?“ wollte sein Gegenüber daraufhin wissen.

„Ja meij, weil s’Frein Peterin a Herr Bruder gsagt hod!“

 

„Ach du meine Güte, daher weht also der Wind“, seufzte daraufhin der Herr Regierungsrat, legte seine Hände auf Scheiferls Schultern und beugte sich zu ihm hinab.

„So Kind und jetzt raten wir beide einmal, warum mich dieses alte Fräulein so genannt hat.“

„Na was denkst du?“ lachte er.

Null Ahnung! Der Scheiferl zog seine Schultern hinauf bis zu den Ohrwaschln.

„Woaß ned… Herr Bruder.“

Schmunzelnd schüttelte der den Kopf, „also so was, - diese Charlotte!“

„Na Kind, dann werd‘ ich dir mal verraten, wer das ist. Dieses Fräulein, das ist ja auch meine Schwester!“

So, und jetzt stand er da der Scheiferl, in seiner ganzen Weisheit.

Ja, und dann behauptete sein Nachbar auch noch, dass auch er „Peter“ hieße!

Der Scheiferl zog ein Gesicht so lang, dass es um ein Haar aufs Trottoir aufgeschlagen wäre.

„Woooos…Peter? Und überhaupt ne Herr Bruder? Und Regierungsrat?“

„Nein Kind, auch nicht Regierungsrat!“

Jetzt kannte sich der Scheiferl überhaupt nicht mehr aus.

Ja, und das musste ihm sein Nachbar irgendwie angesehen haben, weil der daraufhin meinte, er dürfe natürlich weiterhin „Herr Regierungsrat“ zu ihm sagen.

 

Bevor sich ihre Wege trennten, schüttelte der Herr Regierungsrat noch einmal den Kopf.

Du meine Güte“, stöhnte er, „dieses Frauenzimmer mit ihrem Standesdünkel!“ 

Und schon spitzte der Scheiferl die Ohrwaschel… a neija Nam, „Standesdünkl?“

Von einem solchen hatte er noch nie gehört!

… wos kannt‘n eijtz des für oana sa?... Standesdünkl, … a Nachbar iss koana…

…vielleicht is des a Freind vo da Peterin…

…do muass i amoi Obacht gem wer des is…

Freilich war der Scheiferl mit seiner Vermutung auf dem Holzweg. 

mit diesem „Standesdünkel“ hatte sein Nachbar nichts anderes gemeint, als die krankhaft ausgeprägte Geltungssucht seiner Schwester, die ihn, seit er seinerzeit zum Regierungsrat ernannt worden war, nur noch mit „Herr Bruder“ anredete.

Ergänzend sei hier noch zu erwähnen, dass Scheiferls Suche nach diesem Standesdünkel schon nach kurzer Zeit ergebnislos im Sande verlief…

 

Es dauerte dann auch nicht mehr allzu lange bis im Gerstlhaus wieder Normalität einkehrte. Das Fräulein Peter zog hinaus in die Landschaftsstraße.

Eine Tatsache, die der Scheiferl nach all den ausgestandenen Zwistigkeiten mit größter Zufriedenheit registrierte.

… ja, und noch eins registrierte er…

Es war die Antwort auf die Frage seiner Mutter, die bei der Gelegenheit vom Herrn Regierungsrat wissen wollte, wieso seine Schwester, die ihm  ja den Haushalt führte, nicht bei ihm einziehe, da doch in seinem Haus genügend Platz wäre.

Daraufhin meinte der, dass sich dies von selbst beantworten würde, wenn sie rund um die Uhr mit so einer Beißzange auskommen müsste.

Und da konnte ihm der Scheiferl auf Grund seiner Erfahrungen nur recht geben!

 

Jawohl, es war nicht nur ein freigiebiger, sondern auch ein wahrhaft weiser Mann, - sein Nachbar, der Herr Bruder…

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.02.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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