Angelika Güth

Heile Welt, eine Schlüsselloch-Geschichte

 

 

Heile Welt

Eine Schlüsselloch-Geschichte aus der Schreibwerkstatt

Alle Namen sind fiktiv

„Gerald, Gerald, komm mal. Das ist ja nicht zu glauben. Geeerald, wo bist du denn schon wieder?“ Hanni Vogl hatte das „Murnauer Tagblatt“ vom 1. April in der Hand und konnte nicht fassen was sie da las.

Gerald putzte mal wieder die Wanderschuhe seiner Mutter. „Wo bist du schon wieder, taataa, welche Frage, wo sollte ich schon sein,  seit 20 Jahren putze ich jeden Sonntagvormittag ihre Schuhe, sie begreift es einfach nicht“. Die Stimme seiner Mutter klang inzwischen hysterisch. „Gerald, bleib ruhig, nur nicht aufregen. Wer weiß, was ihr wieder über die Leber gelaufen ist“. Er kennt seine anstrengende Mutter. Wenn nicht er, wer dann ? 2 Stufen nehmend, eilt er dann doch die steile, graue Kellertreppe hinauf.

Hanni Vogl saß im bunten Morgenmantel am holzgeschnitzten Küchentisch und hielt ihm aufgebracht das „Murnauer Tagblatt“ entgegen. „Gerald, lies, lies. Was sagst du dazu, nicht zu glauben, diese diese…. nun sag doch was“. Gerald nahm bedächtig seiner Mutter die leicht ramponierte Zeitung aus der Hand. „Die Anzeige da oben rechts, rechts Gerald“. Seine Mutter war in Rage und Gerald wusste, wenn seine Mutter Fragen und Antworten in einen Satz packt, war es ernst. „Nur die Ruhe“, dachte er, nahm seine Nickelbrille vom Küchentisch, setzte sie auf, ganz langsam und holte tief Luft. Seine Mutter hatte inzwischen hektische Flecken auf Stirn und Kinn  und trommelte mit dem Mittelfinger der rechten Hand herrisch auf die Tischplatte. Sie konnte sich nur schwer zurückhalten. Schon wollte sie Gerald wieder angehen, hielt sich aber im letzten Moment zurück.

Gerald las die Anzeige, dann lachte er laut heraus

Geschafft !

Die Liebe zu seiner Mutter war zu viel für mich.

Heute feiere ich mit Freunden eine fröhliche Scheidungsparty.

Alle sind herzlich eingeladen

Rosi

„Mama,  ich weiß nicht, was du willst. Rosi hat uns doch nicht schlecht gemacht. Dass sie jetzt mit ihren Freunden feiert, finde ich total ok. Ihr ist unser beider Art zu leben eben zu viel geworden. Und außerdem, sie hat doch während unserer Ehe weder dir noch mir geschadet, oder Mama ?“

Seine Mutter starrte ihn entrüstet an, schüttelte den Kopf und wollte gerade wieder wortreich loslegen, aber Gerald sah sie mit erhobenem Zeigefinger an und dann in beruhigendem Ton:  „Nun ja, Mama, es war halt ein Versuch mit der Rosi und der Ehe. Und es stimmt schon, oft war mir ihre aufreizend sprühende Anwesenheit zu viel. Und ja, ich hätte lieber allein geschlafen oder mit meiner Eisenbahn gespielt. Manchmal hätte ich auch lieber, wie früher, in deinem Schlafzimmer in dem großen blauen Bett gelegen. Besonders, wenn mir Rosies direkte Art, ihr Streicheln an ungewohnten Körperstellen sehr unangenehm wurde. Und ja Mama, ich habe dir nie davon erzählt, aber manchmal wusste ich wirklich nicht, wie ich mich verhalten sollte, wenn Rosi mit ihrer lila Reizwäsche vor mir tanzte. Ganz ehrlich Mama, oft war ich schon drauf und dran in dein Schlafzimmer zu flüchten. Aber du musst doch zugeben, es ist doch alles zu einem guten Ende gekommen, Mama“. Gerald sprach eindringlich und sah Hanni Vogl bittend an. „ versteh bitte, Rosi hatte ja  auch irgendwie etwas Anziehendes, manchmal. Und jetzt schau halt nicht so böse“. Gerald stockte, überlegte, was er seiner Mutter noch zugeben könnte, ohne, dass sie tagelang kein Wort mit ihm sprechen würde.  „Obwohl“, erklärte er vorsichtig, „ich hätte ihr lieber weiter nur den weichen Rücken mit duftendem Rosenöl massiert, ihr die roten Locken gewaschen und eingedreht, ihre Lackschuhe geputzt und ihre lackierten Fußnägel geschnitten, so, wie ich es bei dir immer mache, Mama. Aber sie wollte ja immer wieder diesen Sex“.

Hanni Vogl trommelte inzwischen wieder angewidert mit ihrem Mittelfinger auf die bayerische Tischplatte. „Mama, jetzt reg dich nicht mehr auf und denk daran, wir haben unsere Ruhe, alles geht wieder deinen und meinen gewohnten Gang, und das ist doch gut, oder ?

Und was die Leute denken – ich kenn ja deine Ängste – kann uns doch vollkommen egal sein“.

 

 

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