Helmut Hartl

Der Masslkofener Seelsorger

 

 

Neben den drei fundamentalsten Lehrfächern, dem Rechnen, Schreiben und dem Lesen, das, ein jedes für sich genügend Mysterien barg, um so manch bildungsgepeinigte Schülerseele vor nahezu unlösbare Probleme zu stellen, genoss in Niederbayerns Schulhäusern, auch das Dogma der Frömmigkeit einen enormen Stellenwert. 

Ein Umstand, der in der Praxis bedeutete, dass der unbedarfte Christenmensch schon als ABC-Schütze nicht umhin kam, sich mit vielschichtigen, theologischen Lehren auseinanderzusetzen.

So auch in der katholischen Knabenschule zu Masslkofen, in welcher sich diese ,hauptsächlich montags, in Form eines einstündigen Religionsunterrichts kundtaten,  für den sich der hiesige, geistliche Würdenträger Korbinian Schreiner verantwortlich zeigte.

 

Freilich musste der Scheiferl schon nach kürzester Zeit feststellen, dass es sich bei Schreiners Unterweisungen um nichts anderes, als um eine Fülle gottgefälliger Vorschriften handelte, die in ihrer Mehrheit jeglicher Vernunft widersprachen, da sie einer sinnvollen Freizeitgestaltung massiv im Wege gestanden, ja, wenn nicht sogar unmöglich gemacht  hätten.

So stand er also vor der Wahl, den Rest seines Daseins der Eintönigkeit zu opfern, oder, seinen bescheidenen Lebensansprüchen zumindest einigermaßen gerecht zu werden.  

Und weil sich Scheiferls damalige Opferbereitschaft, in relativ engen Grenzen bewegte, kam er, in der Annahme, dass selbst der liebe Gott seine Augen und Ohren nicht überall haben konnte, den leidigen Auflagen eher mangelhaft nach, was seiner Überzeugung nach, eine durchaus vertretbare Lebensmaxime bedeutete, an welcher sich auch das Gros seiner Mitschüler orientierte.

 

Allerdings barg diese Denkweise auch eine gewisse Gefahr, da sie den querköpfigen Schäfchen durchaus zum Verhängnis werden konnte und auch wurde, weil sie die weltlichen Sinnesorgane nicht ausreichend berücksichtigten.  

Vor allem die Vielzahl der verräterischen Augen, die quasi rund um die Uhr allgegenwärtig zu sein schienen.

Und so blieb es nicht aus, dass ihrem religionswissenschaftlichen Mentor in despektierlicheren Schülerkreisen auch „Loppsei“ genannt, immer wieder so einiges zu Ohren kam, was , in dem einen oder anderen Fall, den Erfolg seiner seelsorgerischen Tätigkeit ernsthaft in Frage zu stellen schien.

Na ja, ob Loppsei oder Schreiner, - jedenfalls schien es dem Masslkofener Seelsorger eine wahre Herzensangelegenheit zu sein, die männliche Nachkommenschaft zu rechtschaffenen und gottesfürchtigen Christen zu erziehen. Und dafür war ihm jedes Mittel recht.  

So bediente er sich während des Unterrichts Praktiken, die gleich den Rosenkranzgeheimnissen schmerzensreich, aber auch, vorausgesetzt sie betrafen einen unbeliebten Schulbanknachbarn, überaus freudenreich sein konnten.

Was hieß, dass Loppsei gegebenenfalls nicht davor zurückschreckte, den Lämmern seine ureigene religiöse Überzeugung, auf relativ unchristliche Art und Weise zu unterbreiten. 

Seine Kopfnüsse hagelten ohne Vorwarnung auf so manch unwissendes Haupt hernieder

„Scheiflberger Bub, das gilt auch für dich, - du Hoizkopf, du wurmstichiger!“

 

Und kam der gestrenge Gottesdiener, beispielsweise durch ein ungebührliches Grinsen, oder anderweitiger taktloser Mimik gar zu der Auffassung, jemand würde das Wort des allmächtigen Schöpfers, beziehungsweise das Seinige, nicht ernst genug nehmen, fiel derjenige unweigerlich Sühnestufe zwei, dem „Schmalzfedern ziehen" zum Opfer.

Ein probates Züchtigungsverfahren, das die kurzen Schläfenhaare betraf, und wie auch der Scheiferl des Öfteren am eigenen Leib erfahren musste, höllisch schmerzt, wenn jemand dran zieht.  

„Meij liaba Freind, des sog a da!“

Da stehst du in Sekundenschnelle aufrechter auf den Zehenspitzen als jede Primaballerina!

„Glaub ja nicht, dass dir diese Buße, -- eijtz gschodt hod“ tröstete er daraufhin das leidende Opfer, wobei er es mit gütigster Miene musterte.

„Denn eines merke dir, was du schon auf dieser Welt ertragen musst, -- des huifft da dann schnella durchs Fegfeija.“

 

Sehr oft erzählte Loppsei von Luzifer.

„Der Teufel dein allgegenwärtiger Versucher und Erzfeind.“

Ja, den schien er derartig gut zu kennen, als wären sie jahrelang zusammen in einer Schulbank gesessen.

Mit tiefgründiger Inquisitorenstimme offenbarte er seinen Zöglingen, dass er mit Sicherheit wisse, dass dieser gefallene Engel vor allem an unschuldigen Seelen, wie zum Beispiel den ihrigen, besonderes Interesse zeigen würde.

Na, ja, unschuldig, - wenn der alles gewusst hätte…!

Jedenfalls würde der Teufel so lange keine Ruhe geben, meinte er, „bis eure Seelen so schwarz wären wie ein Rauchfangkehrer.“  

 

Wer also näheres über den Teufel und seine Höllensippschaft erfahren wollte, der hatte in Loppsei den besten Chronisten.

Jawohl! Loppsei kannte sich aus in der Hölle.

Seine Darstellungen der Höllenqualen, die dort auf die Sünder warten würden, waren beispiellos.

Selbst Dantes Inferno glich da geradezu einem Kuraufenthalt!

Ja, sogar die harmlosesten armen Seelen, quasi die ganz gewöhnlichen Fegefeuerkandidaten, hatten dort drunten beim Teufel kaum was zu lachen!

Nein, da musste einer schon ein ausgesprochener Glückspilz sein, wenn er nur fürs Kohlenschaufeln eingeteilt war.

Selbstverständlich bei sengender Gluthitze!

 

Und darüber war der Scheiferl anfangs zutiefst beeindruckt!

„Herr Pfarrer, da rinnt einem ja der Dreg owe wie einer Sau!“ 

„Ganz richtig Scheiflberger Bub, in der Hölle da fließet der Sünderschweiß in Strömen“!

„Drum merket euch, jeder Sünder,-- jawohl ein jeder--, wird dort drunten bei lebendigem Leibe gesotten!!“

„ Na Herr Pfarrer“, meldete sich der Scheiferl erneut, „die Seele! Des is fei die Seele de do drunt kocht wird, -- und ned der Leib!“

„Natürlich ist es deine kohlrabenschwarze Seele, was denn sonst,

der Leib wartet ja, wie wir alle wissen auf seine Auferstehung, - und eijtz bist staad, sonst gibt’s eine Kopfnuss, du vorlautes Gscheidhaferl!“

Immerhin trugen Loppsei’s Worte für kurze Zeit dazu bei, dass Scheiferls Sündenregister nicht allzu sehr ins Kraut schoss, weil er doch einigen Respekt vor dieser Höllenbrut hatte.

Obwohl ja er der Überzeugung war, dass zum damaligen Zeitpunkt die weitaus größere Gefahr von Loppsei ausging.

.

Wie immer es dann auch sein sollte, in allergrößte weltliche Gefahr begab sich, wer es versäumte, den sonntäglichen Kindergottesdienst zu besuchen.

Schon an einer Nasenspitze konnte der Masslkofener Seelsorger erkennen, wer montags wieder nicht wusste, worüber er gestern gepredigt hatte.

Dann war aber Schluss mit lustig!

Das ließ ihn nicht nur vermuten, dass sein mahnendes Wort auf taube Ohren stieß, nein, sondern was noch viel unverzeihlicher war, -- dieser elende Sünder hatte den Gottesdienst geschwänzt.

Zugegeben, mit dieser Mutmaßung lag er oft gar nicht so falsch.

Sah er sich darin bestätigt, genügte ein einfaches Schmalzfedernziehen nicht mehr. Strafend wie das Jüngste Gericht, kam sein kurzer, schwarzer Lederriemen zum Einsatz, der dann ohne Rücksicht auf Verluste den verlängerten Rücken des verirrten Schäfleins bearbeitete.

„Und nächsten Sonntag meldest du dich vor dem Kindergottesdienst bei mir in der Sakristei, du Lackl, sonst wird’s nix mim Fegfeija, sonst kimmst amoi glei in d’ Höll!

Und mit etwas sanfterem Wortlaut fuhr er fort:

„Darum ist es mir ja so wichtig, dass ihr gute Christen werdet, -- weil dann da Deife  do drunt boid zua sperrn ko“.

„Und das wollen wir doch alle miteinander!

Oder etwa nicht „Herr“ Scheiflberger, ha wos moanst’n ?!“ „ Hamma uns vostandn“?

„Ja hamma uns scho Herr Pfarrer“, nickte der Scheiferl in demütigster Ergebenheit. 

Doch Loppsei‘s einstige Bemerkung, dass dort drunt in der Hölle heilloses Gedränge herrsche, und Todsünder sowieso auf ewige Zeiten im Höllenfeuer schmoren, ließ den Scheiferl wiederum hoffen, dass der „Deife“ noch lange auf ihn verzichten muss.

 

…was sich bisher auch bestätigte…

 

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