Bernhard Pappe

Die schwarze Katze


Mein Spaziergang neigte sich dem Ende entgegen. Ich hatte noch keine Lust, zum Hotel zurückzukehren, nahm daher auf der steinernen Brüstung der Uferpromenade Platz und richtete meinen Blick auf das Wasser. Der wenig imposante Sonnenuntergang war längst Vergangenheit und der Ozean hatte sich anschließend schnell in die aufkommende Dunkelheit gehüllt. Hinter mir auf der beleuchteten Uferpromenade flanierten Menschen, die den lauen Abend genossen. Die Helligkeit der Lampen verlor sich jedoch kurz hinter den aufgeschichteten Steinen der Brüstung und wurde von den Uferfelsen aufgesogen. Ich konnte das Wasser unter meinen Füßen hören. Schaumkrone um Schaumkrone, die Wellen der Flut trafen unablässig auf harten Stein. Diese Nacht sog vor mir alles Licht auf, sie verschmolz Himmel und Ozean zu einer undurchdringlichen Einheit. Den Horizont, ich nenne ihn für mich gern Weltenreißverschluss, gab es nicht mehr. Der Himmel war ohne Sterne. Gewiss, hinter mir war immer noch das Licht der Lampen, aber die vollkommene Schwärze vor mir faszinierte mich. Ich spürte etwas neben mir und drehte mich kurz nach links. Da stand eine schwarze Katze mit gelben Augen. Ihr Fell glänzte im Licht der Lampen und schien ohne jede Schattierung zu sein.
   „Wo kommst du denn her mit deinen Augen, so hell wie die Sonne und deinem Fell, so schwarz wie Ebenholz?“ flüsterte ich der Katze spontan zu.
   Mit einem kräftigen „Miau“ und erhobenen Schwanzes, der von Stolz und Erhabenheit kündete, kam sie zu mir. Ich streichelte die Katze, die mich mit ihren gelben Augen ansah und sich neben mich setzte. Nun schauten wir beide hinaus in die Dunkelheit. Vielleicht sahen ihre Katzenaugen mehr als meine menschlichen. Vielleicht war sie mal eben aus der Dunkelheit herausgesprungen, um neben mir zu landen – ein Geschöpf der Nacht. Bei dem Gedanken musste ich lächeln. Ich wollte sie noch einmal streicheln, um danach zum Hotel aufzubrechen, aber sie stand kurzerhand auf, kletterte auf meinen Schoß, rollte sich zusammen und begann zu schnurren. Eindeutig, sie bestimmte, wann ich gehen durfte; ich fügte mich, schaute weiter hinaus in die Schwärze der Nacht. Meine linke Hand lag auf ihrem kleinen Körper, den Vibrationen durchdrangen, wie die Wellen einer sanften Flut, die auf mich zurollte. Die schwarze Katze wusste alles über die Nacht, die Dunkelheit, ihre leuchtenden Augen wussten alles über das Licht, das Leben. Tiefe Tintenschwärze oder aufscheinendes Licht, alles war mit Energie angefüllt. Das Schnurren hatte aufgehört und das kleine Fellknäuel auf meinem Schoß schwang im Rhythmus eines wohlbehüteten Schlafes. Sie hatte mich als Hüter ihres Schlafes auserkoren. Wie geheimnisvoll dieses Wesen doch war, welches sich mir anvertraute und ich so selbstverständlich gewähren ließ.
   „Wie süß“, sagte plötzlich eine Frau schräg hinter mir.
   „Komm“, entgegnete eine männliche Stimme, die etwas ungehalten klang und wohl einem festen Ziel in den Lichtern dieser Nacht zustrebte.
   Der Katzenkopf hob sich, um Richtung Ozean zu blicken. Der ganze Körper kam in Bewegung, sie gähnte herzhaft und streckte sich. Ihre gelben tiefgründigen Augen schauten zu mir hinauf. Ich wollte etwas sagen, fand jedoch keine Worte. Stattdessen streichelte ich sanft über ihr Köpfchen. Sie beendete meine Verlegenheit, in dem sie auf der rechten Seite von meinem Schoß zurück auf die Steinbrüstung kletterte und sich ein paar Schritte von mir entfernte.
   „Hast du einen Namen? Verrätst du mir, wie du heißt?“ riet ich ihr hastig nach.
   Die schwarze Katze drehte sich um. Ihre gelben Augen leuchteten hell im Licht der Uferpromenade. Sie miaute in einer eindringlichen Tonlage, die fremd in meinen Ohren klang. Links von mir ließ sich ein Pärchen laut schwatzend auf der Brüstung nieder und ich war für einen Augenblick abgelenkt. Die schwarze Katze nutzte meine Unaufmerksamkeit und huschte zurück in die Nacht.
   Nach meiner Rückkehr musste ich mir auf dem Zimmer die Frage gefallen lassen, was mich denn so lange aufgehalten hätte. Es gäbe da noch die Verabredung zum Abendessen im Restaurant mit den am Morgen angekommenen Freunden. Ich zögerte und erzählte in einer Kurzversion meine Begegnung mit der schwarzen Katze.
   „Das klingt süß, du und das liebe Tierchen. Aber mache dich erst einmal für unseren Essen zurecht“, war die Antwort auf mein Erlebnis. „Wir gehen morgen Abend auf der Promenade spazieren. Vielleicht triffst du sie wieder. Katzen haben ein festes Revier und sind Gewohnheitstiere. Mag sein, dass sie sogar hier im Hotel wohnt.“
   Ein gelungenes Essen, eine sich anschließende musikalische Darbietung auf der Bühne, Plaudereien - ein angenehmer Abend zu viert. Es wurde spät und Müdigkeit kroch in mir hoch. Bevor ich zu Bett ging, trat ich noch einmal auf den Balkon hinaus. Die Schwärze der Nacht war durchsichtiger geworden. Ein schmaler Mond lugt durch die Palmenwedel. Nur wenige Sterne leisteten ihm dabei Gesellschaft. Die Wege im Hotel waren einfach zu hell erleuchtet, um viele von ihnen sehen zu können. Der Schlaf kam schnell und schickte mich hinein in eine seltsame Traumwelt, Fetzen verwirrender Handlungen, die vermeintlich zusammenhingen. In ihnen saß immer irgendwo am Rand eine Katze, die man nicht sofort bemerkte, die alles zu beobachten schien und plötzlich auf mich zukam. Die schwarze Katze, sie saß einfach so da, hatte den Schwanz über die Pfötchen gelegt und fixierte mich mit ihren neugierigen, gelben Augen.
   „Du fragest nach meinem Namen. Ich werde ihn dir verraten, Aber Vorsicht, ich trage viele Namen. Nenne mich Bastet wenn du magst oder rufe mich Marie. Nenne mich Mariko, wenn dir danach ist oder einfach nur Koneko, das Kätzchen. Namen sind im Grunde nicht wichtig. Glaube nicht, dass ich nur ein Geschöpf der Nacht sei. Die komplexe Wahrheit, die ganz einfach ist, finde selbst heraus.“ Die Gestalt der Katze löste sich nach den letzten Worten langsam, aber stetig auf. Ich fühlte mich an die Grinsekatze von Lewis Carroll erinnert.
   Am darauffolgenden Abend gingen wir auf der Uferpromenade spazieren. Die schwarze Katze zeigte sich nicht. Mag sein, weil die Dunkelheit nicht so tintenschwarz war, wie am Tag zuvor. Vielleicht saß sie auch nur irgendwo am Rand und beobachtete mit ihren großen gelben Augen die flanierenden Menschen. Vielleicht kam sie nur zu denjenigen, die von der Steinbrüstung hinaus auf den Ozean blickten und keine Furcht vor der Dunkelheit zeigten.

© BPa / 02-2023

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.02.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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